Mehrere Fehlleistungen von Ministern haben zu finanziellen Schäden für den Bundeshaushalt geführt. Exemplarisch steht dafür der Fall Andreas Scheuer mit seiner vorschnellen Beschaffung von Ausrüstung für die Erhebung von Autobahnmaut, ehe die europarechtliche Zulässigkeit der Maßnahme wirklich geklärt war. Aktuell stehen mit ähnlichen Vorwürfen der ehemalige Gesundheitsminister Spahn wegen diversen Vorgängen bei der Maskenbeschaffung während der Corona-Pandemie und der ehemalige Wirtschaftsminister Habeck wegen einer Subventionsvergabe an eine praktisch bereits insolvente Batteriefabrik in der Kritik. Das hat zur Überlegung geführt, ob man eine persönliche finanzielle Haftung des handelnden Ministers für derartige Fälle einführen sollte, zuletzt in der FAZ vom 16. Juni 2025.
Dabei wird vielfach auf das Vorbild der aktienrechtlichen Vorstandshaftung nach § 93 I AktG verwiesen. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint es aber mehr als fraglich, ob die Idee einer näheren Betrachtung standhält, und zwar sowohl aus politischen als auch aus rechtlichen Gründen. Diese sollen hier aufgezeigt werden.
Haftung oder Nichthaftung – das ist hier die Grundsatzfrage
Vom Prinzip her gilt es als ausgemacht, dass der Mensch für Schäden, die er anderen zufügt, ersatzpflichtig sein sollte. Wer vorsätzlich oder auch fahrlässig anderer Leute Eigentum zerstört, muss den Schaden ersetzen. So will es das BGB und eigentlich jede andere Rechtsordnung auf der Welt. Aber wenn es nur um Vermögen geht, dann ist das Bild schon nicht mehr so eindeutig. Für die Nicht- oder Schlechterfüllung von Verbindlichkeiten kann die Haftung begrenzt werden, sei es vertraglich oder auch generell, etwa durch Wahl einer haftungsbegrenzenden Rechtsform. Das deutsche Recht bietet dafür mit der GmbH schon seit 1892 die Möglichkeit, der persönlichen Haftung im Fall des wirtschaftlichen Scheiterns zu entgehen.
Vom liberalen Standpunkt her eigentlich ein Unding, weil es die Sozialisierung der Verluste ermöglicht, aber trotzdem ein weltweiter Erfolg, dessen Einführung auch Deutschland sicher nicht geschadet hat. Und auch die viel kritisierte Bankenrettung von 2008 war letztlich richtig, weil die Durchsetzung des Haftungsprinzips hier – in Gestalt eines Zusammenbruchs des Zahlungssystems – zu Schäden geführt hätte, die den Nutzen des prinzipientreuen Verhaltens deutlich überwogen hätten. Es kann also gute Gründe geben, die Nichthaftung der Haftung vorzuziehen, und bei Ministern bestehen gleich mehrere.
Das Haftungsprinzip wirkt faktisch ungleich und bevorzugt die Linken
Rein formal würde eine Ministerhaftung für Fehlleistungen im Amt jeden Minister in gleicher Weise treffen, praktisch aber nicht. Denn wir reden hier nicht von Kleingeld, sondern in allen drei einleitend genannten Fällen von dreistelligen Millionenbeträgen. Die Haftung wäre also existenzbedrohend. Damit wirkt sie sich weit drastischer aus bei Menschen, die etwas zu verlieren haben, etwa den ererbten Bauernhof bei einem Abgeordneten der CSU, die Beteiligung an einer wirtschaftsberatenden Anwaltskanzlei bei einem Mitglied der FDP oder das private Unternehmen bei einem Unternehmer aus der CDU. Wer hingegen als Mitarbeiter im Callcenter oder als Kulissenschieberin im Stadttheater begonnen hat und dann auf Landeslisten der SPD oder der Grünen politisch durchgestartet ist, hat von einer Haftung weit weniger zu befürchten. Verloren wäre maximal das, was aus dem Amtsbezügen angespart wurde, aber nicht ein möglicherweise über Jahrzehnte aufgebautes Familienvermögen.
Insofern begünstigt die Ministerhaftung faktisch diejenigen, die weniger zu verlieren haben, und die finden sich zumeist auf der linken Seite des politischen Spektrums. Gerade sie könnten bedenkenlos zu Werke gehen, während dem Minister aus dem bürgerlichen Lager die Haftungsangst im Nacken säße. Schon das ist nicht wünschenswert und könnte auch zu Crowding-Out-Effekten fühlen, dass nämlich diejenigen, die etwas zu verlieren haben, von der Übernahme politischer Verantwortung abgeschreckt werden. Dem gerade vom Team Freiheit verfolgten Ziel, mehr wirtschaftlich erfahrene Personen in Verantwortung zu bringen, steht das diametral entgegen.
Eine Ministerhaftung begünstigt das Kleben am Stuhl
Deutschland leidet seit mehr als zehn Jahren an einem Mangel an politischer Verantwortungsübernahme. Es tritt, auch nach heftigsten Fehlleistungen, kaum noch jemand zurück, und auch ansonsten ist kein Politiker mal bereit, öffentlich einen Fehler zuzugeben, auch wenn er noch so offensichtlich ist. Die Gründe dafür sind vielfältig und wären einen eigenen Beitrag wert. Am meisten überzeugt mich die Erklärung, dass die politische Kultur des Landes ein Eingestehen von Fehlern nicht honoriert.
Dieser Effekt würde sich weiter verstärken, wenn auf das Eingeständnis eines Fehlers oder auf einen Rücktritt fast zwangsläufig eine Haftungsklage folgen würde. Der Rücktritt würde dann nicht nur zum politischen, sondern auch zum wirtschaftlichen Selbstmord, und damit zu etwas, was es um jeden Preis zu vermeiden gälte.
Und mehr noch: Es würde ein Anreiz gesetzt, die einmal getroffene Entscheidung um jeden Preis aufrecht zu erhalten und damit den erkannten Fehler nicht etwa stillschweigend zu korrigieren, sondern den falschen Weg aus Angst vor Haftung weiter zu gehen. Daran kann das politische System kein Interesse haben.
Die Ministerhaftung erschwert den friedlichen Machtwechsel
Eine persönliche Haftung entsteht theoretisch mit der Verwirklichung des Haftungstatbestands. Praktisch durchgesetzt wird sie aber oft erst, wenn sich an den Machtverhältnissen etwas ändert. Auch das wissen wir aus dem Aktienrecht, wo eine Vorstandshaftung oft auch erst durchgesetzt wird, wenn das Unternehmen insolvent ist oder sich die Mehrheitsverhältnisse ändern.
Im politischen Betrieb ist erst recht nicht damit zu rechnen, dass ein zurückgetretener Minister von den eigenen Parteikollegen auf Haftung verklagt wird. Eine Haftung wird immer nur nach einer verlorenen Wahl von der neuen Regierung gegen die abgewählte Regierung geltend gemacht werden. Da das für eine amtierende Regierung vorhersehbar ist, entsteht ein Fehlanreiz, die Abwahl mit allen Mitteln zu verhindern.
Wenn man dann zugleich bedenkt, dass die Abwahl bei Existenz einer unbegrenzten Ministerhaftung zum existenzbedrohenden Risiko wird, ist der Gedanke nicht fernliegend, dass dann auch zu illegalen Mitteln gegriffen wird, um die Abwahl zu verhindern und eine ruinöse Inanspruchnahme zu vermeiden. Das würde den friedlichen Machtwechsel erschweren, der gerade ein wesentliches Kennzeichen der liberalen Demokratie ist.
Dass man die Macht verlieren kann, ohne befürchten zu müssen, am Strick oder in der Verbannung zu landen, ist eine wesentliche zivilisatorische Errungenschaft der Demokratie und eine ungeschriebene Voraussetzung dafür, dass eine einmal an der Macht befindliche Regierung überhaupt bereit ist, sich dem Risiko einer Abwahl auszusetzen. Dieses Prinzip würden wir gefährden, wenn wir den Abgewählten zwar nicht mit der Guillotine, aber doch mit dem Verlust der bürgerlichen Existenzgrundlage bedrohen.
Die Demokratie wird nicht besser davon, dass wir die Abgewählten nachträglich vor Gericht zerren. Das gilt nicht nur für Strafprozesse, von denen einige Wirrköpfe der rechten Ecke träumen, sondern auch für jahrelange Zivilverfahren. Auch das ist ein starker Grund, es bleiben zu lassen.
Abgeschwächte Lösungen versprechen keinen Erfolg
Gegen die hier geäußerten Bedenken wird eingewandt, dass ja nicht jede Fehlleistung zur Haftung führen müsse und dass man auch das Risiko der Existenzgefährdung vermeiden könne. Von den Befürwortern der Ministerhaftung wird vorgeschlagen, dass man Amtsverzicht oder risikoscheues Verhalten vermeiden könne, indem man die Haftung auf grobe Fehlleistungen begrenzt. Und ein ruinöses Ergebnis könne man vermeiden, wenn man einen Höchstbetrag pro Haftungsfall einführt.
Gerade in ersterer Hinsicht wird auf das Aktienrecht verwiesen, das in § 93 I 2 AktG eine Business Judgement Rule normiert hat, die unternehmerische Entscheidungen unter der Voraussetzung hinreichender Information und der Absicht, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, von der Haftung freistellt, auch wenn sie letztlich zum Schaden der Aktiengesellschaft geführt haben. Eine Haftungshöchstgrenze wurde im Aktienrecht ebenfalls diskutiert und teilweise für sinnvoll erachtet, müsste aber gesetzlich verankert werden, was bisher nicht geschehen ist.
Auf das politische System sind diese Ansätze aber nur bedingt übertragbar, denn „angemessene Informationsgrundlage“ und „Handeln zum Wohle der Gesellschaft“ sind äußerst unbestimmte Begriffe, die im politischen Meinungskampf nur wenig limitierende Kraft entfalten. Wem es darum zu tun ist, den politischen Gegner mit einer Haftungsklage zu lähmen, wird immer eine Information finden, die noch hätte berücksichtigt werden können, und ein inhaltlicher Aspekt, den man nicht abgewogen hat, natürlich auch.
Zudem gilt die Business Judgement Rule nicht bei (angeblichen) Rechtsverstößen, weil man bei der Rechtsbefolgung kein Ermessen hat. Sofern also Herrn Spahn vorgeworfen wird, sein Handeln bei der Maskenbeschaffung hätte gegen das Preisgesetz von 1948 (!) verstoßen, wäre eine Verteidigung mit ministeriellem Ermessen ausgeschlossen. Letztlich würde dieser Ansatz also auch zu einer starken Verrechtlichung der Entscheidungsprozesse führen, bei der am Ende der BGH entscheidet, welche Entscheidung noch vertretbar war und welche nicht. Es wird aber schon jetzt vielfach beklagt, dass Verfassungs- und Europarecht dem Regierungshandeln enge Grenzen setzen, und dass die wichtigen Entscheidungen nicht mehr in Berlin, sondern in Karlsruhe und Luxemburg fallen. Bei der Einführung einer Ministerhaftung käme eine weitere Rechtsschicht in Gestalt des Haftungsrechts dazu, mit der auch der Verstoß gegen einfaches Gesetz- und auch Verordnungsrecht grundsätzlich justiziabel wäre. Damit werden politische Handlungsspielräume weiter verengt und der Einfluss der Judikative weiter gestärkt.
Was den Vorschlag einer Haftungshöchstgrenze angeht, so ist bereits deren Festlegung problematisch. Ist sie nur symbolischer Natur, so nützt sie wenig. Ist sie substantiell, beseitigt sie die Gefahr einer Existenzvernichtung nicht – auch eine Million oder zwei hat nicht jeder, so bedauerlich das auch ist.
Vor allem aber wird die Haftung bei Einführung einer Höchstgrenze eines, und das ist versicherbar. Wir wissen aus dem Aktienrecht, dass es keinen Vorstand und Aufsichtsrat mehr gibt, der nicht gegen eine mögliche Organhaftung versichert ist. Dabei ist es den Organen durchgängig gelungen, durchzusetzen, dass die anstellende Gesellschaft die Versicherung bezahlt. Es wäre naiv, bei Politikern ein anderes Ergebnis zu erwarten, zumal sie, anders als die Organe des Aktienrechts, eine solche Regelung selbst einführen könnten. Letztlich würde dann der öffentliche Haushalt Versicherungsprämien an eine private Gesellschaft zahlen, um im Ernstfall einen kleinen Teil des Schadens ersetzt zu bekommen. Davon profitiert am Ende nur einer, und das ist das Versicherungsunternehmen.
Conclusio
Zusammenfassend ist festzuhalten: Nicht alles, was auf den ersten Blick einleuchtend und gerecht klingt, ist es auch tatsächlich. Das gilt nicht nur für soziale Wohltaten wie Kindergrundsicherung und Mietpreisbremse, sondern auch für die persönliche Ministerhaftung. In vielen Fällen, und so auch hier, überwiegen am Ende die Nachteile. Wir sollten daher dem Gedanken einer gerichtlichen „Aufarbeitung“ von Regierungsfehlleistungen nicht näher treten, sondern den Gedanken der politischen Verantwortung wieder stärken. Diese durch einen Rücktritt zu übernehmen, sollte wieder häufiger werden, und die Gewissheit, danach in Frieden und ohne gerichtliches Nachtreten des politischen Gegners seines weiteren Wegs gehen zu können, mag dazu beitragen, dass sich wieder mehr Verantwortliche zu dieser wünschenswerten Lösung entscheiden.
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Sehr geehrter Herr Drygala ,
im Prinzip haben Sie natürlich Recht, das Problem ist allerdings das das Prinzip hier nicht zur Anwendung kommt. Sie gehen davon aus das durch Wahlen und Parteischachereien Menschen in Positionen kommen. Das ist mitnichten so. Der beeindruckende Dushan Wegner hat hier das Prinzip der „Schildkröte auf dem Pfahl“ als Gleichnis für die Postenbesetzung in der Politik als logische Erklärung angeführt und diese besagt das es Kräfte bzw. Personen gibt die für uns unsichtbar bleiben aber die Besetzung politischer Ämter steuern. Damit ist Ihr Prinzip ausgehebelt denn die unsichtbaren Kräfte wirken für Ihren eigenen Vorteil der in Ihrem obigen Prinzip unbekannt ist und unberücksichtigt bleibt.
Wäre es nicht noch besser, wenn Minister gar nicht erst die Macht hätten, so immensen Schaden anzurichten?