Einige Anmerkungen zum Eigentumsbegriff

Protokolle der Aufklärung #20

Aus meinem Sandwirt-Beitrag „Das Gewähren und das Dürfen“ wissen wir: Die unmittelbarste Form des Eigentums ist das Gehören des Leibes zum Ich, das Leibeigentum. So wie das Leibeigentum ist auch jedes andere Eigentum das Gehören eines Dinges zum Ich. Es ist die Verlängerung des Leibeigentums. Mit dem Zugewinn von außerleiblichen Dingen wird der (eigene) Leib gewissermaßen über seine natürlichen Grenzen hinaus erweitert. Wir sprechen deshalb hier von An-Eignen. Die An-Eignung ist kein bloßes Hingreifen und Vereinnahmen. Es geschieht infolge einer Aktion Anderer, nämlich in Form der Gewährung. Erst dadurch wird bloßer Besitz zu Eigentum.

Durch die Bildung von Eigentum wird das Naturrecht (zur unbegrenzten Güternutzung; siehe a. a. O.) zum Recht der Nutzung bestimmter Güter, nämlich jener, die sich im Eigentum befinden. Damit ist die totale Freiheit, die das Naturrecht aussagt, zwar begrenzt. Aber innerhalb des Rechtsraums, den Eigentum schafft, ist Freiheit uneingeschränkt möglich. 

Der Eigentumsbegriff verweist wie kein anderer darauf, dass Freiheit innerhalb einer entwickelten Gesellschaft nicht schlichtweg „Spontanautonomie“ (Immanuel Kant) bedeutet. Sie kennt Freiheit immer nur als gewährte Spontanautonomie. Erst vor dem Hintergrund des Begriffs „Eigentum“ ist es sinnvoll zu fragen, wie die Freiheit eines Jeden „mit jedes anderen Freiheit … zusammen bestehen kann“ (Kant).

Eigentumsschutz

Eigentum geht auf einen Akt des Gewährens zurück (a. a. O.). Dafür, dass die Alleinnutzung einer Sache beim Eigentümer bleibt, muss Fremdeinfluss ausgeschlossen sein, mit anderen Worten: Eigentum muss geschützt sein. Aber eigentlich ist es nicht das Eigentum, das geschützt werden muss, sondern der Besitz, also dessen physische Komponente. 

Sein Eigentum besitzt nur, wer dessen Nutzung durch Andere verhindern kann. Es muss garantiert sein, dass ein Mensch das ihm Gewährte allein besetzt hält. Ist das nicht der Fall, dann ist der Besitz dem Raub oder einer unerlaubten Fremdnutzung ausgeliefert, z. B. infolge einer sogenannten „Hausbesetzung“. Besitz wird daher verteidigt werden müssen, Eigentum hingegen nicht. 

Für die Verteidigung seines Besitzes muss der Eigentümer notfalls zu den Waffen greifen. Zunächst zu seinen eigenen, und wenn das nicht reicht, zu den Waffen eines „starken Freundes“ – sofern solcher vorhanden. Der hält die Anderen von seinem Besitz fern – mittels Androhung oder Einsatz von Gewalt. Der „starke Freund“ kann allerdings schnell zum Feind werden und das Eigentum für sich beanspruchen. Mit dieser Möglichkeit und ihren Folgen beschäftigen wir uns an anderer Stelle.

Der Rechtscharakter des Eigentums beruht also erstens auf dem Gewähren. Hinter dem Eigentum muss zweitens der Wille stehen, es zu verteidigen bzw. verteidigen zu lassen. So lässt sich sagen:

Gewährung und Schutz sind die Möglichkeitsbedingung für Eigentumsnutzung. 

Trennung von Besitz und Eigentum

Besitz und Eigentum fallen oft, aber nicht immer zusammen. Eigentum kann ohne Besitz und Besitz ohne Eigentum sein. Ersteres ist der Fall z. B. beim Güterverleih. Der Verleiher behält das Eigentum. Der Beliehene nutzt es. Die Eigentumsurkunde bzw. eine verbuchte Forderung bleibt beim Verleiher. (Jede Forderung ist ein Eigentumstitel, dokumentiert z. B. in den Büchern der Darlehensgeberin Bank oder in einem noch nicht voll eingelösten Vertrag.) Dem Beliehenen fällt nur der Besitz zu, etwa bei einem gemieteten Haus oder einem Darlehen. Er kann den Besitz, der im Fremdeigentum bleibt, für eigene Zwecke nutzen. Dafür fällt oft eine Nutzungsgebühr an (Mietzins, Geldzins, Pachtzins).

Auch ein Räuber kann die Trennung von Besitz und Eigentum herbeiführen. Er kann jedoch nur den Besitz und nicht das Eigentum an sich reißen. Eigentum ist grundsätzlich nicht zu berauben. Denn Eigentum ist nichts „Physisches“. Es beruht auf dem Geistesakt „Gewähr“. Der Räuber stellt sich mit seiner Tat gegen die Gewähr. Da das Gewähren ein sozialer Akt ist (siehe meinen oben genannten Sandwirt-Beitrag), handelt er im wahrsten Sinne des Wortes asozial.

Der Räuber „besetzt“ nur die Sache. Das Eigentum daran bleibt beim Beraubten – solange ihm die Gewähr, es nutzen zu dürfen, nicht entzogen wird. So etwas wie Eigentumsraub kann es nicht geben. Wie sollte etwas Nicht-Physisches geraubt werden können? Rauben kann man nur Physisches, also einen Besitz.

Dem Räuber steht immer die Macht des Eigentümers und seiner Verteidiger entgegen. Die wollen den Raub rückgängig machen. Eigentümer bleibt nach wie vor der Beraubte. Er kann nach dem Raub sein Eigentum wieder in Besitz nehmen – falls er über die erforderlichen Machtmittel verfügt. 

Modi der Eigentumsnutzung

Die Nutzung persönlichen Eigentums schließt ein, dass es aufgrund individueller Entscheidung verschenkt, vertauscht, verändert oder auch vernichtet werden kann. Die Tradition unterschied daher verschiedene Aspekte der Eigentumsnutzung: usus – das Recht zur Nutzung eines Eigentums überhaupt, usus fructus – das Recht zur Nutzung der Erträge aus dem Eigentum, usus venditio – das Recht zur Veräußerung des Eigentums und abusus – das Recht zur Veränderung/Verarbeitung des Eigentums. 

Eine besondere Form der Nutzung von Eigentum ist seine Bearbeitung (abusus). Arbeit schafft kein Eigentum, wie viele Freiheitslehrer in der geistigen Nachfolge John Lockes immer noch glauben. („Die Arbeit unseres Körpers und das Werk unserer Hände begründen Eigentum“, sagt Locke; so auch Jean-Jaques Rousseau). Sondern umgekehrt: An einem Gut arbeiten darf nur der Eigentümer oder dessen Beauftragter. Nicht die an einem Gut zu verrichtende Arbeit ist die Voraussetzung für Eigentum; Eigentum ist die Voraussetzung für die an dem Gut zu verrichtende Arbeit. Denn nur an meinem Eigentum gestatten mir die Anderen, Veränderungen vorzunehmen (im Sinne von „abusus“). 

Arbeit dient nicht der Schaffung, sondern vielleicht der Aufwertung von Eigentum. Sie ist eine der Vorbedingungen, einen sogenannten Mehrwert bei den Gütern zu erzeugen. Ob dieser dadurch aber wirklich zustande kommt, bestimmt nicht die Arbeit bzw. der Arbeitende, sondern der Markt. Das durch Arbeit veredelte Eigentum kann dort einen höheren Preis erzielen als das rohe, muss aber nicht. 

Ein Wertzuwachs beim Eigentum kommt durch die Wertschätzung der Anderen zustande und nicht durch den Arbeitenden selbst. Ohne diese Wertschätzung gibt es keinen Mehrwert, sei in ein Ding auch noch so viel Arbeit hineingesteckt worden. Das bedeutet: Erst durch den Tausch am Markt wächst dem bearbeiteten Gut Mehrwert zu. Das schlägt sich nieder im Preis. Ist der durch Arbeit angestrebte Wertzuwachs (die Preisdifferenz) nicht erzielbar, war die Arbeit umsonst gewesen. 

Aus der Erörterung des Eigentumsbegriffs bis hin zu dieser Stelle ersehen die Leser: der Eigentumsbegriff des John Locke, dem Viele heute noch anhängen, ist nicht phänomenadäquat. Das liegt an der fehlenden Abgrenzung von Eigentum und Besitz, wie man jetzt deutlich erkennen kann. 

Die Ungenauigkeit Lockes kann man ihm aber nicht anlasten. Denn eine klare Trennung von Eigentum und Besitz war erst möglich, nachdem die Erkenntnistheorie die Zweiseitigkeit des Ich erwiesen und exakt herausgearbeitet hatte (siehe mein Sandwirt-Beitrag „Die zwei Seiten des Ich“). Die selfownership, auf der Locke seinen Eigentumsbegriff aufbaut, ist nur dann keine Tautologie, wenn die Dualität des Ich vorausgesetzt wird.

Trotz der unzureichenden Analyse des Eigentumsbegriffs bei Locke verdankt die Menschheit vor allem ihm die uneingeschränkte Achtung vor dem individuellen Eigentum. Locke hat die Legitimität des Eigentums stets vehement betont und hat ihm einen besonders hohen Wert für das menschliche Leben zuerkannt.

Reichtum und Armut

Die Gewährung von Eigentum setzt die Grenzen, innerhalb derer sich individuelle Spontaneität ausleben kann. Die Grenzen sind in dem einen Falle sehr weit, in dem anderen sehr eng gezogen. Aber immer sind sie durch Gewährungsakte entstanden. Um hierüber weiteren Aufschluss zu erlangen, richten wir unseren Blick auf Wirtschaft und Markt.

Der Umstand, dass einige Produktanbieter am Markt häufiger Abnehmer finden als andere (viele „Follower“ haben), weil ihr Produkt beliebter ist, führt uns auf einen Sachverhalt, dessen Kenntnis offenbar verloren gegangen ist: sowohl die Beschenkten (z. B. die Erben) als auch die Nichtbeschenkten (z. B. die Produzenten und Verkäufer von Gütern) werden in einer Gesellschaft nur deshalb reich, wenn sie von den Anderen reich gemacht werden. Und es bleiben die arm, die keiner reich macht. Da das Schenken und Kaufen von Produkten auf freiwilliger Basis erfolgt, besteht kein Grund, die Reichen als böse und die Armen als gut zu klassifizieren. (Nur wenn man arm ist – so sagt es uns jedenfalls die abendländisch-christliche Tradition –, kommt man nämlich in den Himmel.)

Den immensen Reichtum eines Bill Gates haben wir, die Käufer seiner Produkte, geschaffen, niemand sonst, schon gar nicht Gates selbst. Er und seine Gefährten hätten noch Jahrzehnte in ihrer Garage weitergebastelt, wenn wir nicht eines Tages in deren Bastelei einen Vorteil für uns entdeckt hätten. Und nichts anderes als unser aller Vorteilsstreben hat Gates reich gemacht. Genauso verhält es sich mit dem zeitweise reichsten Mann der Welt, Jeff Bezos. Auch für dessen Reichtum tragen wir die Verantwortung. Er ist entstanden aufgrund einer Unzahl freier (gegenseitiger!) Gewährsakte, nämlich der Käufe bei Amazon. 

Ganz gleich, wie gut oder böse die sogenannten „Kapitalisten“ sind, sie sind entweder durch ihre Erblasser (also durch ein Geschenk, wogegen im Prinzip nichts einzuwenden ist) oder durch uns reich geworden. Dass sich einige Individuen am Markt „schamlos selbst bereichern“, ist eine der dümmsten Verschwörungstheorien, die je in die Welt gesetzt wurden. Auch für den Kanonenbauer Krupp trifft das nicht zu. Seine Produkte wurden ihm – nicht nur in Deutschland – geradezu aus der Hand gerissen. 

Selbst der windigste Finanzhai ist durch seine (womöglich naivgläubige) Kundschaft reich geworden. Er hatte das Glück, dass sein Angebot entdeckt wurde, wenn auch dadurch, dass das Publikum durch massiv-rohe Werbung darauf aufmerksam geworden ist. Jedenfalls wurde das Angebot am Ende so geschätzt, dass es zum Vertragsabschluss kam, also zu einem gegenseitigen Gewährsakt.

Jeder Reiche kann ohne Scham von sich behaupten: Ich renne dem Geld nicht nach. Das Geld kommt zu mir. Ich muss nur mein Bestes dafür tun. Die Neider des Reichtums sollten öfter daran erinnert werden, dass es immer die Güterabnehmer (Konsumenten) sind, die ein produzierendes Individuum reich machen. Auch mancher Vermögenserbe kann von sich sagen: Ich habe mein Bestes getan, um an den Reichtum meines Erblassers heranzukommen.

Sicher spielt beim Reichwerden auch der Glücksfaktor eine Rolle: „Das Element des Glücks ist vom Wirken des Marktes so untrennbar wie das Element der Geschicklichkeit“ (Friedrich von Hayek). 

Das Glück hilft dabei, eine Lebenssituation vorzufinden, in der man die richtigen Antworten auf jene Fragen parat hat, die die Situation einem stellt. Glück ist ein wichtiger Marktfaktor, wenn es darum geht, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

In einer schlüssig-human organisierten Marktwirtschaft ist das eigene Wohlergehen nur über das Wohlergehen der Anderen zu erlangen. Wer in einer Gesellschaft wohlhabend ist, hat entweder einen Wohltäter gehabt oder er war als Güterlieferant eine Wohltat für die Anderen. Weil sie seine Produkte den Produkten von Mitbewerbern beim Kauf vorziehen, machen sie ihn reich. Erst vor dem Hintergrund dieses ökonomischen Sachverhalts ist es sinnvoll, über die Phänomene „Reichtum“ und „Armut“ und ihr Verhältnis zueinander nachzudenken. 

Das oft weite Auseinanderklaffen von arm und reich in der Gesellschaft, das jeden braven Christenmenschen in Rage versetzt, ist nicht in jeder Hinsicht erfreulich. Ich fürchte aber, dass wir in dieser unserer Welt eine ungleiche soziale Ressourcenverteilung hinnehmen müssen. Dies vor allem deshalb, weil wir frei auswählen wollen und auf Krieg keinen besonderen Wert legen. Wenn auch übermäßiger Reichtum oft als verdammenswert geächtet wird, so ist doch im Auge zu behalten: In einer freien Wirtschaftsgemeinschaft werden nur die Menschen reich, die die Anderen reich machen. Das ist die unerbittliche Folge des „Gewährens“, welches in Form von Geschenken und Verträgen Eigentum erzeugt.

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