Künstler: Black
Song: Wonderful Life – veröffentlicht auf dem gleichnamigen Album, A&M Records 1987
Eines Tages, als ich klein war – ein Tag wie viele andere, aber irgendwie lebhaft in meiner Erinnerung geblieben – rief mich meine Großmutter vom Hof zum Mittagessen. Ich nahm am Tisch auf der Terrasse Platz, eine leichte Brise wehte, die Sonne stand hoch, und aus dem Radio in der Küche drang eine Melodie. Eine tiefe Stimme sang:
No need to run and hide,
It’s a wonderful, wonderful life
Ich verstand natürlich noch kein Englisch, aber der Klang war irgendwie tröstlich. Unbekannt, aber doch vertraut. Nicht laut, nicht aufdringlich – eher wie ein stilles Einverständnis, dass alles im Fluss ist, dass alles seinen Platz hat. Einfach beruhigend.
Das Lied – „Wonderful Life“ – kreuzte mein Leben immer wieder – und mit ihm kam oft auch alles andere wieder hoch: die Stimmen, die Gerüche, das freie Gefühl jener Tage.
Im Laufe der Jahre ist der Song für mich zu einem jener Stücke geworden, die man – sofern sie einem nicht zufällig im Radio oder anderswo begegnen – bewusst für besondere Momente aufhebt und nur selten hört, um die „Wirkung“ nicht abzunutzen. Mein Interesse daran, mehr über den Künstler zu erfahren, war also entsprechend groß – und die Recherche hat meine Begeisterung für den Song nur noch mehr gesteigert …
Hinter der beruhigenden Stimme von „Wonderful Life“ stand ein Mann, „der viele war“: Colin Vearncombe, bekannt unter dem Künstlernamen Black, veröffentlichte nicht nur unter diesem Pseudonym Musik, sondern auch unter seinem bürgerlichen Namen – UND auch als Nero Schwarz – und zwar genug, um damit jeweils einen ganzen Katalog zu füllen. Er schrieb, komponierte, sang und verfolgte damit gewissermaßen drei musikalische Karrieren parallel.
Doch damit nicht genug: Mit ebenso großer Leidenschaft malte er und stellte seine Werke öffentlich aus. Er war praktisch vier Künstler in einer Person! – kein bloßes Multitasking, sondern Ausdruck einer unglaublichen kreativen Vielfalt.
Geboren wurde Vearncombe 1962 in Liverpool, England. Er wuchs in einer musikbegeisterten Familie auf, und schon früh entwickelte er eine Leidenschaft für das Singen und das Songwriting. In seiner Jugend spielte er in verschiedenen kleinen Bands, bevor er sich dann entschloss, seinen eigenen musikalischen Weg zu gehen. Anfang der 1980er Jahre begann er schlussendlich, seine ersten eigenen Songs zu schreiben und aufzunehmen. Doch es sollte noch ein bisschen dauern, bis er in den Genuss von größerem Erfolg kam.
1986, als er unter dem Künstlernamen Black sein erstes Album veröffentlichte, war es dann soweit – diese Platte machte ihn erstmals zu einem Star in seiner Heimat England. Der internationale Durchbruch gelang ihm dann ein Jahr später, 1987 mit der Veröffentlichung der Single „Wonderful Life“.
Viele, die das Lied hören, nehmen zunächst nur den positiven Refrain wahr. Doch wer genauer hinhört, erkennt die Tiefe und Schwere, die unter der Oberfläche verborgen liegt – und damit die eigentliche Kunst des Werks: Der Song behauptet nicht schlicht, dass das Leben toll sei – es geht durchaus auch um die Schwierigkeiten im Leben:
They seem to hate you,
Because you’re there
And I need a friend
Oh, I need a friend
To make me happy
Not stand here on my own
Look at me standing
Here on my own again
Up straight in the sunshine
No need to laugh and cry
It’s a wonderful, wonderful life
Es geht also vielmehr darum, das Negative nicht zu verdrängen, sondern es in seiner ganzen Schwere auszuhalten und anzuerkennen – und dennoch ein bewusstes Ja zum Leben auszusprechen. Es geht darum, sich nicht von der Negativität einnehmen zu lassen. Beim Hören des Liedes entsteht in mir eine Atmosphäre, die sich anfühlt, wie der erste Sonnenstrahl nach langem Regen; wie ein erster Sieg nach einer Reihe von Niederlagen. Was die Atmosphäre betrifft, ist „Wonderful Life“ für mich absolute Spitzenklasse – kaum ein anderer Song hat über so viele Jahre hinweg so starke Emotionen in mir ausgelöst!
Auch im Mainstream erzielte der Song „Wonderful Life“ eine starke positive Resonanz. Er wurde zu Blacks Markenzeichen und prägte seine Karriere wie kein anderes Werk. Der Song entwickelte sich zu einem bleibenden musikalischen Vermächtnis, weit über die 1980er-Jahre hinaus: Bis heute ist er weltweit regelmäßig im Radio zu hören, taucht in zahlreichen Filmen und Serien auf und wurde über die Jahrzehnte hinweg von einer beeindruckenden Vielzahl an Künstlern neu interpretiert.
Vearncombe etablierte sich in den Jahren nach diesem Mega-Hit als Künstler mit einer treuen Anhängerschaft in einer eigenen Nische. Den großen, internationalen Erfolg von „Wonderful Life“ konnte er nie wieder erreichen, und mit der Zeit wurde er von der breiten Öffentlichkeit zunehmend als One-Hit-Wonder wahrgenommen, anstatt als der vielseitige Musiker mit einem beeindruckenden Gesamtwerk, der er war. Doch entscheidend war das für ihn nicht, denn trotzdem blieb er künstlerisch stets aktiv – und auch in seinen späteren Liedern ist, wie ich finde, noch eine tiefe Hingabe zu spüren. Der kommerzielle Erfolg war demnach offensichtlich nie sein Antrieb. Ich habe den Eindruck, dass er sang, weil er „musste“ – da musste etwas raus aus ihm. Er war Musiker durch und durch – und das finde ich faszinierend!
In den frühen 1990er Jahren zog sich Black vorübergehend aus dem Rampenlicht zurück und konzentrierte sich mehr auf seine persönliche Weiterentwicklung, fernab der Musik. Zu dieser Zeit entdeckte er seine Leidenschaft für die Malerei – und begann schlussendlich, seine Werke auszustellen. Einfach so, fast nebenbei!
1996 und 1997 veröffentlichte er überraschend Musik unter dem Pseudonym Nero Schwarz. Laut eigener Aussage war dies zunächst eine bewusste Entscheidung, um den Erwartungen, die mit dem Künstlernamen Black verknüpft waren, zu entkommen und sich freier auszudrücken. Doch jedes seiner Aliasse hatte dabei einen eigenen, unverwechselbaren Klang – und das macht es so spannend: Dieser eine Künstler baute sich einfach eine zweite musikalische Karriere auf. Und später sogar eine dritte – denn obwohl er 1999 wieder ein Album als Black herausbrachte, setzte er seine musikalische Laufbahn in den 2000er Jahren dann unter seinem bürgerlichen Namen fort.
Was all seine Werke, egal unter welchem Namen, gemeinsam hatten, war eine stille Melancholie, die sich durch sanfte Arrangements, poetische Texte und seine warme, introspektive, leise Stimme zog. Ob elektronisch unterlegt oder akustisch reduziert – seine Popmusik wirkte stets zurückhaltend, elegant und emotional tief, ohne je aufdringlich zu sein.
Colin Vearncombes letztes Studioalbum trug den Titel „Blind Faith“ und erschien 2015 unter seinem ersten und bekanntesten Künstlernamen, Black. Die Finanzierung der Platte erfolgte interessanterweise über eine Crowdfunding-Kampagne – die weit über das ursprüngliche Ziel hinausschoss und schließlich rund 240 Prozent des angestrebten Betrags einbrachte! Dies war natürlich ein deutliches Zeichen für die loyale Unterstützung seiner Fans.
Im Jahr 2016, während einer Europa-Tournee, erlitt Colin Vearncombe einen schweren Autounfall. Am 26. Januar, also nur wenige Tage später, erlag er tragischerweise schließlich seinen Verletzungen.
Colin Vearncombes Leben war geprägt von dieser stoischen Einstellung: Nicht stillstehen, nicht stagnieren, nicht festhalten. Weitergehen, auch wenn es anders aussieht als geplant. Er zeigte, dass man frei sein kann, ohne laut zu sein. Dass man bestehen kann, ohne mitzuschwimmen. Seine Stimme war leise, aber klar. Er verweigerte sich der Gleichmacherei – nicht durch aggressiven Widerstand, sondern durch ruhige Konsequenz. Und er hörte nicht auf, Künstler zu sein, nur weil die Bühne kleiner wurde.
Colin Vearncombes Musik bleibt – nicht als Denkmal, sondern als Begleiter. Sie drängt sich nicht auf. Sie wartet. Und wenn man sie braucht, ist sie da …
Hören und sehen Sie hier das Musikvideo zu „Wonderful Life“ von Black.
1 Kommentar. Leave new
Wirklich schöne Musik. (Ich weiß, das ist ein banaler Ausdruck.)-
Heute dürfte man sich als Weisser nicht „Black“ nennen.