Alte und neue Vorbilder
Während Venedig seine Unabhängigkeit verloren hat, konnte ein anderes, von Genueser Adligen gegründetes Gemeinwesen am Mittelmeer bis heute überdauern. Die Rede ist vom Fürstentum Monaco, das aufgrund seiner Größe, seines speziellen Verhältnisses zu Frankreich und seiner Lösungen der Themen Sicherheit, Einwanderung und Finanzierung der Staatsausgaben für Freie Privatstädte in vielerlei Hinsicht beispielhaft sein kann. Teilweise wird behauptet, Monaco sei bereits eine Art Privatstaat, der wie eine Aktiengesellschaft seine Zahlen veröffentliche und seine Einwohner als Kunden betrachte.
Die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen den Ghibellinen und Guelfen in Norditalien führten 1296 zur Vertreibung der papsttreuen Guelfen und damit auch der Familie Grimaldi aus Genua. Am 8. Januar 1297 gelang es den Grimaldi durch eine List, in die bis dahin in ghibellinischer Hand befindliche Festung Monaco einzudringen und diese mit ihren Truppen im Handstreich zu erobern. Seither übt die Familie Grimaldi, mit nur kurzen Unterbrechungen durch Fremdbesetzungen, die Herrschaft über Monaco aus.
Im Jahr 1489 wurde die Unabhängigkeit Monacos durch den König von Frankreich und den Herzog von Savoyen formell anerkannt. In der Folge wurde die Unabhängigkeit immer mal wieder infrage gestellt, häufig durch Frankreich, welches Monaco mittlerweile von drei Seiten umschließt. Heute ist Monacos Souveränität einschließlich seiner Küstengewässer allgemein anerkannt.
Das Fürstentum ist seit 1911 eine konstitutionelle Monarchie. Es herrscht Meinungsfreiheit. Der Fürst ernennt die Regierung. Seit der Verfassungsänderung 1962 gibt es ein Parlament, das in freien und geheimen Wahlen auf fünf Jahre gewählt wird. Der Fürst hat aber ein Vetorecht bei Gesetzesvorschlägen des Parlaments. 1993 erfolgte der Beitritt zu den Vereinten Nationen.
Monaco ist ein Zwergstaat mit nur 2 km² Fläche. Darauf leben 38.000 Menschen, es handelt sich somit um das am dichtesten besiedelte Land der Welt. Im Fürstentum arbeiten etwa 50.000 Menschen, die meisten sind Tagespendler aus Frankreich oder dem nahen Italien. Sie können es sich meist nicht leisten, in Monaco eine Wohnung zu nehmen.
Trotz formeller Anerkennung als souveräner Staat nimmt das Verhältnis zu Frankreich eine Sonderstellung ein, welche die Unabhängigkeit Monacos in gewisser Weise einschränkt. Monaco hat im Laufe der Jahrhunderte mehrere Verträge mit Frankreich geschlossen und darin das gegenseitige Verhältnis definiert.
So wurde auch die letzte große Krise zwischen den beiden Staaten vertraglich gelöst. Anfang der 1960er Jahre hatten vermehrt französische Unternehmen und Privatpersonen ihren Sitz ins steuerfreie Monaco verlegt, obwohl sie die Masse ihrer Einkünfte in Frankreich erzielten. Frankreich forderte daraufhin von Monaco, sämtliche seiner Einwohner und Unternehmen der französischen Besteuerung zu unterstellen. Der 1963 letztlich erzielte Kompromiss sieht vor, dass Personen mit französischer Staatsbürgerschaft, die nicht schon vor 1962 in Monaco lebten, nach Frankreich versteuern. Außerdem übernimmt Monaco den jeweiligen französischen Mehrwertsteuersatz und führt einen Teil der Mehrwertsteuer nach Frankreich ab. Das Fürstentum verpflichtete sich weiter, seine Souveränitätsrechte so auszuüben, dass die wirtschaftlichen und politischen Interessen Frankreichs gewahrt bleiben. Dazu zählt auch, keine in Frankreich unerwünschten Personen einreisen zu lassen. Frankreich übernimmt im Gegenzug die Verantwortung für die äußere Sicherheit Monacos.
Monaco mit seiner Vielfalt an kulturellem, kulinarischem und sportlichem Angebot, verbunden mit seiner Zivilisiertheit, seiner Geschichte, seinem Glanz und seinem Ruf als Heimstatt der Reichen und Schönen kann durchaus als Kulminationspunkt europäischer Hochkultur angesehen werden. An Kritikern ist kein Mangel, aber die Touristen und Tagesbesucher strömen in Scharen, wie auch die Nachfrage nach Wohnraum das Angebot um ein Vielfaches übersteigt, weshalb die Immobilienpreise die höchsten der Welt sind. Etwa 30 Prozent aller Einwohner sollen über ein liquides Vermögen von mehr als einer Million US-Dollar verfügen. Monaco gilt als der Staat mit der niedrigsten Armutsquote und der höchsten Lebenserwartung weltweit.
Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war Monaco arm, die Einwohnerschaft war zu einem Zeitpunkt gar auf 300 Menschen zurückgegangen. Erst mit Eröffnung eines erfolgreichen Kasinos sowie des Bahnanschlusses 1868 gelang die Wende. Als die jährlichen Einnahmen aus dem Kasinobetrieb 95 Prozent des Staatshaushaltes finanzierten, entschied der damalige Fürst, seinen Untertanen fortan die Steuern zu erlassen. Dabei ist es im Grundsatz bis heute geblieben. Monaco erhebt weder Einkommens- noch Erbschaftssteuer noch Steuern auf Kapitalgewinne. Unternehmen, welche die Masse ihrer Einkünfte außerhalb Monacos erwirtschaften, zahlen allerdings Unternehmenssteuern. Hinzu kommt die erwähnte Mehrwertsteuer, welche heute etwa die Hälfte des Staatshaushaltes finanziert. Einnahmen aus staatlichen Kasinos und Hotels spielen nur noch eine untergeordnete Rolle (etwa 5 Prozent), der Rest wird durch Unternehmenssteuern, Immobiliensteuern und sonstige Abgaben finanziert. Der Haushalt weist einen leichten Überschuss aus und Monaco ist nicht nur schuldenfrei, sondern hat darüber hinaus liquide Rücklagen in Höhe von mehr als zwei Jahresbudgets.
Das Fürstentum hat seit 1865 eine Zollunion mit Frankreich, über die es auch am EU-Markt teilnimmt, ist aber selbst kein Mitglied der Europäischen Union. Monaco benutzt den Euro als Währung und hat auch von der EU das Recht erhalten, eine gewisse Anzahl an Münzen selbst zu prägen.
Etwa 80 Prozent der Bevölkerung sind Ausländer ohne monegassische Staatsbürgerschaft. Es leben Menschen aus 139 Nationen friedlich zusammen. Monaco hat die weltweit niedrigste Kriminalitäts- und Armutsrate, ohne Grenzkontrollen und trotz Zehntausender Pendler und ebenso vieler Besucher täglich. Wie ist das möglich?
Das Fürstentum hat weltweit die höchste Polizeidichte pro Kopf und überwacht sein gesamtes Territorium mit Kameras; auf etwa 70 Einwohner kommen ein Polizist und eine Videokamera. Insgesamt hat die Polizei eine Stärke von 520 Personen; hinzu kommen noch einmal dieselbe Zahl an privatem Sicherheitspersonal sowie zwei paramilitärische Einheiten (Palastwache und Feuerwehr).
Aufgrund des fließenden Übergangs der Bebauung zu den französischen Nachbargemeinden sowie des hohen Verkehrsaufkommens wäre die Durchführung von Grenzkontrollen im eigentlichen Sinne ohnehin schwierig. Monaco überwacht stattdessen hereinkommende Fahrzeuge mit Nummernschildlesern und per Sichtkontrolle durch Polizisten, die an den Eingangsstraßen postiert sind. Verdächtige Personen werden durch die Kameraüberwachung erfasst und dann von Streifenpolizisten kontrolliert.
Im Übrigen schaut sich Monaco genau an, wen es sich als Bewohner ins Land holt. Wer sich in Monaco niederlassen möchte, muss auch in Frankreich aufenthaltsberechtigt sein, eine Wohnung in Monaco nachweisen (Miete oder Eigentum), über ausreichendes Einkommen oder Vermögen zur Sicherung des Lebensunterhalts verfügen, sowie für alle erwachsenen Familienangehörigen einen Lebenslauf und ein polizeiliches Führungszeugnis seines Herkunftsstaates vorlegen. Auf dieser Grundlage wird dann eine Internetrecherche gemacht und ein persönliches Gespräch mit einem Polizeioffizier geführt. Bestehen keine Bedenken, vergibt Monaco eine Aufenthaltsgenehmigung für zunächst ein Jahr, welche noch zweimal um jeweils ein Jahr verlängert werden kann, bevor dann eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis erteilt wird usw.
Dies gibt Monaco die Möglichkeit, bei zweifelhaften oder unangenehm aufgefallenen Neubürgern die Aufenthaltserlaubnis schlicht nicht zu verlängern, anstelle langwierige rechtliche Auseinandersetzungen über den Widerruf einer Aufenthaltsberechtigung zu führen. Bei Kriminalität kennt Monaco keine Toleranz. Verurteilte Nichtmonegassen müssen, gegebenenfalls nach Verbüßung einer Haftstrafe, das Fürstentum wieder verlassen, selbst bei kleineren Vergehen wie Ladendiebstahl. Es ist die Kombination all dieser Maßnahmen, also die Kameraüberwachung, die strengen Einwanderungsregeln, die Abschiebung von Kriminellen und die starke Polizeipräsenz, die dazu führt, dass Eltern in Monaco ihre Kinder selbst um Mitternacht ohne Bedenken auf die Straße schicken können.
Hongkong (seit 1843)
Die Entwicklung von Hongkong ist ein Beispiel dafür, wie ein Stadtstaat sich aus einfachen Anfängen mit einem freiheitlichen System zu beachtlichem Wohlstand und auch zu enormer Größe hocharbeiten kann. Die Bevölkerung hat sich vervielfacht (von 7.500 im Jahre 1843 über 1,7 Millionen im Jahr 1945 auf über 7,3 Millionen 2015), was vor allem auf die Einwanderung aus der Volksrepublik China zurückzuführen ist. Für viele Festland-Chinesen war die britische Kolonie Zufluchtsort vor dem chinesischen Bürgerkrieg und später der kommunistischen Volksrepublik China. Lebensqualität und Lebenserwartung, Pro-Kopf-Einkommen und Wirtschaftsfreundlichkeit in Hongkong gehören heute zur Weltspitze.
Hongkong stand von 1843 bis 1997 unter britischer Verwaltung, konnte aber insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg eine weitgehende Autonomie erlangen. Dies ermöglichte seiner Führung während einer Zeit, in der im Mutterland und anderswo Planwirtschaft, Protektionismus und Keynesianismus hoch im Kurs standen, das genaue Gegenteil zu tun. Hongkong ließ freie Märkte zu, hielt die Steuern niedrig und machte keine Schulden, sondern baute stattdessen eine Reserve in Höhe eines Jahresbudgets auf. Das ermöglichte hohe Wachstumsraten über Jahrzehnte.
Im Grunde war es nur eine kleine Gruppe von englischen Kolonialbeamten, welche diese Richtung festlegte. Beraten wurden sie von offiziellen und inoffiziellen Mitgliedern des Legislative Council, die Letzteren meist chinesische Geschäftsleute. Im Jahre 1959 stellte der damalige Gouverneur Robert Black vor diesem Gremium fest, dass Hongkong wohl das einzige verbliebene Land auf der Welt mit echtem Freihandel sei. Er fügte hinzu, dass er darauf stolz sei und sicher, dass es allen Anwesenden auch so ginge. Ziel war, durch Vollbeschäftigung den Lebensstandard aller zu erhöhen und so auch die vielen Migranten aus China zu integrieren.
Der Finanzchef Hongkongs, John Cowperthwaite, leitete daraus die Doktrin des Positiven Non-Interventionismus ab, wonach die Regierung sich nur in engen Ausnahmefällen in die Wirtschaft einmischt, und stattdessen den rechtlichen und infrastrukturellen Rahmen schafft, damit eine marktbasierte Entwicklung erleichtert wird. Hongkong hat also im Gegensatz zum britischen Mutterland freie Märkte ohne Umverteilung zugelassen und damit enorme Erfolge erzielt. Der direkte Vergleich zwischen den beiden Systemen geht eindeutig zugunsten Hongkongs aus, es hat seine Kolonialmacht in allen maßgeblichen Kennzahlen überholt. Cowperthwaite hatte erkannt:
Auf lange Sicht ist die Summe der Entscheidungen der Geschäftsleute in einer freien Wirtschaft, die diese jeweils aufgrund ihrer persönlichen Einschätzungen treffen, auch wenn diese oft falsch sind, weniger schädlich als jede zentralisierte Entscheidung einer Regierung; und in jedem Fall wird bei einer unternehmerischen Fehlentscheidung schneller gegengesteuert.
Jeder Dollar, den die Regierung dem Steuerzahler wegnimmt, hätte andernfalls von diesem dazu verwendet werden können, ein Bedürfnis zu decken, sein Wohlbefinden zu erhöhen oder eine profitable Investition zu tätigen. Es ist Cowperthwaites Beharrlichkeit und intellektueller Unabhängigkeit zu verdanken, dass dieser Weg gegen alle Begehrlichkeiten auch in Zeiten des Abschwungs durchgehalten wurde. An Bestrebungen zu Steuererhöhungen, Importbeschränkungen, Preiskontrollen und mehr staatlicher Aktivität war auch in Hongkong kein Mangel.
Zum Thema politische Mitbestimmung führte Gouverneur Grantham bei seiner Abschiedsrede aus, dass Kritiker häufig übersehen würden, dass auch Demokratie kein Selbstzweck sei, sondern nur Mittel zum Zweck, nämlich um individuelle Freiheit zu garantieren. Hongkong sei zwar nicht demokratisch verfasst, aber die Freiheit gewährleistet und es gebe wenige Plätze auf der Welt, wo die Leitidee „Leben und leben lassen“ so gut verwirklicht sei.
Grantham hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Während er seinerzeit argumentierte, dass es (ausnahmsweise) auch ohne Demokratie Freiheit geben könne, ist heute die Frage zu stellen, ob insbesondere die wirtschaftliche Freiheit in demokratischen Systemen überhaupt überleben kann. Angesichts der Tendenz der Mehrheit, vom Staat Eingriffe aller Art zu verlangen, erscheint die dauerhafte Gewährleistung eines Laissez-Faire-Systems nach dem Modell Hongkongs in Demokratien nicht möglich. Wenn schon ein entschlossenes Regierungsmitglied wie Cowperthwaite in einem nichtdemokratischen System nur unter größten Anstrengungen alle möglichen Interventionsbegehren abwenden kann, dann ist dies in einer Demokratie wohl aussichtslos. Ein Cowperthwaite würde einfach abgewählt werden; eine Position der Nichteinmischung, also des Nichtstuns, steht im politischen Kampf um Wählerstimmen auf verlorenem Posten.
Sein Ansatz wäre zwar nachweislich zum Nutzen der Wähler. Eine Gesellschaftsordnung, die jährlich mit 5 Prozent wächst, aber nur eine Staatsquote von 20 Prozent hat, gibt zunächst weniger für jeden Einzelnen aus als ein System, das eine doppelt so hohe Staatsquote, aber nur eine Wachstumsrate von 2 Prozent pro Jahr hat. Nach 24 Jahren würden aber beide Gesellschaften in absoluten Zahlen bereits gleich viel pro Bürger ausgeben und nach 48 Jahren kann das schlankere, aber wachstumsstärkere System trotz viel niedrigerer Staatsquote jedem Einzelnen gar das Doppelte zukommen lassen. So ungefähr geschah es in Hongkong, aber so geduldig sind Mehrheiten nicht.
Deng Xiaoping, welcher die marktwirtschaftliche Öffnung der Volksrepublik China einleitete und der vielleicht einer der größten chinesischen Reformer überhaupt ist, soll sich Hongkong zum Beispiel genommen haben. Er erkannte, dass das Wirtschaftssystem von Hongkong offensichtlich funktionierte, das der Volksrepublik aber nicht. Das betraf insbesondere das Bestehen freier Märkte und das Recht, Privateigentum zu erwerben, auch an Produktionsmitteln.
Nach dem Vorbild Hongkongs wurden daher seit Beginn der 1980er Jahre Sonderwirtschaftszonen im ganzen Land eingerichtet, etwa in Shenzhen. Diese haben sich so nachhaltig bewährt, dass sie immer weiter ausgedehnt wurden und China seither einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung genommen hat. Schließlich wurde das System freier Märkte auf das ganze Land ausgedehnt. Heute muss niemand mehr hungern in China. Vorher schon. Man kann also die Auffassung vertreten, dass Hongkong aufgrund seiner Vorbildfunktion China weit mehr verändert hat, als es durch die politische Übernahme selbst verändert wurde.
Diese erfolgte im Jahr 1997. Seitdem ist Hongkong ein chinesisches Sonderverwaltungsgebiet (Special Administrative Region), die von einem sogenannten Chief Executive geleitet wird, unter Beibehaltung einer Marktwirtschaft, eigener auf dem englischen Recht beruhender Gesetze, eigener Behörden, eigener Währung und innerer Autonomie. Nach dem 1984 zwischen China und dem Vereinigten Königreich vereinbarten Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ behält Hongkong für mindestens 50 Jahre nach der Übernahme seinen eigenständigen politischen und wirtschaftlichen Status. Ausgenommen sind Außenpolitik und Verteidigungsangelegenheiten. Insofern ist Hongkong durchaus Modell für das Verhältnis einer Freien Privatstadt zum Gastgeberstaat.
Gleichwohl wurde der Non-Interventionismus bereits zu britischen Zeiten seit dem Weggang Cowperthwaites und mit zunehmender Parlamentsbeteiligung immer weiter ausgehöhlt. Heute hat Hongkong Mindestlöhne, Antidiskriminierungsgesetze, verpflichtende Alterssicherung und eine Besteuerung, die denen westlicher Staaten entspricht. Geschäftsleute berichten, dass inzwischen Teile der Beamtenschaft, die ausgetauscht bzw. durch Festland-Chinesen ergänzt wurde, anfällig seien für Korruption, was vormals undenkbar gewesen sei.
Leider mischt sich die Regierung in Beijing zum Bedauern vieler Hongkong-Chinesen in den letzten Jahren mehr oder weniger offen in die Innenpolitik ein. Der Vertrag von 1984 zwischen dem Vereinigten Königreich und China wurde gar als bloßes „historisches Dokument” bezeichnet, das nicht mehr bindend sei. Entsprechend werden die Möglichkeiten der politischen Opposition, die Teilnahme an Wahlen und die gesetzlich garantierte Meinungs- und Pressefreiheit immer weiter eingeschränkt. Noch ist Hongkong einer der freiesten Orte der Welt, was die Wirtschaftstätigkeit angeht, aber viele haben die Stadt verlassen oder sind dabei, sie zu verlassen. Aus diesem Grund hat sich der langfristige Trend umgekehrt, und die Bevölkerung Hongkongs schrumpft jetzt. Einige Auswanderer haben sich organisiert und suchen eine neue Heimat. Dies könnte eine Chance für Freie Privatstädte sein, qualifizierte Einwohner in ausreichender Zahl zu finden. In nicht allzu ferner Zukunft könnte ein neues Hongkong das alte ablösen.
Dubai (seit 1971)
Dubai ist eine weitere bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1971 war Dubai ein kleiner Ort von lediglich regionaler Bedeutung. Heute, 50 Jahre später, verfügt die Stadt über den bedeutendsten Flughafen und Seehafen des Mittleren Ostens, das weltweit höchste Gebäude, das weltgrößte Einkaufszentrum und den weltgrößten Blumengarten. An Dubais Küste wurden künstliche Inseln in Form einer Palme angelegt; die Stadt wird jährlich von etwa 15 Millionen ausländischen Touristen besucht, was Dubai zu einer der meistbesuchten Metropolen der Welt macht. Im Großraum wohnen 2,7 Millionen Menschen, davon sind über 80 Prozent Ausländer. Hauptwirtschaftszweige sind Immobilien, Handel, Hafen und Finanzdienstleistungen. Die Öl- und Gasförderung hat insgesamt nur noch geringe wirtschaftliche Bedeutung. Dubai finanziert seinen Staatshaushalt im Wesentlichen über zahlreiche indirekte Steuern (Abgaben auf Hotelübernachtungen, Alkoholkonsum, Mieteinnahmen, Elektrizität, Wasser) sowie die Besteuerung von Gewinnen der Ölindustrie und der Banken.
Die Stadt Dubai ist Hauptstadt des gleichnamigen Emirats, das zu den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört. Als solches ist es eine absolute Monarchie, es gibt in Dubai weder Verfassung noch Wahlen oder Mitbestimmung. Das Emirat Dubai unterhält eigene Streitkräfte zusätzlich zu denjenigen, die in die Vereinigten Arabischen Emirate integriert sind. Einheimische genießen zahlreiche Privilegien und soziale Wohltaten.
Trotzdem ist Dubai für Zuwanderer hochattraktiv und erfolgreich, zudem Sitz vieler international tätiger Unternehmen. Dies ist möglich, weil Dubai Rahmenbedingungen geschaffen hat, die insbesondere für Unternehmen, aber auch für deren Arbeitnehmer attraktiv sind. So gibt es garantierte Steuerfreiheit für 50 Jahre, Investitionsschutzgarantien sowie maßgeschneiderte Sonderwirtschaftszonen für verschiedene Industrien. Zum Teil gilt dort sogar ein eigenes, auf englischem Common Law aufbauendes Rechtssystem mit eigenen Gerichten, nämlich im Dubai International Financial Centre. Dubai bietet Freiheit von direkten Steuern, geringe Regelungsdichte, und gleichzeitig eine gewisse Liberalität. Ein freiheitlicher Lebensstil ist an bestimmten Orten trotz entgegenstehender Rechtslage faktisch möglich, ebenso die Ausübung einer anderen Religion als der des Islam.
Die Einwanderung ist streng reglementiert, auch die Aufnahme von Flüchtlingen wird grundsätzlich abgelehnt. Wer seine Arbeitsstelle verliert, muss das Land wieder verlassen. Weniger attraktiv ist auch, dass selbst Ausländer, die ihr ganzes Leben in Dubai gewohnt und gearbeitet haben, ihren Ruhestand nach Ablauf ihres Arbeitsvisums woanders verbringen müssen. Die Kriminalitätsrate ist niedrig, Dubai gilt als sicher. Imame werden vom Staat kontrolliert und jeder, der religiösen Hass oder Extremismus predigt, wird üblicherweise eingesperrt und dann des Landes verwiesen.
Das auch für Ausländer geltende einheimische Scharia-Rechtssystem kennt hingegen noch Bestrafungen wie Steinigung und Auspeitschung. Auf Homosexualität steht die Todesstrafe. Vergewaltigte Frauen werden nach Anzeigeerstattung wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs verhaftet, es sei denn, sie können vier männliche Zeugen vorbringen, die ihre Geschichte bestätigen. Kriminelles Verhalten ist bereits gegeben, wenn man sich in der Öffentlichkeit küsst, eine Rechnung nicht rechtzeitig bezahlt, jemanden in einer vollen Bar anfasst, um ihn zur Seite zu schieben, wenn man Alkohol trinkt, sogar in lizensierten Bars. Verlobte machen sich strafbar, wenn sie ein Zimmer teilen, auch in den eigenen vier Wänden. Die meiste Zeit werden solche Delikte nicht verfolgt, aber manchmal eben doch; insofern muss das Rechtssystem als willkürlich bezeichnet werden. Eine grundlegende Abhilfe ist derzeit nicht in Sicht.
Singapur (seit 1965)
Singapur hat sich seit der Unabhängigkeit 1965 innerhalb von 50 Jahren zu einer der reichsten Städte der Welt entwickelt. Der Stadtstaat schaffte innerhalb einer Generation den Sprung vom Entwicklungsland zu einer Industrienation und verfügt heute über mehr als fünfeinhalb Millionen Einwohner.
Singapur war nach der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1963 zunächst Teil des neu formierten Staates Malaysia, verließ diesen aber bereits zwei Jahre später wieder, aufgrund von Differenzen über die institutionalisierte Bevorzugung ethnischer Malaien gegenüber Chinesen. Ohne Rohstoffe, nennenswertes Hinterland und etablierte Strukturen, dafür aber mit einer gemischten Bevölkerung ohne einheitliche Kultur und Religion, war der erste Premierminister und als Vater des modernen Singapur geltende Lee Kuan Yew (genannt Harry, 1923-2015) vor die Aufgabe gestellt, ein stabiles Gemeinwesen aufzubauen. Obwohl ursprünglich Sozialist, hatte er erkannt, dass die Stadt am besten mit Freihandel, Anreizen für Unternehmensgründungen und einer möglichst unregulierten Wirtschaft gedeihen kann. Entgegen der seinerzeit (und teilweise noch heute) im Westen verbreiteten Auffassung, internationale Großkonzerne würden arme Entwicklungsländer ausbeuten und dort nur verbrannte Erde hinterlassen, erkannte Lee Kuan Yew, dass die Ansiedlung solcher Multis Arbeitsplätze und damit Wohlstand im großen Stil schaffen können. Und so geschah es, zum Vorteil Singapurs.
Diese wirtschaftliche Freiheit, kombiniert mit einer Beschränkung der demokratischen und politischen Rechte bei strikter Regeldurchsetzung zur Aufrechterhaltung „sozialer Harmonie“, prägen die Entwicklung Singapurs bis heute. Die Partei des Staatsgründers hat seit der Unabhängigkeit jede Wahl gewonnen. Faktisch handelt es sich um ein Einparteiensystem. Da dies verbunden ist mit eingeschränkter Presse- und Meinungsfreiheit und vielfältigen Beschränkungen persönlicher Freiheiten, ist Singapur am treffendsten als semi-autoritäres System einzustufen. Die Kombination einer autoritären, rein sachorientierten Regierung mit dem Willen zu guter Regierungsführung und der internen Auswahl nach den Kriterien Verdienst und Leistung wird offiziell als Erfolgsrezept des Singapurer Modells angesehen.
Singapur ist ein multiethnischer und multireligiöser Stadtstaat, in dem die ethnischen Chinesen die mit Abstand größte Bevölkerungsgruppe stellen, gefolgt von Malaien und Indern. Es gehört zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit und nimmt internationale Spitzenplätze ein, was Erziehung, Gesundheitsversorgung, Lebenserwartung, Lebensqualität und persönliche Sicherheit angeht. 90 Prozent aller Wohnungen werden von ihren jeweiligen Eigentümern bewohnt. Obwohl es vier offizielle Sprachen gibt, ist Englisch die gemeinsame Lingua Franca und die am weitesten verbreitete Sprache.
Die Wirtschaft von Singapur gilt als eine der freiesten, innovativsten, wettbewerbsfähigsten, dynamischsten und wirtschaftsfreundlichsten in der ganzen Welt. Es gibt keinen Mindestlohn und so ist die Arbeitslosenrate auch eine der weltweit niedrigsten. Singapur hat daneben niedrige Steuersätze, keine Korruption, gute Infrastruktur und qualifizierte Arbeitskräfte und ist daher sehr attraktiv für ausländische Firmen. Tausende multinationaler Unternehmen haben Sitz oder Niederlassung in Singapur. Die Wirtschaft ist diversifiziert, die Hauptzweige sind Finanzdienstleistungen, Erdölraffinade, Produktion elektronischer Bauteile und Tourismus.
Trotz seiner großen wirtschaftlichen Freiheiten ist Singapur auch ein Wohlfahrtsstaat. Es gibt Beihilfen und Programme von der Unterbringung über die medizinische Versorgung bis hin zur Schulausbildung für die Kinder. Lee Kuan Yew zufolge führe nur eine Marktwirtschaft zur Prosperität, schaffe aber auch Verlierer bzw. Menschen, die sich als solche fühlten. Daher müsse zum Erhalt der sozialen Harmonie der Staat einen Ausgleich schaffen. Da der Staat selbst an der Wirtschaft durch zahlreiche Unternehmen beteiligt ist, kann er sich leisten, allen seinen Bürgern Unterstützung für die medizinische Versorgung, die Strom- und Wasserversorgung sowie den öffentlichen Nahverkehr anzubieten. Auch hier werden Staatsbürger bevorzugt. Anders als Monaco oder Dubai ist Singapur aber daran interessiert, dass seine Einwohner die Staatsbürgerschaft erwerben, daher sind etwa 2/3 aller Einwohner Singapurs auch dessen Staatsbürger. Nicht nur Verkehr und Transport, auch der private Autobesitz ist ebenso streng reguliert wie der Wohnungsmarkt.
Das Rechtssystem von Singapur basiert auf englischem Common Law mit signifikanten lokalen Eigenheiten. Das Gerichtssystem gilt als eines der zuverlässigsten und besten in Asien. Singapur kennt im Bereich des Strafrechts drakonische Strafen, wie die Todesstrafe, die für Mord obligatorisch ist und Prügelstrafen etwa für Graffiti. Lee Kuan Yew begründet dies damit, dass seine eigene Erfahrung gezeigt habe, dass Armut nicht automatisch zu Kriminalität führe, wie westliche Soziologen behaupten. Während der japanischen Besatzung habe es kaum genug zu essen gegeben, trotzdem wäre die Stadt sehr sicher gewesen, da die Besatzer drakonische Strafen verfügt hätten. Zahlreiche Verhaltensweisen stehen unter Strafe.
Die überbordende Einmischung des Staates in private Angelegenheiten und das Fehlen persönlicher Freiheiten ist aber als Entwicklungs- und Attraktivitätshindernis erkannt. Das Verbot, bestimmte Kaugummis zu verkaufen, wurde 2004 ebenso aufgehoben wie 2007 das Verbot des Oral- und Analverkehrs, das auch für verheiratete Paare galt. Seit 2022 ist auch Homosexualität legal.
Singapur hat eine für seine Größe beachtliche Armee mit modernen Kampfpanzern, Flugzeugen, Schiffen und sogar U-Booten. Es herrscht Wehrpflicht und es finden regelmäßig Reserveübungen statt. Etwa 250.000 Singapurer sind entweder im aktiven Dienst oder Reservisten. Beim Aufbau der Armee hatte Singapur von Israel Unterstützung erbeten und noch heute besteht eine enge Kooperation in Sicherheitsfragen. Singapur ist Mitglied der regionalen ASEAN-Allianz, die auch sicherheitspolitische Funktion hat. Für Lee Kuan Yew waren – und das gilt auch für die heute Verantwortlichen – Sicherheit und Prosperität stets eine Einheit. Diplomatie bezeichnete er als wichtigstes außenpolitisches Instrument, die ohne glaubwürdige militärische Komponente aber zahnlos bleibe. Trotz seines beeindruckenden militärischen Potenzials ist Singapur außen- und sicherheitspolitisch zurückhaltend.
Die Religionsfreiheit ist in der Verfassung verankert und wird auch gewährleistet. Singapur verfolgt dabei das Konzept des wehrhaften Säkularismus (muscular secularism). Religiöser Extremismus wird nicht toleriert und umgehend geahndet, da dieser aufgrund der Zusammensetzung der Bevölkerung als Gefahr für die soziale Harmonie angesehen wird. Herabsetzungen Andersgläubiger sowie missionarische Aktivitäten, mit denen die religiöse Harmonie gestört werden könnte, sind gesetzlich verboten. An den Schulen herrscht Kopftuchverbot. Singapur sieht sich als säkularer Staat, in dem die verschiedenen Religionen in Frieden miteinander leben.
Singapur hat strenge Einwanderungsregeln und achtet insbesondere darauf, dass sich die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht zu stark verschieben. Der Stadtstaat legt nach jeweiligem Bedarf und nach Wirtschaftslage fest, welche Qualifikationen zur Einwanderung berechtigen.
Sandy Springs (seit 2005)
Die US-Stadt Sandy Springs ist kein autonomes Gemeinwesen, aber aus einem anderen Grund interessant: praktisch alle kommunalen Dienstleistungen werden von privaten Unternehmen erbracht.
Die Stadt im US-Bundesstaat Georgia war dort die erste Neugründung seit 50 Jahren. Nach jahrelangen Vorbereitungen schafften es die mit den Leistungen des Landkreises unzufriedenen Bewohner, die notwendigen politischen Hürden zu nehmen, um die Stadt am 1. Dezember 2005 als neue selbstständige Gemeinde zu errichten. Aus der Not, dass man keine eigene Verwaltung besaß, wurde eine Tugend gemacht. Nach dem Besuch der Privatstadt Weston in Florida regte eine der treibenden Kräfte in der Bürgerschaft, Oliver Porter, an, Privatfirmen per Ausschreibung mit der Verwaltung der Stadt zu beauftragen. Neben größerer Flexibilität und Abwesenheit politischer Einflussnahme auf die Leistungserbringung sprach insbesondere die Pensionsproblematik für diesen Schritt. Das Bestehen wachsender Pensionsverpflichtungen für die Stadtbediensteten hat zahlreiche amerikanische Kommunen an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht.
Sandy Springs lässt mit Ausnahme von Polizei, Feuerwehr und Gerichten sämtliche städtischen Dienstleistungen durch Privatunternehmen auf Vertragsbasis erbringen. Dies betrifft sowohl administrative als auch technische Funktionen. Im Falle von Schlechtleistungen können die Anbieter vom Bürgermeister bzw. vom Gemeinderat ausgetauscht werden.
Die Stadt konnte 2015 nach zehn Jahren das Fazit ziehen, dass die Qualität städtischer Leistungen durchweg gestiegen, die Kosten aber je nach Sparte um 10–40 Prozent gesunken waren. In dieser Periode machte Sandy Springs nicht nur keine Schulden, sondern konnte sogar eine Reserve von 45 Millionen US-Dollar aufbauen.
Die Stadt ist entsprechend attraktiv. Bei der Gründung lebten etwa 90.000 Menschen im jetzigen Stadtgebiet, inzwischen sind es 110.000. Oliver Porter berichtet, dass es großes Interesse in den USA und auch im Ausland am Sandy-Springs-Modell gebe. So seien bislang neun weitere Städte mit insgesamt über 1,5 Millionen Einwohnern nach diesem Muster entstanden, allesamt Neugründungen. Sämtliche Versuche, das Modell auf bereits bestehende Kommunen zu übertragen, seien hingegen am Widerstand von Politik und Verwaltung gescheitert. Selbst in Fällen, in denen private Anbieter eine 25prozentige Kostensenkung gegenüber dem Istzustand garantiert hätten, habe die Furcht vor Macht- oder Arbeitsplatzverlust die Einführung des Konzepts verhindert.
Lehren
Es gibt ein ganzes Bündel an Lehren, das man aus den beschriebenen erfolgreichen Stadtstaaten und freien Städten mitnehmen kann. Ein Gemeinwesen ist dann erfolgreich, wenn über einen längeren Zeitraum viele Menschen freiwillig darin leben möchten. Alle sonstigen Kennziffern sind demgegenüber sekundär und lediglich Anhaltspunkte, warum ein System gefragt ist. Auch hier gilt die subjektive Werttheorie: wenn Menschen ein System (subjektiv) bevorzugen, ist es (objektiv) erfolgreich, zumindest dann, wenn es eine gewisse Zeit aus eigener Kraft überdauern kann.
Das ist für die untersuchten Beispiele, die noch heute bestehen, eindeutig nachweisbar: sie haben ihre Überlebensfähigkeit unter Beweis gestellt und haben sämtlich mehr Einwanderungsnachfrage als Bedarf. Alle untersuchten Systeme sind unvollkommen und keines gleicht dem anderen. Ihr Erfolg spricht dafür, sich zumindest einige ihre Praktiken zum Vorbild zu nehmen.
Gerade für Entwicklungsländer kann etwa Singapur ein Beispiel sein. Denn die Defizite des demokratischen Modells sind gerade in Afrika besonders gut sichtbar. Wer glaubt, dass ein Minimalstaat mit niedrigen Steuern und freien Märkten das geeignetste Modell ist, um den Lebensstandard aller zu steigern, der muss von der Massendemokratie ohnehin Abschied nehmen. Denn beide Konzepte können nicht gleichzeitig umgesetzt werden. Die Mehrheit wird immer denen folgen, die „Gratis“-Leistungen des Staates und „mehr Regulierung“ als Problemlösung anbieten.
Entsprechend hat sich etwa die Regierung von Ruanda ausdrücklich Singapur zum Vorbild genommen und kann seither beachtliche Erfolge aufweisen.
Offensichtlich führen viele Wege nach Rom. Es gibt nicht ein einziges funktionierendes Konzept, das alle anderen ausschließt. Das ist zunächst einmal ein gutes Zeichen im Hinblick auf eine mögliche künftige Vielfalt an Formen des Zusammenlebens. Gleichwohl gibt es einige Bereiche, die aufgrund der jeweils ähnlichen Handhabung durch die untersuchten Beispiele wahrscheinlich für den Erfolg ursächlich waren. So ist festzuhalten, dass Freihandel und eine möglichst unregulierte, freie Marktwirtschaft in praktisch allen Fällen ein entscheidender Erfolgsfaktor waren. Protektionismus könnten sich jene Städte aufgrund ihrer räumlichen Kleinheit auch gar nicht leisten. Es ist aber bemerkenswert, wie viel mehr Wohlstand in kurzer Zeit freie Marktwirtschaften gegenüber stark regulierten Systemen zu schaffen imstande sind.
Hongkong, Singapur und Dubai belegen zudem, dass „protestantische Ethik“ (Max Weber) keine notwendige Bedingung für den Erfolg oder die Entstehung marktwirtschaftlicher Systeme ist. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sich die erfolgreichen Städte ihre Einwanderer aussuchen, und zwar nach ihren jeweiligen Bedürfnissen bzw. Vorgaben. Dies entspricht den oben gewonnenen Erkenntnissen zur Zuwanderungsthematik. Spätestens wenn ein gewisser Wohlstand erreicht ist, wie in Dubai, Hongkong und Singapur, wird eine unkontrollierte Zuwanderung zur Gefahr. Überall da, wo etwas zu holen ist, finden sich nämlich sehr schnell auch Elemente ein, welche sich Wohlstand durch Wegnahme anstatt durch ehrliche Arbeit schaffen wollen. Das würde die Sicherheit gefährden und den jeweiligen Stadtstaat unattraktiv machen. Die Öffnung der Grenzen im Sinne von ungeprüfter Einwanderungsmöglichkeit für jeden steht für die Regierungen erfolgreicher Stadtstaaten daher nicht zur Debatte.
Ein weiteres Kennzeichen der hier untersuchten Stadtstaaten ist, dass sie demokratische Mitbestimmung nicht oder nur eingeschränkt zulassen. Das entspricht den oben gezogenen Schlussfolgerungen, dass eine weitgehende Entkopplung von Mitbestimmung und Haftung nicht erfolgversprechend ist und letztlich zu unendlichen Verteilungskämpfen, Empörungswettbewerb und Überschuldung führt.
Aber warum sind jene Städte auch für Einwanderer westlicher Staaten attraktiv, obwohl die gewohnte demokratische Mitbestimmung nicht möglich ist? Jeder Einzelne wägt für sich selbst ab: größere wirtschaftliche Freiheit und mehr Sicherheit gegen persönliche Freiheiten, mehr Selbstbestimmungsmöglichkeiten gegen weniger Mitbestimmungsmöglichkeiten, zumal sich die Mitbestimmung in parlamentarischen Demokratien darin erschöpft, alle vier Jahre eine Stimme abzugeben, die für sich allein genommen kein Gewicht hat.
Mit Ausnahme von Dubai kann man die aufgeführten Gegenwartsbeispiele alle als Rechtsstaaten ansehen (Hongkong freilich mit abnehmender Tendenz); aber auch Dubai hält sich an die Zusagen, die es den entsprechenden Sonderzonen gemacht hat bzw. lässt dort sogar in gewissem Umfang eigene Rechtsprechung zu. Insofern besteht für Einwanderer eine Vorhersehbarkeit und damit auch Planbarkeit und Stabilität, welche Defizite in der Rechtsstaatlichkeit zumindest teilweise aufwiegt.
Den Stadtstaaten ist gemein, dass sie wehrhaft sind (mit Einschränkungen selbst Monaco) und bei entsprechender politischer Eigenständigkeit sogar größere Streitkräfte unterhalten. Gleichzeitig sind sie bemüht, ein gutes Verhältnis zu ihren Nachbarstaaten zu haben und Konflikte möglichst zu vermeiden. Dazu werden ggf. auch Zugeständnisse gemacht, die ein souveränes Land nicht unbedingt machen müsste.
Weiter wird die Frage der sozialen Harmonie insbesondere in multiethnischen und multireligiösen Städten dahingehend beantwortet, dass gewisse Regeln des Zusammenlebens nicht verhandelbar sind und auch strikt durchgesetzt werden. Insofern gibt es insbesondere keine Toleranz gegenüber der Intoleranz. Dies ist auch für Freie Privatstädte sinnvoll, weil gerade Gemeinwesen, die anfänglich über keine gemeinsame Geschichte oder Kultur verfügen, sonst keine Kohäsionskräfte haben, die sie zusammenhalten. Das friedliche Nebeneinander verschiedenster Gruppen ist dabei nicht das Problem; problematisch sind vielmehr das Streben nach Vorrechten oder gar Dominanz, schlimmstenfalls verbunden mit der Bereitschaft, verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzuwiegeln oder sogar Gewalt anzuwenden.
Die Beispiele zeigen, dass eine sichere, stabile Ordnung mit hoher wirtschaftlicher Freiheit auch dann erfolgreich sein kann, wenn die persönlichen Freiheiten eingeschränkt sind. Insbesondere Singapur scheint aber erkannt zu haben, dass ein weiteres qualitatives Wachstum die Einräumung größerer Freiheiten voraussetzt. Es ist auch nicht einsehbar, welchen Vorteil für die soziale Harmonie es bringen soll, wenn die Regierung vorgibt, welche Sexualpraktiken im heimischen Schlafzimmer stattfinden dürfen und welche nicht. Die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens hängt davon ab, wie sich Menschen anderen gegenüber verhalten. Nur hier besteht ein Regelungsbedarf.
Schließlich belegt das Sandy-Springs-Beispiel, dass die Neugründung Freier Privatstädte auf bisher unbewohntem Territorium weitaus leichter sein dürfte als die Umwandlung bestehender Gemeinden.
Der Blick auf die freien Städte der Vergangenheit offenbart daneben einen Sachverhalt, dessen Kenntnis in heutigen Gesellschaften weitgehend verloren gegangen ist. Strafverfolgung und Inhaftierung von Kriminellen (von aufwendigen Resozialisierungsmaßnahmen ganz zu schweigen) kosten Geld, nämlich das Geld der Bürger. Diese werden dadurch ein zweites Mal geschädigt. Von daher ist es naheliegend und vernünftig, diese Kosten zu minimieren. Das muss nun nicht heißen, Todesstrafe, Pranger und Prügelstrafen wieder einzuführen. Aber der Verzicht auf Gefängnisstrafen bei kleineren Delikten, und stattdessen die Zahlung einer Geldstrafe oder ersatzweise von Arbeitsleistung, sowie die anschließende Verbannung aus der Stadt sind Vorgehensweisen, die auch für Freie Privatstädte beispielhaft sein können. Gefängnisaufenthalte würden dann nur bei wenigen schweren Delikten erfolgen und im Anschluss ebenfalls eine Verbannung nach sich ziehen.
Die Orientierung an Vorbildern bedeutet nicht, dass diese Probleme nicht anders gelöst werden können, insbesondere was Kriminalität, Einwanderung und die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens in der Stadt angeht. Die hier vorgestellten Methoden haben freilich den Vorteil, dass sie erwiesenermaßen funktionieren. Dies können so manche anderen Ideen nicht von sich behaupten. Es erscheint daher klug, bei der Etablierung Freier Privatstädte für bestimmte Bereiche zunächst auf bewährte Methoden zurückzugreifen. Eine Änderung oder Weiterentwicklung kann dann evolutionär über den Markt stattfinden.
Dies ist ein Ausschnitt aus der soeben erschienenen, erweiterten Neuauflage des Buchs Freie Privatstädte – Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt.
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Das Nachdenken über freie Privatstädte bedeutet mehr als Hoffnung, geschweige Utopien – das beweisen die genannten Beispiele, gerade weil sie extrem unterschiedlich sind und simple Nachahmung ausschließen. Wer in dieser Richtung gehen will, hat nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem kulturelle Voraussetzungen und das unerlässliche Zusammenspiel von Freiheit und Verantwortung zu erwägen. In Deutschland ist dabei insbesondere die Tradition freiwilliger Tätigkeit in Vereinen beispielhaft, die – meist ohne materiellen und informellen Eigennutz anzustreben – Bildung und Befähigung des Einzelnen mit qualifiziertem Zusammenhalt im Sinne zivilisatorischer Reife verbinden. Leider ist diese Tradition aufgrund staatlicher, korporatistischer, kollektivistischer Strebungen der Politbürokratie immer mehr gefährdet. Eine fortdauernde, ungeregelte Migration würde ihr den Garaus machen.