Ja, Nazis raus … aber, wohin mit ihnen? Der deutsche Film- und Theaterregisseur Christoph Schlingensief hatte Anfang des Jahrtausends dazu eine umstrittene Idee. Er inszenierte das Stück „Hamlet“ und engagierte dafür kurzerhand Rechtsradikale und Neonazis, die aus der Szene aussteigen wollten. Gut, wer Schlingensief kennt, dürfte ahnen, dass es bei der ganzen Aktion nicht nur darum ging, das Publikum zu unterhalten oder den Samariter zu mimen. Natürlich wollte er damit provozieren und sein eher linksintellektuelles Publikum herausfordern. Wer Schlingensief nicht kennen sollte, dem sei seine Unterhaltung mit Harald Schmidt ans Herz gelegt.
Der Mann pendelte wie kein Zweiter zwischen Genie und Wahnsinn hin und her. Auch als Provokateur trat er regelmäßig in Erscheinung. Unvergessen sein Kurzfilm über „das Ende des Islams“.
Aber zurück zu seiner Hamlet-Inszenierung. Auch diese Provokation glückte. Bei der Aufführung in Berlin hinterließen die Reaktionen der Zuschauer so viel Eindruck, dass sogar der Spiegel relativ beeindruckt feststellte, dass es trotz aller Schärfe und Buh-Rufe vor allem gut sei, dass Linke und Rechte miteinander reden würden.
Rechte und Linke in der Gegenwart
Klingt fast nach einem Dialog! Davon ist heute leider nichts mehr zu spüren. Obwohl es dank der sozialen Medien genügend Raum geben würde, in dem Linke und Rechte friedlich miteinander debattieren könnten. Doch jeder, der in den sozialen Netzwerken aktiv ist, weiß, wie es dort zugeht. Es wird mehr über, als miteinander gesprochen, dazu noch provoziert und getrollt. Dabei schenken sich beide Lager nicht viel. Einziger Unterschied ist, dass Linke deutlich mehr Lobby in der öffentlichen Wahrnehmung besitzen.
Die Differenz zwischen beiden Lagern ist inzwischen so groß, dass gewisse Begriffe gar nicht mehr definiert werden müssen. Jeder kann ganz leicht zum „Nazi“ werden oder als „rechtsradikal“, „rechtsextrem“ oder „rechtspopulistisch“ gebrandmarkt werden. Alles meint irgendwie das Gleiche und wird synonym verwendet.
Dass man damit die Nazi-Stigmatisierung komplett entdämonisiert hat, wird als verschmerzbarer Kollateralschaden hingenommen. Es geht ja sowieso nicht darum, eine Debatte oder ähnliches zu suchen, man möchte den politisch unliebsamen Gegner markieren bzw. stigmatisieren. Wie, ist vollkommen egal.
Wer jetzt denkt, „ach, wie gut, dass wenigstens die Kirchen ein Ort sind, der Menschen zusammenführt“, der muss leider an dieser Stelle enttäuscht werden. Auch die Kirchen sind längst kein Ort mehr, um Menschen zu einen. Sie haben sich genauso dem Zeitgeist unterworfen: Klare Kante zeigen und alles und jeden ausgrenzen, der nicht auf Linie ist! Glauben Sie nicht? Dann empfehle ich den Besuch des nächsten Kirchentages der christlichen Religion Ihres Vertrauens.
Ein sehenswertes Eigentor
Klare Kante wollte wohl auch Robert Habeck zeigen, als er letztes Jahr einen Rentner anzeigte, der ihn mittels eines eher harmlosen Memes als „Schwachkopf“ bezeichnete. Man darf sich ja auch nicht alles gefallen lassen!
Diese Posse war auf mehreren Ebenen verstörend. Zum einen deshalb, weil Habeck wohl auf die folgende Hausdurchsuchung durch die Polizei bestand, obwohl er in Interviews stets beteuerte, dass diese nicht durch seine Anzeige herbeigeführt wurde. Sein Parteikollege Felix Banaszak wurde sogar später von dem Rentner verklagt, weil er in einer Sendung behauptete, die Durchsuchung wäre aufgrund anderer Verdachtsfälle wie Volksverhetzung zu Stande gekommen.
Dass Habeck und Baerbock mehrere Hundert Strafanzeigen pro Jahr stellen, war dann natürlich auch Thema im Wahlkampf, bei dem die Grünen am Ende ein enttäuschendes Ergebnis einfuhren. Zu guter Letzt wurde das Schwachkopf-Verfahren gegen den Rentner wegen Geringfügigkeit eingestellt und die Bezeichnung „Schwachkopf“ auch noch als erlaubte Meinungsäußerung zugelassen. Vielen Dank für die Klarstellung und das schöne Eigentor! Die juristischen Angriffe des Staats gegen den Rentner laufen einstweilen weiter, der Ausgang ist offen.
Grüße aus Sylt
Wo wir gerade bei der Meinungsfreiheit sind: Letztes Jahr über Pfingsten kam es auf Sylt fast zu einer linken Kernschmelze. Einige junge Leute sangen auf einer Party „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zu den Klängen von Gigi D´Agostinos Hit „L´Amour Toujours“. Was nach einer ziemlich dämlichen Aktion von ein paar Betrunkenen klingt, nahm so epische Züge an, dass sich zwischenzeitlich sogar der Bundespräsident genötigt sah, einen Kommentar dazu abzugeben.
Letztendlich entschied aber auch hier ein Gericht, dass diese Äußerungen, so dumm sie auch sein mögen, von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Was nun bleibt, ist vor allem die Erkenntnis, dass die Linke bei solchen Bagatellen stets die Nerven verliert und eine Staatskrise herbeiphantasiert, während sie bei Antisemiten, die auf Straßen Anti-Israel-Parolen brüllen, eher still sind.
Auch die Tatsache, dass Islamisten einen schwulen Lehrer aus der Schule (natürlich in Berlin) gemobbt haben oder der CSD in Gelsenkirchen „wegen einer abstrakten Gefährdungslage“ abgesagt werden musste, juckt aus diesem Lager nicht wirklich jemanden. Mit Islamisten legt man sich wohl doch lieber nicht an. Die meinen es nämlich ernst. Tja, und „Die Zeit“ wundert sich, dass die gefährlichen Sänger von Sylt nach der medialen „Hetzjagd“ online praktisch nicht mehr auffindbar sind.
Ein Clown geht seinen Weg
Wo wir gerade beim Thema Privatsphäre sind. Der Zeit-Reporter Christian Fuchs und der ZDF-Moderator Jan Böhmermann haben den rechten YouTuber „Clownswelt” im Namen der Demokratie enttarnt. Dabei gingen die beiden äußerst methodisch und schon fast obsessiv vor. Besonders der Bericht von Christian Fuchs liest sich wie eine der Stories aus den bekannten Boulevard-Blättchen.
Kaum ein privates Detail wurde ausgelassen. Die Trennung von der Freundin, die Finanzierung seines Studiums und seine Hobbys wurden peinlich genau durchleuchtet. Rein aus öffentlichem Interesse und für die Wahrung der Demokratie, versteht sich.
Nebenbei wollte man YouTube noch dazu zu bringen, den unliebsamen Clown von der Plattform zu nehmen oder eben genügend Druck (auch privat) aufzubauen, damit Clownswelt selber geht. Funktioniert hat es nicht wirklich. Im Gegenteil. Clownswelt darf sich über deutlich mehr Follower, volle Solidarität aus der Szene und jede Menge Spendengelder freuen. Auch YouTube schloss einen Ausschluss aus. Alle Inhalte seien von der Meinungsfreiheit gedeckt. Rumms.
Vielleicht hätten Fuchs und Böhmermann weniger mit den allseits bekannten Platitüden „rechts“, „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“ bei ihren Reportagen um sich werfen sollen, und sich mehr auf die durchaus streitbaren Inhalte konzentrieren sollen. Wir erinnern uns, Dialog und so.
Was ist eigentlich rechts?
Aber, um inhaltliche Auseinandersetzung oder gar um die Definition der Begriffe „rechts“, „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“ geht es schon lange nicht mehr. Sonst würde man mit der Band, die seit 40 Jahren aus der gewaltbereiten Skinheadszene glaubhaft ausgestiegen und sich seitdem gegen rechts engagiert, noch bevor „Schrei nach Liebe“ und „Sascha“ veröffentliche wurden, deutlich mehr unterstützen. Gemeint sind natürlich die Böhsen Onkelz, die immer noch kritisch von vielen Linken beäugt werden. Sie könnten ja doch irgendwie gefährlich sein. Was tut man nicht alles, um seine Deutungshoheit zu behalten!
Ob das „Agent Provocateur“ Christoph Schlingensief auch so sehen würde? Wer weiß. Vielleicht hätte er auch für mehr Dialog in einem Theaterstück zwischen „rechts“ und „links“ gesorgt. Oder die beiden Lager zur Abwechslung in einem Zirkus auftreten lassen. Immerhin stünden dafür inzwischen genügend Clowns zur Verfügung.