Sezession und Selbstverteidigung

Das „europäische Wunder“ wird heute wieder in Erinnerung gerufen und die Vision einer radikal dezentralisierten Welt, die durch territoriale Sezession – die Antithese zu einem Weltstaat – zustande kommt, gewinnt an Popularität: Die Vision einer Welt, die aus Tausenden und Abertausenden Liechtensteins, Schweizer Kantonen und unabhängigen Freiherrschaften (Dominien) besteht, die alle durch Freihandel und einen internationalen Goldstandard verbunden sind und alle versuchen, im Wettbewerb mit anderen Orten produktive Menschen mit günstigen lokalen Bedingungen zu halten und anzuziehen.

Ein regelmäßig präsentierter Einwand gegen dieses sezessionistische Projekt – der Einwand, den ich im folgenden ausräumen werde – ist dieser: Sezession impliziert, dass ein größeres Territorium in zwei oder mehr kleinere Teile aufgeteilt wird. Doch wie sollen sich kleine und immer kleinere Einheiten gegen die imperialistischen Wünsche eines größeren Staatsnachbarn schützen und verteidigen? 

Sind nicht kleine Staaten, die von kleinen Banden geführt werden, in ständiger Gefahr, von größeren Staaten und größeren Banden erobert und übernommen zu werden? Und ist nicht die einzige dauerhafte Sicherheit nur als Teil eines großen Staates und letztlich eines Weltstaates zu finden? 

In ähnlicher Weise und insbesondere gegen die Anarchisten gerichtet, wird gefragt: Wie kann sich ein staatsloses Territorium gegen eine Invasion durch einen Nachbarstaat verteidigen? Ist ein Staat nicht notwendig, um sich gegen einen anderen Staat zu verteidigen? Und zeigt das nicht die Unvermeidlichkeit von Staaten und Etatismus?

Gar nicht so einfach, eine Invasion zu rechtfertigen!

Zunächst einmal: Trotz aller politischen Zentralisierung gibt es in der heutigen Welt immer noch viele kleine oder kleinere Staaten, die Seite an Seite mit großen oder größeren Staaten in friedlicher Koexistenz stehen. 

Warum hat Frankreich nicht Monaco oder Deutschland Luxemburg oder die Schweiz Liechtenstein oder die USA Kuba oder Costa Rica oder Brasilien Uruguay übernommen? Der Grund dafür ist sicherlich nicht, dass die Anführer der großen (bzw. größeren) Banden irgendwelche Skrupel in Bezug auf Eroberung, Konfiszierung, Inhaftierung oder sogar Tötung unschuldiger Opfer haben. Sie verdanken solchen Taten schließlich ihre eigene Position als Bandenführer, und sie führen sie täglich weiter. Vielmehr ist das, was das Verhalten der Bandenführung einschränkt und sie daran hindert, ihren imperialistischen Wünschen nachzugeben und in den Krieg zu ziehen, die öffentliche Meinung.

Im Gegensatz zu den guten alten Zeiten, in denen rivalisierende Bandenchefs Mann gegen Mann öffentlich mit ihren eigenen Waffen gegeneinander kämpften, bleibt in modernen Kriegen die Bandenführung außerhalb des Schlachtfelds geschützt und der eigentliche Kampf wird von anderen Leuten und mit dem Geld und dem Eigentum anderer Leute geführt. 

Es reicht also nicht aus, dass die Führung zum Krieg aufruft. Andere, viele andere, vom militärischen Oberkommando bis hin zum abdrückenden Soldaten und dem Arbeiter, der Panzer und Munition herstellt, müssen bereit sein, die Befehle auszuführen. Und damit solch ein Gehorsam möglich wird, muss eine Rechtfertigung durch die Bandenführung ausgegeben werden. Es muss eine Provokation seitens des Übernahmeziels geben, ein empörendes Fehlverhalten, das zu Hause als Rechtfertigung für eine Invasion präsentiert werden kann.

Darüber hinaus sind die Bandenführer neben der nationalen (und internationalen) öffentlichen Meinung natürlich in ihren imperialistischen Wünschen und ihrer Kriegsbereitschaft durch die Verteidigungsfähigkeiten der zu erobernden und zu unterwerfenden rivalisierenden Bande eingeschränkt. Je stärker und besser die rivalisierende Bande bewaffnet ist, desto höher sind die Kosten des Krieges (und desto besser müssen die Gründe erscheinen, trotzdem in den Krieg zu ziehen).

Vor diesem Hintergrund müssen zwei Leitprinzipien von kleinen Staaten und noch mehr von sezessionistischen Bewegungen befolgt werden, die zu einem anderen, kleineren Staat oder einem staatslosen Territorium (einer anarchischen Gesellschaftsordnung) führen: Erstens, provoziert nicht, und zweitens, seid bewaffnet! – Beide Anforderungen werde ich im Folgenden aufgreifen und ausarbeiten.

Die öffentliche Meinung für die Sezession gewinnen

Aus der Sicht der größeren Bande ist die Sezession an und für sich eine Provokation und die Sezessionisten verdienen es, niedergeschlagen zu werden. Aber sie kann die Sezessionisten nur dann zerschlagen und gegen das eigene Volk in den Krieg ziehen, wenn sie die öffentliche Meinung auf ihrer Seite hat. 

Um dies zu verhindern und stattdessen eine für ihre Sache günstige, sympathische oder zumindest neutrale öffentliche Meinung herbeizuführen, sollten die Sezessionisten ihre Unabhängigkeit auf die am wenigsten provokative Weise erklären. Zu diesem Zweck sollte die Sezession einzig und allein als Trennung von der großen (bzw. größeren) Regierungsbande und als durch eine bestimmte Beschwerde gegen diese Bande motiviert dargestellt werden – aber keineswegs auch als Trennung von den Menschen, die in dem von dieser Bande kontrollierten Gebiet leben und mit denen man normale Beziehungen unterhalten möchte.

Um ihre Sache weiter zu unterstützen und ihre Unabhängigkeitserklärung als universelles Menschenrecht zu rechtfertigen und zu unterstreichen, wird den Sezessionisten geraten, ausdrücklich auch die Sezession vom sezessionistischen Gebiet zuzulassen. Das heißt, den Menschen innerhalb des sezessionistischen Territoriums sollte es zum Beispiel auch erlaubt sein, bei der alten, größeren Bande zu bleiben und sich weiterhin ihrem rechtlichen Rahmen zu unterwerfen, wenn sie dies wünschen. 

Für die Sezessionisten bedeutet die Erklärung ihrer Unabhängigkeit, dass die Regeln und Vorschriften der herrschenden Gruppe nicht mehr automatisch auch für das sezessionistische Gebiet gelten. Viele alte, traditionelle Regeln können von den Sezessionisten beibehalten werden – wie z.B. ein großer oder sogar der größte Teil des bestehenden Privatrechts (einschließlich des Strafrechts) – aber andere Regeln oder Befehle – meist öffentlich-rechtliche Bestimmungen – können abgelehnt, geändert oder aufgehoben werden. Um das Risiko einer gewaltsamen Reaktion der herrschenden Bande zu minimieren, sollte die Trennung in jedem Fall ausgesprochen friedlich und kooperativ erfolgen.

Keine Provokationen!

Das heißt, die Sezessionisten sollten zum Beispiel nicht die Immobilien innerhalb ihres Territoriums anrühren, die von der Bande der Zentralregierung als „ihres“ beansprucht wird (Büros, Verwaltungsgebäude, usw.). Unabhängigkeit bedeutet nur, dass Agenten der Zentralregierung, die innerhalb des sezessionistischen Territoriums arbeiten, keine ausführende Funktion mehr an den Orten ausüben dürfen, an denen sie sich befinden. Dies kann zum Umzug einiger solcher Agenten führen oder aber es kann zu einem Wechsel ihres Arbeitgebers oder ihres Berufs führen – alles friedlich. 

Darüber hinaus sollten die Sezessionisten, um jede mögliche „Provokation“ zu vermeiden, ihre Verpflichtung zu einer Politik der Nichteinmischung in Bezug auf die inneren Angelegenheiten des Restgebiets und zum freien und ungehinderten interregionalen Handel erklären und klarstellen, dass sie bereit sind, für die Nutzung von Waren oder Dienstleistungen, die von der größeren Bande innerhalb und außerhalb ihres Territoriums bereitgestellt werden (Wasser, Strom, Straßen, usw.), den gleichen Preis auf der Grundlage derselben Einzelrechnung zu zahlen, den auch inländische Einwohner zahlen müssen. (Was die Kapitalausstattung betrifft, so hat der Sezessionist vermutlich bereits vor der Abspaltung seinen Teil dazu beigetragen; nach der Sezession kann dann nur noch die aktuelle Nutzung solcher Waren und Dienstleistungen abgerechnet werden.)

Um das Risiko einer gewaltsamen Niederschlagung durch die zentrale Bande zu minimieren, ist es außerdem ratsam, auf interne Richtlinien zu verzichten, die als Provokationen ausgelegt werden könnten. Ein Verbot der Sezession von den Sezessionisten zum Beispiel kann von der zerschlagenen Zentralbande leicht als solches ausgelegt werden. Allgemeiner und interessanter ist es jedoch, dass alleine schon die Institution eines Staates – eines kleinen Staates, aber dennoch eines Territoriums, das von einem Monopolisten von Recht und Ordnung regiert wird – bereits die Argumente für Beschwerden liefert, die immer gegen sie verwendet werden können, sei es von einer gut meinenden Partei wie einem Anarchisten oder von einer böswilligen, wie der herrschenden zentralen Bande. 

Selbst der liberalste Kleinstaat hat ein Gerichts- und Besteuerungsmonopol und kann daher gar nicht anders als einige Opfer zu produzieren, die, als „Opfer von Menschenrechtsverletzungen“ stilisiert, die „Rechtfertigung“ für eine Invasion liefern können. 

Und was die reale Welt betrifft, so gibt es überall unzählige „Opfer“ und „Unterdrückte“ und sie können sogar dafür bezahlt werden, laut nach Hilfe und Intervention von außen zu schreien.

Keine Rechtfertigung für einen Angriff

Viel schwieriger ist es also für eine zentrale Bande, Fehler zu finden und einen Grund für eine gewaltsame Reaktion gegen die Sezessionisten zu entdecken, wenn diese nicht einen anderen Staat, wie klein er auch sein mag, sondern ein freies Territorium, eine staatslose Privatrechtsgesellschaft einrichten. 

Auf dem sezessionistischen Territorium existieren alle Arten von sozialen Beziehungen, von Hierarchien und Rangordnungen; es gibt eine Vielzahl von privaten Haushalten, Unternehmen und Verbänden, jeder mit seinen eigenen internen Regeln; und es gibt auch Dienstleistungen und Institutionen wie Polizei, Versicherung und Schiedsgerichtsbarkeit – aber, was wichtig ist, es gibt kein territoriales Monopol der endgültigen Entscheidung, das Befehle erteilen könnte, die für alle Bewohner und Privateigentümer des Territoriums verbindlich wären. 

Jeder Fehler, jede Provokation oder Aggression, die in einer Privatrechtsgesellschaft von einer herrschenden Zentralbande entdeckt werden könnte, ist also das private Verschulden, die private Provokation oder Aggression von jemandem und kann als solche nicht dazu verwendet werden, einen Angriff auf die kollektiven Sezessionisten zu rechtfertigen. 

In der Tat, wenn (und soweit) provokative und aggressive Handlungen begangen werden, sind dies höchstwahrscheinlich die Handlungen von Kriminellen – von Hochstaplern, Dieben, Einbrechern, Vergewaltigern, Mördern oder einfachen Betrügern – und Kriminelle werden natürlich in einer Privatrechtsgesellschaft als Kriminelle behandelt und dort schnell und effektiv bestraft. Und dieses Ergebnis – die Behandlung von Kriminellen als Kriminelle und die wirksame Eindämmung oder Verringerung der Kriminalität – ist für die Bande der Zentralregierung fast unmöglich ihrer heimischen Öffentlichkeit als Provokation und guten Grund für eine Invasion des sezessionistischen Territoriums darzustellen.

Was aber, wenn die größere Bande trotz aller entgegenkommenden Bemühungen und Friedensangebote seitens der Sezessionisten immer noch angreift? In diesem Fall, besonders wenn die Sezessionisten zahlenmäßig klein sind und sie mit einer riesigen und mächtigen Bande konfrontiert werden, könnte es am besten sein, einfach aufzugeben und sich zu ergeben und auf bessere Zeiten zu hoffen. Auf diese Weise kommt es zumindest nicht zu Tod und Zerstörung. 

Das Motto „lieber tot als rot“ – oder allgemeiner: „lieber tot als erobert“ – und der Kampfgeist, den es impliziert, mögen manchmal und für manche Menschen angemessen sein. Aber zu anderen Zeiten, insbesondere wenn nicht nur das eigene Leben des Kämpfers, sondern auch das der Familie und Freunde auf dem Spiel steht, kann es einfach dumm und unverantwortlich sein, leeres Heldentum.

Abschreckung

Auch wenn es manchmal ratsam ist, ist Kapitulation keineswegs die einzige Option für Sezessionisten gegenüber einer großen Nachbarbande, die ihr verlorenes Territorium zurückerobern will. Sie können sich natürlich auch bewaffnen und so die Kriegskosten für einen Angreifer erhöhen.

Was macht also Abschreckung aus?

Zum einen liegt die Stärke sicherlich in den Zahlen. Je größer die Zahl der Sezessionisten ist, desto schwieriger ist es, sie zur Unterwerfung zu bewegen. Aber wichtiger als bloße Zahlen ist der Zusammenhalt der Sezessionisten. Es ist nicht die Vielfalt, die den Sezessionisten (oder den Bewohnern unabhängiger Kleinstaaten) Stärke verleiht, sondern die Homogenität: sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeit, eine Kultur der Gegenseitigkeit, des gegenseitigen Vertrauens und des Gemeinschaftsgeistes.

Noch mehr Abschreckung kann von den Sezessionisten aufgebaut werden, wenn sie die Einrichtung einer bewaffneten Bürgerschaft und die Einrichtung von Volksmilizen ermöglichen und fördern, die von Militärfachleuten organisiert und geleitet werden, die insbesondere in der Durchführung von Partisanen- und Guerillakrieg geschult sind und ausgebildet werden. 

Um ihre Verteidigungsfähigkeiten weiter zu stärken und für noch mehr Abschreckung zu sorgen, können sich die Sezessionisten auch mit verschiedenen externen Anbietern von logistischen und militärischen Nachrichtendiensten, Unterstützungen, Dienstleistungen und Ausrüstung (Söldnern) zusammenschließen oder Allianzen bilden. Bei diesem Bestreben muss jedoch sehr darauf geachtet werden, die Kontrolle über das eigene Schicksal nicht an eine andere, fremde Entität oder Institution zu verlieren. 

Das heißt, die Sezessionisten sollten sich strikt von dem fernhalten, was Thomas Jefferson vor langer Zeit als „verflochtene Bündnisse” bezeichnet hat, d.h. jede dauerhafte Allianz, die sie in ausländische Streitigkeiten, Konflikte oder Kriege verwickeln könnte, die nicht ihre eigenen Streitigkeiten, Konflikte oder Kriege sind oder als solche angesehen werden. (Die NATO ist so ein verflochtenes Bündnis: Ein Angriff auf ein Mitglied ist angeblich ein Angriff auf alle Mitglieder und erfordert, dass alle Mitglieder gegen den Angreifer in den Krieg ziehen müssen, auch wenn der Angreifer durch den Angegriffenen provoziert wurde.)

Ungehorsam

Darüber hinaus können sich, was heute fast völlig ignoriert und vergessen wird, in einer Atmosphäre erhöhter Militanz und Kriegslust, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine erzeugt wird, die „Kleinen” auch mit zivilem Ungehorsam gegen die „Großen” wehren. Unter der Voraussetzung, dass die Sezessionisten – und allgemeiner: die „Kleinen“ – den Willen haben, frei von den Eroberern zu sein, kann die Wirksamkeit des zivilen Ungehorsams als Verteidigungsstrategie kaum überschätzt werden. 

Der Ungehorsam kann viele Formen annehmen und in unzähligen Abstufungen daherkommen. Es kann von auffälligen Handlungen des Trotzes bis hin zu einem völlig unaufdringlichen Verhalten reichen, so dass fast jeder an den Verteidigungsbemühungen teilnehmen kann: die Mutigen und die Schüchternen, die Jungen und die Alten, die Führer und die Anhänger. 

Man kann sich öffentlich weigern, bestimmte Gesetze zu befolgen, oder sie umgehen und ignorieren. Man kann Sabotage, Behinderung sowie Fahrlässigkeit betreiben oder einfach einen Mangel an Sorgfalt an den Tag legen. Man kann Aufträge offen verhöhnen oder nur unvollständig befolgen. Steuerzahlungen können verweigert oder hinterzogen werden. Es kann zu Demonstrationen, Sitzstreiks, Boykotten, Arbeitsniederlegungen oder einfachem Beinebaumeln kommen. Die Eroberer können misshandelt, belästigt, getadelt, verspottet, ausgelacht oder einfach geächtet werden, indem man ihnen nie bei etwas hilft. 

Auf jeden Fall: All dies trägt zum gleichen Ergebnis bei: die Eroberer machtlos zu machen. Die Eroberer werden gehen oder sie werden von den Eroberten absorbiert und assimiliert.

Auf die Spitze zielen

Zu guter Letzt können sich die Sezessionisten – die Kleinen – gegen einen größeren Eindringling verteidigen und die Abschreckung für ihn erhöhen, indem sie auch zu Vergeltungsmaßnahmen und Gegenangriffen bereit sind. Eine solche Vergeltung sollte sich niemals gegen das „Volk” richten, d.h. die Bürger, die in dem von der eindringenden Bande kontrollierten Gebiet leben, während die Bandenführung selbst jedoch als tabu gilt, wie es die derzeitige Praxis und Rechtsauffassung ist. Vielmehr das genaue Gegenteil: Um abschreckend wirken zu können, sollte sich jede Vergeltung explizit und ausschließlich gegen die Bandenführung richten. Die Führung, vom König, Präsidenten und Premierminister hoch oben und sukzessive abwärts, sollte, wo auch immer sie sich befindet, befürchten, dass sie persönlich als Aggressor ins Visier genommen und durch Lang- oder Kurzstrecken-Präzisionswaffen, Attentatskommandos oder geheimnisvollen Vergiftungen zu Fall gebracht werden könnten. 

Gleichzeitig sollten alle Kollateralschäden am Eigentum unschuldiger Zivilisten vermieden oder zumindest minimiert werden, um Sympathie für die Sezessionisten (die Kleinen) zu wecken und Zweifel und Skepsis gegenüber der Kriegspolitik der eigenen großen Heimatbande zu säen, die die Legitimität der Bandenführung in der Öffentlichkeit potenziell gefährden und damit eine um jeden Preis abzuwendende Situation herbeiführen.

Entgegen der landläufigen Meinung ist die einheitliche, von oben nach unten gerichtete Kommandostruktur eines Staates also nicht unbedingt eine Stärke im Krieg, sondern lässt jedem Gegner eine Achillesferse offen. Sobald die Spitze gestürzt ist, ist der Krieg im Wesentlichen vorbei. 

Wenn Sie also angegriffen werden (und nicht bereit sind, sich zu ergeben), zielen Sie auf die Spitze der angreifenden Bande. Doch das gilt nicht nur für den (kleinen) Angegriffenen, sondern ebenso für den (großen) Angreifer. Auch er wird auf die Spitze der Sezessionisten (der Kleinen) zielen, um seine Eroberung oder Rückeroberung zu erreichen. Die Institution eines Staates ist somit auch die Achillesferse bei der Verteidigung der Sezessionisten – der Kleinen – gegen eine Übernahme durch die große zentrale Bande – und es ist wieder einmal die anarchische, nichtstaatliche Privatrechtsgesellschaft, die sich als der beste Schutz und die beste Verteidigung gegen solche Eventualitäten herausstellt.

Die Angreifbarkeit kleiner Staaten …

Wenn die Sezessionisten einen anderen, kleineren Staat auf einem kleineren Territorium (und nicht eine Privatrechtsgesellschaft) einrichten, wird die Entscheidung, wie man sich gegen eine Invasion durch eine größere benachbarte Bande verteidigen kann, an die Führung des sezessionistischen Staates fallen. Als Monopolist der letztendlichen Entscheidungsfindung entscheidet die Führung der neuen, kleinen (bzw. kleineren) Bande verbindlich für alle auf dem sezessionistischen Territorium, ob sie Widerstand leisten soll oder nicht; falls sie Widerstand leisten soll, ob in Form von zivilem Ungehorsam, bewaffnetem Widerstand oder einer Kombination davon, und falls es sich um bewaffneten Widerstand handelt, in welcher Form. 

Wenn sie beschließt, keinen Widerstand zu leisten, kann dies eine wohlmeinende Entscheidung oder das Ergebnis von Bestechungsgeldern oder Drohungen des einmarschierenden Staates sein – aber auf jeden Fall wird es dem Willen vieler widersprechen, die sich gerne widersetzt hätten und die daher in doppelte Gefahr geraten, weil sie als Widerstandskämpfer jetzt sowohl gegenüber ihrem eigenen Staat als auch dem Eindringling ungehorsam sind. 

Wenn andererseits der Staat beschließt, Widerstand zu leisten, kann dies wiederum eine wohlmeinende Entscheidung sein, oder es kann das Ergebnis von Stolz oder Angst sein – aber auf jeden Fall wird es auch den Vorlieben vieler widersprechen, die nicht widerstehen oder mit anderen Mitteln widerstehen wollten, und die jetzt als Komplizen in die Pläne des Staates verwickelt sind und den gleichen Kollateralschäden und der Gerechtigkeit des Siegers ausgesetzt sind wie alle anderen.

Durch verschiedene interne Spaltungen und gegnerische Kräfte und Fraktionen geschwächt, könnte die zentrale Bande dann in der Lage sein, die Sezessionisten zu zerschlagen und ihr verlorenes Territorium mit nur einem chirurgischen Schlag oder einem entscheidenden Sieg über die sezessionistische Regierungsbande zurückzuerobern. Sobald diese Bande besiegt ist, ist die gesamte sezessionistische Bewegung (zumindest vorerst) beendet.

… und die Unangreifbarkeit von Privatrechtsgesellschaften

Anders verhält es sich jedoch, wenn die Sezessionisten stattdessen auf den abgespaltenen Territorien eine Privatrechtsgesellschaft gründen. Es gibt keine Regierung, keine zentrale Bande, die eine allverbindliche Entscheidung in Sachen Krieg und Frieden trifft. Stattdessen gibt es zahlreiche miteinander verbundene Personen und Institutionen, die ihre eigene Verteidigungsstrategie wählen, jeweils in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Risikobewertung. 

Folglich hat die angreifende Bande weitaus mehr Schwierigkeiten, das Territorium zu erobern. Es reicht dem Angreifer nicht mehr aus, die sezessionistische (kleine) Regierung zu „kennen“ und einen entscheidenden Sieg über sie zu erringen, um den Krieg zu beenden. Denn in einer Privatrechtsgesellschaft gibt es keinen zentralen Entscheider – und damit aus Sicht des Angreifers keinen klar identifizierbaren Feind, sondern eine Vielzahl meist „unbekannter“ privater Parteien, manche groß, manche klein, manche feindselig, manche freundlich oder neutral, manche bewaffnet und versichert und manche nicht. 

In dieser Situation gibt es einfach kein Argument, seinen einmarschierenden Soldaten oder der Öffentlichkeit zu Hause zu „verkaufen” (das heißt, das ganze Unterfangen zu finanzieren), warum ein kollektiver Krieg gegen die Sezessionisten geführt werden muss, wenn es sich schließlich nur um einen Haufen unabhängiger privater Parteien, Verbände und Institutionen handelt. Dann kann, wie bereits erwähnt, möglicherweise ein Fall für die Bestrafung einer bestimmten Partei vorgebracht werden, aber nichts, was einen casus belli darstellt, könnte jemals aus einer solchen Konstellation entstehen. 

In der Tat könnte die verlassene, zentral regierende Bande angesichts eines benachbarten freien Territoriums glücklich sein, die Kontrolle über das Territorium zu behalten, das sie noch hat, und nicht zu viele produktive Menschen durch Auswanderung an die Sezessionisten zu verlieren, anstatt sich auf die gewaltsame Rückeroberung eines verlorenen Territoriums einzulassen und dadurch das Risiko einzugehen, all ihre Legitimität in den Augen der Öffentlichkeit zu verlieren, sowohl im Inland als auch im Ausland.

Eine Rückkehr zur Normalität

Wie auch empirisch durch das lang anhaltende friedliche Zusammenleben kleiner und großer Staaten und durch mehrere Beispiele friedlicher Sezession (Zerfall der UdSSR, Tschechien, Slowakei, Malaysia, Singapur, Brexit) bestätigt – gibt es trotz aller zentralen Einwände der Banden kein prinzipielles Argument gegen einen Prozess der sukzessive fortschreitenden Sezession. Im Gegenteil, je weiter dieser Prozess voranschreitet und je größer die Anzahl der unabhängigen Territorien ist, desto besser für das allgemeine wirtschaftliche Wohlergehen. 

Es gibt auch kein Hauptargument gegen die vollständige Auflösung des Staates und die Errichtung und erfolgreiche Verteidigung einer Privatrechtsgesellschaft als logischen Endpunkt des Prozesses der Sezession und der politischen Dezentralisierung. Schließlich ging jeder staatlichen und jeder politischen Zentralisierung logisch und zeitlich eine Privatrechtsgesellschaft voraus, die durch hierarchisch geordnete Familien und durch jede kleine, familienorientierte Gemeinschaft von Angesicht zu Angesicht veranschaulicht wurde; und trotz aller Verzerrungen und Perversionen des Privatrechts, die zwischenzeitlich durch die staatliche Gesetzgebung und das sogenannte öffentliche Recht hervorgerufen wurden, sind die gemein-, privat- (und strafrechtlichen) Vorstellungen von Recht und Unrecht nicht vollständig ausgelöscht und vergessen worden. 

Die Errichtung einer Privatrechtsgesellschaft über den langwierigen Umweg einer Geschichte des Etatismus ist daher wie eine Rückkehr zur Normalität, zu etwas Altem und Vertrautem aus einer langen Zeit der Verirrungen – wenn auch natürlich eine Rückkehr auf eine andere Ebene der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung als diejenige, die vorherrschte, als der Prozess der Staatsbildung und politischen Zentralisierung weit zurück in der Geschichte begann.

Dieser Beitrag basiert auf einem Teil des Manuskripts der Rede, die Hans-Hermann Hoppe am 24. September 2023 in Bodrum anlässlich der jährlichen Konferenz der Property and Freedom Society gehalten hat.

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