Woke gegen libertär

Am 12.12.2024 wurde in Thüringen der neue Chef gewählt, mit den Stimmen von CDU, SPD, BSW und einigen Linken. Nun schreit das konservativ-libertäre Kommentariat Zeter und Mordio, als wäre der Vorgang nicht von vornherein klar gewesen: Verrat am Wählerwillen, heißt es, die Wahlsieger von der AfD sind ins Abseits geschubst, Volkes Wille wird ignoriert und dergleichen. Nun scheint es doch auch im kritischen Bevölkerungsteil gewisse Tendenzen zur Matheschwäche zu geben. 30 Prozent haben, heißt einfach auch, 70 Pronzent nicht haben. Im Bund sähe es noch düsterer aus.

Man verstehe mich recht: Die Brandmauer empfinde ich als eine Katastrophe, warum genau, wird noch zu zeigen sein. Aber rechnet man da noch die maximal 70 Prozent Wahlbeteiligung raus, wie es ja manchmal gerne gemacht wird, dann ist auch im Osten nur knapp mehr als 20 Prozent blau. Und den Abstand zu einer wie auch immer denkbaren absoluten Mehrheit halten wir, pluralis majestatis, vorerst für unüberwindbar.

Zorn und Wut richten sich nunmehr hauptsächlich auf das BSW: Wagenknecht, die eiskalte Madonna, die quasi auf Stalins Schoß sitzt und demnächst im Bundestag den Iwan vertritt, ist ikonographisch eine Art gendermäßig umgedrehtes Heiligenbild. Sie verhindert den Triumph der nationalen Kräfte, auf Putins Geheiß von finsteren Mächten namens Oskar implementiert.

Die Republik wird von Merzig aus unterwandert, wie dereinst das zaristische Russland aus einer Kammer in Zürich. Aber auch der Mainstream lässt an der roten Sahra kein gutes Haar. Auch durch sie könnten Pfründe verloren gehen oder das Schreckgespenst des „Hufeisens“ am Horizont auftauchen, wie im benachbarten Gallien erst passiert.

Nur Herr Gauland, seines Zeichens Ehrenvorsitzender der AfD, konnte erst vor kurzem Schnittmengen zwischen dem BSW und der AfD entdecken und mahnte, das Verhältnis pfleglicher zu behandeln. Umsonst vermutlich, da hilft keine Altersweisheit. Vermutlich hat er Wagenknechts letzte Bücher gelesen, bei manchen Kommentatoren hat man nicht unbedingt den Eindruck.

„Sozialismus“ ist immer noch ein Etikett, das die Kämme sofort schwellen oder die Milch einschießen lässt, wie auch immer. Aber ist das momentane deutsche Parteiensystem wirklich in der Dichotomie sozialistisch-kapitalistisch zu verstehen, oder sitzt man hier einer Begrifflichkeit auf, die sich in fast hundert Jahren überlebt hat? Auch Hayeks „Weg in die Knechtschaft“ malt, zumindest für ein etwas oberflächliches Verständnis, den Sozialismus als Rutsche ins Verderben. Dass er bei seinen Überlegungen nicht zuletzt auf den Nationalsozialismus abhob, sei nebenbei erwähnt.

Aber der Begriff des Sozialismus an sich setzt auch so etwas wie eine Arbeiterklasse voraus, ein selbstbewusstes politisches Subjekt mit Partei, Gewerkschaften, Sozialeinrichtungen, Sportvereinen und Bildungseinrichtungen, die es so einfach nicht mehr gibt. Schon eher ist die Gegenseite organisiert, in einem überbordenden Lobbyismus, Verbänden und Golfclubs, die sich angesichts der Habeckschen Deindustrialisierungspolitik aber weitgehend als zahnlose Tiger erwiesen haben.

Wie könnte man aber das weitgehend individualisierte Wahlvolk einteilen? Welche Beschreibung passt besser, als die noch schlicht weitgehend auf die Dichotomie Arbeitgeber-Arbeitnehmer beruhende Parteienlandschaft der Nachkriegszeit?

Im Privaten spürt man durchaus eine Meinungsspaltung, die sich in politischen Entscheidungen äußert. Jeder kennt die Zurückhaltung, mit der in unpassenden Zusammenhängen, oft schon gegenüber den eigenen Kindern, heikle Themen wie Migration, Klimawandel und dergleichen angesprochen werden. Ein falsches Wort kann zum Abbruch von Beziehungen führen.

Charakterisieren wir diesen Gegensatz als den zwischen woke und antiwoke, vor den Augen der Weltöffentlichkeit exemplarisch vorgeführt im letzten US-Wahlkampf. Man könnte die Gruppen auch Harrisianer gegen Trumpisten nennen, damit wäre schon viel gesagt, unter anderem, dass hierzulande trotz der desaströsen Niederlage jenseits des Atlantiks die Harrisianer deutlich überwiegen. Äußert man sich auch nur vorsichtig pro Trump, dann könnte einem bei manchem Event das Champagnerglas aus der Hand geschlagen werden.

Am leichtesten lässt sich die Ideologie der „Erwachten“ verstehen, wenn man sie als säkular-religiöses Phänomen auffasst. Glaube an den menschengemachten Klimawandel, an die destruktive Rolle des alten weißen Mannes als Macht der Finsternis, Heroisierung von LGBTQ-Menschen als neue Elite, Akzeptanz und Förderung unbegrenzter Migration, Kennzeichnung aller nicht-gläubigen Gruppen als Nazis und Faschisten. Des Weiteren eigene Heilige, wie Greta, moralisches Überlegenheitsgefühl, wallfahrtsartige Inszenierung des eigenen Gutseins bei Großdemonstrationen, Universalismus und schließlich auch ein der Schweizergarde vergleichbarer bewaffneter Arm in Form der Antifa.

Dahinter stehen noch Gegensätze wie die zwischen „Somewheres“ und „Anywheres“, auch zwischen Stadt und Land, auch bildungsbürgerlicher Prägung und Realitätsverhaftung. Manchmal spielt durchaus auch das Einkommen eine Rolle: Abgehobenheit kostet halt auch, wobei versucht wird, die Lebenskosten auf die ungeliebten „Antiwoken“ abzuwälzen.

Das möge als Definition erst mal genügen. Dieser „Wokeismus“ verbindet sich nun politisch mit dem „Etatismus“, einem eigentlich genuin faschistischen Staatsbegriff, der den Staat als Umverteiler, geleitet durch die eigenen Werte, sieht, die Wirtschaft wird zum Büttel der Ideologie. Wer die Natur schützen will, kann eben nicht industriefreundlich sein, und Habecks Deindustrialisierung ist kein ungewolltes Ergebnis aufgrund von bedauerlichen Fehlentscheidungen, sondern gewollter Abbau bisher erfolgreicher Strukturen. Die Aufblähung des Beamtenapparates, die Finanzierung immer neuer NGOs und „Demokratieförderinstitutionen“ spricht da eine deutliche Sprache. Wir erleben ohne Zweifel eine „Argentinisierung“ unserer Gesellschaft, eine immer mehr schuldenfinanzierte Ausdehnung staatlicher Eingriffe, die schon in der mathematischen Projektion nicht funktionieren kann.

Nun sind im Kern fast alle bundesdeutschen Parteien woke-etatistisch, zuvörderst die in ihrem Programm weitestgehend gewandelten Grünen. Aber auch große Teile der SPD, der FDP, der Restlinken und sogar der CDU, die momentan als großer falscher Hase die Stimmen einer Bevölkerung, die sich eigentlich ein großes „Zurück“ wünscht, auf sich zieht. Damit wird ein gewisses Problem dieser Strömung klar. Die Wählerbasis ist eigentlich zu schmal für eine unhinterfragte Herrschaft. Nur die CDU/CSU sichert die noch, eben unter dem eigentlich falschen Etikett, wirklich konservativ zu sein. Die Linke ist bereits untergegangen, die FDP kratzt an der Fünf-Prozent-Hürde und die Werte der SPD sind auch nicht berauschend.

Nun gibt es natürlich Gruppen, die schon im Kern woke-etatistisch sind. Die Beamtenschaft und die öffentlich Angestellten, die Profiteure von Immigration, wie die kirchlichen Sozialverbände, das staatlich alimentierte Fernsehen und die ähnlich abhängige Mainstream-Presse, sowie die Betreiber subventionierter Wirtschaftszweige wie Windparks oder Solarfelder, überhaupt die Empfänger von Subventionen überhaupt. Denen dürfte das oben angeführte Parteienspektrum reichlich differenzierte Auswahl bieten.

Auf der Gegenseite müssten sich nun antiwoke Strukturen finden. Ob die auch antietatistisch sind, bleibt zu untersuchen. Zweifellos zeigen das BSW und die AfD antiwoke Züge und beziehen sich teilweise entweder auf die klassische untere Mittelschicht oder auf die „Somewheres“, den heimatverbundenen Teil der Bevölkerung, der noch traditionelle Werte zu leben versucht. Aber sowohl das BSW als auch ein Großteil der AfD dürfte als „etatistisch“ bezeichnet werden.

Der Sozialstaat soll eher ausgebaut werden, allerdings nicht internationalisiert. Bürgergeld ohne Grenzen wird in Frage gestellt, weil es einfach auch nicht reicht.

In der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft finden sich antiwoke und freiheitlich-libertäre Tendenzen, in Resten bei der CSU, Teilen der CDU, Teilen der AfD, bei Restbeständen der FDP und Splittergruppen. Vom Programm her sind die Kleinstparteien, wie die „Werteunion“ am bemerkenswertesten. Dort wird ein Rückkehr zu Erhardscher sozialer Marktwirtschaft gefordert, und es gibt noch einen Restglauben an freie Initiative mündiger Bürger.

Die vierte mögliche Begriffskombination, woke-freiheitlich-libertär, gibt es individuell in der Boheme oder im Kunstsektor, vor allem sicherlich im organisierten Verbrechen. Wir berücksichtigen diese Variante erst mal nicht, obwohl man vielleicht auch einflussreiche Individuen wie Elon Musk da unterbringen könnte.

Man sieht, dass die fein voneinander geschiedenen Kuchenteile durchaus von diversen Parteien besetzt werden und dass sich hier auch interessante Überschneidungen ergeben, die aufschlussreicher sind als das etwas tumbe Links-Rechts-Schema.

Woke-etatistisch steht natürlich an erster Stelle, und der Primus inter pares in diesem Segment sind natürlich die Grünen, deren ideologiegetriebener Politikansatz, durchaus in der Folge der 68er-Mentalität, gnadenlos alle gesellschaftlichen Bereiche zu domestizieren versucht und von irgendwelchen Grenzen des Staates im Humboldtschen Sinne nichts wissen will. Das Problem dieses Kuchenviertels ist, dass es vermutlich auch nur ein Viertel ist, über dessen Nießbrauch zu viele Interessenten streiten. Angesprochen werden immer die gutverdienenden „Anywheres“, die sich an der Spitze des kulturellen Mosaiks in eine glorreiche Zukunft wähnen. Dass der theoretisch auch auf dem Hühnerhof in der Gartenlaube enden kann, wird nicht gesehen. Aber die Grünen haben sich die Restparteien, den Bildungssektor und den Staatsapparat doch sehr weitgehend zur Beute gemacht, was ein Rollback à la Milei in Argentinien sehr schwer machen dürfte.

Dass im globalen Zusammenhang ein nationaler Konservativismus, wie er wohl im Putinschen Russland gepflegt wird zum globalen Feind wird, ist wohl mehr als verständlich.

„Was tun“ titelte ein bekanntes Buch von Lenin. Die woke-etatistische Melange wird in die Zange genommen: Die Niederlage in der Ukraine scheint unabwendbar, Trumpus ist ante Portas, und natürlich lebt sie von dem konservativen Pöbel, wie Alexander Wendt so schön beschreibt. Und der ist langsam ausgepresst wie ein Zitrone. Zudem scheint das Fähnlein des Zeitgeistes peu a peu in eine anderer Richtung zu wehen.

Zwei Punkte seien angemerkt:

Mir scheint zwar verständlich, aber fragwürdig, dass sich die libertär-konservative Bewegung häufig politisch in Splitterparteien organisiert, die sich zudem eher an ein bürgerliches Publikum mit seinen Aktienpaketen und Sicherungsinteressen durch Gold in Zollfreilagern wenden.

Wichtig ist natürlich die publizistische Aufklärung der Leute, aber die leidet oft an einem Sprachniveau, das eher exklusiv als inklusiv ist. Viele Texte aus der Ecke sind in der mittelalterlichen Form der „Lamentationen“, zu wenig konkret, zu fern der erlebten Wirklichkeit derer, die man ansprechen müsste. Und die zum Beispiel Trump angesprochen hat! Da müsste etwas passieren, wenn man denn auf Breitenwirkung aus ist. Nun sind aber die Vertreter der freiheitlich-libertären Richtung einerseits individualistisch, andererseits doch sehr intellektuell. Das führt zu und bewirkt Zersplitterung. Vereinheitlichung als Grundlage einer Massenbewegung hat eine eher emotionale Grundlage.

Diese Emotionalisierung scheint z.B. Milei gelungen zu sein, mit seinen publikumswirksamen Kettensägenauftritten. Auf ihn passt auch der typisch südamerikanische Typus des Caudillo, des von Zeit zu Zeit auftretenden Volkstribunen fast antiker Prägung. Ob das Modell auf Europa übertragbar ist, bleibt fraglich

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1 Kommentar. Leave new

  • Hubert Geißler
    27. Dezember 2024 13:43

    Zum woke etatistischen noch ein von Chat gpd erstellter Test. Verlangt war eine silvesteransprache unseres Bundespräsidenten. Man höre und Staune!
    „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

    das Jahr 2025 liegt vor uns, wie ein unbeschriebenes Blatt, das wir gemeinsam mit Mut, Zuversicht und Zusammenhalt gestalten wollen. Heute Abend blicken wir nicht nur zurück auf das Vergangene, sondern nach vorn – auf das, was wir gemeinsam erreichen können.

    2024 hat uns gezeigt, wie wichtig Solidarität und Dialog sind. Ob in Zeiten von Krisen oder Fortschritt: Es ist unser Miteinander, das uns trägt. Wir haben in diesem Jahr bewiesen, dass wir als Gesellschaft große Herausforderungen meistern können – sei es in der Bewältigung globaler Krisen, dem Schutz unserer Umwelt oder dem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit.

    2025 soll ein Jahr des Aufbruchs und der Hoffnung sein. Lassen Sie uns daran arbeiten, Chancen für alle zu schaffen – unabhängig von Herkunft, Alter oder Lebensweg. Lassen Sie uns die Digitalisierung verantwortungsvoll nutzen, den Klimaschutz konsequent vorantreiben und zugleich nicht vergessen, dass unser Wohlstand auf einem Fundament von Bildung, Innovation und sozialem Zusammenhalt ruht.

    Ich lade Sie ein, mit Vertrauen und Entschlossenheit in das neue Jahr zu gehen. Jeder Beitrag, wie klein er auch erscheinen mag, zählt. Gemeinsam sind wir stärker, als wir oft glauben.

    Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gesundes, friedliches und erfülltes neues Jahr. Lassen Sie uns 2025 zu einem Jahr machen, auf das wir mit Stolz zurückblicken können.

    Herzlichen Dank.“
    Ich denke man könnte das teure Amt einsparen. Besser kanns der Redenschreiber auch nicht.

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