Was sich bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landesparlaments am 26.09. abgespielt hat, kann man nur als unwürdiges Schauspiel bezeichnen. Nun spielt die Würde des Parlaments in den Gedankengängen zahlreicher Abgeordneter natürlich schon lange keine Rolle mehr, was man an TikTok-Tanzvideos und der Garderobenwahl mancher Abgeordneter recht anschaulich ablesen kann. Dennoch ist man immer wieder unterwältigt, wie tief Vertreter etablierter Parteien sinken können.
Aber der Reihe nach. Was ist passiert? Die Sitzung wurde eröffnet durch den Alterspräsidenten Jürgen Treutler (dummerweise ein AfD-Abgeordneter), der gemäß der Geschäftsordnung des Thüringer Landtages die einzelnen Punkte abarbeiten wollte. Die Eröffnungsrede war noch nicht abgeschlossen, da wurde er von einem Abgeordneten der CDU unterbrochen. Ziel der Unterbrechung war es, die Beschlussfähigkeit des Parlamentes feststellen zu lassen, um im Anschluss einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung abstimmen zu lassen. Aber warum das Ganze?
Nun, in der Geschäftsordnung des Thüringer Landesparlamentes steht, dass die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für das Amt des Parlamentspräsidenten hat und die stärkste Fraktion stellt aktuell die AfD. Der Alterspräsident weigerte sich und nach einem turbulenten weiteren Verlauf, in dessen Zug dieser vom Geschäftsführer der CDU-Fraktion Andreas Bühl der „Machtergreifung“ bezichtigt wurde, entschied das Landesverfassungsgericht zugunsten der CDU und zulasten der AfD. Ich bin kein Jurist und enthalte mich daher einer juristischen Bewertung. – Am Ende haben nun alle Parteien im Thüringer Parlament ihren Landtagspräsidenten oder -vizepräsidenten, nur die AfD nicht.
Der Vorfall reiht sich ein in eine Liste von, man könnte sagen „Lex-AfD-Ereignissen“, die letztlich immer mit dem Ziel einer Sonderbehandlung der AfD initiiert werden. Jahrzehntelange bundesrepublikanische Traditionen werden über Bord geworfen, um AfD-Parlamentarier von Posten fernzuhalten, die Ihnen laut den verschiedenen Geschäftsordnungen zustehen. Ein paar Beispiele:
2021 wurde vor der Bundestagswahl die Geschäftsordnung des Bundestages angepasst, so dass nicht mehr das älteste Mitglied als Alterspräsident die konstituierende Sitzung eröffnet, sondern das mit der längsten ununterbrochenen Parlamentszugehörigkeit. Wieso das Ganze? Es war absehbar, dass nach der Wahl die AfD-Fraktion den ältesten Abgeordneten stellen würde und so hielt am Ende CDU-Mitglied Wolfgang Schäuble die Eröffnungsrede. Sie wissen schon, der mit dem Geldkoffer.
In der Geschäftsordnung des Bundestages steht, dass die einzelnen Fraktionen ein Anrecht auf Posten von Ausschussvorsitzenden haben. Jedoch werden diese gewählt und bislang sind in dieser Legislaturperiode alle AfD-Kandidaten an der Nichtwahl durch die Mehrheit der anderen Parteien gescheitert.
Selbiges gilt für das Amt des stellvertretenden Parlamentspräsidenten. Auch hier stellt traditionell jede Fraktion einen Vertreter, nur (Sie werden es erahnen) die AfD nicht.
Übrigens stellt es für die CDU überhaupt kein Problem dar, Vertreter der Linkspartei in diese Ämter zu wählen. Also der Nachfolgepartei der SED, die mindestens 140 Menschen umgebracht hat, weil sie in Freiheit leben wollten.
Und nun ein neuerlicher Vorfall. Man muss kein AfD-Fan sein, um das ganze Vorgehen der etablierten Parteien abstoßend, unwürdig, infantil und demokratieverachtend zu finden. Es reicht ein natürlicher Gerechtigkeitssinn. Wer steht denn hinter den AfD-Parlamentariern? Es ist der Souverän, das Volk, die Wähler, die sich entschieden haben, der AfD ihre Stimme zu geben. Einer zur Wahl zugelassenen Partei. Und diese Stimmen werden mit Füßen getreten, für nichtig erklärt von Parteien, die vorgeben, die Demokratie zu verteidigen. Pardon, ich meinte natürlich „unsere Demokraktie“. Wer nicht so wählt, wie gewünscht gehört nämlich nicht dazu.
Letztlich profitiert die AfD natürlich von dem abstoßenden Verhalten der Etablierten. Wieso wird es also trotzdem betrieben? Sitzen in den Strategieabteilungen der Parteien nur Idioten? Vermutlich nicht. Insofern betrachten es die Strategen der – ich nenne sie jetzt mal so, denn im Grunde ist es so – „Einheitsfront“ wohl als größeres Übel, einen AfD-Parlamentspräsidenten vorsitzen zu haben, der nicht umgehend den Angriff auf Polen verkündet. Denn das ist die wahre Befürchtung. Eine Normalisierung der AfD könnte die gedankliche Brandmauer, die bei vielen Wählern noch besteht, einreißen: „Die sind ja gar nicht so schlimm, wie immer gesagt wird.“ Dafür nehmen sie auch das Einreißen altbekannter und bewährter Gepflogenheiten der parlamentarischen Demokratie in Kauf.
In diesem Zusammenhang komme ich noch mal auf den Vorwurf der „Machtergreifung“ zurück. Als Machtergreifung wird gemeinhin die Etablierung des totalitären Führerstaates in den ersten Monaten 1933 durch die NSDAP bezeichnet. Das Bestehen auf der in der Geschäftsordnung festgelegten Reihenfolge der Aktivitäten durch den Alterspräsidenten als Machtergreifung zu bezeichnen, zeugt, wenn man es wohlwollend betrachtet, von Geschichtsvergessenheit. Im Grunde genommen ist es aber eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus insbesondere derer, die gerade in der Anfangszeit aufgrund ihrer politischen Ansichten verhaftet und teilweise zu Tode gefoltert wurden.
Man kann nur sagen: Schämt euch. Schämt euch!