Preisbremsen – Ausweg aus der Krise?

Die aktuelle Energiekrise wäre ohne die Energiepolitik der vergangenen 20 Jahre nicht möglich gewesen. Diese Energiepolitik hat sich auf Klimaschutz und die »Energiewende« fokussiert und dabei die Ziele der Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit vernachlässigt. 

Durch den fast vollendeten Ausstieg aus der Kernenergie und den im vollen Gange sich befindlichen Ausstieg aus der Kohleenergie wird die Grundlast hauptsächlich durch Erdgas abgedeckt. Bei der Versorgung mit diesem Energieträger hat man sich auf Russland verlassen – und sich so in eine Abhängigkeit von diesem Land begeben. Denn eine Substitution der russischen Gaslieferungen durch Lieferungen aus anderen Ländern oder gar durch andere Energieträger ist kurzfristig nur sehr eingeschränkt und allenfalls zu erheblich höheren Preisen möglich, sodass die Sanktionen der EU und die Gegenmaßnahmen Russlands in Deutschland zu den schwerwiegenden Folgen führen, die wir im Moment beobachten können und noch erwarten müssen.

Bedrohung des Standorts Deutschland

Vor allem ist es zu einem zeitweise enormen Anstieg des Gaspreises, außerdem zu einem deutlichen Anstieg des Ölpreises und in der Folge dieser Entwicklung auch zu einem Anstieg des Strompreises gekommen. Verbraucher und Wirtschaft haben darauf schon mit einem Nachfragerückgang reagiert, doch ist das Potential an Einsparungen durch das Heben von »Effizienzreserven« oder den Verzicht auf »unnötigen« Energieverbrauch begrenzt. 

In der Tat wurde ein Großteil der Einsparungen durch Produktionskürzungen oder -stilllegungen erzielt. Diese sind deutliche Symptome einer für den Industriestandort Deutschland bedrohlichen Entwicklung. Der Vorstandsvorsitzende der BASF, Martin Brudermüller, kritisierte vor Kurzem die »überbordende Regulierung« beim EU Green Deal und die in Europa im Vergleich z.B. zu den USA wohl auch langfristig drei Mal so hohen Gaspreise. Es stelle sich die Frage, »was eigentlich noch für Investitionen in Europa« spreche. Tatsächlich kündigte die BASF vor Kurzem einerseits Stellenstreichungen in Deutschland und andererseits die Errichtung eines zehn Milliarden Euro teuren Chemiewerks in China an. Diesen Tendenzen, so Brudermüller, könne man nicht durch »Staatsgeld« oder temporäre Preisbremsen entgegenwirken.

Notwendig ist vielmehr eine grundlegende Umorientierung in der Energiepolitik. Die einseitige Fixierung auf Klimaschutz muss beendet werden und sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Wirtschaftlichkeit müssen wieder den Stellenwert erhalten, den sie verdienen. Allein mit erneuerbaren Energien wird sich jedenfalls eine verlässliche und kostengünstige Energieversorgung nicht gewährleisten lassen. 

Eine Umorientierung der Energiepolitik zur Beseitigung der Krisenursachen ist jedoch ein langfristiges Projekt. Was in 20 Jahren versäumt wurde, wird sich nicht in ein oder zwei Jahren nachholen lassen. Deshalb stellt sich die Frage, was kurzfristig zur Bewältigung der Krisenfolgen getan werden kann.

Entlastung gesamtwirtschaftlich unmöglich

Zunächst einmal ist es notwendig, sich über die Situation im Klaren zu sein. Die gestiegenen Preise für Energieimporte haben zu kräftigen Realeinkommensverlusten geführt, die einen Großteil des für 2022 eigentlich erwarteten Wachstums zunichtemachen. Unter optimistischen Annahmen kann für 2022 und 2023 noch mit einem geringen Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts gerechnet werden. Sollte Russland seine Energieexporte in die EU vollständig einstellen, wären Energierationierungen und weitere Produktionsrückgänge spätestens 2023 nicht zu vermeiden, wodurch es zu einer Rezession kommen würde.

Die angebotsseitigen Schocks können nicht durch nachfrageseitige wirtschaftspolitische Maßnahmen kompensiert werden. Eine »Entlastung«, von der immer so viel die Rede ist, ist auf gesamtwirtschaftlicher Ebene nicht möglich. Es ist allenfalls möglich, die unvermeidliche Belastung der deutschen Volkswirtschaft auf die eine oder die andere Weise umzuverteilen. Entlastungen bestimmter Wirtschaftssubjekte führen deshalb zu Belastungen anderer Wirtschaftssubjekte – wobei letztere auch Angehörige künftiger Generationen seien können. Ganz abgesehen davon sind alle derartigen Maßnahmen immer mit zusätzlichen Kosten verbunden, die die Volkswirtschaft als ganze noch weiter belasten.

Wenn die bisherige Sanktionspolitik gegenüber Russland weiterverfolgt wird, dann sollte man die unvermeidbaren ökonomischen Konsequenzen dieser Politik klar und offen kommunizieren und insbesondere nicht vorgeben, der Staat könne durch »Entlastungen« die Bürger vollständig oder auch nur zum größten Teil vor diesen Konsequenzen bewahren.

Vor allem aber sollte man Maßnahmen ergreifen, damit zumindest diejenigen wirtschaftlichen Schäden vermieden werden können, die vermeidbar sind. Angesichts des Gasmangels und der drohenden Gasrationierungen sollte dieser Energieträger soweit als möglich in denjenigen Verwendungen eingesetzt werden, in denen eine Substitution auch mittelfristig nicht möglich ist – also für die Beheizung von Gebäuden und für die Prozesswärme bzw. als Einsatzstoff in der Industrie. 

Um Stromengpässe zu verhindern und steigenden Strompreisen entgegenzuwirken, müssen zum Ausgleich die beiden anderen grundlastfähigen Energieträger, also Kohle und Kernenergie, intensiver und länger genutzt werden, als dies bisher beabsichtigt war. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass der Betrieb der drei noch stromproduzierenden Kernkraftwerke nur bis zum 15. April 2023 verlängert werden soll.

Die zwei Preisbremsen

Nur durch eine Ausweitung des Angebots lässt sich der aktuelle Preisdruck bei Energieerzeugnissen senken. Neben solchen und ähnlichen angebotsseitigen Maßnahmen, also keinesfalls als Ersatz für dieselben, können aus sozial- oder wirtschaftspolitischen Gründen auch nachfrageseitige Maßnahmen angezeigt sein, um die Auswirkungen der durch die Energiekrise verursachten Belastungen dadurch zu abzuschwächen, dass man diese Belastungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Wirtschaftszweigen umverteilt. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung die sogenannten »Preisbremsen« eingeführt.

Mit der Gas- bzw. Wärmepreisbremse sollen die Verbraucher von Erdgas und von Wärme entlastet werden. Zu diesem Zweck erhalten Haushalte und Kleingewerbe ein auf 80 Prozent ihres bisherigen Gas- bzw. Wärmeverbrauchs beschränktes Kontingent zum Bruttopreis von 12 bzw. 9,5 Cent/kWh. Bei Industriekunden beträgt dieses Kontingent 70 Prozent bzw. 80 Prozent, welches sie zum Nettopreis von 7 bzw. 7,5 Cent/kWh erhalten. 

Mit der Strompreisbremse erhalten Haushalte und Kleingewerbe ein auf 80 Prozent ihres bisherigen Stromverbrauchs beschränktes Kontingent zum Bruttopreis von 40 Cent/kWh. Bei Industriekunden beträgt dieses Kontingent 70 Prozent, welches sie zum Nettopreis von 13 Cent/kWh erhalten. 

Bei beiden Preisbremsen wird den Lieferanten die Differenz zwischen dem tatsächlichen Strompreis und der jeweiligen Preisobergrenze im Umfang der jeweiligen Kontingente vom Staat erstattet. Im Fall der Strompreisbremse sollen die Entlastungen vor allem durch die Abschöpfung sogenannter »Überschusserlöse« der Stromerzeuger finanziert werden. Diese fallen bei der Stromerzeugung mit Kohle, Erdöl, Kernenergie und erneuerbaren Energien an, da die Gestehungskosten sich nicht verändert, gleichzeitig aber die Strompreise infolge der hohen Gaspreise stark gestiegen sind. Auslaufen sollen beide Entlastungen (vorerst) zum 31.12.2023.

Vor- und Nachteile

Die Regelungen haben den Vorteil, dass die Sparanreize nur gemindert, aber nicht ganz beseitigt werden. Von den mutmaßlich weiterhin hohen Marktpreisen für Verbräuche jenseits der Entlastungskontingente gehen entsprechend hohe Sparanreize aus und da auch der »preisgebremste« Verbrauch nicht kostenlos, sondern der subventionierte Preis höher als der Marktpreis vor Beginn der Energiekrise ist, gibt es auch für diesen Verbrauch einen Anreiz zum sparsamen Umgang mit Energie. Allerdings muss klar sein, dass die Preisbremse, genau wie jede andere Entlastungsmaßnahme, zwangsläufig die Sparanreize beeinträchtigt, unabhängig davon, wie sie konstruiert ist.

Ein weiterer Vorteil der gewählten Konstruktion besteht darin, dass die Preisbremse die wettbewerbliche Preisbildung nicht beeinflusst – zumindest nicht direkt. Indirekt kann sie dagegen durchaus negative Effekte haben: Es wird zu einer Abnahme der Wettbewerbsintensität zwischen den Anbietern kommen, weil die Preisempfindlichkeit der Nachfrager tendenziell abnehmen wird. Deshalb, aber auch weil der Staat den Anbietern die Differenz zwischen Marktpreis und »gebremsten« Preis im Umfang der jeweiligen Kontingente erstattet, haben diese insoweit keinen Anreiz, ihre Kosten und damit ihre Preise zu senken bzw. Kosten- und Preiserhöhungen zu vermeiden.

Damit sind wir auch schon bei den zahlreichen Nachteilen. Die Preisbremsen führt zu einer pauschalen Entlastung fast aller Verbraucher, was zwar politisch attraktiv, aber nicht zielgenau ist. Wünschenswert, vor allem im Sinn eines effizienten Einsatzes der Haushaltsmittel, wäre eine Entlastung nur der wirklich bedürftigen Haushalte und Unternehmen. Bei Maßnahmen, die an der Preishöhe ansetzen, ist dies aber praktisch unmöglich. 

Sowohl direkte als auch – wie hier – indirekte Eingriffe in die Marktpreisbildung ziehen in aller Regel eine Reihe von Folgemaßnahmen nach sich. Dies ist auch bei den Preisbremsen der Fall: Es wurde eine Preis- und Missbrauchsaufsicht eingeführt, wonach Lieferanten »eine Gestaltung ihrer Preissetzung oder eine sonstige Verhaltensweise«, die einen Missbrauch darstellt, untersagt ist. 

Insbesondere ist ihnen ausdrücklich eine missbräuchliche Preiserhöhung verboten. Als solche wird jegliche Erhöhung der Arbeitspreise im Jahr 2023 angesehen – es sei denn, die Anbieter können nachweisen, dass ihre Preiserhöhungen »sachlich gerechtfertigt« sind. Damit ist Rechtsstreitigkeiten Tür und Tor geöffnet, weil stets umstritten sein wird, ob es eine »sachliche Rechtfertigung« für Preiserhöhungen gibt. 

Ähnliche Probleme wird auch die Arbeitsplatzerhaltungspflicht verursachen. Damit wird eine Koppelung zwischen der Gewährung von Preisentlastungen und dem Erhalt von Arbeitsplätzen hergestellt, obwohl kein direkter bzw. sachnotwendiger Zusammenhang existiert. Auch unabhängig von der Höhe der Energiepreise kann es nämlich Gründe für den Abbau von Arbeitsplätzen geben. Ob und inwieweit solche Gründe vorliegen, soll bei der möglichen Rückforderung der gewährten Entlastungen berücksichtigt werden. Doch auch hier ist damit zu rechnen, dass Behörde und Unternehmen zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen werden.

Risiken

Neben diesen Problemen, die beiden Preisbremsen gemeinsam sind, hat jede von ihnen auch (mindestens) einen spezifischen Nachteil. Im Fall der Gas- bzw. Wärmepreisbremse werden nur Verbraucher, die mit Erdgas heizen, entlastet, nicht aber Verbraucher, die direkt mit Heizöl heizen. Paradoxerweise werden jedoch Verbraucher, die indirekt mit Heizöl heizen, ebenfalls entlastet, da die Entlastung der mit Wärme belieferten Kunden unabhängig vom Energieträger ist, mit dem die Wärme erzeugt wurde.

Das größte Problem der Strompreisbremse stellt die Abschöpfung der sogenannten Überschusserlöse dar. Diese beeinträchtigt zwar nicht die wettbewerbliche Preisbildung am Strommarkt, sodass die Stromerzeuger weiterhin einen Anreiz haben, Strom zu produzieren und am Markt anzubieten. Allerdings können langfristige negative Anreizeffekte nicht ausgeschlossen werden – und zwar nicht nur auf Seiten der Stromanbieter, sondern aller Unternehmen. 

Bei den Unternehmen wird das Vertrauen auf stabile Rahmenbedingungen geschädigt, da nach einem solchen Präzedenzfall damit gerechnet werden muss, dass auch in anderen (tatsächlichen oder angeblichen) Krisen Überschusserlöse abgeschöpft werden. Dass dadurch die Attraktivität des Standorts Deutschland und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen nicht gerade gefördert werden, liegt auf der Hand. 

Außerdem bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Bei der Abschöpfung der Überschusserlöse handelt es sich de facto um eine zusätzliche Gewinnbesteuerung. Da die Gewinne der Stromerzeuger aber schon der »normalen« Besteuerung unterliegen, ist fraglich, ob eine zusätzliche Besteuerung mit dem Gleichbehandlungsgebot der Verfassung vereinbar ist. Verfassungsrechtlich eindeutig unzulässig ist die mit der geplanten Maßnahme einhergehende Rückwirkung der Abschöpfung zum 1.9.2022. 

Alternativen

Insgesamt muss man zu dem Urteil kommen, dass mit den Preisbremsen und den sie begleitenden Regelungen Instrumente geschaffen wurden, die nicht nur sehr teuer, sehr kompliziert und verfassungsrechtlich zumindest in Teilen sehr fragwürdig, sondern außerdem in dieser Form unnötig sind.

Es steht nämlich außer Frage, dass es langfristig nur zwei Alternativen gibt: Entweder das Energieangebot wird auf die eine oder andere Weise ausgeweitet, sodass die Preise wieder sinken. Oder, wenn das nicht gewollt oder nicht möglich ist, die Energieverbraucher müssen sich an dauerhaft hohe Preise gewöhnen und sich so schnell wie möglich an dieselben anpassen. 

Entlastungsmaßnahmen sind im ersten Fall als eine Art Überbrückungshilfe zur Vermeidung unbilliger Härten oder von eigentlich nicht notwendigen Unternehmensschließungen gerechtfertigt; im zweiten Fall kommen sie als kurzfristige Anpassungshilfen für besonders betroffene Haushalte und Unternehmen in Frage. Diese sollte in Form direkter Transferzahlungen erfolgen, welche den Preisbremsen mit ihren ordnungspolitisch höchst bedenklichen Eingriffen in die Preisbildung und den die Entscheidungsfreiheit weiter einschränkenden Begleitmaßnahmen eindeutig überlegen sind.

Was die Strompreise angeht, so hätte man die gewünschte Preissenkung viel eleganter erzielen können – durch die direkte Subventionierung der Gasverstromung. Der Staat würde in diesem Fall Gas zum Marktpreis ankaufen und es zu einem niedrigeren Preis an die Betreiber von Gaskraftwerken weiterverkaufen. Dadurch würden deren Kosten und in der Folge auch der Strompreis sinken, da die Gaskraftwerke als Grenzanbieter den Strompreis durch die Höhe ihrer Kosten de facto bestimmen. Gleichzeitig würde es auch keine Überschusserlöse mehr geben. Diese Lösung dürfte auch deutlich kostengünstiger als die Preisbremse sein, da nicht mehr der Großteil des gesamten Stromverbrauchs, sondern nur die Stromerzeugung durch Gaskraftwerke subventioniert werden müsste.

Es gibt also sehr wohl Alternativen zu den Preisbremsen. Keine Politik ist »alternativlos« – nicht nur in diesem Fall.

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