Irgendwo weht immer Wind. Oder?

Sie ist wohl kein Geniestreich, die deutsche Energiewende. Ein System verlässlicher Stromversorgung wird sukzessive in eine stochastische Erzeugung transformiert, die immer wieder zwischen eklatantem Angebotsdefizit und drastischem Überangebot schwankt. 

In besonders starkem Maße zeigt sich dies in den Wintermonaten, denen es naturgemäß an Solareinstrahlung fehlt. In einer Welt, in der sogenannte erneuerbare Erzeuger unseren Bedarf zu nahezu 100 Prozent decken sollen, hängt dann das verfügbare Angebot von den Launen des Windes ab. Eine Betrachtung des Dezember 2023 zeigt den Effekt: 

Während über den Weihnachtstagen starke Böen für kräftiges Stromaufkommen sorgten, war zu Beginn des Monats die Stromerzeugung aus Windkraft eher bescheiden: Der Anfang Dezember steht für eine sogenannte Dunkelflaute: Wind und Solarerzeugung bewegen sich nahe dem Nullpunkt, deshalb mussten andere Stromerzeuger die Lücke schließen. 

Diese Lücke kann erheblich sein – sie betrug in der Spitze über 60 GW, erheblich mehr als die 12,5 GW, die Herr Habeck als Gaskraftwerke bauen lassen will. So stellt sich die Frage, wie diese Lücke anderweitig geschlossen werden kann. 

In dieser Situation wird gerne die Idee des europäischen Verbundstroms aufgebracht. Wenn Deutschland durch zu geringes Wind- und Solarstromaufkommen zu wenig Strom hat, können unsere solidarischen Nachbarn aushelfen. Wir bauen einfach die sogenannten Interkonnektoren zum französischen Netz sowie Seekabel nach Norwegen und Schweden aus und unsere Probleme sind gelöst. 

Diese Konzeption hat aber einen logischen Bruch: Denn wenn Deutschland aufgrund ausfallender Solar- und Windstromerzeugung unter Strommangel leidet, dürfen unsere Nachbarn nicht unter dem gleichen Problem leiden – sprich: in diesen Situationen sollten sie über stabile Erzeugung wie Kernkraft in Frankreich oder Wasserkraftwerke in den Alpenländern oder Skandinavien verfügen, damit wetterunabhängige Erzeugung den unter wetterabhängigem Strommangel leidenden Deutschen helfen möge. Diese Logik wird allerdings von Freunden des wetterabhängigen Stroms oft in Abrede gestellt: Sicherlich lässt sich nicht bestreiten, dass nachts auch in Holland oder Polen kein Solarstrom erzeugt werden kann, aber bei der Windenergie wird gerne behauptet: „Irgendwo in Europa weht immer Wind.“ Eine empirische Untersuchung der Windstromerzeugungsdaten in Deutschland (blau) sowie zusätzlichen allen Nachbarländern (gesamt) im Januar 2024 sowie im August 2024 lässt jedoch diese Aussage kaum plausibel erscheinen:

Ein Vergleich der Windstromerzeugung Deutschlands mit der Gesamterzeugung zzgl. aller Nachbarländer zeigt sowohl im Winter als auch im Sommer, dass die Windstromerzeugung stark korreliert ist: Weht in Deutschland viel Wind, addiert sich auch aus den Nachbarländern sehr viel Windstrom in das Netz und – sehr viel problematischer: Haben wir zu wenig Windstromerzeugung, so erginge es unseren Nachbarn in einer windstillen Nacht auch nicht anders, würden diese wie wir 100 Prozent erneuerbare Energien durch alleinigen Ausbau von Wind und Solar anstreben. 

So weist die Energiewende grün-deutscher Machart eine Besonderheit auf: Sie wird stabiler, wenn die Nachbarländer sie nicht befolgen und so das deutsche System in Zeiten der Not stabilisieren können. 

Diesen Effekt sieht man in sehr dramatischer Weise bereits jetzt in einer Zeit, wo die erneuerbaren Stromerzeuger 60 Prozent der Stromerzeugung ausmachen: Aus der einstigen Stromexportnation Deutschland ist ein Stromimportland geworden – eben aus dem Umstand heraus, dass in Zeiten geringer Wind- und Solarstromerzeugung nicht mehr genug heimische Erzeugung bereitsteht, die kostengünstig die Lücken füllen kann. Dies muss dann Kernkraft aus Frankreich oder eben Wasserkraft aus der Schweiz, Norwegen oder Schweden besorgen, wie die Stromaußenhandelsbilanz Deutschlands (auf der Basis von Daten aus energy-charts.info) zeigt:

Nun stellt sich aber dann auch die Frage, wie sich die Lieferländer zu diesem Anspruch Deutschlands auf kontinuierliche Schließung der heimischen Verfügbarkeitslücken stellen. Schließlich ist Strom auch in den Nachbarländern nicht grenzenlos verfügbar. In Frankreich kann dieser sogar ebenfalls sehr knapp werden, wenn die Winter streng sind: Schließlich ist der Anteil der Elektroheizungen in den privaten Haushalten hoch und dies kann bei tiefen Temperaturen schnell dazu führen, dass auch alle französischen Kernkraftwerke gerade genug Leistung abgeben, um den Wärmebedarf ihrer Landsleute zu befriedigen. 

Dies führt dann unweigerlich zu der Frage, welche Motivation unsere Nachbarstaaten, die aufgrund einer umsichtigeren Energiepolitik noch in größerem Maße über verlässliche Stromerzeugung verfügen, haben sollten, den Deutschen ad infinitum zu helfen? Die Hilfe für die Deutschen hat nämlich auch einen unangenehmen Effekt in den Nachbarländern: Deren Strompreise steigen, da die nach Deutschland abgeführten Strommengen auf dem einheimischen Markt durch teurere Erzeuger aufgefüllt werden müssen, wodurch die Strompreise steigen. 

Dieser Effekt hatte in Norwegen für so viel Unmut gesorgt, dass sich die norwegische Regierung gezwungen sah, die Stromexporte zu begrenzen. Nicht anders hat dies kürzlich Schweden gehandhabt, als man im Juni 2024 Deutschland mitteilte, eine geplante Stromleitung nicht mehr zu realisieren. Und in unserem Nachbarland Frankreich sind sich sowohl viele Vertreter des rechten Rassemblement National als auch der linken Front Populaire einig darin, den Stromexport nach Deutschland zu begrenzen. 

Hinter dieser Haltung steckt neben der Furcht vor steigenden Strompreisen auch die Erkenntnis, dass Strom künftig in Europa immer mehr zum knappen Gut werden wird und dass das Vorhandensein von ausreichend Strom ein Wettbewerbsvorteil sein kann. Und so stellt sich in unseren Nachbarländern die unweigerliche Frage: Den Deutschen immer wieder aushelfen oder den eigenen Wettbewerbsvorteil nutzen, um gerade die energieintensive Industrie ins eigene Land zu locken? 

Belgien praktiziert dies bereits: Durch die Laufzeitverlängerung der beiden Kernkraftwerke Doel-4 und Tihange-3 bis mindestens 2035 stehen dem Land ab 2025 ungeplante Stromkapazitäten zur Verfügung, die die belgische Regierung unter der Ressortverantwortung einer grünen (!) Energieministerin nun ArcelorMittal anbietet: Im Gegenzug erwartet man von dem Stahlgiganten Milliarden-Investitionen in Belgien. 

So wird preisgünstiger, 24/7 verfügbarer Strom zum Standortvorteil. Wir haben diesen aus der Hand gegeben. 

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