Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts: Hier.
Der ehemalige Herausgeber der „The Times“, Lord William Rees-Mogg (1928 – 2012), und sein Mitautor James Dale Davidson schrieben bereits 1999 in ihrem Buch „Das souveräne Individuum“, dass sie die Politik, wie wir sie heute kennen, quasi im Sterben liegen sehen. Sie legen dar, dass es Politik, einschließlich des Begriffes selbst, etwa erst seit rund 500 Jahren gibt, etwa mit Beginn der Frühindustrialisierung, und sie schreiben: „Jetzt stirbt sie. Eine weit verbreitete Abneigung gegen Politik und gegen Politiker breitet sich über die ganze Welt aus.“
Aber diese Abneigung gegen Politik komme, bevor die Leute eine konkrete Ahnung davon hätten, wie es ohne Politik aussehen könnte. So wie sich die Menschen am Ende des 15. Jahrhunderts nicht vorstellen konnten, dass man ohne (von oben) aufgezwungene Religion leben könnte, so könnten sich heute die wenigsten Menschen vorstellen, wie man ohne Politik leben könne.
Ein „Geschäftsmodell” nähert sich seinem Ende
Selbst dem einen oder anderen Leser dieser Kolumne mag es noch schleierhaft sein, wie ein Leben ohne Politik aussehen könnte, aber Rees-Mogg und Davidson erzählen in ihrem Buch manchem verblüfften Leser, dass es Staaten zwar schon sehr lange gibt, sie aber historisch eher eine Randerscheinung gewesen sind wie etwa „Orientalische Despotien”. In ihrer heutigen Ausprägung als Nationalstaaten gebe es Staaten aber erst seit etwas über 200 Jahren, also seit der französischen Revolution 1789 und dem sich daran anschließenden „Nationalismus” oder „nation building”. Davor – und teilweise auch heute noch – gab es eine ganze Vielzahl von Souveränitäten wie etwa Stadtstaaten, freie Reichsstädte und Reichsdörfer, Kaufmannsbünde (Hanse), souveräne Individuen wie Fürsten, Lords oder Markgrafen, Sultanate, Erzbistümer, Täufer-Kolonien bis hin zu souveränen „Krankenhausverwaltungsgesellschaften“ wie den etwa neunhundert Jahre alten „Souveränen Ritter- und Hospitalorden vom Heiligen Johannes zu Jerusalem, von Rhodos und von Malta“, besser bekannt als (Souveräner) Malteserorden.
Möglich ist auch geteilte Souveränität wie Sonderwirtschafts- und Freihandelszonen oder dezentrale föderalistische Organisationen, und hört man auf Wilhelm Röpke (1899 – 1966), so wäre eine bottom-up strukturierte geteilte Souveränität Deutschlands das beste gewesen, was aus der Sicht der Netto-Steuerzahler hätte passieren können. Denn gibt es viele Souveränitäten und sind die kulturellen und ökonomischen Anpassungskosten beim „Abstimmen mit den Füßen” gering, so übt dies einen hohen Druck auf die Obrigkeit aus, dem sie sich nicht entziehen kann, wenn sie Vermögende und Hochqualifizierte im Land halten will. So schreibt Burkhard Sievert über Wilhelm Röpke:
„Für Röpke war das Jahr 1866 das Schicksalsjahr Deutschlands, denn die Annexion des Königsreichs Hannover besiegelte die Verpreußung Deutschlands. Wären die Deutschen bis dahin stolz gewesen, Westfalen oder Hannoveraner zu sein, so wären sie nun zu Nationalisten geworden.“
In Deutschland sei keine republikanisch-freiheitliche Struktur mit kommunaler Souveränität oder vorrangiger Souveränität der deutschen Länder etabliert worden. Nach Röpke müsste der Zentralstaat in seiner Herrschaft beschnitten werden und der Zentralismus müsste durch kommunale Souveränität in Verbindung mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung ersetzt werden, wenn man moralisch-kulturelle, gewachsene und selbstverantwortliche Gemeinschaften wolle.
Und das ist gar nicht kompliziert, sondern einfach zu bewerkstelligen, indem man schlicht den Geltungsvorrang des Rechts vom Kopf auf die Füße stellt, wie dies im nachfolgenden Schaubild dargestellt ist und wie dies beispielsweise im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ der Fall war.
Grundlagen des neuen „Geschäftsmodells”
Dabei würde durch eine solche Bottom-up-Souveränität die föderale Struktur Deutschlands nicht etwa gefährdet, sondern massiv gestärkt, und statt Pseudo-Subsidiarität gäbe es wirkliche Subsidiarität, nämlich dass die unterste, „bürgernächste” Organisation selbst über ihre Kompetenz entscheidet und damit die sogenannte „Kompetenz-Kompetenz” innehat, also die „Zuständigkeit für die Zuständigkeit”.
Wie Ludwig von Mises (1881 – 1973) bereits 1927 in „Liberalismus“ schrieb, erfordert eine wirkliche liberal-demokratische Ordnung im Sinne von echter Selbstbestimmung, dass die „Bewohner eines jeden Gebietes, das groß genug ist, einen selbständigen Verwaltungsbezirk zu bilden“ ihre Angelegenheiten selbst regeln. Und Mises weiter: „Wenn es irgend möglich wäre, jedem einzelnen Menschen dieses Selbstbestimmungsrecht einzuräumen, so müsste es geschehen.“
Ähnlich wie die Visionäre Röpke und Mises sehen auch Rees-Mogg und Davidson in der Kleinteiligkeit und Vielzahl von Organisationen, die „Souveränitäts-Dienstleistungen” anbieten, die Zukunft. Die Nationalstaaten „französischer Prägung”, so wie sie heute die ganze Welt unter sich aufgeteilt haben, so Rees-Mogg und Davidson sinngemäß, mögen ihre „Daseinsberechtigung” zur Zeit der Industrialisierung gehabt haben. Nunmehr aber seien sie überschuldet, aufdringlich und übergriffig und korrupt und genauso am Ende ihrer Zeit, wie es die katholische Kirche im Hinblick auf ihre Vormachtstellung am Ende des 15. Jahrhunderts gewesen sei. Die heutigen technologischen und gesellschaftlichen Bedingungen würden dieses Ende ebenso „erzwingen”, wie das Schießpulver und der Buchdruck das Ende der „Herrschaft der institutionalisierten Religion” erzwungen hätten.
Die Zukunft sehen sie nicht in einer „Weltregierung”, sondern im Gegenteil in Mini-Staaten, Stadtstaaten (Private Cities) und allen möglichen Formen geteilter Souveränität bis hin zu souveränen Individuen. Das ökonomische Prinzip des freiwilligen Austausches, dessen Kernelement Effizienz ist, werde den Sieg davontragen über das politische Prinzip des erzwungenen Austausches, dessen Kernelement Effektivität ist (Wirkungsmacht, „whatever it takes”, egal was es kostet).
Also warum Wasser?
Die zahlreichen Profiteure des Nationalstaates und seiner Umverteilungspolitik werden diesen natürlich nicht kampflos aufgeben wollen, so Rees-Mogg und Davidson. „Die meisten, die glühend eine politische Agenda verfolgen, egal ob Nationalisten, Umweltaktivisten oder Sozialisten, werden sich zusammenscharen, um den taumelden Nationalstaat zu verteidigen“, schreiben sie.
Der Nationalstaat sei die Grundbedingung für konventionelle politische Strategien, ganz egal um welche Politiken es im Einzelnen ginge. „Umweltaktivisten werden beispielsweise ihren Fokus weniger auf den Schutz von ‚Mutter Erde‘ richten und mehr auf den ‚Schutz des Mutterlandes‘“, so die Autoren.
Letzteres konnten und können wir beim Ukraine-Krieg bereits beobachten. Aber der Punkt hier ist, dass es ziemlich gleichgültig ist, welches Narrativ gerade genutzt wird, um den staatlichen „Zwangs- und Unterdrückungsapparat“ (Mises) zu retten beziehungsweise sogar noch weiter aufzublähen.
Der Nationalstaat ist das Vehikel der Politikversessenen, mit dem sie Ressourcen für sich und andere erringen und ihre Befehle durchsetzen können. Und die Narrative pro Staat und damit pro Zwang sind mittlerweile vielfältig geworden. Je nach ideologischer Ausrichtung stehen aktuell etwa Gleichheit, Klima, Krankheit, „Hass und Hetze im Netz”, Migration sowie Krieg und Militärzwang oben auf der Agenda.
Was ist also der neueste Trend? Wasser! Es gibt einen „Dürremonitor“, der ins Schaufenster gestellt wird, wann immer es opportun scheint, und Politiker sowie ihre Vorfeld-NGOs beklagen niedrige Pegelstände in Seen und Flüssen. Dies sehen sie natürlich ganz klar im Zusammenhang mit ihrem Lieblings- und Meta-Narrativ, der dräuenden „Klimakatastrophe”.
Der Ökonom Stefan Homburg argumentiert seit längerem sinngemäß, dass diese vorgebliche „Dürrekatastrophe“ wiederum ein Spektakel sei, das man mit den Daten aus amtlichen Statistiken leicht widerlegen kann. Und wir „Austrians”, die wir sehr penibel sind, wenn es um die wissenschaftliche Methode und deren „Beweiswert” geht, haben bereits zur „Corona-Zeit” und im Hinblick auf den Klimawandel schon seit längerem nachgewiesen, dass mit der verwendeten Methode des subjektiven Interpretierens komplexer, nicht-wiederholbarer Phänomene der Beweis solcher Katastrophen-Prophezeiungen denknotwendig nicht erbracht werden kann.
Prominent ist in diesem Kontext ein Filmausschnitt geworden, der die Ökonomin Mariana Mazzucato vor dem Logo des „World Economic Forum“ zeigt, wie sie sagt: „Wasser ist etwas, das die Leute verstehen.“
Der Klimawandel sei ein bisschen abstrakt, aber Wasser, jedes Kind wüsste, wie wichtig es sei, Wasser zu haben. Und Stefan Homburg schrieb: „Die PsyOp ‚Die Erde verbrennt‘ kam ins Stocken, weil die Eismassen der Antarktis zunehmen. Todesseuchen laufen auch nicht mehr so gut. Daher ist nun Dürre angesagt.“
Interessant finde ich, dass das „Geschäft mit dem Wasser”, also der scheinbar neueste Trend, wenn man so will, in Wirklichkeit so alt ist wie die Zivilisation selbst. Es ist der „älteste Trick”. So schreiben Rees-Mogg und Davidson: „Vor der modernen Zeit waren die meisten Staaten ‚Orientalische Despotien‘ in Wüsten, deren Überleben von der Kontrolle ihrer Bewässerungssysteme abhängig war.“
Selbst das römische Imperium sei im Hinblick auf Ägypten und Nordafrika eine „hydraulische Gesellschaft“ gewesen. Aber Rom fehlte es außerhalb Afrikas an der Möglichkeit, Gehorsam gegenüber dem Gewaltmonopol zu erzwingen, das die Möglichkeit, Menschen verhungern zu lassen, mit sich bringe. Der römische Staat außerhalb Afrikas habe nicht das Wasser für den Ackerbau abdrehen können, indem er aufbegehrenden Leuten den Zugang zu Bewässerungssystemen abschnitt.
Die ersten Staaten, die es gab, nutzten also schon das Wasser, um Gehorsam gegenüber dem Gewaltmonopol zu erzwingen, und wie es scheint, sind auch die vielleicht „letzten Staaten” in ihrer heutigen Form als „nationale Militärorganisationen mit angeschlossenem Politik- und behindertem Wirtschaftsbetrieb”, also National- und Wohlfahrtsstaaten zeitgenössischer Prägung, versucht, mit dem Thema Wasser ihr „Geschäftsmodell” auszubauen, zu verlängern oder zu retten.
Schlussbetrachtung
In den USA scheint man die Zeichen der Zeit langsam zu erkennen: kleine, effiziente Souveränitäten und geteilte Souveränität bottom-up. Ein gutes Beispiel ist die Abschaffung der Bundeserziehungsbehörde, weil „Bildung” von den „unteren” Souveränitäten – den Staaten – selbst und besser organisiert werden kann als vom zentralistischen bürgerfernen Bund.
Ein weiteres Beispiel ist die von der Administration Trump politisch gewollte Verschlankung und Verkleinerung des Bundes und seiner ausufernden Staatsausgaben. Wobei natürlich in den USA die berufsmäßigen Politiker und andere Profiteure des Status-quo ebenso erbittert Widerstand leisten gegen den Rückbau ihres Einkommens- und Machtvehikels wie anderswo.
Ein weiteres Beispiel ist Argentinien, wo „Staatsschrumpfung” unter Präsident Javier Milei sozusagen zur Staatsräson wurde.
Im Mutterland der Dichter und Denker hingegen glauben die politischen Akteure offenbar immer noch daran, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können. Das kann aber nur solange gut gehen, bis der normative Druck des Faktischen auch hierzulande zu einem Umlenken zwingt. Denn wenn Hochqualifizierte und Vermögende das Land verlassen, Auslandsinvestitionen ausbleiben und der Kapitalstock aufgezehrt wird, dann werden wohl auch die politischen Player hierzulande damit aufhören müssen, zu versuchen, den Leuten das Wasser abzugraben.
Und dann wird auch hier in Deutschland Souveränität neu gedacht werden müssen, um Leute, die Wohlstand mehren, anstatt ihn aufzuzehren, zum Bleiben zu motivieren oder anzulocken, anstatt sie zu verschrecken.
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