Natürlich kann man durch Klebstoff berühmt werden – das beweisen Markennamen wie UHU, Pattex, Kittifix … Kennen Sie nicht? Kittifix sollten sie kennen: Die Marke ist seit 1947 geschützt, Hersteller war die 1916 gegründete Atlas AG Chemische Werke in Leipzig. Kittifix hat den Untergang der DDR überlebt, wirbt heute mit dem Slogan „Klebt nicht, gibts nicht!“ und verspricht im Logo „Nachhaltig verbinden“.
Wenn das keine Argumente für „Klima-Aktivisten“ sind, Kittifix bei ihren „Aktionen“ zu nutzen! Medien könnten ihre Helden finden: „Last Man Sticking – aber nachhaltig!“ So wären böse Autofahrende, Besucher von Konzerten, Galerien und anderen Sehenswürdigkeiten leichter zu erziehen: überall Transparente , „Kleben fürs Leben! “. „Klebt nicht, gibts nicht!“.
Ob dem Hersteller daran läge? Naja: Immerhin könnten Gegendemonstranten fordern „Ins Kittchen – aber fix!“.
Mir nützt, was anderen schadet
Die „letzte Generation“ hat 2023 Aufmerksamkeit und Wohlwollen sowohl der Medien als der ideologisch verbundenen Politik erlangt. Sie verlautbart hehre Ziele – nicht weniger als die Rettung des Planeten – und folgt zugleich einem Prinzip, das so alt ist wie die Welt und jede Form der Kriminalität: „Mir nützt, was anderen schadet.“ Tausende blockierter Autos, darunter Rettungswagen, dringliche Transporte von Medikamenten und Personal bezeugten, dass den Urhebern die Schäden, Menschenleben eingeschlossen, gar nicht groß genug sein konnten angesichts ihrer erhabenen Ziele.
Das kam als Werbeaktion für Klimaretter nicht besonders gut an. Zwar schauten Polizei und Justiz meist weg, Journalisten und solche, die sich dafür halten, weil sie Worthülsen und Bilderstrecken stramm an der politbürokratischen Linie entlang produzieren, belobigten die guten Absichten der Klebstoffverbraucher, aber die machten keine gute Figur. Kauernd, in gebückter Haltung auf dem Boden, eifrig, eifernd ihre Worthülsen drehend, wehleidig kreischend, wenn von Ordnungskräften freigebastelt und weggehievt – so sehen keine Helden aus. Freilich galt ihnen die eigene Würde beim kollektiven Auftritt wenig: die steckte ja im Portemonnaie ihrer Auftraggeber.
Gestohlenes Ansehen
Man besann sich auf das gute alte Prinzip „Gewalt gegen Sachen“. Blutende Gesichter, gar zerfetzte Leiber eignen sich für Propaganda nur, wenn sie eindeutig dem Gegner anzulasten sind – alte Agitatoren-Weisheit. Die RAF ignorierte sie, ebenso wie PLO, Hamas, ISIS, Hizbollah … Es brachte kein Glück.
Juristisch gebildete Nachfolger und Unterstützer kamen darauf, dass gerichtlich und öffentlich ebenso schwierig wie Nötigung anzugreifende Sachbeschädigung den politischen Sympathien nicht abträglich sei; es müssten nur die Richtigen genötigt beziehungsweise geschädigt werden. Leitungen kappen, Brände auf Baustellen legen, Autos abfackeln, Läden plündern – das wird inzwischen kaum noch verfolgt, geschweige drastisch bestraft. Gesinnungsgenossen applaudieren.
Noch besser: nicht irgendwelche Sachen attackieren, sondern berühmte. Was ist ein brennender Benz gegen Kartoffelbrei oder Suppe auf der Mona Lisa? Was ein mit Kot beworfener Polizist gegen ein verfärbtes Brandenburger Tor? Denkmäler stürzen bedeutet: die mit ihnen verbundenen Werte annullieren, Kultur, Geschichte, Zivilisation eigener Deutungshoheit unterwerfen.
So weit, so kurzschlüssig. Denn indem sie sich an verhassten Werten abarbeiten, offenbaren die modernen Bilderstürmer zugleich, was sie ohne diese Werte wären: Nichts. Ihr Wertesystem ignoriert einfach, dass arbeitsame, begabte, außergewöhnliche Menschen früherer Jahrhunderte erst schufen, wessen sie sich zerstörerisch bemächtigen, auch dass es Steuern und Lebenszeit heute Tätiger frisst, die von ihnen verursachten Schäden zu heilen. Plötzlich wird sichtbar, dass Propagandisten und Fußtruppen nichts als wurzel-, geschichts-, und gesichtslose Puppen sind, die an den Fäden von Oligarchen, Ideologen und ihren Medien hampeln.
Die antastbare Würde
Artikel 1 des Grundgesetzes verkündet – wie viele supranationale Erklärungen der Menschenrechte auch – den Schutz des Wertes eines jeden Individuums. Er gilt als unverlierbar, unhintergehbar, unstreitig. Zugleich stellt die soziale Realität jederzeit und überall auf der Welt diesen Wert infrage. Ein Blick auf die Massaker in Kriegen, totalitären Diktaturen, auf brutale Ausbeutung und auf religiöse, ethnische, ideologisch verbrämte Hassrituale beweist es.
Die Kehrseite des Problems ist die Frage, ob und inwieweit sich der Einzelne seiner Würde vergewissert – oder sie preisgibt. Philosophen, Rechtsgelehrte, Historiker, Künstler, bisweilen sogar Politiker beschäftigt diese Frage von jeher; vielleicht kann ich mich dem in gebotener Kürze nähern, wenn ich den Begriff der Demut betrachte.
Es gilt als Beweis menschlicher Reife und Stärke, unvermeidliche Schläge des Schicksals mit einer gewissen Demut hinzunehmen und doch seine Würde zu bewahren. Die Bibel, aber auch andere Religionen, Literatur, Theater, Film verweisen auf zahllose Belege eines solchen Verhaltens. Selbst wenn das Schicksal als Holocaust , Gulag, Straf- oder Umerziehungshaft über sie kam, überwanden Menschen den puren Eigennutz.
Viktor E. Frankl, Psychotherapeut und als Begründer der Logotherapie weltweit berühmt, nachdem er vier Konzentrationslager überstanden hatte, sieht die „Intentionalität“ des Menschen als Ursprung dieses Impulses zur Würde: Sie eignet jedem Menschen – manche meinen, dass auch Tiere, ja die Natur selbst dadurch Würde besitzen und sie verteidigen.
Intentionalität, das Streben, über eigene Voraussetzungen hinauszugehen, und dem Leben Sinn jenseits platter Bedürfnisse abzuverlangen, ist nicht von der schulischen oder weitergehenden Bildung des Einzelnen abhängig, sondern von der Gesamtheit seiner Herkunft, Erfahrungen und Verhaltensstrategien. Manche Menschen leitet der Impuls zur Würde auch in schlimmsten Notlagen – andere werden zu würdelosen Handlangern gewalttätiger Unterdrückung: sie unterwerfen sich, sie demütigen andere, um nicht selbst gedemütigt zu werden. Wer widersteht – in klagloser Demut gegenüber eigenem Leiden – verteidigt seine Würde, etwa indem er Leidensgenossen hilft.
Ehre ohne Gewissen
Arte, Teil des französischen/deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Wikipedia), hat gerade einen Dreiteiler mit dem Titel „Triaden – Die chinesische Mafia“ veröffentlicht, den ich empfehle, denn er regt zum Nachdenken über den Unterschied zwischen Würde und Ehre an.
Die längst als Macht in der globalen Wirtschaft etablierte organisierte Kriminalität hat – egal ob amerikanischer, europäischer, japanischer oder chinesischer Herkunft, unabhängig von der Größe ihrer verschiedenen Banden – eigene, ziemlich toxische Begriffe von Ehre. Man muss sie niemandem erläutern. Das Schweigegebot gehört jedenfalls dazu.
Ehre bedeutet immer eine äußere Bewertung des Individuums nach Maßgaben des Kollektivs. Ränge, Orden, Rituale und Belohnungen bestimmen, was einer wert ist. Wer gegen den Kodex verstößt, hat meist kein langes Leben. Würde ist von solchen Maßgaben unabhängig, bisweilen entdeckt selbst ein Mafioso, dass sie ihm wichtiger ist als Teilhabe an den materiellen und informellen Gewinnen der Organisation. Wenn er Glück hat, kommt er als Aussteiger in die bürgerliche Existenz unverletzt, gar ungeschoren davon. Abtrünnigen von Religionen oder Ideologien ergeht es ähnlich.
Die Globalisierung ist wahrlich kein Freund der Menschenwürde, längst verschwimmen die Unterschiede zwischen organisierter Kriminalität und dem Handeln totalitärer Staaten, supranationaler Organisationen, religiöser Führer, während Billionen in legalen und illegalen Geschäften zwischen den Kontinenten mäandern.
Die Kraft kultureller Werte
„Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu!” – alltagstaugliche Übersetzung meiner Großmutter für den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant – und zugleich ein Ansporn, Menschenrecht und -würde ernst zu nehmen, scheint gegenüber der Korruption durch Geld und durch die Aussicht auf gesellschaftlichen Rang in kollektivistischen und korporativen Verbünden derzeit nicht viel mehr als ein Ulk zu sein. Die Würde des Einzelnen wird von der ubiquitären Herrschaft der unheiligen Dreifaltigkeit Gewalt – Macht – Lust erstickt: Es ist zugleich die Herrschaft der Angst. Dass der Westen dagegen ohnmächtig erscheint, ja Druckmittel und Manipulationstechniken des Kollektivismus übernimmt, ist ein Geschehen, dem der Einzelne nur sein Gewissen und die Erfahrung entgegensetzen kann, dass der Mensch weder unsterblich noch imstande ist, die Welt vollständig zu berechnen, um sie zu beherrschen.
Genau deshalb ist die Weihnachtsbotschaft „Fürchtet euch nicht!“ weder „aus der Zeit gefallen“, wie eine modische Phrase suggeriert, noch durch mediale Betäubungsmittel aller Art ersetzbar. Sie ermutigt, selbstbestimmt, verantwortungsbewusst zu denken und zu handeln: in Freiheit und Würde als Souverän der Demokratie. So steht’s im Grundgesetz. Auch 2024. Auf geht’s!