Protokolle der Aufklärung #38
Aufgrund der Bilateralität des Tausches ist jedes Ding, sobald es als Tauschgut auf den Markt gelangt, ein prämonetäres Zahlungsmittel (s. mein Sandwirt-Beitrag „Der Tausch als ‚binäres Zahlungsereignis‘“). Nun gibt es unter diesen solche, die nicht Dinge im eigentlichen Sinne sind. Es sind immaterielle Entitäten. Sie sind nur symbolisch zu objektivieren, z.B. in Form von Verträgen, Zertifikaten, Manuskripten.
Was ist eine symbolische Objektivation? – Nehmen wir als Beispiel das Manuskript. Dem Manuskript liegen zunächst bloße Worte zugrunde. Worte sind Äußerungen von Gedanken. Schon als nur ausgesprochene sind Gedanken bereits symbolisch objektiviert (Ernst Cassirer). Sind sie darüber hinaus auch schriftlich fixiert, kann man sie zu greif- und handelbaren Dingen machen. Schriftliche symbolische Objektivationen existieren heute nicht mehr auf Häuten, Geweben oder Rinden, so wie früher einmal, oder auf Papier, so wie heute noch manchmal, sondern meistens als Datensätze in EDV-Anlagen.
Symbolische Objektivation beim Kredit
Marktvorgänge, bei denen ausschließlich Sachgüter getauscht werden, z.B. Haushaltsgeräte oder Goldstückchen (Münzen) gegen Nahrungsmittel, sind heute ganz selten und leicht überschaubar. Selbst noch die prämonetären Handelsgeschäfte mit der ehemaligen Sowjetunion, bei denen Industriegüter gegen Rohstoffe getauscht wurden, zeichneten sich durch Überschaubarkeit aus.
Nicht so trivial sind die Verhältnisse, wenn wir Phänomene in die Betrachtung einbeziehen, die keinen gegenständlichen Charakter haben, die also nicht Dinge im eigentlichen Sinne sind, z.B. Verträge. Ein Vertrag ist – im wörtlichen Sinne von contractus – eine „Zusammenziehung“ gegenseitiger Versprechen. In jedem Vertrag kann man die symbolische Objektivation solcher Versprechen sehen. Das gilt auch für Kreditverträge (s. mein Sandwirt-Beitrag „Vernachlässigte Verkehrsformen des Marktes“).
Das Kreditgeschäft, bei dem die Absicht besteht, ihn in einen Tausch übergehen zu lassen, kann man als „unvollendeten Tausch“ ansehen (a. a. O.). Schon dort, wo eine Rechnung mit Zahlungsziel gestellt wird, liegt eine Kreditierung vor.
Hat der Tausch selbst schon eine diffizile Wesensstruktur, so ist ein kreditierter Tausch in sich noch einmal komplex. Bei den nun anstehenden weiteren Analysen geht es darum, die Komplexität zu entwirren. Dadurch wird der Übergang sichtbar vom reinen Sachgütertausch zu jenen Handlungen, die wir Kaufen bzw. Verkaufen nennen. Kaufen und Verkaufen sehen wir als vollständige symmetrische Täusche an, obwohl hier nur ein einseitiger Transfer von Sachgut erfolgt. Was ist der Grund?
Tilgung und Tilgungsversprechen
Ein Kreditvertrag enthält stets Lieferversprechen. Auch der lieferschuldig gebliebene Vertragspartner eines Kreditvertrags hat ein Versprechen abgegeben. Er verspricht, seine Schuld irgendwann später einmal zu begleichen, d. h. zu tilgen. Insofern ist sein Versprechen ein Schuldentilgungsversprechen.
Ein Schuldentilgungsversprechen ist einerseits das Versprechen des Ausgleichs einer Schuld, damit zugleich aber auch das Versprechen der Lieferung eines Gutes. Schon bei der Mutation eines Gutes zum Tauschobjekt, also zu einem Ding für den Markt, beobachten wir diese Doppelnatur, nämlich Gut und Schuld zugleich zu sein (s. o. meinen zuerst zitierten Sandwirt-Beitrag). Ein Tilgungsversprechen – in seiner Rolle als Tauschmittel – bildet hier keine Ausnahme. Es bezieht sich nicht auf zwei Sachverhalte, sondern nur auf einen, aber einen mit zwei Seiten: Schuldausgleich und Gutübertragung.
Ein Tausch wird meistens nicht nur dadurch abgeschlossen, dass ein Sachgut, z.B. ein Sack Kartoffeln, mit einem anderen Sachgut, z. B. ein Stück geprägtes Gold, in einem Zuge vergolten wird. Er kann auch dadurch beendet werden – und zwar provisorisch –, dass die Vergeltung einer Sachgutlieferung nur versprochen und in die Zukunft verlegt wird.
Ein Tausch kann also durch Beigabe eines materiell nicht vorhandenen Anteils beendet werden, wenn auch nur behelfsweise. Nicht mit einer realen Leistung – als Gegenleistung für bereits Geleistetes – wird hier gehandelt, sondern mit einer bloßen Bekundung, d. h. mit einem immateriellen Akt. Dieser Vorgang wird oft vertraglich fixiert. Dort heißt es dann: Lieferung eines Sachguts gegen Abgabe eines Versprechens.
Solange der Sachgutlieferant keine Gegenlieferung erhält, ist er der Akzeptant eines Zahlungsaufschubs. Ihm steht der Emittent des Versprechens als Promittent (Begünstigter des Zahlungsaufschubs) gegenüber. In Bezug auf diese beiden Rollen eines Kreditvertrags spricht man auch von Kreditor und Debitor. Akzeptant/Kreditor und Promittent/Debitor bilden zusammen ein Schuldverhältnis, d.h. einen offen gebliebenen Sachgütertausch.
Die Deckung eines Tilgungsversprechens als Bonität
Der Kreditor nimmt ein Tilgungsversprechen als vorgeschobenes provisorisches Tauschgut nicht ohne Weiteres an. Er tut das erst, wenn er sicher ist, dass der Debitor irgendwann liefern (zahlen) kann und irgendwann liefern (zahlen) will.
Natürlich kann man auch auf der Basis bloßen Vertrauens ein Versprechen als Tauschgut akzeptieren. Wir Menschen haben aber nicht immer den direkten Draht zur Wahrheit. Deshalb ist Vertrauen nicht immer die solideste Basis für ein Geschäft. Kontrolle ist besser. Als erstes wird der Kreditor das Lieferpotential des Debitors prüfen. Dieses Lieferpotential ist zugleich das Tilgungspotential. Es ist gewissermaßen die Substanz des Versprechens. Volles Vertrauen in eine gestundete Gegenlieferung hat ein Kreditor erst, wenn er diese Substanz kennt. Dann wird er das Versprechen vielleicht als Zahlungsmittel gelten lassen, wenn auch nur als provisorisches.
Die Substanz des Tilgungsversprechens ist dessen Deckung. Die Deckung besteht letztlich darin, ein vorhandenes Sachgut (z.B. ein geprägtes Goldstück oder ein Nahrungsmittel) oder ein erst zu produzierendes (z.B. ein Haushaltsgerät) zu beschaffen und damit „bezahlen“ zu können. Sie garantiert nichts anderes als irgendwann einmal ein Tauschgut liefern zu können. Deshalb erlaubt der Kredit auch, ein solches erst herzustellen, zumindest wenn er als Finanzmittel bereitsteht. Das durch den Kredit geforderte Herbeischaffen von Tauschgütern kann insofern in vielen Fällen über eine Produktion – und in Verbindung damit – über den Produktvertrieb geschehen.
Der Emittent eines Tilgungsversprechens muss die erforderliche Tilgungsfähigkeit besitzen. Er muss „gut sein“ für eine Tilgungsleistung. Diese Eigenschaft heißt im Finanzjargon Bonität. Die Bonität eines Wirtschaftssubjekts ist die Leistungskraft, bedarfsgerechte Güter in den Markt einbringen zu können. Bonität ist nur ein anderes Wort für Substanz bzw. Deckung des Tilgungsversprechens. Sie ist gewissermaßen das Pfand des Kreditgebers für die Einlösung des vom Kreditnehmer abgegebenen Versprechens. Sie wird durch eine sog. Bonitätsprüfung ermittelt. Erst aufgrund der Bonität des Emittenten kann dessen Tilgungsversprechens zum Tauschobjekt werden.
Zur Bonität (zur Deckung!) gehört nicht nur das Vermögen des Schuldners, bereits vorhandenen Güter für die Tilgung zu verwenden, sondern auch sein Arbeits- und Innovationspotential. Das befähigt, die für die Tilgung erforderlichen Güter während der Kreditphase erst herzustellen. Auch dieses Vermögen ist Gegenstand der Bonitätsprüfung.
Provisorische Vollendung eines Tausches
Bei einem Tausch, in den ein Tilgungsversprechen als Tauschgut einfließt, gibt einer der beiden Handelspartner anstelle einer Sachgutlieferung etwas ab, das nicht als reales Ding existiert. Er bezahlt mit einer immateriellen Entität. Bei einem unvollendet gebliebenen Sachgütertausch übernimmt diese Entität (das Versprechen) die Rolle eines Zahlungsmittels. Es kommt damit ein Etwas auf den Markt, das nur als Wort existiert. Lediglich ein Zeichengebilde (das oft nur mündlich abgegebene Versprechen) dient als Vergütung.
Wo eine bloße Bekundung in den Tausch einfließt, könnte der Eindruck entstehen, es läge gar kein „richtiger“ Tausch vor. Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als handele es sich um eine Schenkung. Das Tauschgut „Versprechen“ signalisiert aber, dass ein Sachgut im Tausch gegen jenes, welches sofort zur Nutzung bereitsteht, später geliefert werden soll.
Mittels des Versprechens findet eine Quasizahlung statt. An die Stelle des Transfers eines Sachguts, das bei einem gewöhnlichen bilateralen Tausch unmittelbar einen Schuldabgleich bewirkt, tritt nun das Versprechen, dies irgendwann einmal zu tun. Ein Versprechen bezieht sich immer auf etwas, das noch getan werden muss. Darin zeigt sich die temporale Komponente des Kredits – in Form eines Zukunftsbezugs. „Das Kreditgeschäft ist ein Tausch gegenwärtiger gegen künftige Güter“, so charakterisiert Ludwig von Mises diese spezielle Form des Marktverkehrs.
Die Handelspartner haben sich bei der Kreditvergabe auf eine „provisorische Bereinigung“ (Josef Schumpeter) des materiell unvollendet gebliebenen Tauschgeschäfts geeinigt. Damit der Tausch jetzt schon abgeschlossen werden kann, bedarf es des Kredits. Durch den Kredit ist der Sachgütertausch zwar noch nicht eigentlich vollzogen, wird aber einstweilen als beendet betrachtet. Auf diese Weise erleichtert das Kreditieren den Marktverkehr erheblich.
Der Gutschein
Die Zahlungsmittelwerdung eines Tilgungsversprechens erfolgt unter bestimmten Bedingungen. Der Emittent des Versprechens muss erstens tilgen können. Und er muss zweitens tilgen wollen. Das Können ermittelt eine Bonitätsprüfung. Wie aber prüft ein Sachgutlieferant, ob sein Tauschpartner die Gegenlieferung erbringen will?
Ein Versprechen ist zunächst nur eine verbale Kundgabe, eine Äußerung von Worten. Jedes Versprechen, auch ein Schuldentilgungsversprechen, ist zweifellos zunächst etwas Mündliches. Und es darf mündlich bleiben, ohne dass seine Verbindlichkeit dadurch Schaden erleidet. Es kommt relativ häufig vor, dass Tilgungen aufgrund einer nur mündlich erklärten Absicht erfolgen. In manchen Kulturen Afrikas behalten mündliche Tilgungsversprechen über Generationen hinweg ihre Gültigkeit, bis sie irgendwann eingelöst werden.
Der Lieferant eines Sachguts kann den Worten eines Versprechens glauben oder auch nicht. Im zweiten Fall prüft er nicht nur die Bonität des Promittenten, sondern verlangt auch eine Niederschrift des Versprechens. Wir setzen voraus, dass der Promittent kein Problem damit hat. Sofern nicht ohnehin vorher schon ein Kreditvertrag abgeschlossen war, stellt er eine von ihm unterzeichnete Bescheinigung aus.
Ein Sachgutlieferant verlangt aus gutem Grund, dass ihm sein Tauschpartner sein vorerst nur mündlich abgegebenes Versprechen schriftlich bestätigt. Er will etwas Beständiges. Bestand erhält ein Versprechen erst als Dokument.
Nicht nur ein bestimmter Sachgutlieferant, sondern der Handel überhaupt verlangt, dass immaterielle Entitäten eine greifbare Form haben. Sie müssen als Dinge erscheinen und wie Dinge von einer Person auf eine andere übertragen werden können. Denn mit anderem als mit Dingen funktioniert Handel nicht. Eine greifbare Form haben immaterielle Entitäten erst, wenn sie als Schriftsatz oder als Abbildung existieren, z.B. als Vertrag, als Manuskript, als Konstruktionsplan usw. Als solche sind sie symbolisch objektivierte Entitäten.
Der Schuldner wird sein Tilgungsversprechen nur dann als Dokument ausstellen, wenn er ernsthaft beabsichtigt, sich zu entschulden. Denn mit der schriftlichen Hinterlegung seines Versprechens unterwirft er sich indirekt dem „Leviathan“ der Gesellschaft. Das heißt, er ermöglicht dem Gläubiger, das Gewaltpotential einer Exekutive abzurufen und einzusetzen, falls er sein Versprechen bricht.
Ein schriftlich fixiertes Tilgungsversprechen ist für den einen Tauschpartner (Kreditor) eine Berechtigung auf Leistungsempfang, stellt also einen Gutschein dar. Für den anderen (Debitor) ist er eine Leistungspflicht, stellt also einen Schuldschein dar. Ein in den Handel gebrachtes Tilgungsversprechen hat – wie jedes sonstige Tauschobjekt auch – stets diese Eigenart: Gut und Schuld in einem zu sein. Insofern ist dessen Bescheinigung ein Gut-Schuld-Schein. Diese Doppelnatur unterscheidet sie von anderen Bescheinigungen, z.B. von einem Schulzeugnis oder einer Arbeitserlaubnis.
Der Einfachheit halber nennen einige Leute einen Gut-Schuld-Schein schlicht „Gutschein“. Andere nennen ihn mit gleichem Recht „Schuldschein“. Denn er hat diese zwei Seiten: Bestätigung einer vorhandenen Schuld und Anspruch auf ein entsprechendes Gut.
Definition des Gutscheins
Weil ein Versprechen nicht in gewöhnlichem Sinne zu einer Sache werden kann, sondern nur als Symbol, handelt es sich beim Gutschein um einen symbolischen Gegenstand. Das Tilgungsversprechen wird durch die symbolische Materialisierung (Vergegenständlichung, Objektivation) zwar zu einem Ding, aber nicht im üblichen Sinne. Denn ein symbolischer Gegenstand unterscheidet sich wesentlich von einem gewöhnlichen Ding, z.B. einem Brot oder einer Maschine. Aber in Gestalt eines Gutscheins kann er wie ein Ding behandelt werden, auch wenn dieser nur digital existiert.
Aufgrund seiner – zwar nur symbolischen – Materialisierung kann der Gutschein am Tausch teilnehmen. Dies aber nur, wenn er durch das Tilgungspotential seines Emittenten (dessen „Bonität“) gedeckt ist. So lässt sich sagen:
Der Gutschein ist ein Zahlungsmittel in Form eines symbolisch materialisierten Tilgungsversprechens, das gedeckt ist durch das Tilgungspotential seines Emittenten.
Erst wenn das Tilgungsversprechen, das dem Gutschein zugrunde liegt, gedeckt ist, kann man es wie ein substanzhaltiges Tauschgut behandeln. Als solches gelangt es in die Hände des Kreditors.
Wir setzen voraus, dass ein Liefer-/Tilgungsversprechen in schriftlicher Form vorliegt: als Gutschein. Damit ist dokumentiert, dass der Emittent des Versprechens eines Tages liefern will. Außerdem findet der Kreditor aufgrund einer Bonitätsprüfung heraus: Das Leistungspotential zur Begleichung der Schuld ist vorhanden. Damit ist auch das Können erwiesen. Beide Voraussetzungen für die Akzeptanz des Tilgungsversprechens als Tauschgut sind erfüllt.
Das dem Gutschein zugrundeliegende Tilgungspotential (die Bonität/Deckung) wird zwar zunächst nicht realisiert. Das versprochene Tun wird nicht aktiviert. Es wird nur die Bescheinigung über eine entsprechende Absicht abgeliefert. Dennoch wäre damit der Tausch (als dingliches Ereignis!) einstweilen vollendbar. Während ein bloßes Versprechen einen Tausch nur provisorisch beendet, kann ein Gutschein einen Tausch komplett abschließen. Das ist aber noch kein echter Sachgütertausch. Und für ihre Existenz brauchen die Menschen letztlich nicht Täusche mit immateriellen Anteilen (Gutscheide kann man nicht essen), sondern mit echten Sachgütern.
Der Handelswechsel
Nun weist ein Gutschein in der bisher erörterten Form vom Handelsgesichtspunkt her ein empfindliches Manko auf: Er ist nur von einem Tauschpartner als Zahlungsmittel akzeptiert. Das muss nicht so bleiben. Der oben erwähnte Sachgutlieferant findet vielleicht einen anderen, der den in seine Hand gelangten Gutschein seinerseits als Tauschgut/Zahlungsmittel akzeptiert. Dieser Vorgang kann sich mehrfach wiederholen. Der Gutschein geht von Hand zu Hand. Er wechselt von Akzeptant zu Akzeptant. Auf diese Weise wird er zum Handelswechsel (kurz: „Wechsel“).
Je öfter ein Handelswechsel in andere Hände gelangt, desto substanzhaltiger wird er. Seine Deckungsqualität steigt. Der Vorteil für jeden späteren Wechselakzeptanten ist: Hinter dem Wechsel stehen die Leistungspotentiale (Bonitäten) aller bisherigen Wechselnutzer – dokumentiert durch die Unterschrift eines jeden auf dem anfänglich nur von einer Person (dem Emittenten) signierten Gutschein. Damit haften alle für die Wechselschuld. Wegen ihres dadurch entstandenen hohen Deckungsgrads erfreuen sich Wechsel großer Beliebtheit als Zahlungsmittel am Markt.
Bei einem Wechsel gibt es drei Arten von Handelspartnern: einen, der nur Schuldner ist (der Emittent), einen, der nur Gläubiger ist (der Letztakzeptant) und die übrigen, die Schuldner und Gläubiger zugleich sind (die Weiterreicher des Wechsels).
Die Wertschrift
Ein Gutschein muss keine Wertangaben enthalten. Die dort verzeichnete Sache kann auch ohne solche zum Gegenstand eines Tauschgeschäfts werden – wenn sie nur hinreichend genau definiert ist. Die Emittenten von Gutscheinen (Debitoren) stehen lediglich dafür, die Sache in definierter Weise zu liefern. Ein Gutschein kann aber – und er ist es in der Regel auch – numerisch bewertet sein.
Als numerisch bewertete Bescheinigung ist er ein sogenanntes „Wertpapier“. Weil der Wert eines Gutscheins nicht immer auf Papier aber immer schriftlich dokumentiert ist, benutzen wir besser den Ausdruck Wertschrift. Eine Wertschrift ist ein numerisch bewerteter Gutschein. Setzt man diesen Satz in die im vorletzten Absatz gegebene Gutschein-Definition ein, dann ergibt sich:
Die Wertschrift ist ein Zahlungsmittel in Form eines symbolisch materialisierten, numerisch bewerteten Tilgungsversprechens, das gedeckt ist durch das Tilgungspotential ihres Emittenten.
Diese Definition passt nicht nur auf die bisher erörterten, sondern auf alle im Handel befindlichen Finanztitel. Sie passt z.B. auf die Wertschriften der Handelsringe (Trade Nets) und auf viele Wertschriftenderivate („Substitute“, „Surrogate“, „Floater“).
Wertschriften fungieren in manchen Handelskreisen wie Geld. Inzwischen haben bestimmte Wertschriften, etwa Anteilscheine hochbonider Unternehmen, infolge ihrer großen intersubjektiven Akzeptanz als Zahlungsmittel, unverkennbar Geldcharakter. Sogar einige Wertschriften-Derivate (z.B. Floater) zeichnen sich dadurch aus.
Manche Wertschriftdepots sind so marktoffen wie Bargeldkassen. Ihre Inhaber sind so liquide wie die Inhaber von Girokonten. Sie können jederzeit abheben, Überweisungen tätigen, Schecks ausstellen usw. (Heinz Brestel). Die Wertschriften solider Emittenten haben fast alle Eigenschaften jener Marktgebilde, die wir Geld nennen. In einem späteren Sandwirt-Beitrag komme ich darauf zurück.
Der Autor dieses Artikels hat in der Edition Sandwirt die Buchreihe „Die freie Gesellschaft und ihre Entstellung, Band 1-4“ veröffentlicht.
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