Machen wir eine kurze Reise in die Vergangenheit: Wir schreiben das 2013, zwei Jahre vor der Flüchtlingskrise, sieben Jahre vor Corona und neun Jahre vor dem gefährlichsten Song unserer Zeit: Layla. Damals war die Südtiroler Rockband „Frei.Wild“ für einen Echo nominiert. Die Gruppen „Kraftklub“ und „Mia“ wollten aufgrund dieser Nominierung der Veranstaltung allerdings fern bleiben. Der Band wurde damals, bitte nicht lachen, „Nähe zu rechtem Gedankengut“ vorgeworfen. Woher dieser Vorwurf kam, bleibt bis heute eher nebulös. Angeblich hätte sich die Band „rechter Vokabeln“ in ihren Songtexten bedient. Sie ahnen es, positive Identifikation mit der eigenen Heimat und so. Aber egal, am Ende hat die gute Sache dann aber doch noch gesiegt: „Frei.Wild“ wurden ausgeladen und der heilige Kampf gegen rechts hatte einen weiteren wichtigen Sieg davon getragen! Heutzutage würde man dieses Vorgehen zweifelsohne der „Cancel Culture“ zurechnen.
Cancel Culture? Die gibt es doch gar nicht
Denn, seit damals hat es einige Fälle ähnlicher Art gegeben. Von J. K. Rowling über Nena und Joshua Kimmich bis hin zu Winnetou und den „Indianern“ gab es in den letzten Jahren mehrere Beispiele. Ja, sogar Songs wie das angesprochene Layla oder L’amour toujours stehen inzwischen auf der schwarzen Liste mehrerer Volksfeste. Trotzdem gibt es immer wieder Zeitgenossen, die uns erzählen möchten, dass es so etwas wie eine „Cancel Culture“ doch eigentlich gar nicht gibt. Genauso wenig wie die Antifa (die ja nicht im deutschen Vereinsregister steht) oder einen echten Lockdown wie in China während Corona.
Wenn Fälle, in denen gecancelt wird, doch mal vorkommen sollten, liegt es demnach höchsten daran, dass das Bewusstsein für Diskriminierung in der Bevölkerung gestiegen ist. So sagen es die Experten und Faktenchecker – und die müssen es ja wissen. Ansonsten gab es in den letzten Jahren immer wieder Artikel oder Studien, die entweder eine „Cancel Culture“ belegen oder eine „Cancel Culture“ verneinen. Überraschung: Gerade von links wird häufig behauptet, dass es keine eine „Cancel Culture“ gäbe und dass jeder in Deutschland immer und überall sagen könne, was er will. Das sieht allerdings nicht jeder so.
Ein interessanter Gradmesser ist der sogenannte „Freiheitsindex“, der jedes Jahr vom Institut Allensbach und dem Schweizer Unternehmen „Mediator“ erhoben wird. Immerhin sagen 47 Prozent der Deutschen in diesem Jahr, dass man hierzulande noch frei reden kann. 2023 waren es noch 40 Prozent. Wow, es geht aufwärts! Allerdings muss man fairerweise dazu sagen, dass der Wert in den 1990ern bei ziemlich stabilen 78 Prozent lag. Kein Wunder, dass sich neuerdings auch Prominente über den Zustand der Meinungsfreiheit beklagen.
Wetten, dass …?!
Allen voran Thomas Gottschalk. Der hatte vergangenes Jahr in seiner letzten Sendung ein Statement darüber abgegeben, warum er die Sendung „Wetten, dass …?!“ an den Nagel hängt. Ein wesentlicher Grund war für den Showmaster die Tatsache, dass er Zuhause anders reden würde, als in der Öffentlichkeit, da er bei einem falschen Wort jederzeit mit einem Shitstorm rechnen müsse.
Diese Aussagen wurden in den sozialen Netzwerken eher mit geteilter Stimmung aufgenommen. Viele empfanden seine Worte als äußerst mutig und wichtig, andere machten sich über ihn lustig. Jetzt dürfen Sie dreimal raten, wer die Worte von Gottschalk wie kommentiert hat.
Ein Jahr später erhitzt der Showmaster immer noch die Gemüter. Vor allem die von jenen, die sich berufen fühlen, für die gute Sache zu kämpfen. So jemand ist der in die Jahre gekommene Meteorologe und Vollzeit-X-User Jörg Kachelmann. Gottschalk hatte kürzlich ein Buch veröffentlicht in dem er beschrieb, wie er seine beiden Sohne geschlagen hatte, als sie noch Kinder waren. Soweit, so banal. Kachelmann nahm diese Gelegenheit zum Anlass, um sich ausufernd über den „kindesmisshandelnden“ Gottschalk und seine Fürsprecher auszulassen. Dabei hielt er natürlich über den tatsächlichen Hintergrund seines ganz persönlichen Shitstorms gegen Gottschalk nicht hinterm Berg: Gottschalk sei der Held für „dumme, alte und weiße Kartoffeln“.
Meinungsfreiheit gehört reguliert!
Twitter, oder X, wie es jetzt heißt, war ja schon immer ein Ort, an dem es eher polemisch zugegangen ist. Das gefällt den Grünen gar nicht, besonders Robert Habeck ist beleidigt. Ja genau, der Robert Habeck, der das damalige Twitter nach einer missglückten Videobotschaft zur Thüringen-Wahl verlassen hatte, möchte jetzt X stärker regulieren. Besonders große Accounts, die angeblich „rumpöbeln“, „beleidigen“ oder „alles schlecht reden“ und damit eine gewisse Bekanntheit erlangt haben, wurden von dem Wirtschaftsminister explizit genannt.
Interessanterweise ist Habeck inzwischen selber wieder auf X zurück gekehrt. Natürlich, um dort selbstlos seine Kanzlerschaft anzukündigen und für das Gute zu kämpfen! Robin Hood kann einpacken. Aber zurück zu Habecks Regulierungsplänen. Sie können jetzt alle beruhigt aufatmen, Herr Kachelmann ist damit ganz sicher nicht gemeint. Es geht wohl mal wieder eher gegen Accounts, die nicht unbedingt aus demselben Meinungsuniversum stammen, wie Herr Habeck. So wie etwa der ziemlich geniale Don Alphonso.
Wer wirklich gecancelt werden soll
Und hier liegt auch so ein wenig der Hase im Pfeffer. Gerade Robert Habeck, und darauf kann man nicht oft genug hinweisen, hat letztes Jahr mehr als deutlich betont, dass Antisemitismus ein Abschiebegrund sei. Ironisch, dass sich ausgerechnet seine grüne Parteikollegin und feministische Außenministerin Baerbock mutmaßlich mit sogenannten „Gegnern Israels“ getroffen haben soll.
An Universitäten und auf den Straßen toben sich zudem seit einem Jahr Antisemiten noch und nöcher auf, allerdings wurde von denen auch noch keiner „gecancelt“, abgeschoben oder von der Uni verwiesen. Um von einer Uni zu fliegen, müsste man ja mindestens auf Sylt im volltrunkenen Zustand ein ziemlich dummes Liedchen trällern. Aber nein, die Antisemiten an Deutschlands Unis oder auf Deutschlands Straßen sind stocknüchtern. Religionsbedingt, versteht sich.
Wer zuletzt lacht
Man wird also das Gefühl nicht los, dass es bei der „Cancel Culture“ weniger um das angesprochene stärkere „Bewusstsein“ in der Bevölkerung geht sondern mehr darum, unliebsame Meinungen oder Personen mundtot zu machen. So arbeitet man sich weiterhin fleißig an Thomas Gottschalk ab, während in Amsterdam im Rahmen eines Fußballspieles Israelis durch die Stadt gehetzt werden. Wer dafür verantwortlich ist, können Sie sich jetzt an einer Hand abzählen. Ein kleiner Tipp: Thomas Gottschalk oder die Gruppe Frei.Wild waren nicht dabei.
Genau diese Doppelmoral macht die „Cancel Culture“ auch so durchschaubar. Es geht vordergründig um eine vermeintlich gute Sache und das wohlig warme Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Aber, es werden natürlich nur Leute ins Visier genommen, deren Meinung man nicht teilt und, ganz wichtig, von denen man auch nichts zu befürchten hat. Das Ganze ist dann natürlich gepaart mit der obligatorischen Moralkeule und dem latenten Bedürfnis, die Leute zu erziehen und zu bevormunden.
Wie nun die Menschen meistens darauf reagieren, kann man an der Band Frei.Wild sehen. Diese hat 2016 doch noch ihren Echo erhalten. „Schuld“ daran waren die Fans, die sich nach dem Vorfall 2013 noch stärker mit der Band identifiziert und die Platten gekauft haben. Ähnlich, wie bei den Böhsen Onkelz in den 90er Jahren. Qualität setzt sich am Ende eben meistens doch durch, ganz unabhängig von selbsternannten Sitten- und Moralwächtern.