Politikwende von unten

Der politpsychologische Frühstückssmoothie #14

Zeitenwende, Migrationswende, Verkehrswende … Wir leben in einem Zeitalter der verbal propagierten Wenden. Die Regierenden werden nicht müde, solche Wenden auszurufen. Schon Helmut Kohl tat es 1982, Olaf Scholz tat es 2022 … Die „Wendehälse” wurden sprichwörtlich, vor allem in der Zeit nach dem Fall der Mauer, als Bezeichnung für Opportunismus und Konformismus. 

Wenn Politiker eine Wende ankündigen, ist das eher ein Zeichen politischer Schwäche als eine Form der Stärke, vor allem wenn sie sie anschließend nicht verwirklichen können. Und so ist es meistens. Denn so einfach ist eine gelingende Wende weder im sozialen noch im politischen Bereich zu bewerkstelligen. 

Sie stellt ja irgendetwas zwischen Reformen und Revolution dar, wird aber meistens, eben wenn sie nur propagandistisch gemeint ist, nicht klar konzipiert. Und damit beginnt schon das ganze Elend rund um eine politisch-gesellschaftliche Wende. 

Dass viele der postulierten Wenden jemals ihre Ziele erreichen, darf mehr als bezweifelt werden. Sie ähneln eher den Vorsätzen, die sich Menschen zu Jahresbeginn geben, als irgendeiner ernst zu nehmenden Agenda. Viele Wenden werden nämlich nur aus propagandistischen Gründen ausgerufen: Sie haben dann die Funktion eines Tranquilizers für die Bevölkerung. 

Schon in der Antike galten Politiker, die rhetorisch geschickt, aber praktisch untätig waren, als leichtgewichtige Sophisten oder demagogische Volkstribune. Gerade in Zeiten wie jetzt, in denen Angst und Panik herrschen, ist die Beruhigung der Massen für die Mächtigen besonders wichtig. Sie könnten ja sonst von schweigenden Lämmern zu selbstständig denkenden Menschen mutieren!

Vom Westen lernen, statt ihn zu verachten 

Damit unsere Spezies überhaupt noch eine Zukunft hat, muss sie den Zustand tiefster Inhumanität, den das Lämmerdasein darstellt, überwinden. Im Folgenden argumentiere ich daher, dass eine wahre gesellschaftliche Wende in Anbetracht der vielfältigen Gegenwartskrisen nur von unten, aus der Bürgerschaft, kommen kann. Und dass sie außerdem um die 180 Grad betragen sollte – und nicht, wie von Herrschendenseite schon mal behauptet wurde, 360 Grad. 

Nicht nur wir selbst in Europa können dabei von unserer reichen Kultur- und Denkgeschichte lernen, wenn wir es wollen, sondern auch andere Kulturen können von der Geistes- und Kulturgeschichte des Abendlandes profitieren und die philosophischen Denkweisen des Westens mit ihrem kulturellen Erbe verbinden. Dies ist eben keine kulturelle Aneignung, sondern Gewinn und Fortschritt. Gerade die islamische Welt benötigt einen kulturell-mentalen Quantensprung, um zukunftsfähig zu werden. 

Kant, Nietzsche, C.G. Jung … hierzulande gilt es, wieder mehr und mehr Menschen mit dem eigenen kulturellen Erbe in Kontakt zu bringen. Durch die von Sozialisten, Postmarxisten und anderen Linken betriebene Kultur des Selbsthasses und der Allround-Schuld des Westens sind Hunderte wichtiger Denker ins Abseits und damit in Vergessenheit geraten. Vor allem die junge Generation ist dadurch von ihrer eigenen kulturellen Vergangenheit abgetrennt und verliert sich meist in Orientierungslosigkeit oder destruktiven Kulten wie Wokeismus, Postkolonialismus und Intersektionalität. 

Aufgabe der Bildungsinstitutionen wäre es eigentlich, die nachkommende Generation wieder mit ihren kulturellen Wurzeln in Verbindung zu bringen und ebenso die Einwanderer mit dieser Kultur als neuer Heimat vertraut zu machen. 

Schluss mit konfliktunfähiger Kuschelpolitik

In der Realität aber treibt die Gesellschaft mit der derzeit dominierenden Politik der Selbstverachtung, der Zerstörung der eigenen kulturellen Wurzeln, des Schleifens der wirtschaftlichen Fundamente immer weiter gen Abgrund. Kriegsvorbereitungen, Wohlstandsverlust, Kriminalität und Verwahrlosung im öffentlichen Raum sind Symptome und Warnzeichen zugleich. 

Tiefer betrachtet verdeutlicht alleine schon die Zahl der zu beherrschenden Problembündel – Massenmigration, Deindustrialisierung, Rezession, Auflösung der Primärfamilie, nachlassendes Bildungsniveau, Unsicherheit und Angst im öffentlichen Raum, überbordende Bürokratie uvm. –, dass es sich nicht nur um eine aktuelle, sondern auch um eine strukturelle Aufgabe handelt. 

Die Misere ist vor allem das Resultat jahrelanger Kuschel- und Wohlfühlpolitik, bei der notwendige Reformen und unangenehme Einschnitte unterblieben. Stimmen, die auf die genannten Probleme frühzeitig hingewiesen hatten, wurden stigmatisiert und weggecancelt. Das mächtige psychologische Wirkprinzip im Hintergrund, damit das alles so gelingen kann, besteht aus Abwehr und Verdrängung, was immer besonders erstarkt, wenn viel Angst im Spiel ist. 

Die Angst in der Bevölkerung nimmt schon seit Jahren immer weiter zu! Wenn offizielle Politik zur euthymen Gruppenveranstaltung im Geiste des Stuhlkreises verkommt, ist der Niedergang der Gesellschaft vorprogrammiert. Gleichzeitig spüren die Menschen, dass ihre ureigensten Bedürfnisse und Anliegen nicht gesehen, geschweige denn lösungsorientiert angegangen werden. 

Blinde Kuh, solange es geht

Die multiplen Krisen, die seit einigen Jahren in schöner Regelmäßigkeit auftauchen, gestalten sich zu einem echten Stresstest der westlichen Gesellschaften. Umfassende Abwehrprozesse in Bezug auf die Realität (Migrationschaos, Genderismus, Innovationsverweigerung, Bürokratismus) haben sich chronifiziert. Die Menschen hatten zu Recht immer stärker den Eindruck, dass ihnen eine Scheinrealität präsentiert wird. 

Schon längst sind immer mehr negative Reaktionen – Freiheitseinschränkungen, Spaltungsprozesse, Abwehr- und Verleugnungstendenzen – beobachtbar. Zu den besonders virulenten Verleugnungstendenzen zählt die Verharmlosung extremer linker und religiöser Gefahren und die Fixierung auf die Rechte. Noch nie war Extremismus in der politischen und massenmedialen Sichtweise so einseitig präsentiert worden wie bis zum 7. Oktober 2023. Politik und Massenmedien spielten ein Blinde-Kuh-Spiel mit überbordendem Ausmaß, schlechten Akteuren und erkennbaren Defiziten. 

Den selbst verschuldeten Niedergang aufhalten

Um den Absturz der westlichen Gesellschaften insgesamt abzuwenden, bedarf es jetzt weitreichender, tiefgreifender Änderungen. Ob der selbst verschuldete Niedergang noch abzuwenden ist, wird erst die Zukunft zeigen. Aber den Versuch der Abwendung des Untergangs zu wagen, ist für die mentale Verfassung des Westens besser, als den Weg nach unten stillschweigend zu ertragen. Die Situation erinnert an andere kulturelle Niedergänge in der Menschheitsgeschichte, vor allem den des römischen Reiches. Hier hat sich die Abwärtsspirale West-Roms mehr als 200 Jahre lang erkennbar gedreht und immerhin noch zu einer Blüte von weiteren 1.000 Jahren im oströmischen Reich geführt.

Während sich der Westen schlafwandlerisch völlig in hypermoralischen Gender- und Klimaproblemen verliert, entwickeln sich draußen in der großen weiten Welt Krisen und Kriege am laufenden Band. Es braucht mehr Wahrhaftigkeit, Mut und Rückgrat, um hierzulande die richtigen Antworten zu finden. 

Da die dringend notwendige Erneuerung Europas im Allgemeinen und Deutschlands im Speziellen nicht aus dem Parteiensystem und den Massenmedien entspringen kann, die nur noch an ihren Machtpfründen festhalten, müssen die Bürger die Aufgabe selbst in die Hand nehmen!

Mit geeigneten Netzwerken, alternativen Medien und bürgerlichen Basisbewegungen können sie es schaffen, eine Wende zu initiieren und für ihre Freiheit wirksam zu werden. Die Gesellschaft kann sich auf ihre immer noch vorhandenen guten Anteile und Kräfte konzentrieren. Diese heißen Einsatz- und Leistungsbereitschaft, Rückgrat und Zivilcourage sowie bürgerliche Solidarität und Freiheitsstreben. 

Eine wirkliche Wende in Gesellschaft und Politik kann nur mit der Bürgerschaft und nicht gegen sie gelingen. Selbstwirksamkeit und Befreiung als Erfahrungen können ungeahnte psychische Energien freisetzen. Dadurch können neue Formen der direkten Demokratie, echter Teilhabe und Kontrolle der Mächtigen entstehen. – Eine Herausforderung, die nicht gering, jedoch von größter Notwendigkeit ist. 

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