Eine Einladung, aus dem Status-Quo-Bias auszubrechen, ist den Blick in die Vergangenheit zu richten und nach Spuren zu suchen, die neue Ideen befruchten können. Warum gibt man sich so leicht mit dem Mittelmaß zufrieden? Die hierzulande spürbare Verfilzung von Exekutive, Judikative und Legislative ist nicht befriedigend, insbesondere, wenn man bedenkt, dass es immer noch Spielraum nach unten gibt, Stichworte: Notlage und Ermächtigung. Wir haben momentan kaum eine rechtliche Chance, solche Fehlentwicklungen zu stoppen.
Hier sei auf die aktuelle und faszinierende Schrift „Land ohne Mut“ von Michael Esfeld verwiesen. Diesen Filz, dass Politiker Richter werden und in beide Richtungen eine Drehtüre offen steht, inklusive Abendessen im Kanzleramt, kann der Unabhängigkeit nicht dienlich sein.
Deshalb will ich den Blick auf ein mittelalterliches Stadtrecht richten, das Magdeburger Recht, das sich ab dem 13. Jahrhundert in über 1000 Städte in Mittel- und Osteuropa verbreitete. Es bietet aus libertärer Sicht wertvolle Ansätze für eine dezentralisierte und unabhängige Rechtsprechung: Autonomie der Städte und die Freiheit von exzessiver staatlicher Einflussnahme – Prinzipien, die im Zeitalter der Monopolisierung der Macht z. B. in der EU, unter die Räder gekommen sind.
Dezentralisierung und lokale Autonomie
Im Zentrum des Magdeburger Rechts stand die Idee, dass Städte ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln können, einschließlich der Rechtsprechung. Die Gerichte wurden vor Ort geführt, meist von einem Stadtrichter und Schöffen aus der Bürgerschaft, die unabhängig von zentralen Autoritäten wie Königen oder Fürsten agierten. Diese dezentrale Struktur erlaubte es den Gemeinden, Recht und Ordnung nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten, was dem libertären Ideal der Selbstverwaltung und Eigenverantwortung entspricht.
Die Urteile der lokalen Gerichte konnten in einigen Fällen an das Magdeburger Oberhofgericht (ein höheres Berufungsgericht in Magdeburg) weitergeleitet werden, was die Einheitlichkeit und Unabhängigkeit der Rechtsprechung innerhalb des Geltungsbereichs des Magdeburger Rechts stärkte. Der Oberhof in Magdeburg hatte eine große Autorität und konnte Richtlinien für die Rechtsprechung in anderen Städten setzen.
Die lokale Autonomie förderte eine stärkere Bürgernähe und Anpassungsfähigkeit der Rechtsprechung. Entscheidungen konnten schneller und mit einem besseren Verständnis für die lokalen Gegebenheiten getroffen werden. Dies ist ein attraktiver Kontrast zur heutigen Zeit, wo viele libertäre Denker für eine Rückkehr zu lokalen Lösungen und weniger zentralisierter Macht plädieren.
Unabhängigkeit der Justiz
Das Magdeburger Recht setzte auf eine unabhängige Justiz, die von der Exekutive getrennt war. Die Gerichte arbeiteten autonom, ohne direkten Einfluss von Stadträten oder exekutiven Organen. Diese Trennung von Exekutive und Rechtsprechung minimierte das Risiko von Machtmissbrauch und stärkte die Rechtsstaatlichkeit. Auch heute ist die Unabhängigkeit der Justiz ein Grundpfeiler libertärer Überzeugungen, da sie die Freiheit des Einzelnen vor staatlichen Übergriffen schützt.
Bürgerbeteiligung und Laiengerichtsbarkeit
Ein weiteres libertäres Element des Magdeburger Rechts war die Einbindung von Bürgern in die Rechtsprechung durch die Rolle der Schöffen. Als Laienrichter, die aus der Bürgerschaft gewählt wurden, sorgten sie dafür, dass die Justiz von den Menschen mitgestaltet wurde, die sie betraf. Diese Form der Bürgerbeteiligung erhöht nicht nur die Transparenz und Akzeptanz der Gerichtsentscheidungen, sondern stärkt auch den Gemeinschaftssinn und die Selbstverantwortung der Bürger.
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
Das Magdeburger Recht war flexibel und anpassbar – es konnte an die speziellen Bedürfnisse jeder Stadt angepasst werden. Diese Anpassungsfähigkeit ist ein wertvoller Ansatz für moderne Rechtssysteme, die oft starr und unflexibel sind. Die Möglichkeit, lokale Lösungen zu entwickeln und anzuwenden, könnte auch heute Innovationen im Recht fördern und zu effizienteren, bürgernäheren Verwaltungsstrukturen führen.
Relevanz für die heutige Zeit
Obwohl das Magdeburger Recht heute keine direkte Anwendung mehr findet, leben viele seiner Prinzipien in modernen Konzepten der kommunalen Selbstverwaltung und der unabhängigen Justiz fort. Für uns bietet es eine historische Inspiration, wie Rechtsordnung und Verwaltung dezentralisiert und bürgernah organisiert werden können. Die Stärkung der kommunalen Autonomie, die Förderung der Unabhängigkeit der Justiz und die Einbindung der Bürger in Entscheidungsprozesse sind auch heute wesentliche Elemente für eine freiheitliche Gesellschaft.
Das Magdeburger Recht zeigt, dass die Umsetzung libertärer Prinzipien nicht nur eine theoretische Möglichkeit, sondern auch historisch bewährte Praxis sein kann. Es ruft dazu auf, die Macht wieder näher an die Menschen zu bringen, lokale Selbstbestimmung zu fördern und die Freiheit vor staatlicher Überregulierung zu verteidigen.
Und wer weiß, vielleicht bildet sich in wenigen Jahren eine ähnliche Ordnung wieder, auf Sark, in Montelibero oder Liberstadt und wo auch immer Titus Gebel neue freie Städte begründet. Wir können es brauchen.
Seit 1808 steht das Denkmal für das Magdeburger Recht in Kiew (Foto Nick Grapsy – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0)