Roger Köppel, Chefredakteur und Herausgeber der „Weltwoche“ und ehemaliger Nationalrat (2018 – 2023) der Schweizerischen Volkspartei (SVP), ist bekannt für seine vehemente Unterstützung der direkten Demokratie: „Deutschland soll verschweizern“, gar die ganze Welt müsse „verschweizern“, titelte die „Weltwoche” mit dem Bild eines massigen Sennhundes, auf dem Trinkfässli das Schweizerkreuz vor Bergpanorama.
Das Magazin bezeichnet die „Verschweizerung“, sprich die Einführung der direkten Demokratie ausserhalb der Schweiz, als „zivilisatorische Weltaufgabe“ (Weltwoche vom 18.08.2022). Selbstredend muss die direkte Demokratie in der Schweiz vor Anfeindungen durch Freunde der weiteren Annäherung der Schweiz an die Europäische Union, sogenannte „EU-Turbos“, verteidigt werden, so sein Credo.
Die Welt muss verschweizern
Die Schweiz ist das bekannteste Beispiel für direkte Demokratie. Dort können Bürger durch Volksinitiativen (100.000 Unterschriften für eine Abstimmung über eine Verfassungsänderung) oder fakultative Referenden (50.000 Unterschriften bei Gesetzesvorhaben) direkt in die Gesetzgebung eingreifen. Abstimmungen finden regelmäßig statt, oft mehrmals im Jahr. Gesetzesvorhaben können erst in Kraft treten, wenn das Volk bzw. Volk und Stände (die im Ständerat, der zweiten Kammer des Parlaments in Bern, vertretenen Kantone) zustimmen. Das Stimmvolk wird in der Schweiz regelmäßig zur Urne gerufen.
In einem Artikel der Weltwoche vom November 2014 betont Köppel die direkte Demokratie als zentrales Element der Schweizer Identität und als Schutz gegen politische Fehlentwicklungen:
„Die direkte Demokratie ist die beste bekannte Therapieform gegen politische Unzufriedenheit. Es ist großartig, in einem Land zu leben, wo gestritten und abgestimmt wird. Nicht die Populisten hetzen das Volk auf, sondern die Eliten, die es kritisieren.“
Dieser Text zeigt Köppels Überzeugung, dass die direkte Demokratie den Bürgern ermöglicht, aktiv politische Entscheidungen zu beeinflussen, und dass sie ein Gegengewicht zu einer entfremdeten politischen Elite darstellt.
Erfolgsmodell und Symbol nationaler Stärke
In einem Vortrag in Stuttgart, dokumentiert auf der Website von Dr. Heimeier & Partner, argumentiert Köppel im November 2010 für die Vorteile der direkten Demokratie, auch aus einer unternehmerischen Perspektive:
„Aus unternehmerischer Sicht kann man sagen: Direkte Demokratie ist gut für die Wirtschaft. Die Bürger hindern den Staat daran, sich in alle Lebensbereiche einzumischen. Sie wehren sich gegen übertriebene Steuern und Abgaben. (…) Es gibt keine Versicherung gegen Irrtümer und Fehler, aber die direkte Demokratie hat den unschätzbaren Vorteil, dass sie die staatliche Monopolmacht begrenzt und täglich neu herausfordert.“
Köppel betont, dass die direkte Demokratie die Macht des Staates begrenzt und die Bürger in die Lage versetzt, politische Entscheidungen kritisch zu prüfen. Er zitiert auch gelegentlich Kurt Felix, der die Schweizer Zufriedenheit durch direkte Demokratie unterstreicht:
„Deutschland hat glückliche Politiker und ein unglückliches Volk. Bei der Schweiz ist es umgekehrt. Sie hat unglückliche Politiker, aber ein glückliches Volk.“
Auf der Website der SVP formuliert Köppel seine politische Haltung, in der die direkte Demokratie eine zentrale Rolle spielt:
„Unser Erfolgsmodell heißt direkte Demokratie; ich widersetze mich jedem Abbau der Volksrechte.“
Dieses Zitat unterstreicht Köppels Engagement für den Erhalt und die Stärkung der direkten Demokratie als Kern des Schweizer politischen Systems.
In einem Bericht der „Süddeutsche Zeitung“ von 2016 wird Köppel bei einer Veranstaltung zitiert, in der er die direkte Demokratie als Bollwerk gegen gesellschaftlichen Zerfall beschreibt:
„Wenn alles zerfällt und zerbröselt um uns herum, ist es wichtig, dass wir stehen bleiben, dass wir unsere direkte Demokratie verteidigen, dass wir unsere Botschaft nach vorne bringen: für die Schweiz!“
Dieser Ausspruch zeigt, wie Köppel die direkte Demokratie nicht nur als politisches System, sondern auch als Symbol nationaler Stärke und Identität sieht.
Hort von Stabilität und Sicherheit
Jüngst begibt sich Roger Köppel auf Veranstaltungsrundreise. Mit dem Titel „Unsicheres Europa – sichere Schweiz“ zeigt er sein Gespür für die Befindlichkeit seiner Leser und Zuseher, mit seiner Kombination aus Print und Videocast. Berühmt für seine morgendliche Einordnung der Nachrichtenlage im „Weltwoche daily“ hat er seinen YouTube-Kanal auf 385.000 Abonnenten gesteigert. Hans Suter von der Thurgauer Zeitung nennt Köppel einen „gewieften Journalist und Entertainer“. Seine Veranstaltungen, ob mit namhaften politischen Größen wie Victor Orban, Gerhard Schröder, Aleksandar Vucic bei den von ihm ins Leben gerufenen „Zürcher Reden“ oder Dialogveranstaltungen sind fast immer in Windeseile ausgebucht, auch wenn Köppel alleine auf der Bühne steht.
Köppel hat ein Gespür für den Zeitgeist. Wo es die Menschen satt haben, von Politikergerede „um den heißen Brei herum“, von Schönfärberei und Ausreden, pointiert er mit klaren Aussagen und Botschaften statt „Geschwurbel“.
In Weinfelden hatte die Weltwoche Mitte März das Kongresszentrum Thurgauerhof angemietet, der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Veranstaltungssaal fasst bis zu 850 Personen. Was die Schweiz so besonders und zu einem Hort von Stabilität und Sicherheit macht, erfahren die Zuhörer an diesem Abend:
„Die Direkte Demokratie ist die Staatsform des institutionalisierten Misstrauens des Bürgers gegen die Politik“
Der Bürger plage die Politiker zwischen den Wahlen mit Referenden und Initiativen. Vertrauen sei gut, Kontrolle sei besser; deswegen dürfe das Stimmvolk die Instrumente nicht aus der Hand geben, was mit der EU-Anbindung zwangsläufig der Fall sei. Man wache sonst in einem Land auf, in dem man plötzlich nichts mehr zu sagen habe.
Die direkte Demokratie ist mithin nicht nur ein Instrument der Gestaltung und Mitwirkung, sondern vor allem auch der Verhinderung von Machtmissbrauch.
Die Schweiz besitzt aus diesem Verständnis der Rückbindung von politischer Macht an das Stimmvolk einen besonderen Sensus für demokratische Fehlentwicklungen und auch ein gerüttelt Maß an Gelassenheit gegenüber politischen Entwicklungen, denn das Sujet muss noch „durch das Volk“.
Rechtsfreie Räume
Bei einem derart fein ausgebildeten Verständnis von Demokratie, der Herrschaft des Volkes, und der Rückbindung von politischen Entscheidungen gegenüber dem „Chef“ im Land, dem Stimmvolk, müsste man doch davon ausgehen, dass es keine rechtsfreien Räume gibt, keine legislativen und exekutiven Bereiche, die sich der Kontrolle durch das Stimmvolk und dem Parlament entziehen.
Ich stellte Herrn Köppel in Weinfelden eine Frage in exakt diesem Kontext: Wie es mit der (direkten) Demokratie zu vereinbaren sei, dass rechtsfreie Räume durch Hoheitsakt des Bundesrates, der siebenköpfigen Spitze der Exekutive der Schweiz, geschaffen würden. Eine Liste von zwischenzeitlich 50 völkerrechtlichen Rechtssubjekten und privatrechtlichen Vereinigungen und Stiftungen befinden sich im Besitz weitreichender Privilegien.
Diese Privilegien reichen von diplomatischer Immunität, wie es bei diplomatischen Vertretungen nach dem Wiener Übereinkommen üblich ist, bis hin zur Befreiung von den Gemeinde-, Kantons- und Bundessteuern, neben völliger Freizügigkeit betreffend die Beschäftigung von Personal und der Freiheit im Geld- und Wertschriftenverkehr.
Nachvollziehbar konnte Köppel sich von der Bühne in Weinfelden nicht zu dem Thema äußern, bat jedoch um Zusendung weiterführender Informationen. Trotz dieser weiterführenden Informationen kam es zu keiner Anhandnahme des politisch heiklen Sujets.
Von WHO bis WEF – man sollte mal „über die Bücher gehen“
Auf jener Liste der 50 privilegierten Einrichtungen finden sich eher unbekannte Einrichtungen wie der „internationale Rat der Flughäfen“ aber auch viele bekannte Namen wie WHO, Gavi und das WEF, die Stiftung „World Economic Forum“, das seine berühmten Tagungen in Davos abhält. Neu hinzugekommen sind „Fund for the Afghan People“ und auch die NATO, die seit Viola Amherds Annäherung der Schweiz an diese, ein „Verbindungsbüro“ in Genf unterhält, natürlich entsprechend nach dem Gaststaatgesetz privilegiert. Die Einrichtungen werden unterschieden als „Organisationen des Systems der Vereinten Nationen in der Schweiz“ und „weiteren Organisationen“.
Die Spitze der diplomatischen und quasi-diplomatischen Privilegien stellt, neben der Steuerfreiheit, die strafrechtliche Immunität dar und die völlige Freiheit im Geld- und Wertschriftenverkehr. Würde auf dem Gelände der WHO oder des Gavi ein Kapitalverbrechen begangen werden, könnte die zuständige Kantonspolizei von Genf nicht einmal die Liegenschaft betreten und dürfte auch keine Ermittlungen aufnehmen.
Bei der völligen Freizügigkeit im Geld- und Wertschriftenverkehr muss man sich über Geldwäscheprävention auch keine Gedanken mehr machen.
Die SVP-Nationalrätin und Juristin Dr. Nina Fehr-Düsel meinte im Gespräch mit der Sendung „Der Rechtsstaat“ im Kontrafunk deswegen schon, man solle mal „über die Bücher gehen“, ob derlei Privilegien gerechtfertigt seien und warum der Bundesrat bei solchen weitreichenden Entscheidungen einen „Freifahrtschein“ habe.
Hofschranzentum – dem Monarch nicht zu nahe treten
Professor David Dürr, Titularprofessor für Privatrecht und Rechtstheorie an der Universität Zürich, brachte das Dilemma zwischen (direkter) Demokratie und der Schweizer Exekutivpraxis im selben Format auf den Punkt: die National- und Ständeräte kommen ihrer ureigensten Aufgabe nicht nach – nach der Bundesverfassung Artikel 169, üben National- und Ständerat die „Oberaufsicht“ über den Bundesrat und die Bundesverwaltung, die eidgenössischen Gerichte und die anderen Träger von Aufgaben des Bundes aus.
Das Gaststaatgesetz sei „etwas sehr Verräterisches für die staatlichen Gesellschaftsstrukturen“, meint Professor Dürr. Es zeige eine aristokratische Struktur: Die „Blaublütigen“ oberhalb des Normalsterblichen entscheiden, „was geht in diesem Land“. Die Parlamentarier kommen der Aufgabe, die Exekutive zu kontrollieren, nicht nach, sie sind, so Dürr, zu „Hofschranzen“ degeneriert.
Eine direkte Demokratie kann sich „rechtsfreie Räume“ nicht erlauben, sie sind demokratietheoretisch nicht und rechtsstaatlich nur mit erheblichem Aufwand zu argumentieren.
Dass Roger Köppels Zeitschrift „Weltwoche“ sich dieses Themas (bislang) nicht annehmen will, ist vor dem Hintergrund seiner mit Verve vertretenen Haltung zur direkten Demokratie und den Volksrechten in der Schweiz zumindest irritierend.
Es handelt sich keineswegs um spezifisch rechtlich-staatsrechtliche Fragen, die es beim Publikum nicht sehr leicht haben – es ist ein gesellschaftliches Problem, das mit Demokratie zu tun hat, wenn der Bundesrat – ohne parlamentarische Kontrolle – rechtsfreie Räume schafft!