Gegen den Strich gelesen: Wilhelm Reich

Wilhelm Reich (1897-1957) gehört zu den Hassfiguren der konservativ-familiär orientierten Opposition gegen den herrschenden Mainstream (dem Ausdruck der herrschenden Klasse), denn er war ein vehementer Kritiker der patriarchalischen Kleinfamilie. Dennoch lieben auch die heutigen Apostel der Gendertheorie ihn nicht, denn allein heterosexuelle Sexualität galt ihm als natürlich und wahllos wechselnde Partnerschaften kennzeichnete er als eine neurotische Antwort auf unterdrückte Sexualität.

Der österreichische Arzt war einer der ersten und konsequentesten Schüler Siegmund Freuds. Und er war vor allem eins: ein mehrfaches Opfer des Staats. Als Psychoanalytiker, Kommunist und Jude musste er 1933 ins Exil gehen, um nicht dem Wüten des nationalsozialistischen Staats anheim zu fallen. Zugleich schloss die Kommunistische Partei Deutschlands ihn aus, weil er es wagte, eine Analyse vorzulegen, warum die Kommunisten gegen die Faschisten verloren hatten. Seine Antwort: Weil die Kommunisten nicht die Befreiung in Aussicht stellten, sondern eine noch brutalere Unterdrückung. 

Dass die Unterdrückung des Faschismus der der Kommunisten völlig ebenbürtig werden würde, war dem Stimmvieh nicht klar, es hegte die Illusion, in eine bessere Zukunft aufzubrechen. Im norwegischen Exil hörten die Kommunisten nicht auf, gegen den Renegaten zu hetzen, er zog weiter in die USA, wo ihn die staatsterroristische Food and Drug Administration (FDA), die Überwachungsbehörde für den Lebensmittel- und Pharmaziebereich, ins Visier nahm; vermutlich waren es hier ebenfalls Kommunisten, die die Strippen zogen. 

Unzweifelhaft litt Reich später an Wahnvorstellungen, was aufgrund seiner traumatischen Erfahrungen nicht verwunderlich ist. Aber was immer man von seiner Behauptung hält, eine universelle und frei verfügbare Energie- und Heilquelle gefunden zu haben, «Orgon» genannt, es rechtfertigt nicht, dass die Beamten der FDA ihn zusammen mit seinem minderjährigen Sohn Peter mit Waffengewalt zwangen, sein eigenes Labor kurz und klein zu schlagen.

Das war 1956. Reich wurde inhaftiert, weil er fortfuhr, mit dem, was er als «Orgon» empfand, zu experimentieren. Ein unsterbliches Zeugnis für diese letzten Experimente Reichs legt Kate Bushs Musikvideo «Cloudbuster» ab, in welchem sie selber in die Rolle von Peter schlüpft, Reichs Sohn.  

Neben Zerschlagung seines Labors und Inhaftierung verbrannte der US-amerikanische Staat sämtliche Bücher Reichs, deren er habhaft werden konnte. Sogar der Besitz von Reichs Büchern wurde zur Straftat erklärt. Wie bei Friedrich Nietzsche ist es mitunter schwer, in den Texten Reichs die Grenze zwischen Wahnsinn und Genie genau zu bestimmen. 1957 starb er in Haft.

In den 1960er Jahren entdeckte die linke Protestbewegung Reich neu, behauptete aber, der Geheimdienst FBI habe hinter den Aktionen der FDA gestanden, so wie es heute meist immer noch kolportiert wird. Die Akten sind inzwischen freigegeben, und meine gründliche Analyse hat ergeben, dass Reichs eigene Vermutung, wie wahnhaft auch immer vorgebracht, Kommunisten seien es gewesen, die ihn verfolgten, vermutlich der Wahrheit entspricht. 

Die Lesart in den 1960er Jahren unterschlug geflissentlich, dass Reich spätestens mit Antritt des Exils in den USA 1941 Antikommunist gewesen ist. In diesem Antikommunismus radikalisierte er sich zunehmend, bis er in Haft gar wähnte, der Präsident der USA würde die Luftwaffe senden, um ihn vor dem Zugriff der ihn verfolgenden Kommunisten zu schützen.

Die angesprochene Analyse der Niederlage der Kommunisten gegen die Nationalsozialisten in Deutschland erschien 1933 unter dem Titel «Massenpsychologie des Faschismus». Obwohl er in dieser Analyse die Lebens- und Lustfeindlichkeit der Kommunisten scharf angriff und für die Niederlage verantwortlich machte, fühlte Reich sich zu dem Zeitpunkt noch als Kommunist, als Marxist. Stalin habe, so Reich, die Idee des Kommunismus verraten und in ihr Gegenteil verwandelt. Ausdrücklich nimmt Reich Lenin in Schutz und verweist darauf, dass Lenin an dem Ziel, den staatlichen Unterdrückungsapparat überwinden zu wollen, festgehalten habe. 1946 veröffentlichte Reich eine überarbeitete englische Fassung. Für ihn selber scheint sie einfach eine Fortschreibung seiner Analyse 13 Jahre vorher gewesen zu sein. An keiner Stelle distanziert er sich von dem früheren Text. Und doch sind die Unterschiede der beiden Fassungen gewaltig, ja man kann von einer klaren Frontstellung sprechen.

1946 entwirft Reich etwas, das er «Arbeitsdemokratie» nennt. Stören wir uns nicht an dem Wort Demokratie! Denn er meint mit dem Begriff Arbeitsdemokratie das Kontrastprogramm zum Staat, auch zur staatlichen Demokratie. Arbeitsdemokratie nach Reich ist die freiwillige Kooperation von Menschen, die sich einem Ziel verschrieben haben. Sie ist keine politische Organisation, sie widerspricht der Staatsgewalt. Mehrfach und mit Ausrufezeichen versehen ruft Reich dazu auf, dass die Politik sich aus dem Leben der Menschen heraushalten solle: Wir können es ohne Politik! Besser ohne Politik! 

Ausdrücklich verweist Reich auf die Erfahrung nordamerikanischer Pioniere, die außerhalb des Staats ihre Angelegenheiten regelten. Es ist, als habe Reich Lenin durch Thomas Jefferson ersetzt, wenn er es auch nicht so dezidiert ausdrückt.

Eine Bemerkung für alle, die Ayn Rands Roman «Atlas Shrugged» kennen und lieben: Er erschien 1957. Der revolutionäre Motor, den die geheimnisvolle Romanfigur John Galt insgeheim konstruierte und der nach der Revolution das Leben erneuern wird, ist meiner Vermutung nach eine indirekte Bezugnahme auf Reichs Orgon-Motor, den die FDA zerhacken ließ (was ein Unrecht ist, selbst wenn der Motor nie wirklich funktioniert haben sollte). 

Nicht, dass ich annehme, Rand und Reich hätten sich getroffen oder Rand habe Reich bewusst wahrgenommen. Es ist wahrscheinlich, dass beide nicht miteinander warm geworden wären. Aber Rand kann indirekt von dem Vorgang erfahren haben. Denn die Koinzidenz, dass Reich einen Motor mit (vermeintlich) frei verfügbarer Energie konstruierte, den der Staat zerstörte, und der Fiktion Rands, ein genialer Erfinder gehe in den Untergrund, um seine Erfindung zu schützen und einen Streik aller kreativen Köpfe zu organisieren, der das System des Etatismus zu Fall bringt, bietet sich an, um nach einer Verbindung zu suchen. Mir jedenfalls, der ich beide dieser gegensätzlichen Pole des libertären Denkens schätze, leuchtet die Verbindung ein. 

Hinweis: Eine akribische Lektüre der beiden Fassungen von Reichs Massenpsychologie des Faschismus sowie eine Auswertung der Reich-Akten des FBI findet sich in Stefan Blankertz, Wilhelm Reich Massenpsychologie des Faschismus (edition g. 407).

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1 Kommentar. Leave new

  • Hubert Geißler
    2. April 2024 18:28

    Super Texte, Ihre „Gegen den Strich gelessen.“ Reich hatte ich fasst vergessen, „Atlas Shrugged“ erst wieder gesesen. Kommt einem alles bekannt vor. Habeck macht´s möglich.

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