Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts: Hier.
In der Beschreibung der Wokeness herrscht weitgehend Einigkeit. Es ist eine vor allem von Akademikern und Jugendlichen getragene Protestbewegung, die durch Hypermoral und Hyperemotionalität charakterisiert ist. Doch wie hängen beide zusammen, und was motiviert die Bewegung? (Die massiven wirtschaftlichen Interessen, die mit der Wokeness mittlerweile verknüpft sind, lasse ich hier einmal beiseite.) – Ich denke, diese Frage lässt sich ganz klar und einfach beantworten.
Eine Kultur, die zugunsten radikaler, kleiner Minderheiten auf Normalität, also auf Standards und verbindliche Normen, verzichtet, kann den Menschen keine selbstverständlich vorgegebenen Werte mehr anbieten. Die Prozesse der Individualisierung erfolgen jetzt also ohne Maßstab. Und die Selbstbestimmung – jetzt durch die Ampel in Gesetzesform gegossen – erscheint wie im Existenzialismus der 50er Jahre als absolute Wahl.
Und in dieser Wahl geht es um die existenziellste aller Fragen, nämlich die nach dem eigenen Geschlecht. Was bisher Schicksal schlechthin war, gilt jetzt als Option. Das erzeugt ein Maximum an Unsicherheit. Um Halt zu finden, brauchen die Woken das stützende Korsett eines geradezu jakobinischen Moralrigorismus, der in aller Abstraktheit Gut und Böse unterscheidet.
Diese Abstraktheit ist aber eins mit Realitätsfremdheit, und deshalb fühlen sich die Woken in jeder konkreten Situation hilflos. Diese Hilflosigkeit ist der Grund für die Hypersensibilität und Überempfindlichkeit, die ihnen den Namen „Schneeflocken“ eingebracht hat. Doch diese Schneeflocken wollen nicht einfach nur in der Sonne der Realität schmelzen, sondern sie wenden ihre Überempfindlichkeit aggressiv nach außen.
Das nennt man dann Aktivismus. Er gilt als wertvoll, weil er etwas kostet – vor allem Zeit. Doch muss man begreifen, dass Aktivismus immer eine Investition in Identität ist. Und man muss sehen, dass Kosten einen Eigenwert gewinnen können, wenn der Weg mit dem Ziel zusammenfällt. Das gilt für die Wallfahrt des Gläubigen, für das Training des Körperbewussten – und eben auch für die Suche der Woken nach ihrer Protestidentität.
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