Warum das Phänomen Milei keine Überraschung ist

Johannes Gutenberg gilt mit seiner Erfindung der beweglichen Lettern für den Buchdruck um 1450 als entscheidender Wegbereiter der Neuzeit. Zu seiner Zeit haben das die Mächtigen, und hier insbesondere die Kirchenfürsten, nicht so positiv gesehen. Ihr Machtmonopol, gegründet auf Herrschaftswissen, geriet ins Wanken und brach schließlich gänzlich zusammen. Das Osmanische Reich verbot den Buchdruck zunächst, was seinen Niedergang, gemessen im relativen Machtverlust zu anderen Mächten, nur noch beschleunigte.

Freier Zugang zu Wissen und Wahrheit stürzt die Macht offenbar in ein Dilemma. Und wie wir wissen sind Dilemmata keine Probleme, denn letztere haben eine Lösung. Das Dilemma kennt nur schlecht oder noch schlechter. Schließe ich meine Bevölkerung vom Wissen aus, wird der internationale Wettbewerb verloren und die relative Bedeutung wird kleiner und kleiner. Die DDR ist ein schönes Beispiel dafür. Honnecker war zwar lokal relativ mächtig, musste aber in einer Datscha leben, die im Westen tausendfach als normales Wohnhaus des Mittelstandes gerade noch akzeptabel war. In Nordkorea hat Kim zwar einen Palast, international aber keine Bedeutung. Seine Macht ist ausschließlich lokal und die besseren Waffen baut Südkorea.

Lasse ich den freien Wissenszugang dagegen zu, so reduziert sich das Abhängigkeitspotential des Volkes, weil der Politiker, wie die Kirchen früher, nicht mehr Herr über die „Wahrheit“ ist. Der Rechtfertigungsdruck für wirkungslose oder schädliche Politik steigt. Demokratie wird, wo noch nicht vorhanden, eingefordert oder es wird „falsch“ gewählt, weil der emotionalen „Wahrheit“, die von Politikern so gerne verwendet wird, eine echte Wahrheit entgegengesetzt wird. Die Unterdrückung der Wahrheit erzeugt wiederum wachsenden Widerstand, der immer größere Unterdrückung erforderlich macht, bis man schließlich im geschilderten, unfreien System des relativen Niedergangs endet. Unterdrückt man die Wahrheit dagegen nicht, ist Macht, sofern sie sich gegen diese Wahrheit stellt, nur kurzlebig. Lügen haben eben kurze Beine. 

Wahrheit und Macht: ein Dilemma

Großen Denkern wie Carl Menger, Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek und Murray Rothbard, um nur einige zu nennen, verdanken wir ein schon theoretisch unangreifbares Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge. Diese Wahrheit ruht unbestreitbar und logisch konsistent fest auf Annahmen, die im kantschen Sinne a priori wahr sind, wie auch die gesamte Mathematik auf sicherem Grund von a priori wahren Aussagen steht. Dies hat enorme Auswirkungen. 

Jede wirtschaftspolitisch motivierte, emotionale „Wahrheit“, die zwar gut klingt und ein wohliges Gefühl der Wärme des Guten verbreitet, die aber nicht ihrerseits auf denselben Fundamenten ruht, ist falsch. Sie kann schon theoretisch nicht zu den guten Ergebnissen führen, die versprochen werden. Wenn aber schon theoretisch unmöglich, dann wird die Praxis die Versprechen nie halten können. Es kann sein, dass etwas theoretisch zwar möglich aber praktisch nicht umsetzbar ist, der umgekehrte Fall ist aber ausgeschlossen.

Der Politiker, dem es um seine wirtschaftspolitischen Machtinstrumente geht, befindet sich daher spätestens seit Ludwig von Mises in einem Dilemma. Folgt er der einzig heute bekannten, in sich schlüssigen, theoretischen Wahrheit zur Mehrung des Wohlstandes breiterer Bevölkerungsschichten, der sogenannten Österreichischen Schule, muss er seine eigene Macht begrenzen, ja am besten sogar ganz beenden. Folgt er dem nicht, wird er mit seinem Wohlstandsversprechen zwingend scheitern.

Es war daher nur eine Frage der Zeit, wann das auf Papiergeld beruhende Machtsystem, geschwächt durch das theoretisch sichere Versagen, in einem Land dieser Erde auf einen Milei trifft. In Wirklichkeit ist das ja schon öfters passiert. Nur dass in den bisherigen Fällen immer ein anderer Schuldiger, meist Krieg oder Diktatur, herhalten musste. Die Auslöser dieser Konflikte werden zwar in der Geschichtswissenschaft diskutiert, warum es aber Niedergang, Arbeitslosigkeit und Armut gegeben hat, die schließlich zu Diktatur und Krieg führten, wird in der Volkswirtschaft tunlichst nicht untersucht. So wirken Menschen wie Ludwig Erhard in Deutschland, Leszek Balcerowicz in Polen und Tiit Vähl in Estland, um nur einige zu nennen, obwohl libertär und fest auf dem Boden der theoretisch richtigen Wirtschaftstheorie stehend, einfach „nur” als gute Retter in der Not, deren Wirken dann, wie bei Ludwig Erhard, mit dem Aufkleber „sozial” versehen und vereinnahmt wird.

Buchdruck und Social Media

Milei ist daher schon deswegen besonders, weil es vor ihm keinen Krieg und keine Diktatur gab. Er übernahm das Amt und das Desaster vom reinen, demokratischen Sozialismus. Es gibt keine Ausrede mehr für den Niedergang und kein Kleinreden des Erfolgs. Ein Glück für die Welt, dass Milei zudem zugleich ein unpolitischer Radikaler ist, der, übrigens wie die Gründerväter der USA, kein Interesse am Machterhalt hat. Er setzt die als theoretisch richtig erkannte Wahrheit kompromisslos um. Jeder Versuch, ihn um des „sozialen Friedens“ Willen zu sozialistischen Kompromissen zu bewegen und damit zum Scheitern zu bringen, um dieses Versagen dann seiner Theorie in die Schuhe zu schieben, prallt an ihm ab. Seine Überzeugung, das Richtige zu tun, geschult durch mehr als 20 Jahre volkswirtschaftlichem Studium und Erkenntnis, ist unerschütterlich. Sein Wille, zu zeigen, dass alle anderen Theorien nur inhaltsleeres, emotionales Stückwerk sind, ist absolut.

Aber was hat dies alles mit Gutenberg zu tun? – So wie Martin Luther nicht ohne Gutenberg denkbar ist, ist Milei nicht ohne das Internet denkbar. Das Internet ist quasi der Buchdruck des 21. Jahrhunderts. Erst die sozialen Medien haben es Milei ermöglicht, die staatliche Zensur im staatlich subventionierten Rundfunk zu umgehen. Nur hier konnte er die Wahrheit verbreiten. Und nur hier fand er die freiwilligen Unterstützer, die seine als Reden getarnten volkswirtschaftlichen Vorlesungen verbreitet haben. Und nur durch den direkten, unmoderierten Zugang zum Volk konnte er die Wahl gewinnen. Das Internet hat die Wahrheit aus den Mauern der Klosterbibliotheken der staatlich kontrollierten Medienschaffenden befreit.

Die vielköpfige Hydra der Freiheit

Aber das erklärt noch lange nicht das weltweite Phänomen. Dafür braucht es eine weitere, gänzlich neue Errungenschaft: die Künstliche Intelligenz. Ich habe mich als Libertärer eher spät für Milei interessiert. Man hat ja in Deutschland kaum etwas mitbekommen von der Präsidentenwahl in einem wirtschaftlich eher unbedeutendem südamerikanischen Krisenland. Erst nach den Vorwahlen gab es die eine oder andere Meldung. Aber ohne Internet und englische Sprachkenntnisse hätte ich nicht viel mehr erfahren. Nach seiner Wahl jedoch verebbte die Berichterstattung schnell. Im deutschsprachigen Raum wurde er totgeschwiegen.

Ich selbst hatte noch keinen X-Account und spreche zwar leidlich Englisch aber kein Wort Spanisch. Hier hätte es also enden können und vor wenigen Jahren auch noch enden müssen. Ganz im Sinne der Macht: Wahrheit ist nur, was von kontrollierten Medien von der Kanzel verkündet wird. Aber die Zeit ist reif. YouTube bietet eine automatische Erzeugung von englischsprachigen Untertiteln aus dem Spanisch gesprochenen Wort an. Welch eine Offenbarung! Ich konnte jeder Rede Mileis auch ohne Übersetzer folgen. Ich konnte argentinische Nachrichten, soweit sie in YouTube gesendet werden, und das sind fast alle, selber anschauen. Ich brauche keinen politisch korrekten, deutschsprachigen Journalisten mehr, um mir Zugang zur Wahrheit zu verschaffen!

Schade ist nur, dass eine Übersetzung häufig nur ins Englische zur Verfügung steht. Diese Lücke wollte ich schließen und für den deutschsprachigen Raum zumindest einige Informationen zur Verfügung stellen. Ich hatte ohnehin die Idee, für mich ein Tagebuch über Milei anzulegen. Man kann sich irren, aber das Gefühl des geschichtlich Interessierten sagt mir, dass wir hier vielleicht Geschichte live miterleben und unsere Enkel uns fragen werden, wie das war, als Milei die Bühne betreten hat. Von allen technischen Lösungen erschien mir X als am besten geeignet. Also musste ein X-Account her. Und auch hier wieder die Offenbarung: Jeder Post von Milei, seinen Behörden und Regierungsmitgliedern wird von der Künstlichen Intelligenz sogar ins Deutsche übersetzt.

Aber hier endet es nicht. Die Künstliche Intelligenz hat den Turm zu Babel fertig gebaut. Jeder kann sich unabhängig von seiner Muttersprache im gesamten World Wide Web informieren. Jeder kann jeden verstehen. Jede Internetseite wird mit zwei Klicks ins Deutsche übersetzt. Deepl.com und Google translate helfen, wenn ein Text nur als Foto oder Beschriftung einer Grafik vorliegt. Und Grok von X, ChatGPT und Microsoft CoPilot beantworten als Suchmaschinen deutsche Fragen zu ausländischen Sachverhalten mit deutschsprachigen Antworten, unterlegt mit Links auf spanische Webseiten, die man sich mit zwei Klicks gleich bei der Seitenadresse im Reiter des Browsers wieder in Deutsch anzeigen lassen kann. 

Die Welt ist ein Dorf und Sprache hat ihre ausgrenzende Wirkung verloren. Selbst meinem X-Account folgen nun spanisch sprechende Argentinier, die sich mein Deutsch wieder ins Spanische übersetzen lassen. Auch eine Japanerin ist dabei, was ich nur weiß, weil mir eine hilfsbereite KI ihre Reposts mit japanischen Schriftzeichen wieder ins Deutsche übersetzt.

Das ist die vielköpfige Hydra der Freiheit, die der Macht schlaflose Nächte bereitet. Kein Wunder, dass ich in keinen öffentlich-rechtlichen Nachrichten, keinem Journal und keiner Zeitung der sogenannten Qualitätsmedien auf diese gigantischen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz hingewiesen wurde. 

Wie der Buchdruck die Menschheit befreit hat, befreit auch die Künstliche Intelligenz den Menschen vom staatlich kontrollierten Wissensmonopol. Er ist frei, sich zu informieren wo immer er will und in welcher Sprache die Information auch immer zur Verfügung steht. Er kann in seiner Muttersprache jede Frage stellen, deren Antwort ihm auch in seiner Muttersprache gegeben wird, obwohl die Quelle in einer fremden Sprache oder gar fremden Schriftzeichen verfasst ist und daher für ihn direkt vor ein paar Jahren noch unauffindbar war. Probieren Sie es aus. Fragen sie CoPilot danach, welches Restaurant in Seoul bis ein Uhr Morgens geöffnet hat … 

Uneinholbar

Den Mächtigen wird es nicht helfen, einen Kopf dieser Hydra der Freiheit abzuschlagen. Es werden zwei nachwachsen. Sie stehen wieder vor dem Dilemma ihrer Vorfahren, entweder den Zugang insgesamt verbieten und langsam in der relativen Bedeutungslosigkeit versinken, oder mit Community-Posts und Links zu X-Accounts oder gleich ganzen YouTube Videos mit der Wahrheit konfrontiert und bloßgestellt zu werden. 

Nur dass es diesmal alles viel schneller gehen wird. Es werden keine Jahrhunderte oder auch nur Jahrzehnte vergehen. Wir sehen es ja jetzt schon. Ein Post in X in einer fremden Sprache bewegt ganze Länder, erzwingt Sondersitzungen der Parlamente, füllt ganze Nachrichtensendungen und zwingt die Macht in die Defensive.

Die Jugend wird sich den Zugang nicht verbieten lassen und Mauern sind in einer Wissensgesellschaft nicht mehr tauglich, um Leistungsträger zu halten. Die USA, wir erinnern uns, gegründet von Philosophen ohne Machtgelüste, hat Europa und vor allem Deutschland, mit dem es in den 1980ern wirtschaftlich noch Gleichstand hatte, schon in den letzten 40 Jahren weit hinter sich gelassen. Je nach Rechnung ist der breite Wohlstand dort anderthalb- bis zweimal höher. Nochmal zehn Jahre und der Abstand wird unaufholbar sein. Es sieht so aus, als sei die USA gerade auf dem Weg, die Macht zurückzuschneiden, was ganz auf der Linie der volkswirtschaftlichen Wahrheit der Österreichischen Schule liegt. Die neue Regierung wird keinem wirtschaftspolitischen Dilemma gegenüberstehen. Sie hat offenbar den Willen, ihre Macht zu reduzieren. 

Ich wage zu behaupten, dass die aktuelle Macht Europas zu schwach ist, um die Notwendigkeit des Wandels zu erkennen, und viel eher bereit ist unterzugehen. Wie immer in der Geschichte wird die Macht dabei die Bevölkerung mit in den Abgrund reißen. Nur diesmal, Gott sei Dank, ohne Krieg. Erst wenn alle Renten und Vermögen endgültig vernichtet sind und alle Leistungsträger das Land verlassen haben, wird aus der Asche etwas Neues entstehen. Und in 200 Jahren wird niemand mehr verstehen, warum es diesen „Religionskrieg“ geben musste, wo doch die volkswirtschaftliche Wahrheit so eindeutig schon fast ein Jahrhundert lang bekannt war und in Argentinien ein Mann namens Javier Milei die reine Lehre mit großem Erfolg bereits in die Praxis umgesetzt hat.

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Der nächste Gang …

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1 Kommentar. Leave new

  • Wolf Köbele
    27. Januar 2025 19:27

    Auf tichys einblick kann man die fulminante Rede Mileis in Davos in einer flüssigen Übersetzung genießen und bewundern.

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