Oh Germany!

Wie entsteht nochmal Totalitarismus? – Genau so.

Es ist wieder soweit. Deutschland, das Land der Dichter und Denker, befindet sich auf dem besten Weg, erneut Geschichte zu schreiben – diesmal nicht nur als Farce sondern zugleich als Beweis für die Welt: „Seht her, wir haben so ziemlich überhaupt nichts aus der Geschichte gelernt. We are so back!“ 

Wieder einmal schleichen sich politische Strukturen ein, die mit einem freien Gemeinwesen nur noch wenig zu tun haben. Und wieder einmal merkt die Mehrheit es nicht, oder will es nicht merken.

Totalitarismus kommt nicht im Panzer, er kommt im Kostüm der Demokratie, mit wohlklingenden Namen wie „wehrhafte Demokratie“, „Zivilgesellschaft“, „Verantwortung“ oder gar „unsere Demokratie“. Die ersten Opfer? Die Meinungsfreiheit, das offene Gespräch und der politische Gegner – sofern er nicht brav im vorgegebenen Meinungskorridor mitmarschiert.

Staatskritik während Corona: „verfassungsschutzrelevant“

In einer funktionierenden Demokratie darf und muss die Regierung kritisiert werden – nicht nur in Wahlkampfzeiten, sondern immer. Das Wesen der Demokratie liegt darin, dass sie ein System institutionalisierten Streits ist. Nicht Gewaltenteilung allein schützt die Freiheit, sondern die beständige Reibung zwischen widerstreitenden Kräften. Doch was geschieht, wenn diese Reibung systematisch unterdrückt wird?

Ein aktuelles Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz klassifiziert pauschale Kritik an staatlichen Maßnahmen während der Corona-Pandemie als „verfassungsschutzrelevant“. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Der Widerspruch gegen möglicherweise verfassungswidrige Maßnahmen – Lockdowns ohne gesetzliche Grundlage, Grundrechtseinschränkungen ohne evidenzbasierte Notwendigkeit – soll selbst als verfassungsfeindlich gelten. Orwell ist nicht tot, er hat nur einen Referentenvertrag beim Innenministerium.

Ein Staat, der diejenigen, die seine Verfehlungen anprangern, als Verfassungsfeinde bezeichnet, vertauscht Täter und Opfer. Es ist der Versuch einer demokratischen Umstülpung von innen heraus: Der Totalitarismus wird nicht mehr eingeführt, er wird ausgerufen – als Verteidigung der Demokratie. Die Täter nennen sich dann Hüter der Freiheit und Demokratie und sind tatsächlich die Termiten im Gebälk der Demokratie.

Die echte Demokratie macht aus, dass sie jeden sachlichen Streit integrieren und verarbeiten kann. Thematische Tabus sind in einer echten Demokratie nicht vorgesehen. Alles, was von öffentlichem Interesse ist, muss zur Sprache kommen dürfen. Auch das Hinterfragen der Legitimität der aktuellen Ordnung und der Demokratie selbst. In dem Moment, wo dies kriminalisiert oder mit dem Etikett „verfassungsfeindlich“ versehen wird, hört die Demokratie zu atmen auf und es beginnt der Atemzyklus der eiserne Lunge des Totalitarismus.

Fundamentalkritik am Staat gehört zur deutschen Geistesgeschichte, man fand sie bei Nietzsche, Stirner, Arendt oder Jaspers; man könnte noch weiter zurückgehen und würde immer wieder fündig. Heute muss man sagen: an den Reaktionen sieht man die Krise. Eine vitale Demokratie kann sich verteidigen und argumentieren; eine morbide Pseudodemokratie muss etikettieren, verbieten, kontrollieren und aussieben. Der Verfassungsschutz müsste sich, wenn er seinen Auftrag ernst nimmt, eigentlich sofort selbst ins Visier nehmen. Sowie noch einige andere Politiker … 

(Screenshot: BfV-Gutachten)

(Vergleichen Sie mit dem Video von Wolfgang Schäuble vom 18.11.2011.)

Die Radikalität des Mitte-Konglomerats

In einer absurden Ironie verschmelzen Regierung, Behörden, Medien und „zivilgesellschaftliche Akteure“ zu einem Machtkonglomerat, das keine Opposition duldet. Die Mitte radikalisiert sich – im Namen der Mäßigung. Wer kritisch ist, gilt als gefährlich. Wer widerspricht, als Extremist. Wer die Demokratie retten will, wird zu ihrem Feind erklärt.

Wenn der Verfassungsschutz politische Kritik an der Regierung als potenziell staatsgefährdend einstuft, dann wird das Prinzip der Machtkontrolle ins Gegenteil verkehrt. Die Regierung steht nicht mehr unter Beobachtung, sondern ihre Kritiker.

Damit steht Deutschland heute an einem Punkt, an dem es seine demokratische Selbstvergewisserung dringend bräuchte – doch diese wird im Keim erstickt. Die repressiven Tendenzen nehmen groteske Formen an: Memes über Nancy Faeser werden mit staatsanwaltschaftlichem Eifer verfolgt, als handle es sich bei Satire um eine neue Art des Terrorismus. Gleichzeitig braucht es Mut, um öffentlich auszusprechen, was jeder weiß: Dass sich viele Menschen nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen.

Meinungsfreiheit heißt nicht nur, dass man juristisch etwas sagen darf. Meinungsfreiheit lebt von einem Klima, in dem sie ausgeübt werden kann. Volker Böhme-Nessler, Professor für Öffentliches Recht, bringt es auf den Punkt: Zur gelebten Meinungsfreiheit gehört auch ein Klima der Meinungsfreiheit, sonst ist das nur eine Freiheit auf dem Papier.

In der DDR stand auch das Recht auf Meinungsfreiheit in der Verfassung. Papier ist geduldig. Aber Menschen sind es nicht unbegrenzt. Die Atmosphäre in Deutschland erinnert heute an ein Land, das auf dem Papier frei ist, aber faktisch in einer Angstspirale gefangen: Angst vor Kündigung, Angst vor gesellschaftlicher Ächtung, Angst vor juristischen Konsequenzen. Wer widerspricht, wird aus dem Diskurs verbannt – oder gleich aus dem Berufsleben. 

(Auch in Europa will man die Opposition verbieten. Screenshot Twitter)

Das Remigrations-Tabu

Ein besonders deutliches Beispiel für die neue Art von Totalitarismus ist die Debatte um Migration. Oder vielmehr: die Nicht-Debatte. Es ist schon eine erstaunliche Entwicklung, wenn ein Land massenhaft Menschen – teils ohne Ausweispapiere – aufnimmt, aber jede echte Migrationsdebatte unterbindet. Wer über „Remigration“ spricht, wird automatisch als rechtsextrem stigmatisiert, als gefährlich, als Nazi.

So geschehen zuletzt im Fall eines identitären Kongresses in Mailand, bei dem europäische Aktivisten das Thema Remigration diskutieren wollten. Die deutsche Polizei verhinderte die Ausreise einzelner Teilnehmer, belegte sie mit Maßnahmen, wie man sie sonst von Hooligans kennt: Ausreiseverbote, Kontrollmaßnahmen, Einschüchterung. Wie bitte begründet man ein Ausreiseverbot zu einem politischen Kongress in einem demokratischen Europa?

Der Begriff „wehrhafte Demokratie“ wird zur Nebelkerze für Repression. Wer fundamentalen Widerspruch äußert – etwa gegen die massenhafte Einwanderung ohne gesetzliche Grundlage und gegen die Missachtung des Dublin-Abkommens – wird an demokratischer Teilhabe gehindert. Und wieder stellt sich die Frage: Wer ist hier eigentlich der Radikale?

Was passiert in einem Staat, der die Demokratie in Sonntagsreden beschwört, aber gleichzeitig alles tut, um abweichende Meinungen zu unterdrücken? Der nur noch bestimmte Protestformen zulässt, nur genehme Meinungen duldet und Dissidenten durch Ämter und Behörden verfolgt?

Es entsteht ein System der Angst, des Selbstzweifels, der sprachlosen Resignation. Die Demokratie bleibt als Hülle erhalten, ihr Inneres aber wird ausgehöhlt, umgedreht, umetikettiert. Die sogenannte „wehrhafte Demokratie“ wird zur „wehrhaften Regierung“.

Muss man es wirklich so deutlich sagen? Doch, man muss. Eine Demokratie, die die Opposition bekämpft, ist keine Demokratie mehr. Eine Regierung, die sich selbst als unverhandelbar erklärt, hat ihre demokratische Legitimation verwirkt. Demokratie lebt vom Wechsel, vom Streit, vom Gegenüber – nicht vom moralischen Imperativ eines Mitte-Kartells.

Es ist das Wesen des Rechtsstaats, dass nicht die Macht recht hat, sondern das Recht. Doch wer heute Recht einfordert, steht schnell im Fadenkreuz: als Querulant, als Schwurbler, als Verfassungsfeind. Und das, obwohl viele der Maßnahmen der vergangenen Jahre inzwischen von Gerichten kassiert wurden: Schulschließungen, Ausgangssperren, Maskenpflichten.

Was bleibt, ist ein massiver Vertrauensverlust. Nicht nur in einzelne Politiker oder Parteien, sondern in das ganze System. Wer sich heute in Deutschland kritisch äußert, wird nicht mehr mit Argumenten konfrontiert, sondern mit Repressionen. Die Waffen des Staates richten sich gegen die Bevölkerung – gegen jene, die ihre Bürgerrechte wahrnehmen.

Es gibt einen Satz von Hannah Arendt, der aktueller nicht sein könnte: „Die größte Gefahr für die Freiheit ist die Gleichgültigkeit.“ Wer glaubt, dass man nichts tun könne, wenn demokratische Prinzipien ausgehöhlt werden, irrt. Denn das Gift des Totalitarismus wirkt nur dort, wo es keinen Widerstand gibt.

Totalitarismus beginnt nicht mit Gewalt – er beginnt mit dem Ausschluss. Mit der Sprache. Mit dem Tabu. Und er endet immer dort, wo Menschen sich daran erinnern, dass Freiheit kein Geschenk ist, sondern ein Anspruch. Jeder Einzelne ist gefragt.

Wenn der Staat kritische Stimmen zum Verstummen bringen will, dann ist es unsere Pflicht, sie lauter zu machen. Wenn die Demokratie zur Hülle verkommt, dann braucht es Menschen, die ihr wieder Leben einhauchen. Mit Mut. Mit Klartext. Mit Haltung.

Oh Germany – wie entsteht nochmal Totalitarismus?

Genau so.

Dies ist ein vom Autor persönlich genehmigter Abdruck. Der Text erschien im Original auf dem Blog „Freischwebende Intelligenz” des Autors.

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