Rationale Argumentation? – Sinnlos!

Jeder gutwillige Kritiker der aktuellen deutschen, aber auch der internationalen Politik kennt das Phänomen, dass die elaboriertesten Argumentationen beim politischen Gegner auf eine Mauer von Abwehr, Simplifizierung, kognitiver Dissonanz und am Ende abwertender Moralisierung stoßen. 

Beispiele dafür gibt es viele: Von den einen wird die Überschwemmungskatastrophe in Süddeutschland auf den Verbrennungsmotor zurückgeführt, von den anderen auf die Radwege in Peru und das dadurch fehlende Geld im Inland. Russland wird als schwach beschrieben, droht aber gleichzeitig, selbst Westeuropa zu überrennen. Die drohende Deindustrialisierung Deutschlands wird von Habeck Merz in die Schuhe geschoben, obwohl der gar nicht in Regierungsverantwortung ist. 

Daten und Fakten scheinen bei diesen Meinungsclustern keine Rolle zu spielen, Schlüsse, die gezogen werden, und Vorschläge, die gemacht werden, scheinen geradezu abenteuerlich irrational. Und je falscher argumentiert wird, desto erratischer scheint die emotionale Verve der Meinungsäußerung.

Anlässlich vieler irritierender Leserbriefe zu den obigen Themen, die ich gelesen habe, beschloss ich, einen mit mir befreundeten Psychologen um Rat zu fragen: Was könnte die psychologische oder neurologische Grundlage derart fest zementierter Meinungscluster sein? Mein Freund wurde fündig: Eine im Dezember 2016 veröffentlichte Studie Neural correlates of maintaining political beliefs in the face of counterevidence von Jonas T. Kaplan, Sarah I. Gimbel und Sam Harris versprach, Licht in das Dunkel zu bringen.

Unüberzeugbar

Es handelt sich dabei um eine klassisch wissenschaftliche Studie in den USA. Die Probanden waren Universitätsstudenten mit einem starken linksliberalen Bias. Untersucht wurde die Veränderbarkeit des „Meinungskostüms“ bezüglich politischer Aussagen im Vergleich zu alltäglichen Statements. Es zeigte sich, dass politische Grundüberzeugungen fast überhaupt nicht korrigierbar oder „aufweichbar“ waren. 

Die Studie versuchte auch, durch neurophysiologische Methoden den Gründen auf die Spur zu kommen. Im Folgenden einige Übersetzungen von Originalzitaten, um wesentliche Ergebnisse darzustellen:

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass, wenn Menschen mit Herausforderungen an ihre tief verwurzelten Überzeugungen konfrontiert werden, sie bevorzugt Gehirnstrukturen aktivieren, die bekannt dafür sind, stimulusunabhängige, intern gerichtete Kognition zu unterstützen. Unsere Daten unterstützen auch die Rolle von Emotionen bei der Beständigkeit von Überzeugungen. Individuelle Unterschiede in der Überzeugbarkeit standen im Zusammenhang mit Unterschieden in der Aktivität innerhalb des Insularkortex und der Amygdala – Strukturen, die für Emotion und Gefühl entscheidend sind. Die Emotionssysteme des Gehirns, die darauf abzielen, die homöostatische Integrität des Organismus aufrechtzuerhalten, scheinen auch beim Schutz der Aspekte unseres mentalen Lebens, mit denen wir uns stark identifizieren, einschließlich unserer fest verankerten Überzeugungen, aktiviert zu werden.“

Vereinfacht heißt das, dass bei Infragestellung eigener Grundüberzeugungen lediglich ein interner Prozess der Kognition abläuft, das heißt abweichende Argumente, „Stimuli“, überhaupt nicht einbezogen werden. Politische Meinungen sind auch überwiegend emotionsabhängig und haben den Zweck, ein bestimmtes Selbstbild aufrechtzuerhalten.

Feelings don’t care about the facts

Die Studie führt genauer aus: „Es ist allgemein bekannt, dass Menschen oft Widerstand leisten, wenn ihre Überzeugungen direkt infrage gestellt werden, insbesondere wenn diese Überzeugungen zentral für ihre Identität sind. In einigen Fällen kann die Konfrontation mit Gegenbeweisen sogar das Vertrauen einer Person in die Richtigkeit ihrer geschätzten Überzeugungen erhöhen. Obwohl Neurowissenschaftler begonnen haben, einige der sozialen Aspekte der Überzeugung und der motivierten Argumentation zu untersuchen, gibt es nur wenig Forschung, die direkt darauf abzielt, die neuronalen Systeme zu verstehen, die unsere am stärksten verankerten Überzeugungen gegen Gegenbeweise schützen.

Ein Modell zur Aufrechterhaltung von Überzeugungen besagt, dass Menschen, wenn sie mit Gegenbeweisen konfrontiert werden, negative Emotionen erleben, die aus dem Konflikt zwischen der wahrgenommenen Bedeutung ihrer bestehenden Überzeugungen und der durch die neuen Informationen erzeugten Unsicherheit entstehen. Um diese negativen Emotionen zu reduzieren, könnten Menschen anfangen, auf eine Weise zu denken, die die Auswirkungen der herausfordernden Beweise minimiert: indem sie deren Quelle herabsetzen, Gegenargumente bilden, ihre ursprüngliche Haltung sozial validieren oder die neuen Informationen selektiv vermeiden. Das Ausmaß, in dem solche Rationalisierungen auftreten, hängt von mehreren Faktoren ab, aber die persönliche Bedeutung der infrage gestellten Überzeugung scheint entscheidend zu sein. Insbesondere Überzeugungen, die mit der eigenen sozialen Identität verbunden sind, sind wahrscheinlich schwerer zu ändern.“

Rechtshirn, Linkshirn

Amerikanische Wissenschaftler haben oft die erfreuliche Eigenheit, allgemeinverständlich zu schreiben. An den obigen Äußerungen gibt es nichts zu interpretieren, die zugrunde liegenden Erfahrungen dürfte jeder gemacht haben. Die Studie suggeriert im Folgenden sogar noch eine organische Verankerung politischer Grundhaltungen: „Da alle unsere Teilnehmer überzeugte Liberals (also Anhänger der Demokratischen Partei) waren, ist nicht klar, wie gut diese Ergebnisse auf Konservative oder auf Menschen mit weniger polarisierten Überzeugungen verallgemeinerbar sind. Mehrere Studien haben strukturelle oder funktionelle Unterschiede zwischen den Gehirnen von Konservativen und Demokraten gefunden. 

Eine spezifisch relevante Differenz ist die Feststellung eines größeren rechten Amygdala-Volumens bei Konservativen. In ähnlicher Weise neigen Konservative dazu, eine erhöhte Bedrohungsvermeidung zu zeigen. In unseren Daten war die Aktivität in der Amygdala, wenn Überzeugungen infrage gestellt wurden, mit einer erhöhten Widerstandsfähigkeit gegen Überzeugungsänderungen verbunden. Wir stellen fest, dass, obwohl unsere Teilnehmer eine liberale (im Sinne der Demokratischen Partei) Grundhaltung äußerten, sie im Kontext dieses Experiments motiviert waren, ihre spezifischen Überzeugungen gegen eine direkte Bedrohung zu verteidigen.“

„Insbesondere Überzeugungen, die mit der eigenen sozialen Identität verbunden sind, sind wahrscheinlich schwerer zu ändern.“ Auf dieses Statement soll noch kurz eingegangen werden. Soziale Identität kann bedeuten:

  • das Bedürfnis, mit den Überzeugungen einer moralisch höherwertigen Gruppe übereinzustimmen
  • Berücksichtigung des eigenen sozioökonomischen Lebensrahmens, z.B. Beamtenstatus, Familientradition etc.
  • Angst vor Ausgrenzung oder Verlust des sozialen Umfelds
  • konkrete ökonomische Interessen

Die Aufzählung ist natürlich nicht vollständig. Was bleibt da zu sagen? In der Regel gilt, frei nach Dante: „Wer in gewisse Diskussionen einsteigt, lasse alle Hoffnung fahren.“

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