Der ewige Judenhass

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Seiner eigenen Bedeutung bewusst tritt Frank-Walter Steinmeier an das Rednerpult. Er spricht von Gedenkstätten und Holocaust-Überlebenden, von Bildungsarbeit und von Identität. Tote Juden als identitätsstiftendes Element im Deutschsein? Für den Bundespräsidenten scheint das zusammenzupassen. Dabei merkt er gar nicht, wie morbide und unverfroren diese Aussage doch ist.

„Wir Deutsche haben Lehren aus unserer Geschichte gezogen. Wir haben darauf unsere Verfassung gebaut. ‘Die Würde des Menschen ist unantastbar’ – das ist die Antwort auf die ungeheuerlichen deutschen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Unsere Demokratie ist die Antwort auf Rassenwahn und Nationalismus“, so Steinmeier am 29.01. 

Laut dem höchsten Amt in Deutschland sind die getöteten Juden der Shoah also nicht nur für die Identität hierzulande zuständig, auf ihnen ist auch noch das Grundgesetz gebaut. Dieses amoralische Geschichtsbewusstsein scheint bei vielen Deutschen, so auch beim Bundespräsidenten, tief verwurzelt zu sein. Während die Opfer von Auschwitz seit 80 Jahren und mehr tot sind, sind lebende Juden heute mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert.

Jüngstes Beispiel spielte sich in Australien ab. In Sydney wurde am Morgen des Befreiungstages von Auschwitz eine Kindertagesstätte, die neben einer jüdischen Schule und einer Synagoge liegt, angezündet, während auf den Wänden judenfeindliche Parolen zu lesen waren.

Sie gedenken nicht den Opfern, sondern sich selbst 

Premierminister Albanese gibt sich – das hat er mit Steinmeier gemeinsam – schockiert. Der Vorfall sei ein „bösartiges Verbrechen“ und „völlig widerlich“, und er kündigte harte Konsequenzen an. Der Anschlag ist der jüngste Fall einer Gewaltserie in Australien. Die Opposition wiederum kritisiert den Sozialdemokraten als zu schwach, da er zu wenig gegen den grassierenden Judenhass unternehme. Etwas, was man auch der deutschen Politik vorwerfen muss! 

Seit dem 7. Oktober 2023, als die Schlächter der Hamas Israel überfielen, nehmen die judenfeindlichen Angriffe hierzulande zu. Es ist wahnsinnig, dass ab dem Tag, an dem so viele Juden getötet wurden wie noch nie seit dem Holocaust, sich die Gewalt potenziert. Offenkundig haben die Judenfeinde den Juden den 7. Oktober nicht verziehen.

Wer in der Rede von Steinmeier auf einen Bezug zur Hamas gehofft hat, wartet leider vergebens. Stattdessen bekommt der geneigte Zuhörer aneinandergereihte Satzbausteine und Floskeln geliefert, die eine KI der Wahl mindestens genauso hinbekommen hätte. Ich habe das gleich mal ausprobiert und ich muss sagen: Der Entwurf der Maschine ist nicht schlechter … Verzeihen Sie mir diesen Zynismus, aber ich bin es leid. 

Ich bin es leid, dass seit ich denken kann in ritualisierten Gedenkzeremonien stets auf die „damals” getöteten, niemals aber auf die heute lebenden Juden Bezug genommen wird. Man gewinnt den Eindruck, dass es Steinmeier & Co. bei ihrem Gedenk-Automatismus gar nicht um die Juden geht, sondern um sich selbst und ihre zur Schau getragene „Haltung”. Schuld kann man nicht vererben, und genauso wenig kann man eine Verfassung auf Leichenbergen aufbauen! Selbstverständlich hat Deutschland aus seiner Geschichte eine Verantwortung. Doch die Konsequenz daraus ist doch, dass die Deutschen sich auf den Schutz der lebenden Juden konzentrieren sollten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Berlin als judenfeindliche Hochburg

Das Problem bei der aktuellen Judenfeindlichkeit ist natürlich die Tätergruppe, die leider nicht in die Agenda der linken Politiker passt. Die Täter sind nämlich häufig Muslime. Und die Hetzer auf judenfeindlichen Demos sind häufig Linke.

Täter wie Opfer stören das politisch korrekte Erzählmuster der diskriminierten Muslime einerseits und der ewigen Opfer, der Juden, andererseits. Dabei degradieren sie beide Gruppen zu unmündigen und unfreien Objekten, als moralisch und emotional limitiert. Weder Juden noch Muslimen tun die linken Wortführer damit einen Gefallen – im Gegenteil. Eigentlich verachten sie beide Gruppen und erweisen denjenigen Muslimen, die eben keine Judenhasser sind – die es selbstverständlich auch gibt –, einen Bärendienst.

Und dennoch müssen die Täter und die Taten beim Namen genannt werden. Wie zum Beispiel beim Angriff vom 2. Februar 2024 in Berlin: Ein pro-palästinensischer Student griff einen jüdischen Kommilitonen an und verletzte ihn so schwer, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Der Angriff ereignete sich – oh Wunder – nach einer Auseinandersetzung um den Israel-Hamas-Konflikt. Offenbar hat der Student es seinem Mitstudenten übel genommen, dass die Israelis es wagen, sich gegen die Terroristen zu wehren. 

Gerade Berlin ist immer wieder Schauplatz von Judenhass, was insofern schmerzt, als die Hauptstadt doch einst die inoffizielle Hauptstadt des europäischen Judentums war.

Ein weiteres Beispiel nur wenige Wochen später am Potsdamer Platz: Ein israelisches Paar wurde von einem Muslim attackiert, als dieser bemerkte, dass die beiden Hebräisch sprechen. Der arabischsprachige Mann beschimpfte sie aufs Übelste, nahm zunächst eine Flasche und einen Stuhl und warf beides auf die Frau. Anschließend schlug er den Mann, der zu Hilfe eilte.

Am meisten Aufregung evozierte jedoch der Anschlag vom 5. September 2024. Der 18-jährige Muslim Emrah Ibrahimovic eröffnete in der Nähe des israelischen Generalkonsulats und des NS-Dokumentationszentrums das Feuer auf Polizisten. Er wurde dabei von Einsatzkräften erschossen. Glücklicherweise wurde sonst niemand verletzt.

Steinmeier sollte sein „nie wieder“ erst nehmen

Taten wie diese, aber auch der alltägliche Judenhass, verunsichern Juden in Deutschland. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 fühlen sich 82 Prozent der befragten Juden in Deutschland unsicherer. Vorfälle wie um die Hessenschau-Moderatorin Selma Üsük verschärfen die Lage weiterhin: 

Die deutsch-israelische Professorin Dr. Haya Schulmann die in der ARD-Sendung zu Gast war schilderte ihre Erlebnisse auf LinkedIn so: „Wie üblich fand vor der Sendung eine Technikprobe für die Moderatorin und mich statt. Wir plauderten sehr nett, bis die Moderatorin, die türkischer Abstammung ist, mich fragte, woher mein Name käme. Auf meine Antwort ‘Israel’ reagierte sie mit einem entsetzten ‘Bäääääh’ und streckte die Zunge heraus – danach sagte sie kein weiteres Wort, und ich wurde stummgeschaltet.“

Aber so etwas interessiert Frank-Walter Steinmeier nicht. Stattdessen spricht er in seiner Rede vom 29. Januar 2024 von 80 Jahre zurückliegendem „Rassismus“ und „Nationalismus“. Die selektive Wahrnehmung des Staatsoberhaupts spielt sich aber auf dem Rücken lebender Juden in Deutschland ab. Die Opfer von Auschwitz sind tot, und niemand wird den vergangenen Holocaust nachträglich verhindern können. Doch wenn die Deutschen „Nie wieder“ ernst nehmen, sollten sie alles daran setzen, den vermaledeiten Trend, dass jüdisches Leben in Deutschland verunmöglicht wird, zu stoppen.

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