Auf dem Plattenspieler: Kurt Cobain

Künstler: Kurt Cobain

Song: And I Love Her – veröffentlicht auf dem Album Montage of Heck: The Home Recordings, Universal 2015

In der Welt der Musik ist der Tod längst nicht das Ende. Für manche Künstler beginnt nach dem letzten Atemzug eine „zweite Karriere“ – eine, die oft sogar größer, produktiver, belebter ist als alles zuvor. 

Tupac Shakur, Ikone des Hip-Hop, bietet dafür das perfekte Beispiel: Er veröffentlichte zu Lebzeiten fünf Studioalben. Posthum kamen bis dato aber stolze sieben weitere dazu! Wie das geht? Jede seiner vielen Demo-Aufnahmen wurde über die Jahre weitergetragen – und bereits veröffentlichtes Material wurde zigfach geremixt und neu verpackt. 

Auch Prince, Michael Jackson oder Jimi Hendrix fanden sich – ob gewollt oder nicht – in einem schier endlosen Nachhall ihrer selbst wieder.

Ausgerechnet bei Kurt Cobain, einem der generationsübergreifend meistverehrten Musiker des späten 20. Jahrhunderts, Komponist, Gitarrist, Gesicht und Stimme der Kult-Band Nirvana, war das jedoch anders. Nach seinem Suizid im April 1994, inmitten der weltweiten riesigen Popularität der Band, schien ihr Werk auf einen Schlag wie eingefroren. 

Drei Studioalben, ein legendäres MTV-Unplugged-Konzert, einige B-Seiten – und das war’s. Während Cobains großer Einfluss in der Musikszene „weiterlebte“ und sich das Logo der Gruppe international großer Beliebtheit als Motiv auf Klamotten erfreute  – was es sogar noch heute tut –, blieb musikalisch alles still: keine neuen Lieder, keine Remixe, nicht einmal Demos. Es war, als hätte Cobains Tod das Kapitel Nirvana nicht nur abgeschlossen, sondern für immer versiegelt.

Gerade deshalb war es für Nirvana-Fans weltweit ein nahezu schockierender Moment, als im Jahr 2015 ein Album veröffentlicht wurde, das bislang unbekanntes Material von Kurt Cobain enthielt. Es war die Platte „Montage of Heck: The Home Recordings“, die als Soundtrack zu „Montage of Heck“, dem zeitgleich erschienenen Dokumentationsfilm über den Künstler, diente.

Unter dem posthum Veröffentlichten: „And I Love Her“, eine Cover-Version des gleichnamigen Beatles-Songs. „And I Love Her“ wurde von Cobain alleine mit seiner Gitarre in seinem Haus in Aberdeen, Washington, aufgenommen. Das Werk ist „ungeschliffen“, verrauscht, brüchig – eine schlichte Heimaufnahme eben; keine Studioqualität, keine Post-Produktion.

Brett Morgen, der Regisseur von „Montage of Heck“, erhielt als erster Filmemacher überhaupt Zugang zu Kurt Cobains persönlichen Archiven. Und was er entdeckte, waren lauter Fragmente; Gedankenschnipsel, Zeichnungen, Audiotagebücher, Entwürfe musikalischer Ideen – das Innere eines gequälten, suchenden Geistes. Und mitten in all dem: eben auch diese Aufnahme, das Cover eines Beatles-Songs, wie man ihn nie zuvor gehört hatte.

Die Beatles veröffentlichten die Nummer im Jahr 1964 auf ihrem Album „A Hard Day’s Night“. Es ist ein Liebeslied, das größtenteils von Paul McCartney geschrieben wurde und durch eine schlichte Melodie getragen wird. Ein Song voller Hingabe, Geborgenheit – und, wie es sich für ein Liebeslied gehört, auch mit einem Hauch von Naivität.

In Cobains Interpretation jedoch verwandelt sich der Track in etwas völlig anderes. Text und Akkorde bleiben zwar unverändert, doch die Atmosphäre schlägt ins genaue Gegenteil um: Was bei den Beatles hell und unbeschwert war, erscheint bei Cobain düster und bedrückend. Der einst leichte, euphorische Gesang wirkt hier schwer; fast erdrückend. Cobains Stimme klingt zerbrechlich; die Aufnahme hat eher den Charakter eines Summens als den eines klassischen Gesangs. 

Ich würde es wie folgt beschreiben: Cobains Cover-Version klingt, als versuche er, sich an Liebe zu erinnern – während das Original der Beatles klingt, als würden sie sie feiern …

Dass der Ausnahmekünstler ausgerechnet ein Lied der Beatles coverte, ist kein Zufall: Trotz aller offensichtlichen stilistischen Unterschiede waren die Beatles für ihn stets ein wichtiger Bezugspunkt. John Lennon hat er mehrmals als sein Vorbild genannt.

Möglicherweise handelte es sich auch um ein Experiment Cobains – die Idee, etwas zu singen, das nicht von der für Nirvana typischen inneren Zerrissenheit geprägt war. Falls das der Ansatz war, kehrten diese Gefühle des Schmerzes im Arbeitsprozess jedoch scheinbar unweigerlich zurück – als drängten sie sich unter allen Umständen an die Oberfläche; selbst bei einem eigentlich so positiven Lied. So oder so: Die Intensität von „And I Love Her“ empfinde ich als überwältigend. In meinen Augen ist dies jenes Stück, mit dem man gefühlt Kurt Cobains Innenleben am nächsten kommt …

Allein, dass „And I Love Her“ eines der wenigen Solowerke Cobains außerhalb des Nirvana-Kontextes ist, erstaunt bereits. Die Band, die 1989 debütierte und mit der Platte „Nevermind“ 1991 zur weltweiten Sensation wurde, war eigentlich der einzige „Raum“, in dem sich Cobain ausdrückte. Er sprach nie vom Wunsch nach einem Solowerk – oder überhaupt einem musikalischen Ich jenseits der Gruppe.

„And I Love Her“ fand, vermutlich durch eine „undichte Stelle“ im Produktionsprozess des zugehörigen Albums, schon vor der offiziellen Veröffentlichung der Dokumentation seinen Weg ins Internet – und sorgte für ordentlich Gesprächsstoff …: Ist das echt? Klingt nur lediglich jemand wie Cobain? Oder: Ist das der Beweis, dass er doch noch lebt?!

Die Debatte über „And I Love Her“ zog sich über Monate – bis schließlich „Montage of Heck: The Home Recordings“ veröffentlicht wurde.

Doch auch nachdem klar war, dass es sich hier wirklich um Cobain handelt, blieb die Fangmeine gespalten. Denn während sich viele an dem Release erfreuten und die Intimität der Aufnahme und ihre „stille Intensität“ lobten, warfen viele andere der Veröffentlichung dagegen eine Art posthumen Voyeurismus vor. Es stand die alte Frage im Raum: Wo endet das Interesse am Künstler – und wo beginnt die Ausbeutung seines Vermächtnisses? 

Im Gegensatz zu anderen posthumen Werken wirkt „And I Love Her“ auf mich aber nicht wie ein künstlicher Versuch, Profit zu generieren – sondern wie ein authentisches Überbleibsel. Dieses widersetzt sich der üblichen Logik posthumer Produktivität, weil ja gerade die Einzigartigkeit des Tracks ihm Bedeutung verleiht; es ist nicht der Auftakt zu einer Reihe, sondern ein Einzelstück. 

Die besondere Atmosphäre, die diese Aufnahme ausstrahlt, findet sich auf keiner anderen des zugehörigen Albums noch einmal – zumal der Großteil der Stücke dieser Platte lediglich gesprochene Texte, festgehaltene Melodie-Ideen und Demos bereits bekannter Lieder sind. „And I Love Her“ hebt sich deutlich hervor – sowohl auf der CD als auch im musikalischen Gesamtwerk Cobains allgemein.

Kurt Cobain hat sehr viel hinterlassen – vielleicht weniger in der Quantität des musikalischen Werkes von Nirvana, dafür aber umso mehr in seiner einzigartigen Wirkung. Der Song „And I Love Her“, kaum länger als zwei Minuten, trägt etwas von dieser Einzigartigkeit in sich …

„And I Love Her“ wird vermutlich für immer das aktuellste Stück bleiben, das von Cobain existiert – und die Endgültigkeit in diesem Gedanken finde ich irgendwie eindrucksvoll und berührend. Ein letztes Mal diese rauchige, aber tiefgehende Stimme hören, noch ohne zu wissen, welcher Gesangston auf den aktuellen folgt. Die letzte Aufnahme. Ein letztes „Stück“ (von) Kurt Cobain. „And I Love Her“ ist der Endpunkt eines Mysteriums – und sorgt dadurch dafür, dass das Mysterium weiterlebt …

Hören Sie hier auf Youtube „And I Love Her“ von Kurt Cobain.

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