Das Geld als eine spezielle Art Wertschrift

Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts und im Televisor des Sandwirts: Hier.

Protokolle der Aufklärung #39

In meinem Sandwirt-Beitrag über die prämonetären Zahlungsmittel wurde – ausgehend von unvollendeten Täuschen und den dort abgegebenen Schuldentilgungsversprechen – über die Zwischenstationen Schuldschein und Handelswechsel die Definition der Wertschrift entwickelt. Diese Zahlungsmittel sind immaterielle Entitäten, die nur symbolisch zu objektivieren sind und aus Kreditverträgen entstehen. Sie können zwischen zwei Handelspartnern (als Gutscheine) oder einer kleinen Runde von Handelspartnern (als Handelswechsel) oder einem sehr großen Kreis (als Wertschriften) wie Tauschgüter kursieren. Im hier vorliegenden Beitrag wende ich mich einer speziellen Art von Wertschriften zu: dem Gelde. 

Die Frage „Was ist Geld?“ zielt nicht auf dessen Funktionen (klassische Gelddefinition nach William Stanley Jevons: Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel, Recheneinheit und Wertmaßstab), sondern auf das Wesen des Geldes. Die funktionale Gelddefinition hat die Eigenart, auch auf Zigaretten und alle anderen Tauschgüter zu passen (s. mein Sandwirt-Beitrag „Der Tausch als binäres Zahlungsereignis“). 

Aufgrund der eingehenden Analyse der Tausch- und Verleihpraxis in meinen beiden letzten Sandwirt-Beiträgen können jetzt Fragen wie die nach dem Wesen des Geldes, nach seiner Entstehung, nach seiner Deckung und nach seiner idealen Menge präzise gestellt und fundiert beantwortet werden. 

Near Money

Man kann alles Mögliche tauschen: Nahrungsmittel, Produktionsgüter, Rechte, Verträge usw. Die ursprüngliche Form des Tausches ist der sogenannte „direkte“: Sachgut gegen Sachgut. Mit der Wertabschätzung der zum Tausch anstehenden Güter darf man es bei dieser Form nicht allzu ernst nehmen. Man braucht das auch gar nicht, wenn man der Tatsache Rechnung trägt, dass das Werturteil, das jedem Tausch vorangeht und die aktuellen Präferenzen bestimmt, subjektiv ist und sich zudem ständig ändert. 

Für ein rationales Wirtschaften erscheint es immerhin nützlich, ein allgemein akzeptiertes, eindeutig bewertetes Tauschgut/Zahlungsmittel zu haben. Denn eine Gesellschaft mit bloßem Sachgütertausch hätte größte Schwierigkeiten mit der Allokation (der sachgerechten Verteilung der Güter auf dem Markt).

Als Wertschriften-Definition hatten wir im oben zuerst genannten Beitrag gefunden: Sie ist ein Zahlungsmittel in Form eines symbolisch materialisierten, numerisch bewerteten Tilgungsversprechens, das gedeckt ist durch das Tilgungspotential ihres Emittenten. 

Im gleichen Zuge hatten wir festgestellt, dass bestimmte Wertschriften, nämlich die von hochboniden Emittenten häufig verwendet werden, fast so wie Geld, weil sie besonders taugliche Zahlungsmittel sind. Berücksichtigen wir diesen Sachverhalt, dann lautet die Definition für diese geldähnlichen Wertschriften:

Eine geldähnliche Wertschrift ist ein Zahlungsmittel in Form eines symbolisch materialisierten, numerisch bewerteten Tilgungsversprechens, das gedeckt ist durch das Tilgungspotential eines hochboniden Emittenten.

Als Wertschrift hochbonider Emittenten erscheint nun Geld in seiner allgemeinsten Form: als Universalgeld. Das Universalgeld umfasst neben dem Geld, was wir gewöhnlich benutzen, alle Arten des sog. Near Money. Im angloamerikanischen Finanzraum spielt dieses „Money“ eine bedeutende Rolle. Milliarden von Werteinheiten davon sind täglich im Umlauf.

Das Universalgeld

Eine Definition für Geld, welche die Gesamtheit der heutigen Finanzmittel beschreibt, muss auch das Geld der oben erwähnten Nebengeldkreisläufe (Near Money) umfassen. Sie muss das Zahlungsmittel Geld so erklären, dass seine speziellen Arten insgesamt berücksichtigt sind. Das heißt, sie muss eine Definition des Universalgeldes sein. Je mehr sich die Finanzwirtschaft digitalisiert, desto dringlicher wird eine Gelddefinition, die alle möglichen Geldformen umfasst. Denn Geld ist sowohl analog als auch digital am Markt. 

Mit der Definition der Wertschrift sind wir schon ganz nahe beim Geld. Denn Geld ist nichts anderes als eine spezielle Art von Wertschrift. Weil jede Wertschrift eine symbolische Objektivation von numerisch bewerteten Tilgungsversprechen ist, trifft dies auch auf das Geld zu. 

Unter Berücksichtigung des Bonitätsaspekts lässt sich sagen: Universalgeld ist die Gesamtheit der Wertschriften hochbonider Emittenten. Setzt man diesen Satz in die Definition ein, die wir oben für geldähnliche Wertschriften gefunden haben, dann ergibt sich: 

Universalgeld ist die Gesamtheit der Zahlungsmittel in Form symbolisch materialisierter, numerisch bewerteter Tilgungsversprechen, die gedeckt sind durch das Tilgungspotential hochbonider Emittenten.

Dies ist eine essentiale Definition, weil sie die Wesensmomente des Geldes enthält. Damit ist Geld nicht etwas, das mit Anderem verwechselt werden kann, im Gegensatz etwa zur funktionalen Gelddefinition von Jevons (s. o.: Zahlungsmittel usw.). Der mit der essentialen Definition fixierte Geldbegriff ist eindeutig. Mit ihr ist eine klare Grenze gezogen gegenüber allen anderen Tauschobjekten. Es gibt kein diffuses „Dazwischen“. Die undeutlichen Begriffe „Geldsubstitut“, „Geldsurrogat“, usw. erübrigen sich. 

Geld stellt eine besondere Form von Wertschriften dar. Qua Wertschrift hat es seine Wurzeln ebenfalls im Kredit. So ermöglicht der Kredit in den weitaus meisten Fällen nicht nur das Tauschen überhaupt. Er ist die Basis für die Finanzwirtschaft, einem äußerst wichtigen Teil der Volkswirtschaft. 

Die Definition des Universalgelds enthält alle Komponenten, die auch den Wertschriften zukommen. Die Übereinstimmung erklärt, dass einige Wertschriften am Markt wie Geld verwendet werden können. Mit dieser Definition ist eine Brücke geschlagen vom prämonetären Tauschmittelbereich hin zum Geldbegriff. 

Geld im heutigen Sinne konnte erst in die Welt kommen, als seine Substanz (Deckung in Form von Leistungs-Potentialen!) völlig abgelöst war von jedweder Materie. Und falls sie sich doch materialisiert, dann nur in symbolischer Form: als Schriftzeichen auf einem Trägermedium. Dieses Zeichen ist nichts anderes als die Bescheinigung eines numerisch bewerteten Versprechens. 

Die Bescheinigung dokumentiert ein abstraktes Recht, eines Tages irgendein Sachgut erwerben und nutzen zu können. Geld ist insofern nichts anderes als ein „Güterbezugsrecht“, ein „Anspruch auf gleichwertige Gegenleistung“ für eine bereits erbrachte Leistung (Argentarius alias Alfred Lansburgh). 

Die endogene Geldschöpfung der Banken

Die Handelskraft eines Wirtschaftssubjekts ist optimal, wenn es Geld als Tauschmittel benutzt. Das reicht aber nicht immer. Voll entfalten kann sich diese Kraft erst, wenn Geld in einer ganz speziellen Form vorliegt: als Bankengeld. 

Das Bankengeld ist eine Teilklasse des Universalgeldes. Das Besondere daran ist: Mit ihm kann man innerhalb eines Handelskreises überall und immer bezahlen. Regulär bezahlt wird auch bei solchen Tauschgeschäften, in die ein von der Wirtschaft irgendwo geschaffenes Geld (Near Money) einfließt. Aber mit Bankengeld kann man alle nur möglichen Tauschgeschäfte tätigen. Man hat (neben und vor vielen anderen) ein besonders ausgezeichnetes Zahlungsmittel. 

Auch Bankengeld entsteht aus Krediten. Insofern ist es durch die oben gegebene Wertschriften- und die Universalgelddefinition miterfasst. Was aber ist das Spezielle an der Kreditierung, die zum Bankengeld führt? Worin unterscheidet es sich von allen anderen Wertschriften und Geldarten? 

Bankengeld basiert auf der sogenannten endogenen Geldschöpfung. Bei der endogenen Geldschöpfung erzeugen die Banken in ihren Bilanzen – zunächst ohne Handelsvorgang extern – selbst Aktiva und Passiva. Man sagt: Sie verlängern ihre Bilanz. Die Aktiva, die dabei entstehen, werden sofort an die Kreditnehmer verliehen und dann erst verbucht, und zwar als Forderung. Auf der Passivseite geschieht Ähnliches: Dort wird eine Verbindlichkeit zu Lasten des Kreditnehmers verbucht (Einrichtung eines „Darlehenskontos“).

Bei der endogenen Geldschöpfung geben die Banken ein Tilgungsversprechen zunächst gegenüber sich selbst ab. Sie kreditieren sich gewissermaßen selbst. Ein Kredit sollte auch hier durch ein Tilgungsvermögen gedeckt sein, im vorliegenden Fall durch die Bonität der Banken. 

Die Bonität der Banken besteht in nichts anderem als darin, die Bonität ihrer Kreditkunden professionell zu prüfen und zu beurteilen. Damit wird die Garantie für die Substanz des Bankengeldes letztlich auf das Leistungspotential all jener herübergeschoben, für die das Geld erzeugt wird. Die Garantie, die früher einmal auf die Bonität von Münzen bezogen war, d. h. auf deren Edelmetallgehalt und Gewicht, beruht heute auf der Bonität von Menschen, und zwar auf ihrem Liefer-/Tilgungspotential. 

Ihre Bonität ersetzen die Banken also durch die Bonität ihrer Kreditkunden. Deren Bonität haben sie vorher geprüft. Damit sichern sie ihre Bonität ab. Nun müssen sie nicht selbst irgendwelches Tilgungspotential entfalten, um jene Verbindlichkeiten abzulösen, die sie zunächst gegenüber sich selbst hatten. Der Kreditkunde muss das tun. Er muss die dafür notwendige Bonität besitzen. 

Zum Verständnis der endogenen Geldschöpfung ist wichtig, dass man erkennt, dass an deren Anfang eine Selbstkreditierung der Banken steht, auch wenn in den Bilanzen nichts davon zu sehen ist. Dort erscheint ohne Zwischenstand sofort das Produkt, das mit dem neu geschaffenen Aktivum im Tausch erworben wurde (z.B. ein Wertpapier) bzw. die Forderung, die gegen einen Darlehensnehmer entstanden ist. Im Passivum verbleibt entweder die aus der Selbstkreditierung entstandene Eigenverbindlichkeit der Bank (beim Wertpapierankauf) oder die Ersatzverbindlichkeit aus dem Darlehensvertrag mit dem Bankkunden. 

Die Möglichkeit der endogenen Geldschöpfung ist bei Geschäftsbanken eingeschränkt. Die Schranken können gegebenenfalls durch eine Zentralbank beseitigt werden. Dabei tritt diese als „lender of last resort“ in Erscheinung: als eine Bank, die – ebenfalls auf dem Wege endogener Geldschöpfung – als Letztinstanz die Geschäftsbanken refinanziert. Mit der heutzutage oft postulierten Zwei-Ebenen-Geldtheorie (Zentralbankengeld und Geschäftsbankengeld) wird verschleiert, dass es bei der Bankengeldschöpfung stets nur immer um den einen Prozess geht: die endogene Geldschöpfung. Und es geht um das eine Geld, nämlich Bankengeld, das auch Währungsgeld genannt wird.

Das Währungsgeld

Die Substanz (Deckung) des Geldes, welche die Banken garantieren, erlaubt, dass man innerhalb eines Handelskreises mit diesem Geld alle am Markt angebotenen Güter kaufen kann. Wenn sich alle Leistungspotentiale, welche das Geld decken, vollständig entfalten, kann im Prinzip niemals zu viel Geld auf den Markt kommen. Entfalten sie sich nicht, entstehen Inflationen. 

Deckung durch Leistungspotentiale bedeutet: Die Kreditnehmer müssen, um tilgen zu können, gehortete oder erst zu produzierende Güter auf den Markt bringen (sie müssen also „leisten“). So sind diese Güter dort für Kaufinteressenten vorhanden.

Das verlangt dem Bankensystem die Pflicht ab, das Leistungspotential all jener genau zu prüfen, für die es per Kredit Geld erzeugt. Denn das Bankensystem muss für die Deckung des Geldes durch Leistungspotentiale bürgen. Die Bürgschaft erlaubt, dass man innerhalb eines Handelskreises mit dem Bankengeld alle am Markt vorhandenen Güter kaufen kann. 

Entfalten sich alle Leistungspotentiale, welche das Bankengeld decken, nicht vollständig, kommt ungedecktes Geld auf den Markt, und es steigen unweigerlich die Preise.

Ganz gleich, an wen die Banken die Tilgungsschuld aus ihrer Selbstkreditierung delegieren, bei Tilgungsausfall der Delegaten haften sie selbst. Das heißt, Währungsgeld ist letztlich gedeckt durch das Tilgungspotential der Banken, also durch deren Bonität. Setzt man den Inhalt dieses Satzes in die Universalgelddefinition ein, dann ergibt sich: 

Währungsgeld ist die Gesamtheit der Zahlungsmittel in Form symbolisch materialisierter, numerisch bewerteter Tilgungsversprechen, die gedeckt sind durch das Tilgungspotential der Banken.

Währungsgeld innerhalb einer rational funktionierenden Wirtschaft ist jenes Etwas, das seine Existenz den Schuldentilgungsversprechen und der Akzeptanz dieser Versprechen durch bestimmte Kreditoren verdankt. Die Kreditoren sind im vorliegenden Fall die Banken. 

Geld im heutigen Sinne konnte erst in die Welt kommen, als seine Substanz abgelöst war von jedweder Materie. Und falls sie sich doch materialisiert, dann nur in symbolischer Form: als Schriftzeichen auf einem Trägermedium. Dieses Zeichen ist die Bescheinigung eines numerisch bewerteten Versprechens. Die Bescheinigung dokumentiert das abstrakte Recht, eines Tages irgendein Sachgut erwerben und nutzen zu können. Geld ist insofern ein „Güterbezugsrecht“, ein „Anspruch auf gleichwertige Gegenleistung“, und zwar für eine bereits erbrachte Leistung (Argentarius). 

Geld ist vom Wesen her immateriell. Seine Materialität erlangt es auf einem Objekt, welches nicht Geld aber Materie ist, z.B. Papier oder Elektronik. Wegen seiner essentiellen Immaterialität gibt es für seine Materialisierung keine Mengengrenze, es sei denn durch die verfügbaren Papiermengen oder durch die vorgegebene Größe der elektronischen Speicher. Eine derartige Grenzsetzung ist jedoch ökonomisch völlig irrelevant. Umso wichtiger ist, dass die Deckung (Bonität) Teil des Geldwesens ist. Denn diese setzt hier die natürliche Grenze. Fällt diese weg, koppelt sich das Finanzwesen von der Wirtschaft ab und verselbständigt sich. Es gelangt Geld auf den Markt, das nicht gedeckt ist. Die Leistungspotentiale fehlen, die die Güter erzeugen sollten, welche die Geldbesitzer kaufen wollen. Das führt unweigerlich zur Inflation.

Der Tausch wurde erst dann zu dem, was wir Kauf/Verkauf bzw. „indirekten Tausch“ nennen, als Geld daran teilnahm. Kaufen und Verkaufen sehen wir als vollständige symmetrische Täusche an. Was ist der Grund? – In einen symmetrischen Tausch können nur Güter einfließen, die einen dinglichen Charakter haben. Das Geld hat diesen Charakter, allerdings nur als vergegenständlichtes Symbol. 

Mit Symbolen als Handelsgut können erhebliche Gefahren in das Wirtschaftsgeschehen gelangen. Geld kann das Tauschen toxisch machen. Dadurch kann eine Wirtschaft ins Bodenlose fallen, nämlich in eine nicht mehr zu beherrschende Preisspirale hinein.

Der reine Sachgütertausch – auch der Tausch mit dem Sachgut „Goldmünze“ – hörte erst auf, als man entdeckte, dass bloße Versprechen, die allerdings durch Leistungspotentiale gedeckt sein müssen, als Handelsgut verwendbar sind. Das war spätestens beim Wechselverkehr der hanseatischen und venezianischen Kaufleute im Mittelalter der Fall. 

Die Objektivierung des (immateriellen!) Wertes von Versprechen in Form von Noten oder elektronischen Daten macht die Menschheit endgültig frei vom reinen Sachgütertausch. Erst jetzt erschien das Wesen des Geldes unverstellt, nämlich als Bescheinigung darüber, dass ein Handelsakt im Sinne eines Sachgütertausches erst zur Hälfte durchgeführt und die andere Hälfte in die Zukunft verlegt wurde. 

„Es läuft immer so viel Geld in einem Lande um, wie Tauschakte zwar vorgenommen, aber nicht vollständig erledigt, sondern sozusagen noch in der Schwebe geblieben sind. Denn das Geld ist ja gerade die Bescheinigung dafür, dass ein Tauschakt erst zur Hälfte durchgeführt worden ist.“ – Argentarius hat hier offensichtlich den idealen unvollendeten Sachgütertausch im Blick. Damit sich das Ideal realisiert, muss dafür gesorgt sein, dass immer auch die zweite Hälfte des Tausches erfolgt. Das heißt, es müssen am Markt so viele Güter vorhanden sein, dass problemlos gekauft werden kann. Dies zu garantieren, ist die Aufgabe der Bonitätsprüfer und beim Währungsgeld die Aufgabe der Banken. 

Geld im eigentlichen Sinne existiert erst dort, wo symbolisch materialisierte und numerisch bewertete Tilgungsversprechen als Tauschobjekte fungieren und nicht schon dort, wo es Edelmetallmünzen gibt. Edelmetallmünzen sind immer noch handfeste Naturalien. Ihr Wert bemisst sich an ihrem Dingcharakter und ist an diesen gebunden. Beim Tausch mit Edelmetallmünzen handelt es sich im Grunde immer noch um einen reinen Sachgütertausch. 

Das heutige Geld ist vom Dinglichen in der Art von Sachgütern vollkommen frei. Er beruht auf einer rein abstrakten Größe, die für sich und unabhängig von allen Sachen besteht: dem Tilgungsversprechen. Es ist gedeckt durch ein bestimmtes individuelles Leistungsvermögen: dem Tilgungspotential. Je größer dieses Potential, d.h., je mehr ein Mensch die Anderen mit bedarfsgerechten (und daher marktgängigen) Gütern beliefern kann, desto bonider erscheint er dem Kreditor, der ihm Geld verschafft. Das wirkt sich auf die Menge des Geldes aus, die auf Wunsch des Debitors herbeigeschafft und eventuell neu erzeugt werden soll. Die Geldmenge kann so groß sein, wie sie will. Wenn sie durch Leistungspotentiale vollständig gedeckt ist, bleibt die Wirtschaft gesund. 

Außerdem: Der Geldschöpfung – qua Monetisierung von Tilgungsversprechen – steht ständig eine Geldvernichtung gegenüber – qua Demonetisierung durch Tilgung. Das Sterben von Geld anlässlich der Tilgung hält die Geldmenge zusätzlich in Schach. Hier zeigt sich, dass die bibliotheksfüllenden „Geldmengentheorien“ bloße Wortgebilde darstellen, die gänzlich vom Boden abgehoben erscheinen.

Das Tilgungspotential, das das Geld deckt, ist die Substanz des Geldes. Es ist der Berührungspunkt und das Bindeglied zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft! Wer dieses Bindeglied (die Deckung) herauslöst, z.B. durch Unvermögen oder Schlampigkeit bei der Bonitätsprüfung, zerstört den natürlichen Ablauf des Wirtschaftsgeschehens. 

Geld dokumentiert eine Kollektivschuld, eine Schuld, die von irgendjemandem aus dem Geldnutzerkollektiv, z.B. durch die Lieferung eines Sachguts, getilgt werden muss. In dieser Beziehung ist Geld dem Handelswechsel gleich. Die Kreditschuld eines Darlehensnehmers, die eventuell auf dem Wege einer Neuschöpfung zu Geld geworden war, erlischt zwar nicht. Aber im interindividuellen Geldverkehr, der auf den individuellen Gelderwerb folgt, wird das Kollektiv der Geldnutzer als Ganzes zum Schuldner. 

Leistungsverpflichteter des Geldbesitzers – also ein Schuldner – ist nicht mehr nur ein einzelner Güterlieferant (so wie beim Gutschein), sondern es sind die Güterlieferanten einer Wirtschaftsgemeinschaft insgesamt. Deswegen wird es für manchen schwierig, Geld nicht immer nur als Gut, sondern zugleich auch als Schuld zu begreifen. 

Wie jeder Gutschein, so ist auch der Geldschein nicht nur ein Anspruch auf irgendwelches Sachgut, sondern zugleich ein Ausweis darüber, dass der Geldinhaber früher eigenes Gut in die Gesellschaft eingebracht hat, z.B. durch Verrichtung einer Arbeit. Und jetzt schuldet ihm die Gesellschaft, d.h. die Gesamtheit der Geldnutzer, irgendein anderes Gut. 

Die Kreditgeldwirtschaft

Aus den vorigen Erörterungen geht hervor: Geld entsteht aus Krediten. Derzeit gibt es kein Geld auf dem Markt, das nicht aus Krediten stammt, jedenfalls kein gedecktes Geld. Auch das bereits vorhandene Geld, welches in neue Kredite einfließt, ist einstmals aus Krediten entstanden, und zwar bankintern anlässlich der endogenen Geldschöpfung. Die heutige Geldwirtschaft ist eine reine Kreditgeldwirtschaft. Sie beruht letztlich auf der Selbstkreditierung der Banken. Deshalb heißt die Normensammlung, die dafür geschaffen wurde, in Deutschland konsequenterweise „Kreditwesengesetz“. Aber der Staat hat nur insofern Einfluss auf die Geldumgangspraxis, als er die Handlungsnormen dafür festlegt. (Dabei ist zu fragen, ob es staatliche Regelungen für die Finanzwirtschaft überhaupt braucht.)

Das Geld, was heutzutage auf den Markt kommt, ist also nichts anderes als eine Leihgabe des Bankensystems. Das gilt auch für das umlaufende Währungsgeld außerhalb dieses Systems. Insofern ist die Trennung in zwei verschiedenartige Gelder – „Zentralbankengeld“ und „Geschäftsbankengeld“ – ein Kategorienfehler. Eine Zentralbank generiert das Geld, was sie z.B. an die Geschäftsbanken ausleiht, auf die gleiche Weise, wie das die Geschäftsbanken mit ihren Kunden tun. 

Die Verbindlichkeit, die die Bank durch die endogene Geldschöpfung zunächst nur sich selbst gegenüber hat, wird beim Kredit infolge des Darlehensvertrags durch die Verbindlichkeit des Darlehensnehmers ersetzt (s.o.). Falls dieser sie nicht bedient, muss die Bank selbst einspringen und die bilanziell vermerkte Schuld aus ihrem Gewinn oder aus dem Eigenkapital tilgen. Banken müssen daher die Bonität der von ihnen kreditierten Kunden, die – so wie sie – ebenfalls Emittenten von Tilgungsversprechen sind, intensiver und strenger unter die Lupe nehmen als sonstige Kreditoren. 

Eine Bank haftet zwar als Letztinstanz für den Tilgungsausfall ihrer Kunden. Wenn aber ihr Gewinn und ihr Eigenkapital nicht ausreichen, diesen Ausfall zu kompensieren, dann geht sie zugrunde. Es verbleibt Geld auf dem Markt, das durch Tilgung nicht mehr vernichtet werden kann – mit desaströsen Folgen. Der wirtschaftliche Zusammenbruch einer Bank schädigt alle Geldnutzer der Gesellschaft.

Der Autor dieses Artikels hat in der Edition Sandwirt die Buchreihe „Die freie Gesellschaft und ihre Entstellung, Band 1-4“ veröffentlicht.

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5 Kommentare. Leave new

  • Rainer Lippert
    7. Juni 2025 16:55

    • Geld – Anrecht auf Güter
    Was der Autor beschreibt, sehe ich auch so: Geld ist ein Anrecht auf einen prozentualen Anteil an allen dem ökonomischen Tausch unterworfenen Gütern:
    Zitat „Geld ist insofern nichts anderes als ein ‚Güterbezugsrecht‘, ein ‚Anspruch auf gleichwertige Gegenleistung‘ für eine bereits erbrachte Leistung (Argentarius alias Alfred Lansburgh).“

    • Das Wesen des Geldes
    Doch aus meiner Sicht ist das Wesen des Geldes nicht in der Aufzählung von W. Jevons enthalten: Wert ist Teil des Wertbildungsprozesses. Daraus können die anderen Funktionen des Geldes abgeleitet werden.
    Mit Geld wird es ermöglicht, Werte zu bilden, indem es als allgemein gültiges Äquivalent für Güter aller Art genutzt wird. Vor dem Geld musste immer ein konkretes Wertäquivalent für die Wertbildung verwendet werden, z.B. Stoff gegen Brot.

    • Wert
    Der Wert zeigt, was den Menschen, Unternehmen usw. im gegebenen gesellschaftlichen (wirtschaftlichen, technologischen, politischen, kulturellen, religiösen, historischen, außenwirtschaftlichen usw.) sowie natürlichen Umfeld wie wichtig im wirtschaftlichen Sinn ist.
    Wichtig im wirtschaftlichen Sinn bedeutet, dass z.B. einem Glas Wasser im privaten Haushalt sehr wenig Wert zugeordnet werden muss. In einem Restaurant ordnet man einem Glas Wasser einen deutlich höheren Wert zu, da das Umfeld zusätzliche Kosten bedingt. Ein Verdurstender in der Wüste wird einem Glas Wasser einen noch höheren Wert zuordnen.

    • Wert ist keine Singularität
    Ein Werturteil ist einseitig und rein subjektiv, wie der Autor schreibt. Doch Wertbildung ist kein singulärer Prozess. Wert ist eine zweiseitige, gesellschaftliche Erscheinung zwischen Tauschpartnern.

    Gewichtete Bedürfnisse (allgemeine Bedürfnisse sind nicht direkt relevant für die Wirtschaft; gewichtete Bedürfnisse sind verknüpft mit Opportunitätskosten) nach Tauschgütern, z.B. nach einem Smartphone (Käuferseite) auf der einen Seite und Geld auf der anderen (Verkäuferseite) führen dazu, dass potenzielle Tauschpartner eine Beziehung miteinander eingehen.

    • Die gemeinsame Wertgröße
    Im Rahmen dieser Beziehung müssen sie sich auf eine gemeinsame Wertgröße für die Tauschgüter einigen, um erfolgreich tauschen zu können. Wenn nach der Einigung die gewichteten Bedürfnisse zum Tausch noch hinreichend groß sind, wird getauscht.
    Wenn sich die Tauschpartner nicht auf eine gemeinsame Wertgröße einigen können, wird nicht getauscht und die Wertbeziehung wird ohne Tausch beendet: Auf der Rechnung/auf dem Kaufvertrag können nicht ein Verkaufspreis und ein davon abweichender Kaufpreis stehen.

    • Subjektive und objektive Elemente des Wertes
    Wert ist damit nicht rein subjektiv, sondern hat, neben den subjektiven Merkmalen, auch objektive, die über jeden der Tauschpartner hinausgehen.
    Das wichtigste objektive Element ist die gemeinsame Wertgröße.
    Diese ist aus rein subjektiven Elementen in jedem der Tauschpartner hervorgegangen und wirkt intersubjektiv.

    Antworten
    • Dietrich Eckardt
      12. Juni 2025 16:29

      Lieber Herr Lippert, Sie haben dankenswerter Weise noch ein paar kleine Ergänzungen zu meinem Beitrag geliefert. Auch in meinem Wirtschaftsbuch, das wohl noch dieses Jahr wieder neu erscheinen wird, finden Sie die von Ihnen aufgeführten Aspekte.
      Auf einen kleinen Irrtum muss ich noch aufmerksam machen: Ich sehe in der funtionalen Geldtdefinition des Jevons aus den von mir genannten Gründen nicht(!) die Wesenserklärung des Geldes. Sie passt auch auf die Zigaretten und auf jedes andere haltbare Tauschgut. Funktionale Definitionen haben immer diese Schwäche. Nur essentiale Definitionen leisten das Erwartete.

      Antworten
  • Wo liegt hier der Unterschied zur MMT oder Keynesianismus?

    Antworten
    • Dietrich Eckardt
      12. Juni 2025 15:59

      Der prinzipielle Unterschied besteht darin, dass sich Keynes und seine MMT-Adepten von der funktionalen Gelddefinition, die ja für alle nichtverdebliche Tauschgüter gilt, nicht haben lösen können. Der durchaus phänomenadäquate Term „Deckung durch Leistungspotentiale (Bonität)“ in meiner Definition ist ihnen völlig fremd geblieben. So konnten sie eine zukunftsfähige Wirtschaftslehre nicht entwickeln (s. dazu meinen nächsten Sandwirt-Beitrag Nr. 40).

      Antworten
  • Danke, ich bin gespannt

    Mein Problem mit der Bonität ist, das es zwar theoretisch richtig erscheint,
    allerdings die Feststellung dieser doch wohl planwirtschaftlich erfolgen wird,
    und somit die Preisinformation im Geld beliebig behauptet werden kann.

    In diesem Zusammenhang bin ich gespannt wie sich Mileis marktbestimmte Zinsen
    entwickeln werden.

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