Die meisten Entscheider wissen nicht, was sie tun. Oft entscheiden sie Dinge, die überhaupt nicht entschieden werden müssen, weil sie nach Faktenlage völlig klar sind. In anderen Fällen treffen sie Entscheidungen gegen jede Vernunft, getrieben von anderen Beweggründen. Manchmal entscheiden sie zu spät oder gar nicht, vor allem dann, wenn „echte“ Entscheidung, nämlich die Wahl zwischen zwei oder mehr nach Faktenlage gleichwertigen Möglichkeiten notwendig wäre.
Warum entscheidet der falsch?
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Meeting. Es geht nun bereits zwei Stunden, alle Fakten sind auf dem Tisch, die verschiedenen Alternativen und ihre Konsequenzen erörtert und sonnenklar. Es hat sich eine einzige Handlungsoption als Lösung herauskristallisiert, vernünftig, logisch, faktenbasiert und völlig eindeutig.
Eigentlich könnten Sie jetzt losgehen und zur Tat schreiten, handeln. Aber Chef muss erst noch entscheiden, denken alle. Also verkündet er das Offensichtliche. Aber eigentlich hat er nichts entschieden – es war völlig klar, was zu tun ist. Diese „Entscheidung“, die gar keine ist, hätte man getrost auch einem Algorithmus überlassen können. Hier braucht es keine Entscheidung, sondern Handlung als Folge von Fakten und logischen Überlegungen. Was zu tun ist, ist klar, logisch und faktenbasiert.
Jetzt stellen Sie sich vor, dass am Ende besagten Meetings Chef plötzlich eine Entscheidung trifft, die mit dem Diskussionsergebnis nichts zu tun hat. Er entscheidet nicht für die vernünftige, klare, durch viele Fakten gesicherte Lösung, sondern für irgendein Gegenteil. Nahezu jeder hat so etwas schon einmal unmittelbar erlebt.
Im politischen Raum bekommen wir es in letzter Zeit leider häufiger mit solchen Entscheidungen zu tun, gegen die Vernunft, gegen die Logik, gegen die Fakten. Dann fragt man sich, warum macht Chef (oder Politiker) das?
Dafür kann es verschiedene Gründe geben.
- Chef weiß mehr. Er kennt Fakten, die es nicht in die Diskussionsrunde geschafft haben. Man kann sich zwar fragen, warum er sie nicht offengelegt hat, aber immerhin wäre das möglich.
- Chef unterliegt einem äußeren Zwang. Er wird von externen Mächten – was auch immer das sein sollte – gezwungen, eine ganz bestimmte, nicht von den Fakten gedeckte Lösung durchzusetzen.
- Chef hat eigene Interessen. Möglicherweise verschafft ihm die nicht von den Fakten bestimmte Lösung persönliche Vorteile, die er nicht offenlegen will oder kann.
- Chef will nicht das Gesicht verlieren. Vielleicht hat er im Vorfeld des Meetings gegenüber Beteiligten oder Fremden eine andere Lösung propagiert und möchte jetzt nicht blamiert dastehen.
- Chef ist einfach dämlich. Er hat die ganze Situation und die Diskussion nicht verstanden und haut dadurch mit seiner Entscheidung völlig daneben.
So etwas passiert. Allerdings, und hier wage ich mal eine kühne These: Ein Algorithmus würde das niemals tun. Er kann nicht gegen die Logik. Das können nur Menschen. Wäre es deshalb nicht klüger, bei eindeutiger Faktenlage auf menschlichen Einfluss zu verzichten und das Regiment den Algorithmen zu überlassen? Sie würden es besser machen, denn es gibt hier nicht wirklich etwas zu entscheiden, sondern nur den Fakten zu folgen.
Entscheiden, wann Entscheidungen Entscheidungen sind
Anders sieht es aus, wenn es keine eindeutige Faktenlage gibt, wenn unterschiedliche Lösungsansätze vorliegen und eine Entscheidung zwischen diesen, vielleicht gleichwertigen und mit vergleichbaren Risiken behafteten Möglichkeiten getroffen werden muss. Eine echte Wahl also, bei der sich erst später herausstellt, welcher Weg der richtige war. Dann sind echte Entscheidungen nötig. Wenn die Fakten unklar sind und deshalb der einzuschlagende Weg der falsche sein kann, müssen Menschen ran. Diese echten Entscheidungen kann man nicht den Algorithmen überlassen. Sie müssen von Entscheidern getroffen werden, die das Risiko kennen und tragen können.
Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen:
Wenn wir nicht wissen, was richtig ist, muss entschieden werden – und nur dann. Wenn wir wissen, was richtig ist, muss man nichts entscheiden, nur handeln.
Es liegt in der Natur der Sache echter Entscheidungen, dass sie falsch sein können. Dieses Risiko trägt der Entscheider, muss es tragen. Er kann sich Bestätigung von Experten holen oder versuchen, das Risiko auf mehrere Schultern zu verteilen. Am Ende ändert das aber alles nichts, denn er allein trägt die Verantwortung für seine Entscheidung.
Schauen wir uns die praktische Seite an, dann sind die meisten „Entscheidungen“ eigentlich gar keine, denn die Fakten sind weitgehend klar. Wenn es draußen regnet, muss ich mich nicht entscheiden, einen Schirm mitzunehmen – das versteht sich von selbst, es sei denn, ich will nass werden und einen Schnupfen riskieren. Wenn die Kosten im Unternehmen zu hoch sind, dann muss man nicht ein Sparprogramm entscheiden – das versteht sich von selbst, ist eine unmittelbare Folgerung aus der Analyse und muss einfach nur gemacht werden.
Man könnte beispielsweise Algorithmen alle „Entscheidungen“ überlassen, bei denen das Risiko einer Fehlentscheidung unter zehn Prozent liegt. Damit hätte man sicherlich die meisten Alltagsfälle erledigt. Steigt das Risiko auf einen höheren Wert, dann werden wirkliche Entscheidungen nötig. Und die – das ist äußerst wichtig – müssen diejenigen treffen, die das Risiko tragen.
Wer die Folgen trägt
Politiker und auch Führungskräfte treffen oft echte Entscheidungen, bei denen die Faktenlage nicht klar ist und Risiken bestehen. Sie treffen diese Entscheidungen für andere, also auch für mich. Ich werde also mit den Auswirkungen dieser Entscheidungen konfrontiert, ohne Einfluss nehmen oder mich dem entziehen zu können.
Ich verstehe, dass ein Staat oder auch jede andere denkbare Form des Zusammenlebens von Menschen solche Entscheider braucht. Ich bin auch aus Erfahrung bescheiden genug zu wissen, dass ich selbst kaum bessere Entscheidungen treffen könnte als die Leute in der Regierung und in der Unternehmensführung, die das tun. Das Dilemma besteht darin, dass sie entscheiden und ich es ausbaden muss. Sie können die Verantwortung für ihre Entscheidungen überhaupt nicht übernehmen, selbst wenn sie wollten.
Mit diesem Dilemma kann man als Betroffener nur leben, wenn man sicher sein kann, dass die Entscheider sich in jedem Falle intensiv vor Augen führen, was ihre Entscheidungen für alle anderen bedeuten. Diese Überlegungen müssen die Entscheidung beeinflussen und unbedingt offengelegt und kommuniziert werden.
Politiker als Entscheider müssen sich in die Lage derjenigen versetzen, für die sie entscheiden. Sie müssen eine enge Verbindung zum Volk halten. Und sie müssen offen und verständlich kommunizieren.
Ich wage die Vermutung, dass ein großer Teil der Unzufriedenheit, die wir in diesen Zeiten im Lande erleben, damit zu tun hat, dass mit Entscheidungen nicht offen und vernünftig umgegangen wird. Vielleicht wäre es tatsächlich besser, Algorithmen zu nutzen. Sie könnten die Entscheidungen anhand der Faktenlage bewerten, Risiken ausweisen, in Fällen mit niedrigem Risiko die Dinge auf den Weg bringen und bei hohem Risiko entsprechende Warnungen absetzen.
Ein Algorithmus würde niemals halbgare Gesetze auf den Weg bringen, sich bei Lieferketten in einseitige Abhängigkeiten begeben oder Projekte angehen, deren Ziele unklar, deren Finanzierung nicht gesichert oder deren Erfolgsaussichten gering sind. Würden alle Entscheidungen, in Unternehmen und in der Politik, hinreichend von Algorithmen vorbereitet, bewertet und veröffentlicht, hätten wir vermutlich eine bessere Welt.
4 Kommentare. Leave new
Der Artikel ist ziemlicher Unfug. Das fängt schon damit an das es überhaupt keine allgemeingültige Definition einer „besseren“ Welt gibt. Der Autor impliziert nämlich gleich mal das seine eigenen Vorstellungen allgemeingültig sind.
Auch die Idee das Personen falsche Entscheidungen treffen würde, beruht in der Regel weniger darauf das diese tatsächlich falsch sind, sondern das der Kritiker eher obskure Vorstellungen davon hat welche Ziele der Entscheider verfolgt. „Fakten“ liefern keine Basis für Entscheidungen, sondern die Ziele des Entscheiders. Der Autor zählt einige davon sogar auf, hält die aber für irgendwie „falsch“. Schlicht weil sie nicht seine eigenen sind.
Und Ziele können viele sein. Dinge wie „Allgemeinwohl“ (mir konnte noch nie jemand erklären was das ist), „steigender Wohlstand“, „Freiheit für alle“, etc. gehören definitiv nicht dazu. Das sind bloß sinnfreie Worthülsen um die Masse der Deppen bei der Stange zu halten.
„Ein Algorithmus würde niemals halbgare Gesetze auf den Weg bringen, sich bei Lieferketten in einseitige Abhängigkeiten begeben oder Projekte angehen, deren Ziele unklar, deren Finanzierung nicht gesichert oder deren Erfolgsaussichten gering sind.“
Das ist vollkommener Unsinn und zeigt das der Autor nicht die geringste Ahnung von mulitkriteriellen Optimierungsproblemen (mein aktuelles Arbeitsgebiet) hat. Natürlich kann es sinnvoll sein sich in einseitige Abhängigkeiten zu begeben, z.B. wenn hierdurch andere Ziele überkompensiert werden. Die Höhe der Erfolgsaussichten stellt keineswegs immer ein sinnvolles Entscheidungskriterium dar.
„Politiker als Entscheider müssen sich in die Lage derjenigen versetzen, für die sie entscheiden. Sie müssen eine enge Verbindung zum Volk halten.“
Da habe ich dann doch den Kaffee über die Tastatur gespuckt. Warum um Himmels willen, sollte sich ein Politiker in die Lage seiner Ge- und Verbrauchsmasse versetzen? Außer dazu deren Renitenz möglichst weit unten zu halten.
In Ihrem Kommentar sind sicher eine ganze Menge interessante Anregungen für eine Diskussion. Leider sind Stil und Tonalität Ihres Kommentars so, dass ich mich nicht auf eine Diskussion einlassen werde.
Den Artikel finde ich sehr gelungen, weil er die Realität wiederspiegelt.
Ihr Kommentar kommentiere ich einfach mal mit Ihrem ersten Satz nMn zurück.
Fakten? Welche Fakten? Wer bestimmt welche „Fakten“ „wahr“ sind?
Die Wissenschaft ist doch längst politisch korrumpiert.