Rückkehr zum Atom?

Angesichts des nicht erst seit Abschaltung der letzten drei deutschen Reaktoren im April 2023 offenbar gewordenen Scheiterns der Energiewende nach Art der Grünen flammt immer wieder mal eine Diskussion um die Möglichkeit einer Rückkehr zur Atomenergie auf.

Folgende Punkte sind in diesem Zusammenhang relevant:

  • Könnten die Reaktoren technisch wieder in Betrieb genommen werden?
  • Wie schnell könnte Brennstoff da sein?
  • Angesichts ihres Alters, wieviel Restlaufzeit wäre realistisch?
  • Sind auf längere Sicht auch Neubauten denkbar?
  • Gibt es einen politischen und gesellschaftlichen Willen?

In Deutschland kommen theoretisch diese Reaktoren für ein Wiederanfahren in Frage:

(Quelle: Wikipedia)

Sind die deutschen AKW noch reaktivierbar?

Zuerst einmal gilt es also, Inventur zu machen. Wie man sich den Rückbau eines Atomreaktors vorstellen muss sagt uns Vattenfall:

„In Deutschland ist gesetzlich festgelegt, dass Kernkraftwerke nach ihrer Abschaltung direkt zurückgebaut und nicht über Jahre oder Jahrzehnte im sogenannten Sicheren Einschluss belassen werden. Der direkte Rückbau hat den Vorteil, dass die Know-how-Träger aus dem Leistungsbetrieb, die mit der Anlage vertraut sind, noch zur Verfügung stehen und die technische Infrastruktur des Kraftwerks noch funktionsfähig ist. Zudem kann das Kraftwerksgelände früher für einen anderen Zweck genutzt oder der Natur zurückgegeben werden.“

Wie weit sind die im Frühjahr 2023 und davor abgeschalteten acht deutschen AKW in diesem Prozeß fortgeschritten? Der Betreiber von Isar2, Preussen Elektra, will jedenfalls von Wiederanfahren nichts wissen: „Die Vorbereitungen für den Rückbau laufen auf Hochtouren und die für einen Betrieb erforderlichen Kollegen stehen uns schlichtweg nicht mehr zur Verfügung. Das Thema Wiederinbetriebnahme ist für uns damit definitiv vom Tisch.“ 

In den zwei weiteren Meilern von Preussen Elektra in Brokdorf und Grohnde wurden, obwohl die Rückbaugenehmigungen noch ausstehen, auf Anweisungen von grünen Ministern die Rohrleitung durch Säure „planmäßig zerstört“.

In Baden-Württemberg hatte es die grün-schwarze Landesregierung besonders eilig: Die Rückbaugenehmigung wurde noch im laufenden Betrieb erteilt. Die EnBW ist den „Erneuerbaren” so schwer verpflichtet, daß sie bereits heute für Neukunden nur noch 100 Prozent „Ökostrom” anbietet – was nur durch Rechenakrobatik erklärt werden kann, denn im grauen November hat auch die EnBW nicht ausreichend Wind, Sonne und Biogas. Und siehe da, die Realität schlägt auch im Ländle hart zu:

Offensichtlich besteht der Trick darin, daß man den ganzen „dreckigen“ Strom an Industrie und Gewerbe liefert, während man den Privatkunden bereits die Umsetzung der grünen Vision vorgaukelt. Aber noch schlimmer wird es, wenn man den zweitgrößten deutschen Anbieter mit der Benchmark vergleicht (Achtung, zur Kernenergie zählt auch die importierte):

Wer den aktuellen Stand des Rückbaus selbst nachlesen möchte, dem empfehle ich den Bericht nach § 7 des Transparenzgesetzes – Rückbau von Kernkraftwerken.

Die Nelson-Studie

Im Sommer des letzten Jahres, wenige Monate nach der Abschaltung der letzten drei deutschen AKW durch Habeck erregte in interessierten Kreisen eine Studie der amerikanischen Beratungsgesellschaft Radiant Energy Group von Mark Nelson Aufsehen. Nelson untersuchte die Frage, ob und mit welchem Aufwand die offiziell im Rückbau befindlichen acht Meiler technisch wieder zu reaktivieren wären. Er kam zu dem erstaunlichen Ergebnis, dies sei letztlich nur eine Frage des politischen Willens:

„Ein Neustart ist machbar. Acht deutsche Reaktoren befinden sich in einem physisch hervorragenden Zustand und sind jünger als die Reaktoren, deren Lebensdauer derzeit weltweit verlängert wird. Emsland I und Isar II zum Beispiel sind 35 Jahre alt und wurden 1988 in Betrieb genommen. Die anderen sechs Reaktoren sind seit weniger als 40 Jahren in Betrieb. In den USA liegt das Durchschnittsalter der in Betrieb befindlichen Reaktoren bei 43 Jahren. Die deutschen Reaktoren haben bereits Nachrüstungen vorgenommen und Wartungsarbeiten durchgeführt, die für einen Betrieb über 50 Jahre hinaus erforderlich sind.“

Im Weiteren führt er die notwendigen Schritte aus. Als Grundbedingung müssten alle Rückbaugenehmigungen sofort widerrufen werden, um die Arbeiten und Auftragsvergaben unmittelbar zu stoppen. Der Cicero fantasiert dazu von einem „AKW-Rückbaustopp, den der Bundestag auch ohne Grünen-Stimmen beschließen kann, damit bis zur nächsten Bundestagswahl gerettet werden kann, was noch zu retten ist.“ 

Eine neue, atomfreundliche Regierung müsste dann zuerst einmal das Atomgesetz ändern, welches seit dem Beschluss des Kabinetts Merkel II nach Fukushima 2011 die kommerzielle Nutzung von Atomkraft zur Stromerzeugung untersagt. Fast noch spannender stellt sich die Frage der Finanzierung dar:

„Die Wiederanlaufkosten für die sechs Reaktoren mit einer Betriebsgenehmigung werden auf jeweils 100-200 Mio. € geschätzt. Dies entspricht dem potenziellen Gewinn von zwei Betriebsmonaten oder einer Anhebung der Betriebskosten auf etwa 25 €/MWh, was viermal niedriger ist als die aktuellen Spotmarktpreise.“

Der Autor geht vom Stand Sommer 2023 aus, und man fragt sich, wie er auf diese Schnäppchenpreise kommt. Vielmehr dürfte es, ähnlich wie beim hektischen Großprojekt mRNA-Impfstoff, darauf hinauslaufen, daß der Staat für spätere Risiken selbst haften müsste und die Betreiber als Auftraggeber kaum Chancen hätten, Preise zu verhandeln. Stuttgart 21 und die Elbphilharmonie lassen grüßen. Oder bricht da mein typisch deutsches Bedenkentragen mit mir durch? Nelson ist jedenfalls Amerikaner, und projiziert seine landestypische „Everything-goes-Mentalität” frohgemut auf den Bürokratie-Weltmeister Deutschland:

„Fünf der sechs deutschen Reaktoren mit aktiven Genehmigungen könnten neun bis zwölf Monate nach dem Rückzug ihrer Stilllegungsgenehmigungsanträge wieder in Betrieb genommen werden. Drei weitere Reaktoren könnten in zwei bis drei Jahren wieder in Betrieb genommen werden.“

Wir befinden uns also, vorausgesetzt die Ampel sollte volle vier Jahre durchhalten, an diesem Punkt aber bereits im Jahr 2026. Und dann ginge es erst los mit der Suche nach Firmen und Arbeitskräften, die sich dieser Mammutaufgabe stellen wollten. Das notwendige Geld wird dann bestimmt über ein „Sondervermögen Atom” einfach gedruckt, nachdem die Regierung eine „historische Energie-Notlage” erklärt hat.

Und ausgerechnet vom Klimagipfel COP28 in Dubai erreichte uns die Meldung, daß 22 Staaten in einer gemeinsamen Erklärung angekündigt haben, ihre Kernenergie bis 2050 zu verdreifachen, da „Kernenergie eine Schlüsselrolle zukommt bei der Erreichung der CO2-Neutralität“. Selbst der sozialdemokratische RND stellt zerknirscht fest: „Eine Zeit lang gab es in anderen Ländern so etwas wie abwartenden Respekt gegenüber den Deutschen und ihrem energiepolitischen Sonderweg. Inzwischen aber regieren Hohn und Spott.“

Sind neue AKW die Lösung?

Ist es also möglicherweise realistischer und zukunftsträchtiger, besser gleich Neubauten zu planen? Immerhin wäre ja auch der Streckbetrieb alter Reaktoren mit einer endlichen Restlaufzeit verbunden. Die CDU jedenfalls ist schon ganz heiß auf „Kernkraftwerke der vierten und fünften Generation sowie Fusionskraftwerke“. 

Nach derzeitigem Stand sind insgesamt 102 Reaktoren weltweit in Planung:

(Copyright Statista 2024)

In dieser Zahl ist das vollmundige Versprechen der 22 Atomrebellen von Dubai aber noch gar nicht enthalten. Denn bei derzeit über 400 betriebsfähigen Anlagen abzüglich der absehbar das Ende ihrer Lebensdauer erreichenden wären das etwa 1.000 neue AKW in gerade mal 27 Jahren. Wer soll die bauen? Der Herausgeber des „Weltnuklearberichts” Mycle Schneider meint dazu: „Die Atomindustrie befindet sich in einem desolaten Zustand. Diese Unternehmen sind bereits mit den existierenden Reaktorflotten bis an die Grenze ausgelastet.“  

Da chinesische oder gar russische Firmen im Westen nicht in Frage kommen, blieben nur noch „Amerikaner, Franzosen und Südkoreaner, mit Insolvenzen und Schuldenbergen von bis zu 149 Milliarden Dollar“. 

Sollte aber wider Erwarten die Atomindustrie eine phantastische Renaissance erleben, müsste sich Deutschland ganz weit hinten einreihen in der Warteschlange. Und welcher Konzern wollte ausgerechnet mit den wankelmütigen Deutschen so ein langfristiges Projekt eingehen?

Resümee

Seien wir ehrlich zu uns selbst: Für Deutschland ist der Atomzug abgefahren, und zwar für immer. Die Rücknahme der Rücknahme des Atomausstiegs durch Merkel 2011 und die ideologisch verblendete Abschaltung der letzten drei Meiler im Frühjahr 2023 waren zwei epochale und unumkehrbare Fehlentscheidungen. Es mutet in diesem Zusammenhang besonders bitter an, daß ausgerechnet Japan sein mit sieben Reaktoren und 8,4 GW Leistung größtes und seit Fukushima abgeschaltetes AKW gerade wieder zum Betrieb zulässt. 

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2 Kommentare. Leave new

  • „… Atomzug abgefahren, und zwar für immer.“

    Das ist eine sehr mutige Prognose. Weshalb sollte es nicht in 20 Jahren ein neues Atomkraftwerk in Deutschland in Betrieb gehen? Zugegeben: Es müsste sich sehr viel ändern im Land. Der gleiche Murks wie beim Flughafen BB dürfte es nicht werden.

    Antworten
  • Wilfried Hahn
    13. Januar 2024 13:59

    Ich bin Aufsichtsrat von Copenhagen Atomics. Wir bauen einen Thorium Salzschmelze Reaktor und werden 2025 oder 2026 wahrscheinlich in der Schweiz den ersten Versuchsreaktor mit Kernspaltung starten.
    Ziel des Unternehmens ist pro Tag einen 100MW Reaktor zu bauen. Zielkosten in Serienfertigung sind 2 Cents pro kWh.
    Das Kommerzielle Plan ist den Reaktor selbst zu finanzieren , zu bauen , zu betreiben ( läuft völlig automatisch ohne Bedienungspersonal ) nach der Nutzungszeit wieder abzubauen. Wir wollen nur die Energie mit einem langfristigen Vertrag verkaufen.
    Mit diesem Konzept wäre auch Kernkraft in Deutschland wieder möglich. Dazu bedarf es eine Aufklärung der Bevölkerung über die tatsächlichen Chancen und Risiken der modernen Kernkraft.
    Neben Copenhagen Atomics gibt es über 50 weitere Startups sowohl für Kernspaltung als auch Kernfusion.
    Kernenergie wird sich als dominierende Quelle der Energieversorgung durchsetzen da die Kosten und der Verbrauch an Ressourcen minimal sind.
    Die bestehende Atomkraftwerke zu retten ist technisch mit hoher Wahrscheinlichkeit machbar , wird aber Jahre dauern.
    Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energie ist eine riesige Fehlentscheidung, da die Systemkosten , der Verbrauch an Ressourcen sehr hoch sind und darüber hinaus die Umwelt massiv geschädigt wird.
    Meine Prognose dass die moderne Kernenergie in Deutschland in den Jahren 2035 bis 2040 wieder etabliert wird. Ob Deutschland dann noch als Industriestandort noch wettbewerbsfähig ist wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
    Es braucht auf jeden Fall einen Wechsel in der Politik , wir brauchen mehr Qualifikation in der Politik , in den Parteien , in den Medien.

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