Viel Spaß im Unrechtsstaat

Nach dem Fall der Mauer, dem erzwungenen Abdanken der SED-Führung und dem Ende von Erich Mielkes (“Ich liebe – Ich liebe doch alle – alle Menschen – Na, ich liebe doch – Ich setzte mich doch dafür ein!“) Ministerium für Staatssicherheit entbrannten alsbald heftige Debatten darüber, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. 

Interessanterweise verliefen die Frontlinien im ideologisch hochgerüsteten und unversöhnlichen Meinungskrieg nicht unbedingt analog zu denen vor der deutschen Einheit, aber sie verschoben sich danach zugleich mit den Karrieren und Arbeitgebern der Diskutanten. Inzwischen könnte die Frage „Unrechtsstaat oder nicht?“ fast als Lackmustest dienen, wenn einer wissen will, wie sein Gegenüber es mit Demokratie und Opposition im Lande hält.

Strafrecht als Waffe

Nein, ich werde mich an dieser Frage hier nicht abarbeiten, dazu fehlen mir – wohl auch Ihnen, geneigte Leser oder Zuhörer – die Zeit wie die Lust. Es gibt unendlich viel Material beim Bundesarchiv, das die gesammelten Stasiakten inzwischen verwaltet, ebenso bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Einer der besonders kenntnisreichen Autoren daselbst war Falco Werkentin; er ist leider im Sommer 2023 gestorben. 

Auf nur 96 Seiten versammelt seine Broschüre „Politische Justiz in der DDR“ genügend Dokumente und Zeugnisse über das Wirken einer von der SED bis ins Detail gesteuerten Strafmaschinerie, deren wichtigster Treibriemen die Stasi war. Lesen lohnt sich.

Die Geschichte des politischen Strafrechts wird besonders anschaulich, weil das Prinzip, Recht als Waffe der SED gegen jedwede politische Opposition zu nutzen, durch dramatische Exempel belegt ist. Die Folgen sind längst nicht aufgearbeitet, sie beschäftigen bis heute die Opfer bzw. deren Angehörige, viele engagieren sich beim „Zeitzeugen-Büro“.

Linientreuer Kindergarten

Erstaunlich, wie sehr die Diskussionskultur – vor allem in den „Leitmedien“ – inzwischen der SED-gesteuerten ähnelt. Das offenbart sich am kontroversen Gebrauch von Begriffen wie „Antifaschismus“, „Zentralismus“, „Indoktrination“, „Desinformation“, „Propaganda“, „Hetze“, „Hass“, „Gruppendruck“, „Kontaktschuld“. 

In den letzten 20 Herrschaftsjahren von SED nebst „Blockparteien“ schürten „Massenorganisationen“ (FDJ, Gewerkschaft, Frauen- und Kulturbund), selbst kleinere Verbände und Vereine den „ideologischen Klassenkampf“ buchstäblich vom Kindergarten bis zur Grabrede; ebenso lange war es Bürgerpflicht, an Aufmärschen zu Ehren der Staatsführung teilzunehmen, stunden- und seitenlang priesen die Staatsmedien – voran Fernsehen und Radio – den Staat und seine Führung.

„Unsere Liebe, unsere Treue und unsere Kraft unserem sozialistischen Vaterland! Nichts verbindet uns mit dem imperialistischen System in Westdeutschland.“ 

So lautete das Gut von Böse spaltende Bekenntnis. Allüberall auf Plakaten, Stellwänden, blökte es einen an, garniert von den Porträts der Staats- und Parteiführung. Es stand auf den Transparenten, die Kinder, „Werktätige“, Rentner auf staatlich verordneten Demonstrationen vor sich her trugen. Wer nicht kam, machte sich verdächtig, wer sich zu früh „dünne machte“, um den 1. Mai oder den 7. Oktober zu verbummeln, tat es möglichst unauffällig. Besonders Ängstliche ließen sich krankschreiben – im Kleingarten gab’s genug zu tun und zu begießen. 

Das „Vaterland“ war sozialistisch, „deutsch“ hatte die Staatsmacht seit 1968 weitestgehend aus institutionellen Namen getilgt und durch „der DDR“ ersetzt, so etwa bei der Währung, der Staatsbank, der Akademie der Wissenschaften; der „Deutsche Turn- und Sportbund“ blieb verschont, vermutlich weil er auf internationaler Ebene erfolgreich konkurrierte, auch Schäferhund und Reichsbahn kamen davon, was Staatsfeinde zu dreckigen Witzen animierte.

Legitimierte Gewalt

Der Konfliktforscher Friedrich Hacker, geboren 1914 in Wien, ab 1938 in die Schweiz und die USA emigriert, dort als Psychiater und Rechtswissenschaftler erfolgreich, ist durch seinen Satz „Gewalt ist das Problem, als dessen Lösung sie sich ausgibt“ vielen in Erinnerung. Er steht am Anfang von 25 „Thesen zur Gewalt“, die meisten lesen sich, als seien sie gestern und nicht vor mehr als einem halben Jahrhundert geschrieben. Sein Buch „Aggression – Die Brutalisierung der modernen Welt“ erschien 1971 mit einem Vorwort von Konrad Lorenz. Wer es liest, wird über das versammelte Wissen zum Thema Gewalt ebenso erstaunen wie über die Klarsicht, mit der Hacker den Gang der Weltpolitik vorhersah. 

„Gewalt ist ansteckend wie Cholera; sie verdankt ihre Virulenz dem Schein der Rechtfertigung, der sie epidemisch macht.“ – seine vierte These – führt direkt auf die Verbindung zwischen sichtbarer, physischer und stets beteiligter informeller Gewalt. Im Zeitalter globaler Kommunikation und omnipräsenter Medien dominiert Letztere fast alle Konflikte. Kriege sind immer Kriege um die Deutungshoheit, aber nie zuvor waren die Arsenale zum Vernichten des Gegners derart hochgerüstet wie heute.

Die Waffen der Propaganda wüten Tag und Nacht – überall in der Welt, aber nicht nur dort, wo Bomben, Raketen, Panzer Menschen schlachten, sondern im alltäglichen Kampf um die ideologische Vorherrschaft in den Köpfen – und keine Regierung dieser Welt will darauf verzichten, eigene Gewalt zu legitimieren, ihre politischen Gegner moralisch zu delegitimieren, ihrer Würde zu berauben, zu erniedrigen, zu zerstören.

Es ist kein Zufall, dass autokratische, totalitäre Staaten fast immer an weitgehend gleichgeschalteten Medien zu erkennen sind – und politisch abhängige Justiz das Strafrecht als Waffe nutzt.

Beleidigt, herabgewürdigt, diskriminiert

Liebesministerien nach Mielke-Vorbild sehen so etwas ungern veröffentlicht, aber das MfS hinterließ mit seiner „Richtlinie Nr. 1/76“ ein Zeugnis besonderer Niedertracht: „Feindlich-negative Personen“ und ihre im Verdacht oppositioneller Absichten stehenden Aktivitäten wurden zu „operativen Vorgängen“ gestempelt, ihr Leben Maßnahmen der „Zersetzung“ unterworfen.

Dazu gehörte etwa 

„systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender, sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben; systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen; […] Erzeugung von Zweifeln an der persönlichen Perspektive; Erzeugen von Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von Gruppen […]; örtliches und zeitliches Unterbinden beziehungsweise Einschränken der gegenseitigen Beziehungen der Mitglieder einer Gruppe […] zum Beispiel durch […] Zuweisung von örtlich entfernt liegenden Arbeitsplätzen“ (Zitiert aus Wikipedia, „Zersetzung von Einzelpersonen“)

Schauprozess überflüssig

Ziel solcher Maßnahmen war nicht immer eine nachfolgende juristische Verfolgung; meistens sollten die Delinquenten einfach zum Schweigen gebracht werden. Der um internationale Anerkennung buhlenden Führung hätten Prozesse im Stile der 50er Jahre nur schlechte Presse beschert. „Zuckerbrot und Peitsche“ gegen Unfolgsame wechselten sich stattdessen ab, oppositionelle Gruppen wurden durch abgestimmtes Vorgehen nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ gespalten, mancher ließ sich durch berufliche Vorteile korrumpieren, andere wurden mittels Strafandrohung erpresst, etwa wegen Verstoßes gegen 

§ 220. Öffentliche Herabwürdigung. 

(1) Wer in der Öffentlichkeit die staatliche Ordnung oder staatliche Organe, Einrichtungen oder gesellschaftliche Organisationen oder deren Tätigkeit oder Maßnahmen herabwürdigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer Schriften, Gegenstände oder Symbole, die geeignet sind, die staatliche oder öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen, das sozialistische Zusammenleben zu stören oder die staatliche oder gesellschaftliche Ordnung verächtlich zu machen, verbreitet oder in sonstiger Weise anderen zugänglich macht.“…

Fällt Ihnen auf, wie Wünsche nach vergleichbaren Gesetzen und einer entsprechend digital aufgerüsteten Personenkontrolle Richtung Gesinnungsprüfung hierzulande von Parteien und ihnen willfährigen Medien ventiliert werden? 

Nicht nur in China und Nordkorea sind sie realisiert; es gibt Organisationen, die auf einen derart verfassten Staat hinarbeiten längst hier in Deutschland. Tauschen Sie einfach das Wort „sozialistisch“ in Absatz (2) durch „demokratisch“ aus.

Drahtlos am Draht – weltweit

Moderne Informationstechnologie ertüchtigt inzwischen durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz  die Überwachung, Kontrolle und Desinformation zu kaum vorstellbarer Perfektion – Erich Mielke und seine Helden des sozialistischen Internationalismus konnten davon nur träumen. Das weckt bei nicht wenigen Aktivisten wieder Träume einer Weltregierung mit totaler Deutungshoheit. Wer nicht konform geht, ist „raus aus dem gesellschaftlichen Leben“.  So verhieß es der damalige saarländische Ministerpräsident Tobias Hans Menschen, die sich nicht mit einem fragwürdigen gentechnischen Medikament „impfen“ lassen wollten, kurz vor Weihnachten 2021. Man warf „Ungeimpften“ vor „Verschwörungstheorien“ anzuhängen und „Fake news“ zu verbreiten, etwa was Nebenwirkungen des Medikaments anlangt. Sie behielten Recht. 

Hans wurde – wie viele Befürworter einer strafbewehrten Impfpflicht – von Großverdienern des „Pandemie“-Managements applaudiert. Das Corona-Geschehen gab einen Vorgeschmack politischer Absichten von Leuten, denen außer wohlgefälligem Konformismus in einem Block der „Guten“ jegliches Überlegen missfällt. 

Neues Heldentum und wohlvertraute Absichten

Wie zum Beweis dafür äußerte sich kürzlich in einem Video die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, Katharina Schulze zu allgemeineren gesetzlichen Regeln:

„Wir müssen den „Einsatz gegen Fake News und Verschwörungsmythen intensivieren, indem wir die Vernetzungen der verschiedenen Akteure offenlegen. Wir brauchen weitere konkrete Maßnahmen, wie zum Beispiel eine virtuelle Polizeiwache, sodass jede Bürgerin, jeder Bürger Hass, Hetze, Beleidigungen, Bedrohungen, Antisemitismus bequem und einfach von zu Hause aus vom Sofa aus anzeigen kann. Wir müssen unsere Sicherheitsbehörden gut ausstatten, damit sie den Fahndungs- und den Ermittlungsdruck auf die rechte Szene erhöhen, dass sie die digitalen Machenschaften noch besser in den Blick nehmen können.“

Der heldenhaft Kampf von Frau Schulze ist nicht mehr wie Erich & Erich in der DDR auf willfährige „Informelle Mitarbeiter“ angewiesen. Es ist ganz einfach: Jeder, den sie und Ihresgleichen der „rechten Szene“ zuordnen, darf denunziert werden von allen, die sich selbst zu den „Guten“ rechnen und  gerne nach einem sehr alten lateinischen Wort handeln: „Audacter columniare – aliquid haeret!“ – „Nur dreist verleumden – es bleibt immer etwas hängen!“

Nein, die neuen Helden haben keine neuen Absichten. Sie wollen die Macht – vor allem die informelle – und sie wollen sie total. Die Mittel, die sie einsetzen, sind ebensowenig neu. „Divide et impera!“ – „Teile und herrsche!“ gehört dazu. Damit haben sie es weit gebracht. Die Polarisierung der Bevölkerung in „links“ und „rechts“, gleichbedeutend mit „gut“ und „böse“, ist dank des milliardenschweren Übergewichts konformer Medien lange „alternativlos“ vorangekommen.

Fanden einst die RAF-Terroristen in der DDR Unterschlupf und Transit nach Palästina, so erfreuen sich heute Extremisten fast jeglicher Provenienz wohlwollender Duldung durch Politbürokraten und Medienkartell. Um als Feind der Demokratie verschrien zu werden, muss einer weder Bomben basteln noch Geiseln entführen, es reicht wenn er unbequeme Meinungen äußert. Rechts und rechtsextrem werden verquirlt zum Bild des Staatsfeindes.

Das ist nicht neu, es ist nur ein Symptom der Paranoia bei Parteien, deren Selbstgewissheit von der Realität abgeräumt wird. In Europa rollt sie überall auf den Straßen – und kein noch so sehr mit Phrasen aufgepumpter rechter Popanz lässt sie verschwinden.

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