Déjà vu – die Schranken der KI

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Es gibt kein Zurück! – Irreversibilität hat mich seit je beschäftigt. Für den Physiker war es ein universelles und irritierendes Phänomen, im Alltag kann es jeden zur Verzweiflung treiben, weil sich nichts ungeschehen machen lässt. Eine Millisekunde unaufmerksamer Bewegung, die Teetasse kippt ihren Inhalt ins Notebook, es verröchelt. Die Millisekunde lässt sich nicht zurückdrehen, mit keinem noch so gewaltigen Energieaufwand. Das gilt auch im Universum der Gedanken. Eine Folge davon ist, dass uns die Zeit immer schneller zu vergehen scheint, wenn wir altern: Zu viele Gedanken – erwünschte und unerwünschte – vertreiben sie uns unablässig.  

Literatur liegt in einem seltsamen Zwischenreich: Immer wenn ich mich dort lesend hineinbegebe, verwandelt sich zuvor Gelesenes: Situationen und Gestalten changieren. Nichts anderes ist zu erwarten, da ja der Leser jedes Mal ein anderer ist: Begriffe sind anders aufgeladen, neue Zusammenhänge erkannt, auch hat sich seine Erfahrung in einer Realität verändert, deren Wandel durch keine Form von Wahrnehmung, Auswertung, Simulation geistig zu fassen, geschweige zu beherrschen ist. All diese Vorgänge, das gesamte Geschehen ist im Mikrokosmos der Neuronen ebenso irreversibel – also unumkehrbar – wie das Geschehen im Universum.

Unberechenbar, unhintergehbar, unüberwindlich – Zeit

Vielleicht ist das unter den „Kränkungen“, die der Mensch während seiner Interaktion in der physischen, sozialen, psychischen Sphäre erlebt, die ärgste: Dem Lauf der Zeit gegenüber ist er ohnmächtig. Er kommt von der verschütteten Tasse nicht los, einmal abgesehen davon, dass er sich mit dem Schaden befassen muss, wird er noch eine Weile – je nach Temperament – über die fatale Millisekunde stolpern, ihre Ursachen, Vermeidbarkeit, mögliche Mitschuldige …

Unser Leben besteht aus einer astronomischen Anzahl solcher Momente der Entscheidung. Die wenigsten davon fällen wir bewusst. Und selbst die vermeintlich bewusst gefällten beinhalten unbewusste Impulse. An ihrem tiefsten Grund treffen sie sich mit den Überlebens-Algorithmen von Viren, mit der Dynamik von Elementarteilchen und Galaxien. Jeder Versuch, aus naturwissenschaftlicher Sicht daraus auf menschliches Verhalten zu schließen, geht fehl, weil in Jahrmilliarden irreversibler Prozesse eine Komplexität gewachsen ist, die sich nicht „nachrechnen“ lässt.

Der unsterbliche Zwilling 

Mit nichts anderem beschäftigt sich aber der Mensch, wenn er Mathematik, Physik, Chemie, Biologie erforscht, um Muster zu entdecken, nach denen sich Komplexität entwickelt. Er konstruiert Modelle, Apparaturen und Gebrauchsgegenstände, mit denen er sie zu beherrschen sucht. Dabei hat er es erstaunlich weit gebracht, womit ich mich aber nicht weiter aufhalten will, denn ein Ziel – das Äußerste, in der Mythologie, Kunst, Literatur, im Film, in den Labors immer wieder anvisierte – hat er bis heute nicht erreicht: sich selbst zu erschaffen, oder einen Zwilling, ein Gegenüber, welches ihm vollständig durchschaubar, also steuerbar wäre, zugleich die Schwelle der Unsterblichkeit überschritte, wäre nur der genetische Code samt Umgebungsbedingungen zu reproduzieren.

Das freilich gelänge nur, wenn er nicht weniger als das ganze Universum neu erschüfe. Alle anderen Versuche brachten bisher nichts als Chimären, mechanische Ungetüme, kurzlebige Missgeburten und Alpträume hervor. Und doch …

Das Vertraute im Fremden

Bisweilen begegnet einer Figuren und Verhaltensweisen, Ritualen, Redensarten, Konflikten, Gewalttaten einer längst vergangenen Zeit ganz direkt. Sie laufen ihm über den Weg, sie rücken ihm buchstäblich auf den Leib, sie schüchtern ihn ein oder bringen ihn zum Lachen, und das mit einer körperlich verstörenden Vertrautheit, wie sie aus Büchern, historischen Abhandlungen, niemals zu gewinnen wäre, nicht einmal aus Filmen. Nur ausnahmsweise treten ihm Personen noch einmal gegenüber, bei denen der Ausspruch „hat sich überhaupt nicht verändert“ passen würde. Vielmehr sind es Charaktermasken und Handlungen, bei denen nur die Kostüme gewechselt haben. So als ereignete sich Erlebtes – zumindest Erinnertes oder auch Geträumtes – ein zweites Mal.

Enzyklopädische Erklärungen tun das Phänomen als Täuschung des Gedächtnisses ab. Was dabei genau geschieht, ist einschlägiger Wissenschaft nicht klar; sie sieht eine Korrelation zu Erkrankungen. Mystiker verweisen auf Begebenheiten „in einem früheren Leben“. Ich bliebe lieber bei real auffindbaren Zusammenhängen. Cees Nooteboom, niederländischer Autor, sagt, Erinnerung sei „wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will”. Unzählige Beispiele für optische, akustische und kognitive Täuschungen belegen, wie uns das Gehirn irreleitet. Nootebooms Landsmann Douwe Draaisma hat einige lesenswerte Bücher zum Thema verfasst, von denen ich Ihnen zwei am Ende dieses Beitrags gern empfehle.

Inseln im Chaos rauschender Eindrücke

Déjà vu erscheint weniger rätselhaft, wenn man dem Gedanken folgt, dass „Gedächtnis“ keine Ablage von Erinnerungen ist wie ein Archiv, eine Bibliothek oder irgendein Datenspeicher, sondern die ununterbrochene Bewegung eines ganzen Universums von Möglichkeiten, das sich dem realen Geschehen überlagert. Ich stelle mir eine riesigen Menschenmenge vor, darin jeder einzelne mit Reden und Handeln beschäftigt, die ich durchquere. Die ganze Zeit über empfängt mein „leibliches Gedächtnis“ – Körper und Geist untrennbar miteinander verbunden – chaotisch Eindrücke aus dem Geschehen um mich herum, aber nur bei bestimmten, musterhaften, verdichten sich die Signale zum Impuls des Erkennens. Und dieses „Erkennen“ ist nicht zwangsläufig an vorausgegangenes eigenes Erleben gebunden, sondern an die genetisch bedingte Kompositionsweise der Musterkennung, an eine unüberschaubare Menge von Antizipation strategischer Wendungen, deren sich niemand bewusst sein könnte, die sich nie kausal ordnen, geschweige beherrschen ließen.

Fakten als Wahnideen

So gesehen wäre erklärbar, weshalb und wie einer träumt. Manche reden davon, etwas sei ihnen „in einem früheren Leben“ widerfahren. Tatsächlich unterscheidet das Gedächtnis nicht immer scharf zwischen real oder nur im Film, im Traum, beim Lesen oder aus dem Hörensagen empfangenen Inhalten – allerdings trennt es wichtig und unwichtig in existenziellen Situationen viel schneller als es das Bewusstsein könnte. Das kann auch schief gehen, denn die antizipierte Gefahr ist womöglich gar keine – aber Schnelligkeit geht vor, antizipiert wird „quick’n dirty“.

Weshalb schreibe ich diesen Text? Weil die enormen Informationsmengen, mit denen Menschen hier und heute überflutet werden, fast ausschließlich auf ihre Inhalte und auf ihren vermeintlichen Gehalt an Realität hin betrachtet werden. Das Wort „Fakten“ wurde zu einer Monstranz, die all diejenigen vor sich hertragen, die ihre Form der Informationsvermittlung gern unangreifbar machen möchten. In den herkömmlichen ebenso wie in den neuen, „sozialen“ Medien toben unerbittliche Kriege um Wahrheit oder Lüge, redliche Information oder „manipulierte“, um die Deutungshoheit zwischen Gut und Böse, falsch und wahr.

Kostbare Traumwelten

So weit, so anthropologisch konstant. Begleiten Sie mich nun einmal – spaßeshalber – in die Welt der Träume. Dort sind Regeln der Logik und Kognition weitgehend außer Kraft. Nicht so die Antizipation, nicht die Antriebe zum Erlangen und Vermeiden, weder Ängste noch Lüste: Dort finden sich Konflikte ebenso wie Erlösendes, Beglückendes. Ich erlebe immer wieder einmal Schwerelosigkeit, kann schweben, stürze auch ab ins Leere, ohne Furcht vorm Aufprall übrigens.

Wie kostbar diese imaginären, jenseitigen Welten sind! Das Gehirn befasst sich dort nur noch eingeschränkt mit unmittelbaren Reizen; es wird vom Unbewussten, vom Erinnern, von Wünschen und Ängsten bewegt. Es muss ihnen folgen in gegenstandslose, phantastische, manchmal furchterregende Geschehnisse. Was im Alltag nicht zu merken ist – dass hinter Entscheidungen nur selten vernünftiges Abwägen steht – wird hier und jetzt universelles Programm. Alles ist möglich. Es muss nur einen Kondensationskeim geben, an den sich chaotisch schweifende Erinnerungen anheften können, egal ob sie frühkindlichem Erleben oder einer Fernsehserie entspringen. Von diesem Keim aus vernetzen und verweben sich Landschaften, Figuren, Situationen innerhalb von Hundertstelsekunden. Sie sind flüchtig, aber sie können stärker wirken als real Erlebtes.

Imaginäres trifft auf Realität

Jeder, der Katzen oder Hunde hält, kann sie ab und zu beim Träumen beobachten, und jeder Neurophysiologe kann Ihnen erklären, um was für eine wichtige Lebensfunktion es sich handelt. Gleichwohl rätseln Wissenschaftler immer noch daran herum, was Menschen in Morpheus‘ Umarmung geschieht. Interessant wird es, wenn das Bewusstsein für einen kurzen Moment in den Traum „hineinspringt“ – etwa um zu sagen „Du träumst ja nur!“ 

Man weiß heute, das manche Menschen in sogenannten Klarträumen Inhalte sogar beeinflussen können. Zweifellos existieren Übergänge zwischen Traum und Kognition, sonst kämen keine Gesprächsfetzen, gar Dialoge (allerdings meist von der schrägen Sorte) vor. Sich daran erinnern zu wollen, produziert wieder nur Bruchstücke, und bisher war nie jemand in der Lage zu überprüfen, inwieweit sie mit dem Geträumten tatsächlich übereinstimmen.

Hirnforscher wollen aufklären, was da „wirklich” geschieht. Sie wollen mittels hochpräziser Apparaturen elektromagnetische, hormonelle, zellbiologische Abläufe in Traum- und Gedankenwelten vermessen. Aber dieses „wirklich” bedeutet doch immer nur, dass mit apparativ begrenzten Methoden Daten erfasst und Modelle konstruiert werden. Diese Modelle müssten in irgendeiner Form überprüfbar sein – etwa indem man aus mit ihrer Hilfe entworfenem elektromagnetischen Geschehen einen vorhersagbaren Traum entstehen ließe, also – wie im Film „Inception“ – bewegte Bilder ins Traumgeschehen einspielte, dem der Träumer nicht entfliehen kann.

Grenzen der KI

So etwas ist Wunschvorstellung aller Despoten, Geheimdienste, vieler Produzenten mehr oder weniger schlechter Sci-Fi-Texte, Filme, Spiele. Vermutlich steckt schon viel Geld in einschlägigen Forschungen. Ihre Konsequenzen gehen – was ökonomische und politische Macht anlangt – über Kernkraft, Gentechnik, IT und Internet hinaus. Sie verschärfen alle Fragen nach menschlicher Verantwortung bis tief ins Persönlichste. Aber stirbt infolge solcher „digitaler Transparenz” des Individuums nicht jedes Vertrauen, sogar das zu sich selbst? 

Damit bin ich beim Déjà vu, beim Wiedererkennen einer sehr erfolgreichen Methode der Stasi: dem „Zersetzen“ von Oppositionellen – im Sprachgebrauch des Mielkeschen Liebesministeriums „Personen mit feindlich-negativer Einstellung“. Familien, Freundeskreise, Arbeitsumgebungen wurden von Spitzeln unterwandert. Angeleitet von speziell geschulten Führungsoffizieren inszenierten sie ein Wechselspiel von Aufmerksamkeit und Fürsorge einer-, Drohung und Entzug des Vertrauens andererseits, sie streuten Gerüchte, ermunterten Denunzianten, nutzten Abhängigkeiten, erzeugten Misstrauen, erschlichen Auskünfte und Kontakte. Im Wechsel von Drohungen und Versprechen, mittels Erpressung, Verführung, Einschwören auf Feindbilder, Gesinnungskitsch, kurz: einer breiten Palette psychosozialer Instrumente zermürbten sie Delinquenten, um sie seelisch zu brechen. 

Das alles findet sich im Alltag heutiger Kämpfe um die Deutungshoheit, also die informelle Macht wieder; dass auch KI staatliche wie terroristische Gewalt aufrüsten kann, ist wohl unstrittig. Aber es gibt eine absolute Schranke: KI hat keinen Körper. Gefühle, „innere“ Konflikte, das komplexe psychische Geschehen fortwährender, lebenslang an genetische Voraussetzungen, Lernprozesse, Krankheit und Altern gebundener Interaktionen lässt sich nicht simulieren, schon gar nicht reproduzieren. Das Konfliktgeschehen der Welt lässt sich nicht in Körperlosigkeit auflösen – das kann nur eine Katastrophe kosmischer Ausmaße. Lebende Personen und deren Verhalten werden niemals vollständig determinier- und steuerbar sein; das gelingt nur zeitlich und durch Ziele begrenzt.

Roboter, die dank KI zu Menschen werden, sollten Sie und mich also viel weniger beunruhigen als Menschen, die zu Robotern werden. Déjà vu. 

Hier noch die erwähnten Buchempfehlungen des niederländischen Autors Douwe Draaisma:

Das Buch des Vergessens. Warum unsere Träume so schnell verloren gehen und sich unsere Erinnerungen ständig verändern. Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer. Galiani, Berlin 2012

Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird. Von den Rätseln unserer Erinnerung. Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer. Eichborn, Frankfurt am Main 2004.

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1 Kommentar. Leave new

  • pol. Emik-Wurst, Hans
    11. Mai 2023 9:34

    Trump am 10. Mai: Ende der Militäroperation in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden
    https://www.dzg.one/So-scheitern-die-NATOten_Europa-als-Schlachtfeld-aufzubereiten

    Starker Schlagabtausch bezüglich des Ukraine-Krieges (CNN Townhall):

    Trump: „Wenn ich Präsident bin, werde ich den Krieg in 24 Stunden gelöst bekommen.“

    Collins: „Wie würden Sie den Krieg beenden?“

    Trump: „Ich treffe mich mit Putin und Selenskyj…beide haben Stärken und Schwächen, innerhalb von 24 Stunden würde der Krieg enden.“

    Collins: „Wollen Sie nicht, dass die Ukraine den Krieg gewinnt?“

    Trump: „Ich denke nicht ans Gewinnen oder Verlieren. Ich denke daran, eine Lösung zu finden, damit das Töten all dieser Menschen aufhört.“

    https://t.me/LIONMediaNews/17540

    4. Mai 2023 | Der Zusammenbruch des US-Imperiums steht unmittelbar bevor und mit ihm der Zusammenbruch der EU und der NATO

    Das bedeutet, dass alle elektronischen Geräte, alle Stromnetze, das Internet, Banken, Rechenzentren, Autos und Flugzeuge nicht mehr funktionieren werden. Es ist also wahrscheinlich, dass kurz vor diesem Zeitpunkt alle möglichen Ausreden auftauchen werden, warum Flugzeuge am Boden bleiben müssen. In den Medien wird bereits darüber berichtet. Es ist daher sinnvoll, die Meldungen über den Luftverkehr im Auge zu behalten. Die Berichte über die Sonnenaktivität sind natürlich der Deckmantel für die beschriebene elektromagnetische Aufladung, daher werden auch diese Berichte immer häufiger auftauchen.

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