P.G. Wodehouse

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Pelham Grenville Wodehouse (1881–1975) gehört zu den beliebtesten Humoristen des 20. Jahrhunderts – kein Wunder, da seine Werke eine ebenso gut-gelaunte wie erstaunlich tiefsinnige Zuflucht vor den immer zahlreicheren dystopischen Zügen des modernen Lebens bieten. Besonders bekannt ist Wodehouse für seine Romane und Geschichten um den unerschütterlichen Butler (oder eher: „gentleman’s personal gentleman“) Jeeves und dessen liebenswerten, jedoch etwas einfältigen Arbeitgeber Bertie Wooster. Wodehouse schuf inmitten traumatischer historischer Umbrüche eine literarische Welt, die bewußt von den harten Realitäten seiner Zeit losgelöst war, und gerade deshalb beruht die anhaltende Faszination seines Werkes nicht nur auf seiner brillanten Prosa, sondern auch auf der Art und Weise, wie seine Werke dem Leser bis heute einen zeitlosen Rückzugsort in die idealisierte Vision des Vorkriegsenglands ermöglichen – „a world of quiet gardens and well-cut lawns“, wie er sie einmal selbst beschrieb. 

Aber ist so etwas nicht eher Eskapismus als mutiger Widerstand, wird man sich hier fragen; und ist der gepflegte Rückzug in eine solche Idealwelt nicht sogar eine Form des Verrats an der Dringlichkeit der Realität; eine Art implizites Sich-Arrangieren mit den Dingen?

Ich glaube nicht. Denn zum einen ist dem Eskapismus, so sehr ihm auch eine gewisse materialistische Heroik der Tat mangeln mag, doch eine große Sprengkraft zu eigen, wenn diese sich auch manchmal erst langsam offenbart und ursprünglich wohl nur für den Autor selbst Gültigkeit besitzt; oder, um Tolkien (On Fairy Stories) zu zitieren, dem ganz ähnliche Vorwürfe gemacht wurden: „Why should a man be scorned if, finding himself in prison, he tries to get out and go home? Or if, when he cannot do so, he thinks and talks about other topics than jailers and prison-walls? The world outside has not become less real because the prisoner cannot see it. In using escape in this way the critics have chosen the wrong word, and, what is more, they are confusing, not always by sincere error, the Escape of the Prisoner with the Flight of the Deserter. 

Und zum anderen liegt gerade in der scheinbar apolitischen, bukolischen und humoristisch-unschuldigen Banalität der von Wodehouse geschilderten Ereignissen aus der englischen „Upper Class“ die eigentliche Kraft, denn dieser Gegenentwurf befindet sich in solchem Gegensatz zum 20. Jahrhunderts mit seinen Umwälzungen, Kriegen, Zerstörungen, Enttäuschungen und Ideologien, daß er den dystopischen Charakter der Gegenwart letztlich stärker hervortreten läßt als jedes kulturkritische Manifest.

Freundschaft unter Gentlemen

Wodehouses literarische Laufbahn erstreckte sich über mehr als 70 Jahre und umfaßte über 90 Bücher sowie zahlreiche Bühnenstücke und Liedtexte für Broadway-Musicals. Während er in seiner frühen Karriere verschiedenste, individuell durchgestaltete Romane und Geschichten schrieb, festigte er seinen Ruf vor allem durch wiederkehrende Figuren wie Jeeves und Wooster sowie das fiktive Blandings Castle mit seinen kauzigen Bewohnern. Diese Werke, allesamt angesiedelt in einer Welt, die von den Schrecken des Ersten Weltkriegs, sozialen Konflikten, landschaftlichen Zerstörungen oder politischen Ideologien bis auf einige ironische Anspielungen unberührt blieb, als ob sie nie oder doch nur sehr weit weg geschehen wären, boten und bietet den Lesern eine idyllische Alternative zur Gegenwart, die bis heute tiefen Anklang findet; nicht zuletzt dank der kongenialen Verfilmung mit Stephen Fry und Hugh Laurie, die schon fast schwärmerisch aufgeht in Wodehouses ewigem edwardianischem Sommer mit seinen Landhäusern, Gartenfesten, White-Tie-Dinnern, Dorfkirchen, festen sozialen Hierarchien, Ozeandampfern, Clubs und völliger Hilflosigkeit in romantischen Dingen.

Die Geschichten um Jeeves und Wooster begannen in der Zeit des Ersten Weltkriegs mit „Extricating Young Gussie“ (1915) und wurden schnell zu einem zentralen Bestandteil von Wodehouses Werk. Das Grundgerüst ist ebenso simpel wie effektiv: Bertie Wooster, ein wohlhabender junger Aristokrat, erzählt im legeren Plauderton Geschichten, in denen er sich regelmäßig in absurde, ja surreale Situationen verstrickt, meist bedingt durch eigensinnige Freunde, herrische Tanten, komische Mißverständnisse oder romantische Verwicklungen. Jeeves, sein überaus kompetenter Kammerdiener, löst diese Knoten stets mit Einfallsreichtum und Eleganz, und wenn er auch als Garant von Rechtschaffenheit und Contenance mit zäher Würde seinem Herren treu ergeben ist, bringt er ihn doch oft genug in Situationen, die wenig Zweifel daran lassen, wer tatsächlich am Steuerrad des Hausstandes steht.

Im Mittelpunkt dieser heilen Welt steht daher die nicht immer ganz konfliktfreie Beziehung zwischen Jeeves und Wooster, die das traditionelle englische Klassensystem humorvoll und zugleich liebevoll widerspiegelt. Jeeves verkörpert den Archetypus des perfekten Kammerdieners, dessen unaufdringliche Kompetenz in scharfem Kontrast zu Berties unbeholfener Tollpatschigkeit steht. Ihre Interaktionen sind bei aller tieferen Sympathie auf einer formalen Ebene doch von beruhigenden Ritualen geprägt, die vom morgendlichen Austausch über Kleidungsfragen bis hin zu dem wiederkehrenden Moment, in dem Jeeves allabendlich „geräuschlos in den Raum schwebt“, um den versöhnlichen Abend-Drink („stiffish“) zu servieren, Männerfreundschaft und soziale Hierarchie miteinander versöhnen und gleichzeitig zu einem funktionierenden Verband umgestalten. Bertie selbst erkennt dabei Jeeves’ stille Autorität ohne jeden Zweifel an, obwohl an seiner eigenen sozialen Superiorität keinerlei Zweifel besteht: “I don’t mind telling you that I have long looked on Jeeves as a sort of guide, philosopher, and friend. Often when I’m in a tight spot, I say to myself, ‘What would Jeeves do?’” (Joy in the Morning, 1946).

Bewußte Trivialität

Diese Dynamik wird also nicht als Kritik an Klassenschranken dargestellt, sondern vielmehr mit einem Gefühl von gegenseitigem Respekt und Harmonie geschildert – eine idealisierte Vision sozialer Hierarchien, die zu Wodehouses Zeit bereits zu verschwinden begann. Denn Jeeves ist sich der „intellectual negligibility“ seines Herrn durchaus bewußt (und äußert seine Ansichten bei seltener Gelegenheit auch explizit); diese Einsicht bewirkt in ihm aber nicht den Wunsch, sich selbst an die Stelle seines Herren zu setzen, sondern vielmehr die Absicht, das englische Klassensystem aus einer Mischung an Loyalität, Patriotismus, Konservatismus, Ästhetizismus und Ironie umso bewußter zu verteidigen. Daher lehnt Jeeves auch alle Versuchungen resolut ab, die traditionellen Werte zugunsten moderner egalitaristischer Strömungen wie dem Kommunismus („Comrade Bingo“) oder dem Faschismus (repräsentiert durch den unsterblichen „amateur dictator“ Roderick Spode) aufzugeben, denn, wie die wunderbare Verfilmung mit Stephen Fry Jeeves ganz im Sinne Wodehouses sagen läßt: „the working masses and I have barely a nodding acquaintanceship“.

Dieser Idealismus ist natürlich vor allem dadurch möglich, daß Wodehouses Figuren in einer Welt leben, die weitgehend frei von Bosheit oder Zynismus ist. Selbst die nervenaufreibendsten Antagonisten – etwa Berties furchteinflößende Tante Agatha, die diversen anstrengenden Verlobten oder der cholerische Möchtegern-Diktator Spode – werden eher als Karikatur denn als echte Bedrohung gezeichnet: Die Konflikte in diesen Geschichten beschränken sich daher auch selten auf mehr als eine gelöste Verlobung mit einer ohnehin dominanten Geliebten, abstruse Wetten, allzu freimütige Memoiren betagter Onkel, die Angst vor der Kündigung eines französischen Chefkochs oder die Rivalität älterer Verwandter um den Erwerb antiken Tafelsilbers – ein ebenso markanter wie bewußt eingesetzter Kontrast zu den existenziellen Ängsten von Wodehouses Zeitgenossen wie George Orwell oder Virginia Woolf.

In Right Ho, Jeeves (1934) reflektiert Bertie daher auch über die Einfachheit seines Lebens mit folgenden Worten: „I’ve often wondered why we fellows are always at our happiest when we are lounging about in the country with lots of people bullying us. It’s a mystery. 

Diese bewußte Trivialität ist keine Schwäche, sondern das Resultat einer absichtlichen Wahl: Wodehouses Werk legt nahe, daß die Suche nach Ruhe und Freude, so belanglos sie im weltgeschichtlichen Kontext auch erscheinen mag, eine durchaus ernstzunehmende Form des Widerstands gegen die Härten der Welt darstellt.

Schlafende Hunde

Wodehouses Beharren darauf, die harten Realitäten des 20. Jahrhunderts zu ignorieren, hat verständlicherweise auch Kritik hervorgerufen – nicht nur an seinem Werk, sondern auch an seinem Leben. Seine Entscheidung etwa, während des Zweiten Weltkriegs, der ihn unerwarteterweise in Frankreich traf, humorvolle (und vollkommen unpolitische) Radiosendungen aus Berlin auszustrahlen, führte zu bitteren und nicht ganz unverständlichen Vorwürfen der Kollaboration, die ihn später jahrelang an der Rückkehr nach Großbritannien hinderten, bis die Situation sich endlich beruhigte und er 1975 (zusammen mit Charlie Chaplin) für sein Lebenswerk mit dem Ritterschlag ausgezeichnet wurde. 

Wodehouse allerdings strebte nur danach, seiner alten Taktik gemäß aus einer schwierigen Situation das Beste zu machen und allen Widrigkeiten möglichst mit Ironie, Leichtigkeit und Humor zu begegnen – in vielerlei Hinsicht das Gegenprogramm zum heldischen Opfermut seines Zeitgenossen Pilecki, aber zumindest aus seiner eigenen Perspektive weniger ein Akt der Kollaboration als vielmehr der bewußten Ignoranz. 

Andere Kritiker haben demnach auch die moralischen Implikationen seines Werks als konservativ oder gar revisionistisch hinterfragt, doch verkennen auch solche Kritiken den Kern seiner Kunst, denn Wodehouses Werke waren nicht als „kritischer Spiegel“ der Realität oder gar als Appell zum sozialen oder politischen Widerstand gedacht, sondern als Gegenmittel dazu; als Inbegriff einer Welt, die verloren war und die mit rein politischen Mitteln wiederzubeleben sie ihrer eigentlichen Reinheit beraubt hätte. Wie Evelyn Waugh schrieb: „Mr. Wodehouse’s idyllic world can never stale. He has made a world for us to live in and delight in.”

Leben und Werk von P.G. Wodehouse stellen also einen bewußten Gegenentwurf zu den Unruhen des modernen Zeitalters dar. Mit den Geschichten um Jeeves und Wooster schuf er eine literarische Zuflucht – eine Welt, in der Hierarchien harmonisch bleiben, Konflikte komisch gelöst werden und Unschuld stärker als Zynismus ist – und der Widerstand sich dementsprechend nicht durch Überkompensation beweisen muß und folglich innerlich diskreditiert, sondern vielmehr weiterhin eine lebende und glaubhafte Antithese bildet. 

Seine humorvolle, akribisch gestaltete und anachronistische Vision von England bietet daher auch heute noch einen Rückzugsort vor den Herausforderungen der Gegenwart. In „Thank You, Jeeves“ (1934) sinniert Bertie: „It is always my policy to let sleeping dogs lie. Then again, I don’t see why they should lie, considering that the modern dog is an energetic animal with many interests in life.” 

In ähnlicher Weise erinnern uns Wodehouses Werke daran, daß es manchmal nicht nur erlaubt, sondern geradezu notwendig ist, die schlafenden Hunde der Welt ruhen zu lassen – zumindest für die Dauer eines Romans. Indem er die Rituale, die Naivität und die Unschuld einer vergangenen Ära idealisierte, bot und bietet Wodehouse eine bleibende Alternative zum unerbittlichen Fortschreiten der Moderne.

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