Schule – ein Blick in den Abgrund

Vor einigen Wochen wurde ich vom Unternehmerverband Niedersachsen gebeten, in einer Jury mitzuarbeiten, vor der Schüler einer Integrierten Gesamtschule in Hannover ihre Businessideen und Businesspläne präsentierten. Ich habe gerne zugesagt, weil ich es wirklich toll finde, wenn Schüler der achten Klasse, also Vierzehn- bis Fünfzehnjährige, an Wirtschaftsthemen herangeführt werden und dazu eine einjährige Projektarbeit machen. Was ich dann erlebt habe, muss ich einfach schildern, denn es hat mich ziemlich ratlos und auch verzweifelt zurückgelassen.

Abläufe – die einfachsten Grundlagen

Es begann schon damit, dass die Organisation im Vorfeld nicht klappte. Ich sollte eine Benachrichtigung zum Ablauf erhalten, die ich mir dann allerdings am Vortag von einem anderen Juror beschaffen musste, der sie auch erst auf gesonderte Nachfrage bekommen hatte. Na gut, trotzdem fuhr ich an einem Montagmorgen erwartungsvoll nach Hannover und fand mich eine halbe Stunde vor Beginn in der Schule ein. 

Im Sekretariat wusste niemand Bescheid, also wartete ich mit einigen anderen Juroren der Dinge, die da kommen sollten. Schließlich kamen zwei verantwortliche Lehrkräfte, die uns durch einige verschlossene Türen in den Veranstaltungsraum brachten. Das verlief nicht problemlos, weil zu einer der verschlossenen Türen (der externe Schließdienst hatte sie am Wochenende zugesperrt, war aber montags nicht erreichbar) erst mit einigem Aufwand ein Schlüssel besorgt werden musste.

Warum ich das so ausführlich schildere? Organisation scheint nicht die Stärke dieser Schule zu sein, und wie wollen diese Lehrer den Jugendlichen Wirtschaft beibringen? Aber es kam noch viel schlimmer.

Prima!

Die Schülerinnen und Schüler kamen in den Raum, voller Erwartung und ziemlich aufgeregt. Das ist verständlich und gut, denn schließlich sollten sie vor gestandenen Wirtschaftsvertretern die Ergebnisse ihrer einjährigen Projektarbeit präsentieren. Sie waren alle mit Tablets gut ausgerüstet, konnten damit umgehen und sich problemlos mit der Präsentationstechnik verbinden. Wir spürten alle den Eifer, mit dem sie zu Werke gingen. Prima!

Überraschend waren die Geschäftsideen, die von den Jugendlichen vorgestellt wurden. Alle hatten ein Bedürfnis, ein Ärgernis oder Defizit ihres eigenen Erlebensumfelds aufgegriffen und sich dazu Lösungen überlegt. Das ging von einem Linsenaufsatz fürs Auge, mit dem man „um die Ecke“ gucken kann, über Gabel/Löffel-Kombinationen, die Schneeabwehrjalousie für den PKW, eine Internetplattform für die Kontaktsuche bis zu einer kleinen Kühltasche für Kosmetik. Alle hatten sich dafür pfiffige Namen, ausnahmslos englische, ausgedacht und es war unerheblich, ob jede der Ideen unbedingt sehr realistisch war. Bis hierhin waren wir noch beeindruckt von der Frische und Unbekümmertheit des Herangehens. Ausgezeichnet!

Aber dann begannen die Präsentationen und damit die Ernüchterung. 

„Das interessiert die Schüler:innen nicht!”

Zwar waren die meisten schick gestaltet, aber alle (wirklich alle) strotzten vor Rechtschreib- und Grammatikfehlern. Es war wirklich grauenvoll. Dazu das Zahlenwerk! Natürlich konnten wir keine hochprofessionellen Businesspläne erwarten, aber die Zahlen, die auf den Charts erschienen, waren in den meisten Fällen in sich so widersprüchlich, dass bereits ein einfaches Querrechnen deutlich machte, dass es so nicht stimmen konnte.

Wir als Juroren waren vorher von den verantwortlichen Lehrern eingewiesen worden, dass wir nichts Negatives ansprechen sollten, sondern nur Lob erwünscht war. Zwar kam uns dieses Ansinnen schon etwas eigenartig vor, aber wir hielten uns daran. So wurden also die offensichtlichen Mängel nicht angesprochen, was mich im Nachhinein jetzt doch etwas ärgert. 

Andererseits wäre es sicher auch falsch gewesen, die Schüler in diesem Rahmen öffentlich vorzuführen – schließlich sind wir ja nicht Dieter Bohlen. Denn das eigentlich Problem offenbarte sich in der Pause, als wir die Lehrer auf diese offensichtlichen Schwächen hinwiesen, verbunden mit der Bemerkung, dass ja alle Textverarbeitungsprogramme diese Fehler heutzutage anzeigen. Die Antwort war: „Das interessiert die Schüler:innen nicht“. (Man beachte die Genderkorrektheit, die tatsächlich so zelebriert wurde.) Als ich dann noch anmerkte, dass die Lehrer es den Schülern ja offensichtlich so durchgehen lassen, wurde die Atmosphäre leicht giftig.

Und genau hier liegt das Problem. 

Das eigentliche Problem

Es sind nicht die Schüler, die sind genauso, wie Jugend immer schon war, ist und sein wird: Kreativ, begeisterungsfähig, und gleichzeitig setzen sie ihre eigenen Schwerpunkte, folgen ihren besonderen Interessen und bohren das Brett an der dünnsten Stelle. Das Problem sind die Lehrer, die das einfach zulassen! 

Sie korrigieren nicht, sondern wählen ihrerseits den Weg des geringsten Widerstands. Anstatt die Präsentationen vor einer solchen Veranstaltung – immerhin haben sich dafür einige hochbezahlte Leute Zeit genommen – einmal „probelaufen“ zu lassen und Korrekturen anzumahnen, lassen sie es einfach laufen. 

Sie erklärten uns dann noch wortreich, dass es gut ist, wenn die Kinder Fehler machen und beteuerten, anschließend Feedbacks zu geben (wer es glaubt, wird selig), um dann sofort, quasi im gleichen Atemzug, über das mangelnde Geld für das Streichen der Wände in den Klassenräumen zu klagen.

Das Versagen und die Ausreden

Nun kann man sich natürlich hinstellen und sagen: Was regt der Mann sich so auf? Schließlich ist es wichtiger, wenn die Kids kreativ sind; Rechtschreibung und Genauigkeit im Zahlenwerk sind nicht so wichtig. Aber genau das ist es eben nicht! 

In der Wirtschaft geht es am Ende auch um Genauigkeit, um Disziplin, Qualität und Regeleinhaltung. Wer schlampig arbeitet, bekommt irgendwann die Quittung. Und diese Grundlagen muss man den jungen Leuten vermitteln. Dabei sollten die Lehrer eine wichtige Rolle spielen. Wer, wenn nicht sie?

Möglicherweise ist genau dies der Grund für die Ergebnisse der jüngsten IGLU-Bildungsstudie, wonach rund ein Viertel der Grundschüler in Deutschland nicht mehr richtig lesen kann. Das ist ein Versagen der Lehrerschaft (nicht unbedingt des einzelnen Lehrers), denn jeder Schüler kann Lesen lernen, wenn man ihn nur konsequent genug dazu anhält. Alles andere sind Ausreden. 

Und das ist der eigentliche Abgrund, in den ich blicken musste: Die Lehrerschaft (nicht unbedingt der einzelne Lehrer) sucht permanent nach Ausreden, anstatt ihren Job ordentlich zu machen. Bei der hier beschriebenen Veranstaltung wäre das leicht möglich gewesen.

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3 Kommentare. Leave new

  • Wen wundert’s? Heute sind Lehrer(innen!) dümmer als die, denen sie etwas beibringen sollen. Ich kenne keinen Lehrer, der einen halbwegs stimmigen Satz in deutscher Sprache zustande bringt. In „meiner Zeit“ als Schüler einer Oberrealschule in den 50’er Jahren hatten wir Lehrer (teilw. Professoren), die auch an der Uni Vorlesungen hielten. Einer davon wurde später Staatssekretär im hessischen Kultusministerium! Es ist eben eine Frage der Kompetenz, wenn man sich anmaßt „erziehen“ zu wollen.

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  • Ulrich Viebahn
    25. Juni 2023 0:19

    Verehrter Herr Fourier, Ihr Artikel ist ein Blattschuß. In allen bisherigen bildungsbeklagenden Artikeln der letzten Jahrzehnte ging es um unmotivierte Schüler, Sprachbarrieren durch Flüchtlingskinder, tropfende Dächer, fehlende Computer, gesenkte Kriterien / geschenkte Noten, desinteressierte Eltern – aber NIE um die LEHRER. Und ich würde hinzufügen: NIE um die SCHULLEITER und die Typen im SCHULAMT. Es ist, als ob die Lehrer etc. ein Tabu wären. Über Lehrerleistungen zu berichten, würde eine Lawine lostreten.

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  • Ein Lehrer
    26. Juni 2023 19:32

    Als Lehrer kann ich leider nur zustimmen. Doch den Blick auf diejenigen Kollegen zu richten, die es nicht richten können, wäre auch zu kurz. Nur allzu oft werden in den zuständigen Behörden Entscheidungen getroffen, die nichts mit der Realität im Schulalltag zu tun haben. Der Lehrberuf ist höchst attraktiv, trotz der vielen Probleme (siehe Kommentar 2) und negativen Beispiele. Damit endlich wieder die Lehrer werden, die es besser machen, dafür müssen dringend die Rahmenbedingungen besser werden.

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