Während der „Zeit der Kämpfenden Staaten“ (475-221 v.Chr.) war der riesige chinesische Kulturbereich wie so oft in seiner Geschichte in ein Dutzend rivalisierender Reiche aufgespalten, die in einen erbitterten Kampf um ihr eigenes politisches Leben und um eine künftige Reichseinigung verstrickt waren.
Wie die Ära des Hellenismus im griechisch-römischen Mittelmeer waren auch diese Jahrhunderte eine Zeit großer politischer Unsicherheit und mörderischer Kriege, aber auch gewaltiger wissenschaftlicher und künstlerischer Kreativität und erstaunlicher sozialer Mobilität, wo die Grenzen zwischen Politik, Dichtkunst, Militärführung und gewagten wirtschaftlichen Spekulationen überaus fließend waren.
Qu Yuan, ein entferntes Mitglied des königlichen Hauses des Staates Chu, ist ein ideales Beispiel für die Höhen und Tiefen jener Zeit und bis heute ein Vorbild für viele Chinesen.
Widerständig
QuYuan wirkte mehrfach als Minister und Gesandter für seine Monarchen und trug sich mit hochfliegenden Plänen zur Gesundung und Vergrößerung seines Staates, fand sich aber regelmäßig als Opfer verschiedenster Intrigen hochrangiger Konkurrenten wieder, bis er schließlich in Ungnade fiel und als politisch Gescheiterter dauerhaft den Hof verlassen mußte – ein Spiel, das so alt ist wie die Welt.
Der Versuchung, seine Ehre und seine Werte zu verraten, um erneut zu Macht und Einfluß zu gelangen, widerstand er: „Jeder Mensch in diesem Leben strebt nach dem, was er liebt: / Was ich liebe, ist es, mir selbst gleich zu bleiben. / Schneide mich in Stücke, ich bleibe doch der selbe.“
Während seines Exils in den Gebieten südlich des Yangtse, seiner Heimatregion, verbrachte er seine Zeit mit dem Sammeln lokaler Volkslegenden und dem Verfassen von Gedichten, die zu dem Besten gehören, was aus der Zeit des vorimperialen China auf uns gekommen ist.
Als Qu Yuan 278 v.Chr. die Nachricht vom Fall Yings erhielt, der Hauptstadt Chus, deren Verteidigung unter den Schlägen der Heere von Qin zerbrach, jenem Staat, dem einige Jahrzehnte später die chinesische Reichseinigung gelingen sollte, berührte ihn diese Neuigkeit trotz seiner politischen Verbitterung tief.
Qu Yuan spürte hier völlig zu Recht eine unwiderrufliche Zeitenwende, und nachdem er eine bis heute überlieferte lange Trauerklage verfaßt hatte, entschied er sich für den Freitod, indem er, einen großen Felsbrocken in den Händen tragend, in den Fluß Miluo im heutigen Hunan watete und sich dort ertränkte: „Sende die Nachricht: Es ist vollendet. / Wenn niemand im Reiche Dich mehr verstehen kann, / wozu sollte man sich da noch seinem Land zugehörig fühlen?“
Die Legende berichtet, die Bewohner des nahbeiliegenden Dorfes hätten noch lange verzweifelt versucht, den melancholischen Poeten, dessen Dichtungen sie liebgewonnen hatten, mit ihren Booten zu retten oder doch wenigstens seinen Leichnam zu bergen, und hätten zu diesem Zweck Reis in das Wasser geworfen, um die Fische vom Verzehr des Körpers abzuhalten, bis sein Geist ihnen schließlich erschienen sei, um sie von der Fortsetzung ihrer Versuche abzuhalten – Anlaß der Aufnahme Qu Yuans in das Pantheon der chinesischen Wassergötter und Ursache der bis heute überall in der chinesischen Welt gepflegten Drachenbootrennen am 5. Tag eines jeden 5. Monats im Jahr.
Sieger im Nachhinein
Qu Yuan spürte, wie seine gesamte Dichtkunst eindringlich zeigt, daß das alte China der zahllosen unabhängigen Kleinstaaten mit ihren reichen kulturellen Traditionen und ihren liebenswerten Besonderheiten seinem Ende entgegenging und früher oder später unter den Schlägen von Krieg, Technologie und Kollektivismus vernichtet werden mußte.
Schon im 3. Jahrhundert standen sich Heere mit hunderttausenden Kämpfern entgegen, hatte die Massenfertigung weittragender Armbrüste den Krieg in ein seelenloses Massaker verwandelt, wurden die herkömmlichen Standesgrenzen zugunsten des strikt hierarchisch-meritokratisch gegliederten sozialistischen Systems des Legismus aufgelöst, und nur wenige Jahrzehnte später sollten nach der gesamtchinesischen Machtergreifung Qins auch Maße, Schriftzeichen und Gesetze rücksichtslos vereinheitlicht sowie alle mißliebigen literarischen, philosophischen und historischen Traditionen zensiert oder gar vernichtet werden.
So bemühte sich Qu Yuan denn, solange es noch möglich war, jenes alte China zu retten und zu konservieren; und wenn er selbst auch mit dem Eindruck aus dem Leben schied, ein Gescheiterter gewesen zu sein, so konnte ihn die Nachwelt doch nur als Sieger betrachten. Denn viele seiner Gedichte überlebten die kurze Tyrannis des Qin Shi Huangdi, und während die ephemere Hauptstadt der Qin in den Flammen der Bürgerkriege aufging und die Bauarbeiter die Arbeit am Grab des Reichsgründers einstellten, konnten die Werke des tragischen Dichters, kompiliert als „Chuci“ (Gedichte aus Chu) später, zusammen mit vielen anderen älteren Schriftwerken, die zeitig verborgen oder aus alten Gräbern zutage gefördert worden waren, erneut auswendig gelernt, abgeschrieben, kommentiert und gelehrt werden und somit als Sockel für die kulturelle Restaurationspolitik der Han-Dynastie dienen, von denen China bis heute zehrt.
Bewahren für bessere Zeiten
Auch für unsere Zeit ist Qu Yuan ein Vorbild, denn erneut spüren wir, daß vieles Schöne, Wahre und Gute dabei ist, endgültig im allgemeinen Desinteresse verloren zu gehen, wenn es nicht sogar aktiv durch jene, welche die Macht ausüben, diskreditiert, verzerrt oder vernichtet wird.
Doch wenn die Geschichte eines lehrt, so ist es, daß jene Zeiten der Zerstörung nie von Dauer sein können, da das Dunkle und Leere, das sie antreibt, sich früher oder später selber vernichtet.
Für uns Heutige mag dies nur ein schwacher Trost sein, da wir vor allem mit dem Verlust von vielem konfrontiert sind, das uns zu Recht ans Herz gewachsen ist. Umso wichtiger aber ist es, gerade in jenen schweren Zeiten so viel wie möglich von all dem, was von Wert ist, zu sammeln, zu schützen und weiterzugeben, damit es später wieder Früchte tragen kann, wenn sich das Unwetter verzogen hat.