Politik ist kindisch

Nein, liebe Leser, den Aussageinhalt dieser Überschrift habe nicht ich mir ausgedacht, sondern es ist ein sinngemäßer Ausschnitt aus einem Satz Carl Gustav Jungs (1875 – 1961), des Schweizer Psychiaters und Begründers der analytischen Psychologie. C. G. Jung war ein Freund Sigmund Freuds (1856 – 1939) und Zeitgenosse Ludwig von Mises (1881 – 1973). Wörtlich sagte er 1958 in einem Interview der BBC: „Sie müssen nur die Zeitungen lesen und die Politik studieren. Das ist so unvorstellbar kindisch, dass es einem davor graut.“

Drei Beispiele

Lassen Sie mich das zunächst anhand von Beispielen illustrieren. Nach dem „Aus“ für die Atomenergie in Deutschland war es auch aus mit der Anti-Atomkraft-Bewegung. Man hatte sein Ziel erreicht. Oder etwa doch nicht? Wenn die Befürchtungen der AKW-Gegner wirklich wären und nicht nur Projektionsflächen zum Ausagieren psychischer Konflikte, dann müsste es nach diesem ersten Etappensieg eigentlich doch erst richtig losgehen?! Wenn die Endlager-Problematik nicht lösbar ist, wie behauptet wird, dann ist sie nirgends lösbar, auch nicht in Frankreich, Belgien oder Tschechien. Und ein Super-GAU macht auch nicht vor Staatsgrenzen halt. 

Aber wir sehen die deutschen AKW-Gegner nicht zu Hauf nach Frankreich pilgern, um sich dort an Bahnlinien oder AKW-Toren anzuketten, obwohl sich in Frankreich bereits über 50 Atomkraftwerke befinden und viele neue geplant sind. Und nach dem EU-Gipfel zur Atomkraft ist klar: Andere Länder wollen auf- statt abrüsten was Atomkraft angeht. Europa solle die installierte Leistung von Kernkraftwerken bis 2050 um 50 Prozent steigern, schrieb das Handelsblatt.

Nehmen wir als weiteres Beispiel den „Kampf gegen Rechts“. Wenn man nur ein bisschen tiefer schürfen möchte, bleibt völlig unklar, was mit „rechts“ genau gemeint ist. Am ehesten vielleicht noch Rassismus, aber wenn die „Neuen Rechten“ im Großen und Ganzen Rassisten wären, dann fragt man sich, wieso sich auch Menschen nicht-europäischer Herkunft in ihren Reihen finden? Und auch Corona-Maßnahmen-Gegner wurden als „rechte Schwurbler“ bezeichnet, aber seit wann ist es rechts, gegen medizinische Zwangsmaßnahmen zu sein? Läge nicht eher das Gegenteil nahe, also dass medizinische Zwangsmaßnahmen rechts sind? 

In jedem Falle hat die Ablehnung von Zwangsmaßnahmen nichts mit Rassismus zu tun, ebenso wenig wie etwa die Ablehnung von Zwangsmaßnahmen, die mit Mutmaßungen über den Verlauf des Erdklimas begründet werden. Man hat vielmehr den Eindruck, heute wird jeder als rechts diffamiert, der nicht das Weltbild der linken Leitmedien oder der Ampel-Regierung teilt. Wenn es nur noch Links und Rechts gibt, dann ist eben alles was nicht-links ist in diesem Sinne rechts. Das ist zwar logisch einwandfrei, aber überhaupt nicht mehr aussagekräftig.

Als letztes Beispiel noch der Kampf für „Demokratie“ – oder gegen „Demokratiefeinde“, wie man eben will. Auch hier bleibt es sehr, sehr seicht, ja man fischt gar im Trüben, wenn man herausfinden will, was damit genau gemeint ist. Demokratie kann einmal als Selbstbestimmung oder -verwaltung verstanden werden, aber auch als Mehrheitsherrschaft – was die Diskriminierung der Minderheit impliziert und im Widerspruch oder Trade-off zur Selbstbestimmung steht. 

Aber selbst die wackersten Apologeten der Mehrheitsherrschaft, die – entgegen den Erkenntnissen der Handlungslogik – propagieren, dass aus Zahl Recht folgen könnte, machen Einschränkungen und sehen zumindest die Würde des Menschen als von der Mehrheit unantastbar an. Oder sie befürworten für fundamentale politische Entscheidungen qualifizierte Mehrheiten, also etwa zwei Drittel oder drei Viertel oder dergleichen, sodass die diskriminierte Minderheit von geringerer Anzahl ist. Aber das löst weder das Problem, wie aus Zahl Recht folgen könnte, noch ist damit erklärt, wieso es mit der Würde des Menschen vereinbar sein sollte, feindliche Handlungen gegen friedliche Menschen zu beginnen, also das Nicht-Aggressions-Prinzip zu verletzen. Jede Drohung mit Zwang gegen einen friedlichen Menschen, die diesen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung drängen soll, insbesondere zu einer Zahlung, ist handlungslogisch nun einmal eine feindliche Handlung, ganz gleich, ob es eine politische feindliche Handlung ist oder eine „private“.

Streitkultur

Kindisch ist an vorgenannten Beispielen schon die Flachheit der Debatten. Es geht darum, zu einer Clique zu gehören, die sich zu bestimmten schlagwortartigen Glaubenssätzen bekennt, und nicht um sachliche Argumente.

Aber nun versuchen Sie mal, mit einem der Anhänger der jeweiligen Glaubenssätze, eine tiefergehende inhaltliche Diskussion über diese zu beginnen. Dann wird es erst so richtig kindisch in dem Sinne, dass Emotionen wie Wut und Angst ins Spiel kommen und die politischen Eiferer sich von diesen Gefühlen wie Kinder mitreißen lassen. 

Auf der politischen Bühne geht es genauso kindisch zu wie etwa bei streitenden Beziehungspartnern oder im Kindergarten: „Nein-doch-nein-doch!“-Diskussionen, passiv-aggressives Provozieren oder Diffamieren, es wird gebrüllt, verspottet, dazwischen geschrien, höhnisch gegrinst und so weiter.

Politik ist nicht die Lösung, sondern das Problem

Politik, wie wir sie heute kennen, beschrieb Franz Oppenheimer (1864 – 1943) – ein deutscher Soziologe, Ökonom und Arzt, der übrigens auch der Doktorvater Ludwig Erhards (1897 – 1977) war – sinngemäß als das Bewirtschaften der Menschen mit dem politischen Mittel Zwang. Er schrieb:

„Ich habe aus diesem Grunde … vorgeschlagen, die eigne Arbeit und den … Tausch eigner gegen fremde Arbeit das ‚ökonomische Mittel‘, und die unentgoltene Aneignung fremder Arbeit das ‚politische Mittel‘ der Bedürfnisbefriedigung zu nennen.“ 

Auch mit dem politischen Mittel wird ein ökonomischer Zweck verfolgt, auch bei politischem Handeln geht es um ökonomischen Profit, aber das politische Mittel ist die erzwungene Kooperation, während das ökonomische Mittel die freiwillige Kooperation ist.

Dieses Grundproblem liegt allen politischen Folgeproblemen zu Grunde: Wie wollen wir miteinander leben? Wie kann man friedlich und freundlich zusammenleben, ohne systematischen und institutionalisierten Zwang gegen friedliche andere? Und dieses Grundproblem ist lösbar. Was die Menschen daran hindert, über eine Lösung nachzudenken, ist nicht, dass diese verstandesmäßig so schwer zu erfassen wäre, sondern dass sie verängstigt und in den geistigen „Gängelwagen“ gesperrt wurden, wie Immanuel Kant (1724 – 1804) sich ausdrückte, dass ihnen „Vorurteile eingepflanzt“ wurden. Sie wurden so am Ausgang aus der Unmündigkeit gehindert, am „furchtlosen“ Gebrauch des eigenen Verstandes.

Schlussbetrachtung und Ausblick

Es kann wirklich gruselig sein, sich mit tagesaktueller Politik zu befassen, wenn man nicht Abstand wahrt und die Sache aus nüchterner oder wissenschaftlicher Distanz betrachtet. Klar, unser „Inneres Kind“ wird von den passiv-aggressiven Spitzen im politischen Zirkus getriggert, „mitzuspielen“, aber an sich ist es Zeitverschwendung, sich innerhalb dieses Zirkus zu beteiligen. Die Gefahren und Bedrohungen, die vom Politzirkus ausgehen, lassen sich nicht von innen heraus eindämmen, indem man selbst in den Politzirkus eintritt.

1959 sagte C. G. Jung in einem Interview sinngemäß, dass die einzig wirkliche, die große Gefahr für die Menschheit von der Psyche der Menschen ausgehe. Die politischen „Mantras“ der Naiven, der Opportunisten und der Machtgierigen lassen sich nicht auflösen, indem man versucht, ihre Glaubenssätze mit ihnen zu diskutieren. Vielmehr erkennen wir daran, dass es so kindisch zugeht, dass es in Wirklichkeit um emotionale Projektionsflächen ihrer „Inneren Kinder“ geht. Es sind also die kindischen Haltungen zu sich selbst und der Welt, die in der Politik, wie wir sie heute kennen, ausagiert werden. 

Wenn wir etwas daran ändern wollen, dann brauchen wir einen langen Atem. Dann geht es um Aufklärung. Und diese kann meines Erachtens nur außerhalb des Politikzirkus durchgeführt werden. Diejenigen unserer Vorfahren, die bereits den Ausgang aus der Bevormundung gesucht hatten, wären schlecht beraten gewesen, die Königs- oder Fürstenhöfe als geeignete Arenen hierfür auszuwählen. 

Die Aufklärung findet im vorpolitischen – oder besser: im nicht-politischen – Raum statt. Es ist immer eine kleine Gruppe von Menschen, die mit neuen Ideen voranschreitet. Ludwig von Mises schrieb: „Aller Fortschritt der Menschheit vollzog sich stets in der Weise, dass eine kleine Minderheit von den Ideen und Gebräuchen der Mehrheit abzuweichen begann, bis schließlich ihr Beispiel die anderen zur Übernahme der Neuerung bewog.“

Am Ende des Tages heißt dies, dass es darum geht, den Menschen Angebote zu machen, ihre tiefsitzenden, oft unbewussten Haltungen zu sich und der Welt zu reflektieren und zu korrigieren, sofern diese Haltungen im Widerspruch zur Lebenswirklichkeit des Handelns stehen, nämlich insbesondere dass der Mensch Selbstzweck ist, wie Dante Alighieri (1265 – 1321) bereits schrieb, und „mehr als Maschine“ ist, wie Kant schrieb. 

Dabei geht es um grundsätzliche Haltungen zu Schuld und Scham, zu Ungenügen und Angst, insbesondere der Angst vor Trennung beziehungsweise vor dem Tod. Haben sich dann die feindseligen kindischen Haltungen in friedliebende geändert, dann verändern sich auch die Gesellschaft und die Politik, und zwar sozusagen automatisch: Denn die grundlegenden Einstellungen und Überzeugungen der Menschen bestimmen ihr Denken-und-Fühlen und damit, welche Ziele sie erreichen wollen und welche Mittel sie hierzu einsetzen: also das Handeln.

Quellen:

C. G. Jung beantwortet Fragen (1958)

Nach deutschem Ausstieg: Wo in Europa noch AKWs stehen (n-tv)

Frankreich baut mehr Atomkraftwerke – Acht neue AKW geplant (Merkur.de)

Von der Leyen und 14 EU-Staaten sprechen sich für Atomkraft aus (Handelsblatt)

Feindliches Handeln im Überblick handlungslogisch erklärt: Feindliches Handeln und Fiat-Geld (Andreas Tiedtke, Misesde.org)

Politik, wie wir sie heute kennen, ist keine wohlmeinende Veranstaltung (Andreas Tiedtke, Misesde.org)

Der Staat, I. Die Entstehung des Staates, b) politisches und ökonomisches Mittel (Franz Oppenheimer)

Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? – zu Immanuel Kants 218. Todestag (Andreas Tiedtke, Misesde.org)

Face to Face – Carl Gustav Jung (1959)

Nichts ist so eindeutig, dass es sich nicht umdeuten ließe (Andreas Tiedtke)

Ludwig von Mises, Liberalismus (1927), S. 48

Der Kompass zum lebendigen Leben (Andreas Tiedtke)

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Gegen den Strich gelesen: Jacques Derrida

Patriarchator Blog

Sandkörner #12

1 Kommentar. Leave new

  • Karl Heinz Maierl
    19. April 2024 16:38

    Sehr geehrter Herr Tiedtke!
    Nur ein kurzes Wort spontaner Emotion.

    Der totalitäre Ethos herrschender Regierungsparteien und ihrer Vertreter kann irgendwann die Freiheit Einzelner und die Freiheit von Gruppen nicht länger ertragen. Ob dies mit gescheiten Worten zu ändern ist? Ich denke eher nicht. Es gehören sicher ab und an die Taten von vielen Entschlossenen dazu.

    Spätestens 2015 mit den Teddybärwerfern und der linken Entzückung für -WE LOVE VOLKSTOD- startete das große Plattmachen. Im Jahr 2020 begann der Zivilisationsbruch; ohne Wenn und Aber. Jetzt, 2024 ist deutlich zu sehen und zu spüren, wie Deutschland linear zu einem paradoxen Land zwischen Diktatur und Scharia umgebaut wird. Parallel wird die EU zu einer EUdSSR geformt [Europäische Union der Sozialistischen Schariarepubliken].

    Der Gängelwagen wird immer mit 85 Prozent der Bevölkerung gefüllt sein. Und das freiwillig, das ist ja sehr bequem. Deckung vor Sicht, das schützt. Die Menschen haben Angst und probieren erst gar nicht aus, wie viel Druck und Härte sie ertragen können (William Faulkner).

    Ich befürchte, den unzähligen Panikorchestrierungen seit 2006 folgen endlos weitere Armageddons. Bis hin zum Gehirn-Lockdown mit wahlberechtigten KI-Handys [Nur mit Prüfplakette des Wahrheitsministeriums].

    This is the end, beautiful friend (The Doors).
    https://www.youtube.com/watch?v=VScSEXRwUqQ

    Mit freundlichen Grüßen
    Karl Heinz Maierl

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