Konservatismus: Bewahrender Fortschritt

Progressiver Konservatismus steht als einziger und vielleicht letzter Anwalt der Mitte zwischen den Grünen und der AfD, wenn er versagt, wird sich die Auseinandersetzung zwischen Grünen einerseits und AfD andererseits radikalisieren und die Mitte wird sich politisch verflüchtigen, weil sie ohne eigenen Interessenvertreter sich für eine Richtung zu entscheiden haben wird. Auch wenn Medien, die sich eine grüne Republik wünschen, versuchen die Grünen als Kraft der Mitte und als die neuen Konservativen hinzustellen, widerspricht das völlig den Tatsachen. Die Grünen machen Politik für den Radfahrer,  nicht für den Pendler. Welch verachtende Dimension grüne Ideologie den eigentlichen Leistungsträgern der Gesellschaft gegenüber inzwischen angenommen hat, verdeutlicht nichts besser, als ein Tweet Karin Göring-Eckardts, die auf die Probleme von Pendlern angesichts der Fahrverbote kaltschnäuzig reagierte: Auch Pendler müssten atmen. – Wie antwortete doch Marie-Antoinette, als man ihr sagte, dass die armen Leute sich kein Brot leisten können? Dann sollen sie doch Kuchen essen. 

Die von den Grünen inspirierte Energiewende, die zutiefst asozial ist, belastet die Familien und schafft eine neue Armut: die Energiearmut, die Windräder, an denen ihre Klientel prächtig verdient, wurden zu Vögelexekutionsautomaten, wo die Grünen doch angeblich für die Biene und den Vogel einzutreten behaupteten, und zerstören zudem die Landschaft. Die Umweltschützer werden zu Landschafts- und Naturzerstören. Sie schützen lediglich ihre Umwelt, ihre Klientel. Die Abkehr von Kernenergie und von Kohleverstromung führt in die Energieunsicherheit und letztlich dazu, teuer im Ausland Atom- oder Kohlestrom kaufen zu müssen. 

Wer Robert Habeck gelesen hat, weiß, dass dem Vorsitzenden der Grünen die Vorstellung von deutscher Kultur, von Kultur überhaupt fremd ist, wer den Gedanken Winfried Kretschmanns folgt, erkennt, dass für die Grünen Heimat nichts anderes bedeutet, als ihre Auflösung in einer multikulturellen Utopie, die sich schon heute als Dystopie herausstellt. Die Grünen sind nicht konservativ, sie sind allenfalls reaktionär, weil ihr Menschenbild vom unmündigen Objekt sozialer Pädagogik ausgeht.

Die CDU hat in einem informellen Bündnis mit den Grünen auf Bundesebene und in Koalitionen mit ihnen auf Landesebene grüne Inhalte durchgesetzt. Die Wähler wissen inzwischen nicht mehr, wofür CDU und SPD stehen – und die Parteien selbst auch nicht. Armin Laschet verstieg sich in einem Interview mit der FAZ im Februar 2018 zu der Behauptung, dass es nicht Aufgabe der CDU sein könne, „alles, auch programmatisch, zu sammeln, das rechts von der politischen Linken ist“. Rechts von den Linken befindet sich jedoch die gesellschaftliche Mitte, für die sich Armin Laschet nicht mehr interessiert, während sein Hauptfeind der Konservatismus zu sein scheint, nicht die AfD, nicht die Grünen, sondern der Konservatismus, der seiner Ansicht nach nicht zur CDU gehört. In diesem grundsätzlichen Orientierungsverlust, in dieser Unlust zum Denken, in der Abscheu der Geschichte gegenüber und der Liebe zu politisch-korrekten Geschichtsrevisionismen, der Funktionalisierung des politischen Moralismus oder der politischen Moralisierung der Funktionen, einem haltungsdeterminierten Occasionalismus, besteht das intellektuelle Dilemma. 

Repräsentanten statt Establishment 

Der Vorzug, dass der Konservatismus keine Ideologie, sondern eine Haltung ist, gereicht ihm in Zeiten des Umbruchs zum Nachteil, weil von ihm erwartet wird, eine politische Idee zu entwickeln. Vorstellungen, die unter Konservatismus gern ein konkretes Verhalten zur Gewichtung neuer politischer Projekte, ein Messen des unerprobten Neuen am funktionierendem Alten, des Fortschritts am Bestehenden, sehen, klingen wie ein freundliches „Ruhe sanft.“ Der melancholische Konservatismus wird sich nur dann als progressiver Konservatismus neu erfinden, wenn er begreift, dass sich in den letzten dreißig Jahren ein Establishment herausgebildet hat, das auf der Grundlage neoliberaler und grüner Ideologien eine Politik verfolgt, die den Interessen der meisten Bürger widerspricht und aus dem er ausgeschlossen ist. Die verbindende Klammer so scheinbarere Gegensätze wie Minderheitenhegemonismus, Moralisierung und Pädagogisierung der Gesellschaft der Grünen und Finanzialisierung der Gesellschaft und Aushebelung des Marktes durch Monopolisierung der Neoliberalen findet sich in einem gesellschaftlichen Zustand, den die einen No Border und die anderen Globalisierung nennen. Gemeinsam haben sie die Verachtung der lokalbasierten Mittelschicht, die man als Globalisierungsverlierer herabwürdigt, um ihre berechtigte Kritik als Ressentiments abzutun. Doch diese Ressentiments sind nichts anderes als die Interessen derjenigen, die den Wohlstand dieses Landes schaffen. Aus dieser wachsenden Differenz werden sich gesellschaftlicher Konflikte entzünden, die politische Klasse hat – mit Ausnahme der Grünen – die Rückbindung an ihre Interessenmilieus verloren.

Konservative müssen die schmerzliche Lektion lernen, dass sie nicht zum neuen Establishment gehören, für das die Soziologin Nancy Fraser mit Blick auf die USA folgende Definition vorschlug: „Die US-amerikanische Form des progressiven Neoliberalismus beruht auf dem Bündnis ›neuer sozialer Bewegungen‹ (Feminismus, Antirassismus, LGBTQ) mit Vertretern hoch technisierter, ›symbolischer‹ und dienstleistungsbasierter Wirtschaftssektoren (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie etc.).“ Aus ihrer Sicht führte die neoliberale Politik Clintons und Obamas „zu einer Verschlechterung der Lebensverhältnisse aller Arbeitnehmer, besonders aber der Beschäftigten in der industriellen Produktion.“ 

Zur gesellschaftsauflösenden Ausweitung der Minderheitenrechte stellte sie fest, dass dieses neue Establishment die Emanzipation gleichsetzt „mit dem gesellschaftlichen Aufstieg der ›Begabten‹ unter den Frauen, Minderheiten und Homosexuellen“ und dass es „die The-winner-takes-all-Hierarchie nicht mehr abschaffen“ will.

Verlierer oder „gesellschaftlich Abgehängte“ sind diejenigen, die Waren produzieren, das Handwerk, der Mittelstand, der zudem in Deutschland durch eine ausufernde Staatsquote finanziell ausgeblutet wird, Familien, aber auch die Menschen, die in Armut leben, Verlierer sind circa 80 % der Gesellschaft. Die Ausweitung der Minderheitenrechte gehen einher mit der Abschaffung der Mehrheit durch ihre Auflösung in Sondergruppen von „besorgten Bürgern“, „Bürgern, die schon länger hier leben“, „Wutbürgern“, „Angstbürgern“, „alten weißen Männern“, „Populisten“, „Rechten“, „Islamophoben“, „Homophoben“, „Heterodominanten“, „Familisten“. Mag es auch noch so absurd und irreal sein, doch die Spiegelung der Minderheiten führt zu dazu, dass man im Sinne des alten divide et impera die Mehrheiten in Gruppen aufspaltet, um aus ihnen eine Palette von Minderheiten zu gewinnen. Ist die Verminderheitung der Mehrheit geglückt, dann lassen sich ihre Interessen schnell als reaktionär, unbedarft, dumm, ängstlich oder spießig heruntermoralisieren.

Progressive Konservative kämpfen für die Rechte der 80 Prozent der Gesellschaft, auf ihr Recht, so zu sein, wie sie sind, in ihren Dörfern, in ihren Städten, in ihrem Freundeskreis und in ihrer Kultur so zu leben, wie sie es bisher getan haben. Dabei wissen sie sehr wohl, dass die Welt sich ändert. Sie sind nicht etwa fortschrittsfeindlich, sondern hegen eine große Offenheit für eine Veränderung, die auf Freiheit und Bodenständigkeit beruht, und nicht auf Volkserziehung, Zwang und Verboten. Sie lehnen das irrationale, reaktionäre, fortschrittsfeindliche Neuspießertum ab, weil sie Realisten sind. 

Sie kämpfen für eine Freiheit, die das frei sein von etwas mit dem frei sein für etwas verbindet. Freiheit benötigt Verantwortung, nicht Gesinnung, Realismus und nicht Moralismus. Die Aufgabe des progressiven Konservatismus besteht im Durchbruch zum Realismus, nicht nur in der politischen Theorie, sondern auch in der politischen Praxis. 

Dieser vorausschauende Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Text „Vom melancholischen zum progressiven Konservatismus” des Autors, der zuerst im 2019 von Joachim Klose und Norbert Lammert herausgegebenen Sammelband „Balanceakt für die Zukunft – Konservatismus als Haltung” erschien.

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1 Kommentar. Leave new

  • Manfred Thümler
    12. Oktober 2024 22:16

    Die Grünen werden verschwinden.
    Eine Grüne die 130 000 Euro für Makeup auf Steuerkosten verschwendet
    und Kurzstrecke fliegt, ein Grüner der beim Atomausstieg lügt,
    unliebsame Lehrstühle zb der Kernforschung auflöst und durch Unwissenheit glänzt braucht kein Mensch.
    Die Grünen waren mal eine moralische Partei, mit
    Parteigängern die gebildet, ehrenhaft, sensibel und vorbildlich waren.
    Jetzt sind sie es nicht mehr.
    Jetzt diffamieren sie, etablieren eine Gesinnungspolizei und tun Alles um
    ihre Macht zu erhalten. Niemand braucht Sowas.

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