Ludwig Erhard: Wohlstand für alle

Das Buch „Wohlstand für Alle“ von Ludwig Erhard von 1957 ist das Grundlagenwerk der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Hier gibt der Vater der sozialen Marktwirtschaft persönlich Auskunft, und jeder, der sich auf das Schlagwort der sozialen Marktwirtschaft berufen will, muss sich an diesem Buch messen lassen.

Die zentrale Botschaft lautet: Das Soziale an der sozialen Marktwirtschaft ist die Marktwirtschaft selbst. Wo immer ein echter Markt mit freiem Wettbewerb herrscht, werden die Ressourcen und kreativen Potentiale einer Volkswirtschaft optimal genutzt, und es entsteht größtmöglicher ökonomischer Nutzen. Deshalb hat für Ludwig Erhard das Kartellrecht eine zentrale Bedeutung, denn nur dadurch wird sichergestellt, dass tatsächlich Wettbewerb herrscht. Ein regelloser Kapitalismus mit Monopolbildungen wäre keine Marktwirtschaft; ein Nachtwächterstaat ist nicht das Ziel.

Die zweite Priorität ist die Stabilität der Preise. Die Stabilität der Preise ist sowohl für die Unternehmer wichtig, weil sie Planungssicherheit haben, aber auch für die ausländischen Kunden von Exportgütern, und schließlich auch für die Verbraucher, weil ihnen das Geld nicht durch Inflation aus der Tasche gezogen wird. Zur Erhaltung der Preise setzt Erhard auch auf staatliche Lenkungsmaßnahmen wie die Eindämmung einer überhitzten Konjunktur und im Idealfall auf die psychologische Wirkung seiner Aussagen.

Die dritte Komponente ist die Umverteilung des Wirtschaftswachstums an alle durch Lohnsteigerungen (oder durch Preissenkungen). Eine Umverteilung der Zuwächse ist politisch viel einfacher durchzusetzen als eine Umverteilung des bestehenden Vermögens, und setzt keine Fehlanreize. Ludwig Erhard spricht sich klar dagegen aus, die Sozialstruktur der Vorkriegszeit mit wenigen Reichen, einer breiten Unterschicht und einem schwachen Mittelstand fortzuführen. Lohnsteigerungen dürfen aber niemals die Produktivitätssteigerungen übertreffen, da es sonst zu Preissteigerungen kommt, die die Lohnerhöhung sinnlos sein lassen.

Vollbeschäftigung ist für Ludwig Erhard ein nachgeordnetes Ziel, das sich durch die höheren Ziele quasi von selbst erfüllen wird. Wichtig ist vor allem der Aufbau von Arbeitsplätzen, die sich ökonomisch selbst tragen. Einen Ausbau der sozialen Sicherungssysteme sieht Erhard skeptisch: Sie nehmen den Menschen die Freiheit und gaukeln eine Sicherheit vor, die es so nicht gibt.

Im Detail argumentiert Erhard, dass ein echtes Unternehmertum gar keine Kartelle wollen kann, will es nicht zur planwirtschaftlichen Bürokratenkaste verkommen. Auch Handwerksordnungen und andere bürokratische Regulierungen können Kartellcharakter annehmen, wenn sie den Markteintritt von Konkurrenten erschweren.

Der Export ist für Ludwig Erhard ein Schlüssel zum Erfolg. In diesem Zusammenhang äußert sich Erhard auch dazu, wie man Europa nicht integrieren darf, nämlich durch „Harmonisierung“ oder gar feste Wechselkurse zwischen den Staaten (erinnert an die heutige EU und das heutige Euro-System). Vielmehr wird sich die ökonomische Integration unterschiedlich leistungsfähiger Ökonomien durch eine freie Preisbildung und durch die Konvertibilität der Währungen ergeben. Alles andere würde zu einer schlimmen Desintegration führen, meint Erhard.

Stellenweise wird Ludwig Erhard philosophisch. So z.B., wenn er die These ablehnt, dass die Marktwirtschaft materialistisches Denken fördere. Vielmehr führe ein wachsender Wohlstand dazu, dass die Menschen durch die Marktwirtschaft mehr Freizeit für ihre geistig-seelische Erbauung haben, statt nur für ihren Broterwerb arbeiten zu müssen. Insoweit sei die Marktwirtschaft „ein Gott wohlgefälliges Beginnen“. Bedenken von Oberschichten, dass der Wohlstand die einfachen Menschen dekadent mache, weist er zurück: Man solle anderen gönnen, was man selbst hat. 

Eines Tages sei es sogar möglich, dass man bewusst auf Wirtschaftswachstum verzichte, um mehr Lebensqualität zu gewinnen – doch so weit sei man noch lange nicht. Ludwig Erhard warnt auch vor der Maßlosigkeit als einem typisch deutschen Charakterzug. Freiheit und Demokratie sind für Ludwig Erhard untrennbar mit der Marktwirtschaft verknüpft. Hingegen lesen sich die zitierten Reden der SPD aus damaliger Zeit wie Honecker-Reden: Ihnen fehlt ganz offensichtlich jeder Glaube an die Kraft der Freiheit.

Die ersten 160 Seiten des Buches bilden eine Art politischer Autobiographie, die minutiös die politische Situation des ersten Jahrzehnts von Bizone und BRD durchgeht. Ludwig Erhard erklärt, warum er jeweils welche Entscheidung traf, und wie er mit der Militärbehörde bzw. der politischen Opposition um seine Ziele ringen musste. In diesem Teil bekommt der Leser allein durch die Praxis einen Begriff davon, was soziale Marktwirtschaft ist. Dabei schreibt Ludwig Erhard nicht lehrbuchmäßig, sondern präsentiert seine Maximen in Form von kurzen Faustregeln. Erhard wehrt sich gegen den Vorwurf, dass er amerikanische Befehle ausgeführt hätte.

Das erste Jahrzehnt von Bizone und BRD war geprägt von kriegsbedingten, großen Ungleichgewichten und Turbulenzen, von Kapitalmangel, Rohstoffmangel, Bevölkerungszuwachs durch Flüchtlinge und vielen anderen Problemen. Ludwig Erhard glaubte fest daran, dass eine wahrhaft freie Marktwirtschaft, beginnend mit der Einführung der Deutschen Mark in der Währungsreform von 1948, von ganz von selbst dazu führen würde, dass sich die Ungleichgewichte ausbalancieren würden. Und er hat Recht behalten. 

Auftauchende Probleme und Knappheiten überwand Erhard nicht durch ängstliches Zurückschrecken, sondern durch forsches Herauswachsen aus der Krise. Den Begriff „deutsches Wunder“ (heute: „Wirtschaftswunder“) lehnt Erhard ab, denn für ihn sei die Entwicklung alles andere als ein Wunder gewesen.

Das Buch ist leicht zu lesen, da es in lauter kleine Unterkapitel eingeteilt ist.

Fazit

Ein ökonomisch aufklärendes, fast schon weises Buch voller zeitloser Grundwahrheiten, das mit vielen seiner Aussagen gerade auch heute wieder verblüffend aktuell ist, nicht zuletzt mit seinen Warnungen, wie man es nicht machen sollte: Denn genau so wurde es in den letzten Jahrzehnten leider gemacht. Wir sind von dem vorgezeichneten, guten Weg Ludwig Erhards weit abgekommen, und alle warnenden Vorhersagen Ludwig Erhards haben sich bewahrheitet.

Diese Buchbesprechung erschien ursprünglich auf dem Buchblog „Liberal Konservativ Lesen” des Autors, der Sandwirt publiziert ihn hier mit seiner freundlichen Genehmigung. 

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