Philosophie ist der Versuch, die Wirklichkeit zu begreifen und den Sinn der Welt, in der wir leben, zu erschließen. Philosophieren heißt, über Begriffe nachzudenken, die besonders grundlegend für unser Verständnis der Welt und unserer selbst sind: Natur, Leben, Mensch, Staat, Wahrheit, Erkenntnis, Gerechtigkeit, Kultur und Technik, um nur einige jener Großbegriffe zu nennen, die eine zentrale Rolle in unserem Denken und Handeln spielen, aber zugleich merkwürdig unverstanden bleiben. Ziel philosophischer Bemühungen ist hier Klärung und Besserverstehen.
Die Politische Philosophie beschäftigt sich mit dem Phänomen des Politischen und geht elementaren Begriffs- und Begründungsfragen nach: Was ist überhaupt ein Staat? Warum sollten Menschen in Staaten leben? Wie muss ein guter Staat verfasst sein? Was macht Gerechtigkeit aus? Was darf eine Regierung und was nicht? Nur wer solche Überlegungen anstellt, gelangt auch zu einem eigenen Standpunkt.
Man mag das Philosophieren für müßig halten, für bloße Theorie ohne praktischen Nutzen, und diese Charakterisierung dürfte auch zutreffen – aber nur, sofern man nicht gerade in einer Zeit wie der unseren lebt: in einer Zeit, in der staatliches Handeln und Institutionen, Massenmedien und öffentlicher Diskurs zunehmend ideologisiert und gleichgeschaltet sind, und auch das Private immer stärker unter Beobachtung und Konformitätsdruck steht. Wer hier die falschen (philosophisch: richtigen) Fragen stellt, macht sich leicht zum „Delegitimierer“.
Und philosophische Reflexion ist nun einmal delegitimierend, denn sie prüft die Begründetheit und Berechtigung von Wissens- und Machtansprüchen, von moralischer Bescheidwisserei und materiellen Forderungen. Man wird sich nicht wundern, dass vor einer solchen kritischen Prüfung nur Weniges bestehen kann in einer Zeit, in der „Politiker“, „Aktivist“ und „Experte“ als Berufsbezeichnungen durchgehen, „Qualitäts-“ und „Haltungsjournalismus“ als Selbstbezeichnungen kursieren, und ein moralisierter öffentlicher Diskurs von Gesundheitsdiktatoren, Gerechtigkeitsfanatikern, Klimaapokalyptikern und Cancel-Culture-Banausen beherrscht wird.
Es soll hier auch nicht weiter interessieren, ob und wer für die gegenwärtige, geistig und kulturell desolate Situation verantwortlich ist oder ob es sich um einen Struktureffekt der massenmedialen Demokratie handelt (für eine zukünftige Politische Philosophie ist diese Frage allerdings von erheblicher Bedeutung). Denn so oder so: Wer keinen eigenen Standpunkt hat, der hat eben den von anderen. Er denkt und tut dann nur, was ihm gesagt wurde. Sein Verhalten folgt vorgegebenen Mustern und sein Sprechen ist ein Reproduzieren von Phrasenhülsen aus den Massenmedien. Er bleibt, wie Kant schon lange vor unserem Zeitalter feststellte, „zeitlebens unmündig“. Das Gegenmittel heißt Freiheit.
Freiheit
Wer „Freiheit“ hört, wird vielleicht zunächst daran denken, nicht eingesperrt zu sein, zu nichts gezwungen und von nichts abgehalten zu werden. Freiheit in diese Sinne kann man „Freiheit von“ nennen, Freiheit von Zwängen und Hindernissen: Je weniger andere mir vorschreiben, was ich zu tun und lassen habe, desto freier bin ich.
Man kann darüber diskutieren, ob es meine Freiheit betrifft, dass ich einen breiten Fluss nicht überqueren kann oder dass ich mich ernähren muss und der Gravitation unterworfen bin. Das sind Naturtatsachen, aber jedenfalls keine Freiheitseinschränkungen im politischen, sozialen oder ethischen Sinne. Und mit Naturgesetzen lässt sich nun einmal nicht hadern. Wenn hingegen der Staat mich zwingt, eine Maske zu tragen oder Steuern zu zahlen, wenn er mir verbietet, schneller als 120 Stundenkilometer zu fahren oder mit Bargeld zu zahlen, dann handelt es sich um Zwänge, die zumindest rechtfertigungsbedürftig sind – und wo keine Rechtfertigung besteht: illegitim.
Für uns, die wir nicht im Naturzustand leben, ist der Staat der große Antagonist unserer Freiheit. Denn Staat heißt Gewaltmonopol und Gewalt meint dabei das Ausüben von Zwang. Hält man Einschränkungen der Freiheit des Einzelnen für grundsätzlich problematisch, also für mindestens legitimationsbedürftig, so wird man die Freiheit von staatlichen Zwängen ins Zentrum der Politischen Philosophie stellen. Der Libertarismus ist dadurch geradezu definiert, tendiert aber auch dazu, bei diesem Freiheits-Begriff stehen zu bleiben. Das allerdings wäre einseitig und unvollständig.
Denn umfassender gedacht, gehört zu echter Freiheit mehr als nur die bislang diskutierte Freiheit von Zwängen. Es braucht ja eben nicht nur das Dürfen, sondern auch das Können. Dass ich zu nichts gezwungen werde, ist wertlos, wenn ich nicht auch in einem positiven, aktiven Sinne etwas kann. Ich muss den Spielraum meiner Freiheit nutzen können, ich muss meine Freiheit verwirklichen können.
Das verweist auf Freiheit in einem zweiten Wortsinne, nämlich die Freiheit zu etwas, die sich auf ein Können stützt, auf die Fähigkeit oder Kompetenz, etwas zu tun oder zu sein. Je mehr ich kann, je kompetenter ich bin, desto freier bin ich. Wer schwimmen oder ein Floß bauen kann, der kann einen breiten Fluss überqueren (Technik ist eben auch eine erhebliche Erweiterung unserer Handlungsmöglichkeiten). Wer gut und vielseitig ausgebildet ist, der hat viele berufliche Wahlmöglichkeiten. Wer kritisch denken kann, der wird sich nicht leicht indoktrinieren und von medialen Framings und Realitätskonstruktionen an der Nase herumführen lassen.
Nun fällt Kompetenz aber nicht vom Himmel, sondern muss aufgebaut, erhalten, gepflegt werden. Sie resultiert, je nachdem, um welchen Bereich es geht, aus Erfahrung, Übung, Training, Lernen, Ausbildung oder Bildung: langfristig angelegten Projekten, die auf die Idee der Weiterentwicklung, Selbstverbesserung und Gestaltbarkeit des eigenen Lebens verweisen. Letzteres ist das Thema der Ethik, wobei hier nicht an seichte Moralsophistik und verbissenen Pflichtenfetisch zu denken ist (wie beim Deutschen Ethikrat), sondern an die ernsthafte Bemühung um eine als gut oder richtig erkannte Lebensform, an die Ausrichtung des eigenen Lebens an vernünftig und eben frei gewählten Werten.
Der Einzelne wird sich also fragen, welchen Stellenwert Freiheit für ihn eigentlich hat. Manche Philosophen vertreten, dass der Mensch gar nicht anders kann, als seine eigene Freiheit als höchsten Wert anzusehen. So weit muss hier aber nicht gegangen werden. Es genügt, festzustellen, dass derjenige, dem an seiner Freiheit etwas liegt, auch andere Güter anstreben wird, weil sie Voraussetzungen sind, diese zu verwirklichen: Gesundheit, vielseitige Fähigkeiten, Wissen, Bildung und geistige Unabhängigkeit, finanzielle Sicherheit, qualitative Sozialbeziehungen und ein gesundes Gemeinwesen. Der Besitz dieser Güter ist schon per se wünschenswert, da er die Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Lebens erhöht. Unverzichtbar aber ist er, wenn die Angriffe auf Freiheit zunehmen und systematisch werden.
Widerstand
Wir sind damit beim Thema des Widerstandes und auch hier ist eine begriffliche Unterscheidung zu machen: Der Sandwirt führt den „konstruktiven Widerstand“ im Titel (wofür hier nur eine Interpretationsmöglichkeit überlegt werden soll). Was wäre dann ein nicht-konstruktiver Widerstand?
Naheliegend ist, von einem destruktiven Widerstand zu sprechen und jene Form von Widerstand zu meinen, der sich Freiheitseinschränkungen entgegenstellt, sich widersetzt, entzieht, nicht fügt. Er kann „destruktiv“ genannt werden, weil er solche Einschränkungsversuche stört, abwehrt, wirkungslos werden lässt, zerstört – sofern dieser Widerstand eben nicht selbst gebrochen wird. Trotz dieser Metaphorik ist nicht nur an physische Kraft oder Gewalt zu denken, was auch nur der äußerste Fall wäre (wie ihn wohl Art. 20, 4 des Grundgesetzes vorsieht). Der Normalfall ist ja noch immer der Rechtsweg. Auch durch ein schlichtes Nichtfolgeleisten, passiven Widerstand wie die Corona-Spaziergänge oder das Nichtzahlen der GEZ-Zwangsgebühren, kann die eigene Freiheit verteidigt werden.
Schließlich also zum konstruktiven Widerstand. Inwiefern „konstruktiv“ und Widerstand wogegen? Wenn der Staat sich nicht mehr wesentlich ordoliberal gibt, sondern im Verbund mit Massenmedien und sogenannter Zivilgesellschaft zur großen Erziehungsanstalt und vielleicht gar Menschenfarm wird, wenn er Zensur betreibt, seinen Bürgern Sprech- und Verhaltensweisen, ja, die gesamte Lebensform vorschreiben will: dann muss der Einzelne, um seine Freiheit zu wahren, Resilienz, Resistenz und Renitenz an den Tag legen.
Im Abwehrkampf gegen ideologische Vereinnahmung und materielle Unterwerfung braucht es einen gefestigten Standpunkt. Konstruktiver Widerstand kann dann darin bestehen, sich einen solchen zu verschaffen, sich an den Idealen geistiger und materieller Eigenständigkeit und Unabhängigkeit auszurichten. Wer seine Freiheit gegen Eingriffe und Angriffe schützen will, wird danach streben, Wissen, Fähigkeiten, Kompetenzen aufzubauen, sich zu bilden, sich in kritischem Denken und Skepsis zu üben, den Austausch mit Gleichgesinnten zu suchen, sich zu vernetzen und zu vereinen. Er wird selbst denken im Sinne Kants und andere anregen, selbst zu denken. Er wird mit Gleichgesinnten am Entwurf neuer Philosophien und Lebensformen arbeiten. Solches Tun ist konstruktiv und es ist Widerstand gegen Unfreiheit.
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Ein Text nach meinem Herzen und so etwas wie die Bilanz meiner Lebenserfahrung. Danke und gute Wünsche an Michael Nerurkar.