„Letzte Generation“ – wie umgehen mit den Störenfrieden?

Die „Letzte Generation“ provoziert durch anhaltende Aktionen. Längst sind Diskussionen über die Gruppe auf höchster politischer Ebene angekommen. Mittlerweile wird nicht nur wegen Hausfriedensbruchs und Nötigung, sondern auch wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt. Begriffe wie „Klima-Terroristen“ oder „grüne RAF“ finden in der Debatte regelmäßige Verwendung. Zu Recht?

Der Terrorismus-Begriff 

Die Aktivisten begehen selbstverständlich Straftaten und dessen sind sie sich vermutlich auch bewusst. Aber allein das macht sie noch nicht zu Terroristen. Terrorismus ist im Allgemeinen brutale Gewalt gegen Menschen oder Sachen, um politische Ziele zu erreichen. Man muss keinerlei Sympathien mit den Klimaaktivisten hegen, um es als Verharmlosung zu empfinden, sie in eine Kategorie mit Attentätern zu stecken, welche gezielt Menschen ermorden. 

Wenn ich an „Öko-Terroristen“ denke, kommt mir als erstes der „Unabomber“ Theodore Kaczynski in den Sinn, welcher Briefbombenattentate verübte und dadurch drei Menschen tötete und weitere 23 Menschen verletzte. Er tötete gezielt Menschen, um seine technologiekritischen und gegen die industrielle Gesellschaft gerichteten Thesen bekannt zu machen und stellt damit das dar, was man gemeinhin unter einem Terroristin versteht. Dagegen tut man gut daran, die Aktionen der Klimaaktivisten als eine radikale Form des zivilen Ungehorsams zu beschreiben und nicht den Terrorismus-Begriff auszuweiten, wie das übrigens auch in autoritären Staaten eine gern genutzte Praxis ist, um Oppositionelle einzuschüchtern.

Des Weiteren macht man sich angreifbar. Wenn man die Razzia gegen Prinz Reuss und seine zwei Dutzend Kumpanen zu Recht als Machtdemonstration empfindet und über das hysterische Gerede von einem „vereitelten Staatsstreich“ nur müde lächeln kann, aber gleichzeitig in den Klima-Kleber gefährliche Terroristen sieht, ist das nicht konsistent. Diese Kritik muss man sich vom politischen Gegner dann auch gefallen lassen, wenn man auf der einen Seite sprachlich verniedlicht und auf der anderen Seite zuspitzt. In beiden Fällen mehr Gelassenheit und weniger Hysterie an den Tag zu legen wäre förderlich.

Apropos Reichsbürger-Gang: Eigentlich wurde dazu schon alles gesagt, auch hier im Sandwirt, aber ein Zitat von Günter Maschke möchte ich noch einschieben, welches dieses politische und mediale Spektakel treffend charakterisiert: „Der Feind ist klein, schmutzig, häßlich, historisch widerlegt, intellektuell bankrott – aber er ist ungeheuer gefährlich und teuflisch raffiniert.“

Kritik an der richtigen Stelle

Zurück zur „Letzten Generation“: Diese Kritik am Terrorismus-Vorwurf bedeutet natürlich nicht, dass es an der Gruppe und dem heuchlerischen Umgang gewisser politischen Akteure mit ihr nichts zu kritisieren gäbe. Machen wir es konkret: Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang sagte über die Aktivistengruppe: „Extremistisch ist immer dann, wenn der Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich demokratische Grundordnung infrage gestellt wird, und genau das tun die Leute ja eigentlich nicht. […] Also anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man eben die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“

Hier muss man zwei Dinge feststellen: Wer sich ernsthaft mit den Zielen der „Letzten Generation“ auseinandersetzt, kann eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass Konflikte mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorliegen. Die Gruppe strebt eine „Klimarevolution“ an, fordert einen Umbau des bestehenden Wirtschaftssystems und will Produktion und Konsum drastisch senken. Es ist eindeutig, dass die Ziele, welche die Gruppe anstrebt, auf verfassungsgemäßem Weg nie und nimmer zu erreichen sind.

Auch der zweite Satz von Haldenwang ist an Absurdität natürlich kaum zu überbieten. Seit Jahren fordern Menschen die Funktionsträger auf, hunderttausende ausreisepflichtige Migranten abzuschieben und die Grenzen zu schließen. Komischerweise wird man für diese Forderungen an die Politik nicht geadelt, sondern landet in vielen Fällen in der rechtsradikalen Schmuddelecke. 

Die „Letzte Generation“ bekommt diese freundlichen Worte zu ihren inhaltlichen Forderungen natürlich nur, weil sie das auf die Spitze treiben, was eigentlich Mainstream ist. Die inhaltlichen Vorstellungen sind etwas radikaler, aber nicht so weit weg von dem, was Greta Thunberg oder Luisa Neubauer vor Augen haben. Thunberg träumt ja schon mal von einer „systemweiten Transformation“ und Neubauer meint im Bezug auf die Bekämpfung des Klimawandels: „Die Wahl zwischen Zeit und Demokratie haben wir nicht.“ 

Und dass mit diesen Vorstellungen ein bedeutender Teil von Politik und Medien kein großes Problem hat, konnte man in den letzten Jahren eindrucksvoll beobachten. So bewirken Gruppen wie die „Letzte Generation“ und zum Teil auch „Fridays for Future“, dass die Pläne von Grünen und Co. um einiges gemäßigter daherkommen. Man könnte daher die Frage stellen, ob dieser Protest nicht sogar den aktuellen Kurs stabilisiert und damit das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich anstrebt.

Sinnvoller als das plumpe Abarbeiten an Klima-Klebern ist es jedenfalls, die Doppelstandards von politischen Akteuren und Journalisten offenzulegen. Aufzuzeigen, wie unterschiedlich sie auf zivilen Ungehorsam aus dem linken und dem rechten Lager reagieren. Wie sie beispielsweise bei Aktionen der „Identitären Bewegung“ eine große Gefahr wittern, obwohl diese häufig weniger radikal sind, als Aktionen von Klimaprotestlern, denen sie mit viel Wohlwollen begegnen. 

Oder wie manche vor einem Jahr noch eifrig „#QuerdenkerSindTerroristen“ rausposaunt haben und nun bei der „Letzten Generation“ zu sprachlicher Sensibilität mahnen. 

Und wichtig: Dabei selbst immer einen nüchternen Blick bewahren!

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