Wer sprengte die Pipeline in der Ostsee?

Vor wenigen Tagen veröffentlichte Seymour Hersh einen Artikel über die Urheberschaft der Biden-Regierung. Der Umgang damit liefert wenige Erkenntnisse über den Tatbestand, aber offenbart viel über die Funktionsweise unseres Mediensystems. Wie es gewesen ist, interessiert kaum noch einen.

Im Herbst 1966 arbeitete ein junger Journalist als Pentagon-Korrespondent der Nachrichtenagentur Associated Press. Mit einigen Kollegen wurde er vom damaligen Verteidigungsminister Robert McNamara und dessen Stellvertreter Cyrus Vance zu einem mittäglichen Gespräch eingeladen. Es ging um eine Meldung über ein Gefecht im damaligen Vietnamkrieg. Die beiden Politiker versuchten die Journalisten von einem „positiven Bild dieses Gefechts“ zu überzeugen. Der Feind, also der Vietcong, habe größere Verluste als man selbst erlitten. Zudem sei der verantwortliche Offizier wegen seiner Verdienste sogar befördert worden. Die anwesenden Journalisten einigten sich mit McNamara und Vance auf eine Sprachregelung über die zu nennende Quelle für den späteren Artikel. Man solle von „ranghohen Beamten“ sprechen. So geschah es dann auch. 

Kurze Zeit später erfuhr der junge Journalist den tatsächlichen Hintergrund dieser Geschichte: Dieses Gefecht war für die Amerikaner zu einem Desaster geworden, der verantwortliche Offizier nur zur Vertuschung befördert und versetzt worden. Der Berichterstatter geriet in ein Dilemma: Einerseits konnte er seine Quelle nicht nennen, ohne sie disziplinarischen Konsequenzen auszusetzen. Andererseits hatte er Angst und war zugleich wütend: „Ich wusste nicht, zu welchen Lügen die Verantwortlichen für den Krieg fähig waren, um nicht zugeben zu müssen, dass sie ihn verloren.“ 

Trotzdem hielt der Journalist damals den Mund, um seine Quelle nicht zu gefährden. Er schilderte diese Episode erst in seinen 2018 erschienenen Memoiren „Reporter. Der Aufdecker der amerikanischen Nation.“ 

Es handelt sich um Seymour Hersh, mittlerweile 85 Jahre alt.

Atom-U-Boote in der Ostsee?

Hersh ist zur Legende geworden: Er gilt ganzen Journalisten-Generationen als Vorbild für investigativen Journalismus. Vor wenigen Tagen veröffentlichte er einen Artikel über die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline am 26. September vergangenen Jahres. Er schildert den Hintergrund und den Ablauf dieser Sprengung minutiös, so kommt er zu eindeutigen Schlussfolgerungen: Die Vereinigten Staaten seien für diesen Sabotageakt verantwortlich. Er fand mit Wissen und Billigung des Präsidenten Joe Biden statt. 

Aufsehenerregend war dieser Artikel schon, allerdings lediglich in sozialen Netzwerken wie Twitter. So erschien eine deutsche Übersetzung lediglich auf den Nachdenkseiten und in der Jungen Welt, einer linken Tageszeitung aus Berlin. (Und zwar hier und hier). Alle anderen Medien verzichteten bisher auf eine Veröffentlichung. 

Tatsächlich herrschte zuerst einmal Erstaunen, es schien noch nicht einmal die Urheberschaft geklärt zu sein. Der Artikel war in einem erst kurz vorher erstellten Blog erschienen. Als das geklärt war, brachte etwa der Faktenfinder der Tagesschau einen Tag später eine kurze Zusammenfassung des Artikels von Hersh, verbunden mit einer Einordnung. Die bestand darin nach Ungereimtheiten im Artikel von Hersh zu suchen. So zitierte man einen Experten mit dem Einwand, es mache keinen Sinn mit atomar angetriebenen „U-Booten zu versuchen, unbemerkt in diese schmale Ecke der Ostsee zu fahren.” 

Laut Hersh war das eine in einer Arbeitsgruppe diskutierte Variante für das geplante Sabotageunternehmen. Zu der Schlussfolgerung könnte man aber auch in Washington gekommen sein, was der Experte und der Faktenfinder nicht erwähnen. Ansonsten beschäftigt man sich dort noch mit Mutmaßungen über die fehlenden Motive der amerikanischen Regierung oder dass die noch nutzbare eine Pipelineröhre ebenfalls gegen eine Täterschaft der USA sprächen. 

Allerdings können Motive auch auf falschen Annahmen beruhen, ansonsten hätte es nicht die 1961 von der CIA organisierte Invasion in der kubanischen Schweinebucht gegeben – oder 1979 den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan, um nur zwei Beispiele zu nennen. 

Außerdem verweist der Faktenfinder-Artikel noch auf die fehlende zweite Quelle von Hersh, um seinem Artikel journalistische Plausibilität zu verleihen. Nur, wen hätte Hersh kontaktieren sollen? Vielleicht Victoria Nuland, die ihm freudestrahlend bestätigt, es den Russen endlich einmal gegeben zu haben? 

Dann geht es noch um die Reputation von Hersh, der „umstritten“ genannt wird. Auch in seinem neuesten Bericht verbreite er „das prorussische Narrativ, die aggressive Außenpolitik der Biden-Regierung sei Schuld an der Eskalation zwischen Russland und der NATO.“ Die Angst vor solchen Narrativen trieben schon McNamara und Vance um, wobei niemand deren Reputation mit der einer Victoria Nuland gleichsetzen sollte: Das haben beide nicht verdient.

Der Artikel des Faktenfinders steht pars pro toto für den Umgang mit der Hersh-Story in vielen Medien. Sie suchen nach Einwänden, die keine sind, wie etwa die über den Einsatz von U-Booten. Oder sie betreiben Motivforschung, die sich darauf reduziert, dass sie mit „Narrativen“ übereinstimmen müssen. 

Dabei könnte es im Herbst vergangenen Jahres in Washington durchaus Überlegungen gegeben haben, Deutschland für einen unsicheren Kantonisten im westlichen Bündnis zu halten. Also diese Pipeline zu sprengen, damit bei uns auch theoretisch niemand mehr auf die Idee kommen kann, den Gasboykott aufzuheben. 

Aber das sind auch nur Überlegungen, die nichts zur Klärung des Sachverhaltes beitragen. Das gilt auch für die These einer russischen Urheberschaft, die sofort nach der Sprengung von Experten diskutiert wurde. Dazu gibt es bisher keinen einzigen Hinweis außerhalb jener Motivforscher, die Russland als Bösewicht auserkoren haben. Dann kann nicht sein, was nicht sein darf. Das ist allerdings weder Wissenschaft, noch Journalismus.

Ist Hersh noch zu trauen?

So geht es längst nicht mehr um die Sprengung der Pipelines und deren möglichen Täter, stattdessen finden regelrechte Schlachten um die Reputation von Hersh statt. Sie reduzieren sich auf die Frage: Darf man dem Pulitzer-Preisträger glauben? Sagt er die Wahrheit oder nicht? 

Die Legende namens Hersh hat aber zumeist wenig mit dem gleichnamigen Journalisten zu tun. Wahrscheinlich hat sich kaum einer seiner Kritiker oder Verteidiger die Mühe gemacht, seine Artikel oder Bücher überhaupt zu lesen. Hersh wurde zu Beginn seiner Karriere von einer Erfahrung geprägt: Seine Regierung in Washington hat keine Scheu zu lügen, wenn sie sich davon Vorteile verspricht. Der naive Glauben an deren Aufrichtigkeit wurde im Vietnamkrieg und in den kommenden Jahrzehnten systematisch erschüttert. 

Man kann nicht nur die Aufdeckung des Mỹ-Lai-Massakers durch Hersh selbst nennen, es gibt viele weitere Beispiele: Von Watergate über die Iran-Contra-Affäre in der Amtszeit von Ronald Reagan bis zu den Lügen über irakische Massenvernichtungswaffen vor dem Golfkrieg des jüngeren George Bush. 

Das kumulierte in der Amtszeit von Donald Trump, dem man in der amerikanischen Presse ganze Seiten mit seinen tatsächlichen und vermeintlichen Lügen widmete. Das hinderte aber seine Gegner nicht daran, schon vor Trumps Amtseinführung ein von den Demokraten in Auftrag gegebenes „Dossier” genanntes Pamphlet eines früheren britischen Agenten für bare Münze zu nehmen. Das war die Retourkutsche für die von Wikileaks im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 veröffentlichten Clinton-E-Mails. Deren Authentizität wurde nie bestritten, aber sofort Russland für die Cyber-Attacke verantwortlich gemacht. 

Anschließend war auf beiden Seiten alles erlaubt, was schließlich 2019 in einem Impeachment-Verfahren gegen Trump mündete. Es ging um die Ukraine, ein Telefonat von Trump mit dem damals neugewählten Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und die Rolle des späteren Präsidentschaftskandidaten Joe Biden in der Ukraine in seiner Zeit als Vizepräsident. 

Ab Dezember 2022 wurden die Twitter Files veröffentlicht: Das Unternehmen hatte geholfen, im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf von 2020 eine kritische Berichterstattung über Joe Biden und dessen Sohn zu unterbinden.

Vor diesem Hintergrund wäre eine rationale und journalistisch verantwortliche Debatte über Hersh ein Wunder. Die Medien sind nämlich längst vom Berichterstatter über das Schlachtfeld zum Akteur auf dem Schlachtfeld geworden. So machen sie den Artikel zur Glaubensfrage, wo Verschwörungen unter der Rubrik Verschwörungstheorie abgebucht werden. Das schützt einen vor lästigen Debatten über tatsächlich stattgefundene Verschwörungen, wie es etwa beim DAX-Konzern Wirecard der Fall war. 

Inwiefern es sich bei Twitter ebenfalls um eine Verschwörung verantwortlicher Mitarbeiter mit dem FBI oder der demokratischen Partei handelt, ist nicht abschließend geklärt. Es könnte auch sein, dass der Umgang mit den vielen Daten einfach zu viel wurde. 

Dabei gibt es durchaus die Möglichkeit, den Artikel von Hersh kritisch zu betrachten, selbst wenn man nicht der Meinung ist, dass Russland seine eigene Pipeline sprengt. Zuerst einmal skizziert Hersh eine Verschwörung, die einem wichtigen Kriterium für erfolgversprechende Komplotte entspricht: Nur wenige sind eingeweiht, bei Planern und Ausführenden ist der Kreis der Beteiligten überschaubar. Selbst bei den hinzugezogenen Norwegern mussten nur wenige in das Vorhaben eingeweiht werden. Hersh beschreibt das am Beispiel der Dänen und Schweden, die die Tauchvorgänge von Kampftauchern mitbekommen mussten, aber denen man eine Übung ankündigte. 

Eine geplante Verschwörung muss den Kreis der Mitwisser begrenzt halten, ansonsten ist die Gefahr der Aufdeckung zu groß: Daran scheitern auch die Theorien über die vorgetäuschte Mondlandung. Es sind zwar in dieser Geschichte von Hersh viele direkt oder indirekt an der Ausführung beteiligt, die meisten brauchen aber lediglich eine plausible Erklärung für die Aktivitäten. Warum soll sich in Schweden oder Dänemark jemand darüber wundern, dass im Rahmen eines Seemanövers auch Kampftaucher hinzugezogen werden? 

Für Hersh ist das aber ein Problem: Je kleiner der Kreis der Mitwisser ist, umso größer ist die Gefahr, dass seine Quelle enttarnt wird. Denn eines ist dem Artikel zu entnehmen: Sie hatte Einblick in die Planung und Durchführung. Wie er das Problem löst, ist nicht bekannt. Allerdings hat er in seinen Memoiren zwei Grundsätze betont: Zum einen kritische Informationen in seinen Artikeln und Büchern unabhängig überprüfen zu lassen. Für einen großen Artikel über die Vertuschungen des Massakers von Mỹ Lai benötigten seine Mitarbeiterinnen zwei Wochen, wie er in „Reporter“ feststellt. 

Wenn das aber sein Grundsatz ist: Wie erklärt sich seine Anmerkung in dem Nord-Stream-Artikel über den norwegischen NATO-Generalsekretär Jan Stoltenberg, der „seit dem Vietnamkrieg mit den amerikanischen Geheimdiensten zusammengearbeitet“ habe? – Der frühere norwegische Ministerpräsident ist 1959 geboren und war am Ende des Vietnamkriegs 1975 gerade einmal sechzehn Jahre alt. Liest seine Artikel noch jemand vor der Veröffentlichung oder wie ist dieser Hinweis sonst zu interpretieren? 

Zum anderen hatte er in dem Buch betont, dass er „frühzeitig beschlossen“ habe, „alle Insiderinformationen, die ich bekam, anderswo bestätigen zu lassen, selbst wenn jede Quelle auf völligem Stillschweigen über ihre Existenz bestand.“ 

Gilt das immer noch? Wir wissen es nicht.

Berechtigte Fragen

Hersh hat in seiner Karriere eine Arbeitsweise gehabt, die wenig glamourös ist. Es ist nicht das berühmte Treffen von Bob Woodward mit „Deep Throat“ in einer Washingtoner Tiefgarage, worunter viele investigativen Journalismus verstehen. Es war vor allem profane Recherche, die bei der Aufdeckung von Mỹ Lai zum Erfolg führte. 

Damals verbrachte Hersh Stunden im amerikanischen Militärstützpunkt Fort Benning, um den damals angeklagten Leutnant William Calley zu finden. Später nutzte er die Telefonbücher aus diesen Stützpunkten, um weitere Zeugen ausfindig zu machen, die am Massaker beteiligt waren oder etwas davon wussten. Es war die mühselige Suche nach der Nadel im Heuhaufen, um die Dimensionen von dem zu verstehen, was in Mỹ Lai passiert war. Denn das Pentagon hatte zivile Opfer nie bestritten, sie wurden nur als unvermeidliche Kollateralschäden in einem Guerillakrieg definiert. In Mỹ Lai hatte aber Calleys Einheit Zivilisten jeden Alters niedergemetzelt. Darum ging es in den Artikeln von Hersh, diese Vertuschung über den wahren Charakter dieses Krieges aufzudecken. 

Seine späteren Storys funktionierten nach dem gleichen Prinzip: Je bekannter er wurde, umso mehr Informanten aus den Geheimdiensten und der Armee wandten sich an ihn. Je mehr er erfuhr, umso besser konnte er seine weiteren Recherchen durchführen. Es ist aber die Frage erlaubt, wie gut die Quellen von Hersh noch sind, wenn viele Mitarbeiter in der heutigen US-Administration längst seine Enkel sein könnten. 

So konnte er in jüngster Zeit zwei seiner Storys über die Verwicklung Pakistans in die Tötung Osama bin Ladens und über Giftgasangriffe in Syrien nicht überzeugend belegen. Aber ein Muster war schon damals erkennbar: Die Medien, so schreibt er es in seinen Memoiren zum Bin-Laden-Artikel, „konzentrierten sich nicht darauf, was ich geschrieben hatte, sondern fragten sich, warum es nicht im New Yorker erschienen war.“ 

Der New Yorker war der wichtigste Auftraggeber von Hersh. Dessen Chefredakteur lehnte die Geschichte ab, weil sein Artikel „ohne nennbare Quelle … keiner Prüfung standhalten würde.“ 

Einen Präsidenten Obama im bevorstehenden Wahlkampf 2012 nicht zu beschädigen, könnte für den linksliberalen New Yorker ebenfalls ein Argument gewesen sein.  

Wie es auch gewesen sein mag, es stellen sich dem Leser in dem Artikel vom 8. Februar berechtigte Fragen: War Hersh (oder ein Mitarbeiter) an den von ihm genannten Orten, um dort mit eigenen Augen zu sehen, was ihm die Quelle sagte? Gibt es Hinweise vom mittelbar eingebundenen Personenkreis, die etwa auf den im Manöver verwendeten Schiffen etwas über die Kampftaucher zu sagen wissen? Was weiß man über die Flugdaten des im Artikel erwähnten P8-Überwachungsflugzeugs der norwegischen Marine, die bei einem scheinbaren Routineflug eine Sonarboje abgeworfen haben soll? 

In dem Zusammenhang zitiert er einen Wissenschaftler, der sich mit dem Thema des Auslösemechanismus für die von den Tauchern gelegten Sprengsätze auskennt. Aber warum hat sich Hersh nicht mit den Bildern und Videos vom Tatort beschäftigt, die etwa der Spieltheoretiker Christian Rieck schon vor drei Monaten in einem Gespräch mit dem Wehrtechnik-Experten Thorsten Pörschmann analysierte? Sie werden auch in den Vereinigten Staaten bekannt sein.

Das sind nur einige Punkte, worauf Hersh keine Antworten gibt. Sie widerlegen keineswegs seine Story, aber lassen den Recherchebedarf erkennen. Allerdings gibt es für investigative Journalisten heute ein Problem: Hersh repräsentiert die Hochzeit des amerikanischen Journalismus, als es in der Regierung viele Mitarbeiter gab, die den amtlichen Verlautbarungen entgegentreten wollten. Die Watergate-Affäre war zu der Zeit zweifellos der Höhepunkt. Seitdem hat sich nicht nur die Medienlandschaft, sondern auch das Selbstverständnis in den Regierungen geändert. Sie tun alles, um Lecks in der eigenen Administration gar nicht erst entstehen zu lassen. 

Zu diesem Punkt hat Hersh jetzt in einem Interview mit der Berliner Zeitung eine interessante Anmerkung gemacht: Bei seiner Quelle (oder Quellen?) handele es sich „um Leute, die in Spitzenfunktionen bei den Geheimdiensten arbeiten und gut ausgebildet sind. Sie wendeten sich gegen das Projekt, sie hielten es für verrückt. Kurze Zeit nach dem Anschlag, nachdem sie getan hatten, was ihnen befohlen worden war, gab es bei den Beteiligten eine Menge Zorn über die Operation und Ablehnung.“ Das sei einer der Gründe, warum Hersh so viel erfahren habe. Man wird sehen, als wie verlässlich sich diese Quellen erweisen.

Die Einbindung von Journalisten zur Vermittlung gewünschter Botschaften funktioniert heute wieder so gut, wie in dem Hintergrundgespräch im Herbst 1966. Seit dem Golfkrieg von 1991 zur Befreiung Kuwaits gibt es auch wieder die „eingebetteten Journalisten“, die das gewünschte Bild vom Krieg vermitteln sollen. Die nach dem Krieg aufgedeckte „Brutkastenlüge“ vor einem Komitee des Kongresses galt da schon fast als eine lässliche Sünde. 

Das trifft heutzutage auf Medien, die besessen von Narrativen sind, und wo zugleich in Echtzeit die spektakuläre Enthüllung alles dominiert. Wahrheit und Lüge lassen sich kaum noch unterschieden, weil Unklarheit in dieser Logik unerwünscht ist. Das macht Medien auch erst anfällig für Manipulationen jeglicher Art.

Nur eine „streng vertrauliche Geheimdienstoperation“?

Aber Hersh wäre nicht Hersh, wenn er nicht gewisse Hinweise gegeben hätte, wie sich das Rätsel um Nord Stream vielleicht doch noch lösen ließe. Er thematisiert nicht grundlos die alten Debatten über die Kompetenz der CIA am Beispiel des längst vergessenen CIA-Chefs Richard Helms. Dieser stand in den 1970er Jahren im Mittelpunkt, als sich der Kongress nach Watergate darum bemühte, Licht in das Dunkel der CIA-Aktivitäten zu bringen. 

Helms sei verpflichtet gewesen, die „Wünsche des Präsidenten zu erfüllen, auch wenn das einen Gesetzesverstoß bedeutete“, so Hersh. Die CIA arbeite „nach anderen Regeln und Prinzipien als jeder andere Teil der Regierung.” Damit arbeitete Helms, so Hersh, „als Leiter der CIA für die »Krone« und nicht für die Verfassung.“ 

Tatsächlich bemühte man sich damals, die nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefundene verfassungspolitische Verschiebung des Machtgleichgewichts zugunsten einer „imperialen Präsidentschaft“ rückgängig zu machen, oder ihr wenigstens Ketten anzulegen. Der Präsident sollte nicht mehr ohne Wissen des Kongresses alles tun können, was ihm gerade in den Sinn kam. Mit Richard Nixon hatte man in der Beziehung wahre Abgründe erlebt. 

Doch was passierte laut Hersh in der Debatte um die Nord-Stream-Pipeline? Der Plan einer Sprengung wäre „plötzlich von einer verdeckten Operation, über die der Kongress hätte informiert werden müssen, zu einer streng vertraulichen Geheimdienstoperation mit Unterstützung des US-Militärs herabgestuft“ worden. Es habe, so seine Quelle, „keine rechtliche Verpflichtung mehr“ gegeben, „den Kongress über die Operation zu informieren. Alles, was sie jetzt tun mussten, war, es einfach zu tun – aber es musste immer noch geheim bleiben.“ 

Das wäre ein eklatanter Rechtsbruch von Biden, der nach den Impeachment-Verfahren gegen Trump bei den auf Rache sinnenden Republikanern auf Interesse stoßen könnte.

So hat Hersh das Rätsel um die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines keineswegs geklärt, allerdings eine These formuliert, wie es gewesen sein könnte. 

Auffällig ist aber, wie Hersh seine Arbeitsweise geändert hat: Es wäre sinnvoller gewesen, seine Quelle zu nutzen, um erst einmal die bis heute ungeklärten Umstände der Sprengung zu klären. Denn für eine russische Täterschaft gibt es bekanntlich keinen einzigen Hinweis, außer die ins Kraut schießenden Überlegungen der Motivforscher. Die raten aber mehr, als valide Informationen anzubieten. 

Erst daraus ergeben sich weitere Erkenntnisse, etwa von anderen Quellen, die Beobachtungen gemacht haben könnten. Stattdessen formuliert Hersh eine Story, die alles auf einmal erklären will. Damit macht er sich aber angreifbar, weil ihm jeder fehlerhafte Stein in seinem Mosaik zugerechnet werden muss. 

Aber eine Erkenntnis steht heute schon fest: Im heutigen Mediensystem dominieren die Leute, die lediglich ihre vorgefassten Meinungen bestätigen wollen, also an nichts anderem als an Propaganda interessiert sind. Sie machen investigative Recherche zwar nicht unmöglich, aber sind eine Art Torpedo, um sie zu zerschießen. Solche Formen der Desinformation sind gute Zeiten für alle Akteure, die etwas zu verbergen haben. Wirecard war ein Beispiel, wie man das in der Praxis machen muss. Dagegen waren die Hintergrundgespräche der McNamara und Vance im Herbst 1966 harmlos zu nennen. 

McNamara ließ wenig später jene Pentagon-Papers zusammenstellen, die eine selbstkritische Bestandsaufnahme des amerikanischen Vietnamkrieges ermöglichten. Das sollte niemand von Victoria Nuland erwarten: Selbstkritik ist Ideologen fremd. 

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