Der Name der Pose

Ein Gespräch mit Klaus-Rüdiger Mai über die abwesende Kommunistin

Eines würde ich Sahra Wagenknecht ganz gewiss nicht zutrauen: Dass sie sich dumm stellt. Klaus-Rüdiger Mai hat über sie das Buch „Die Kommunistin“ verfasst, es erschien im Europa-Verlag, und ich habe mich mit ihm über die Gründerin einer neuen Partei unterhalten. Sie trägt ihren Namen – wer kennt ihn nicht? – Sahra Wagenknecht. 

Bilder – die Kunst des Weglassens

Mai hat ihren Lebenslauf genau verfolgt; dass er Germanist und Historiker ist, qualifiziert ihn ebenso wie seine Herkunft aus der DDR.

Ihre Klugheit hebe die Leitfigur des „Bündnisses“ (BSW) weit über die meisten Politiker hinaus, meint er, das nehme für sie ein. Was sieht er als besondere Stärke von Frau Wagenknecht? 

„Sie ist erfahren, sehr erfahren in medialen Auftritten. Das hat sie von Anfang an geübt, da hat sie `ne eigene Ausstrahlung, `ne eigene Vorgehensweise, und sie hat eine intellektuelle Technik, die schon interessant ist: Sie kann ungeheuer gut Dinge weglassen, und dadurch entstehen Bilder. Das macht sie schon perfekt, die Medien lieben sie dafür, sie wird gerne in Talkshows eingeladen, weil sie immer der andere Punkt ist, weil sie immer eine Show aus mediendramaturgischer Sicht interessant macht. Das ist ein Teil ihres Erfolges: Sie ist nicht über die Partei groß geworden, sie ist über die Medien groß geworden.“

Andererseits – so schreibt Mai in „Die Kommunistin“ – trete sie zwar unter Politclowns auf, signalisiere aber zugleich, nicht zum Zirkus zu gehören.

„Sie hat immer das Image gepflegt, dass sie die ‚Erratische‘ ist, die Aufrichtige ist, die niemandem etwas vormacht, die dann auch eher in eine Außenseiterposition geht, als das Falsche zu tun. Dabei mischen sich echte Überzeugung und ein sicheres Gespür für ihr Marketing auf osmotische Weise. Und ihr Marketing zielt darauf ab, eine Ein-Frau-Opposition zu sein, so vollkommen, dass sie hierbei zugleich ihr eigener rechter und linker Flügel ist, die ‚Ein-Frau-Opposition.‘“

Rollenspiele

Tusch! Auftritt einer Selbstdarstellerin? Keineswegs. Davon gibt’s genug in der Arena. Junge Dinger etwa, die in ihrem Leben außer der Pflege ihres Ego, politischer Stromlinie und forscher Haltung wenig vorweisen können, öffentlich aber mit imposanten Einkommen aus Steuern und Zwangsbeiträgen renommieren. Abgang ohne Applaus. Aber jetzt! Tusch! Auftritt einer Autodidaktin in Philosophie und Literatur, einer frühen Einzel- und markanten Doppelgängerin: Unsere Rosa! 

Tatsächlich bringt schon der 18jährigen die äußerliche Ähnlichkeit zur kommunistischen Märtyrerin den Spitznamen ein. Sie schlüpft dankbar in die Rolle, und das ist mehr als Mimikry, es entspricht Sahras frühem Sendungsbewusstsein.

Ihrer Mission erschafft sie zugleich selbst ein solides Fundament, sie liest exzessiv Hegel, Marx, Goethe – und sie gewinnt 1987 mit gerade 18 einen über die DDR hinaus berühmten Freund und Mentor, den 40 Jahre älteren Autor Peter Hacks. Der staunt nicht wenig über das wissenshungrige Mädchen und bestärkt sie im „Rosa-Sein“. 

Hacks hält sich für Goethes Nachfolger in der Literaturgeschichte. „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ gehört seit 1976 zu den erfolgreichsten deutschen Dramen. Darin zerlegt fünf Akte lang die Darstellerin der Freifrau von Stein ganz allein im Dialog mit ihrem – nur als stummer Puppe anwesenden – Ehemann ihr Verhältnis zum Dichterfürsten.

Selbstimprägnierung

In Gesellschaft solch geistiger Riesen heranzuwachsen, mag ein Privileg sein, es hat auch Nebenwirkungen:

„Hegels Art und Weise zu philosophieren, was Marx von ihm übernimmt, bietet auch eine Imprägnierung gegen Fragen an die eigenen Grundlagen, mit anderen Worten für jene Art von Rechthaberei, die dann bei Marx, Engels und Lenin noch moralisch abgesichert wird, die man im ideologischen Sinne Weltanschauung nennen kann, oder wie es im Marxismus heißt: wissenschaftliche Weltanschauung. Doch wer sich penetrant auf die Wissenschaft beruft, hat sie schon verloren, denn er meint Ideologie, die nur wie Wissenschaft aussieht.“ 

So beschreibt Klaus-Rüdiger Mai Denkwege der Jungkommunistin im Buch.

Die Abiturientin Sarah imprägniert sich selbst, allein im Studierzimmer, während draußen die DDR untergeht. Wie für Peter Hacks ist das für sie die Konterrevolution, “… die schlimmste Zeit, die ich bisher erlebt habe“ nennt sie es, stählt sich dagegen intellektuell in stunden-, tage-, wochenlanger Lektüre – und dann macht ihr die Konterrevolution den Weg frei fürs Studium im Westen, im niederländischen Groningen. Dort schreibt sie ihre Magisterarbeit über Marx‘ Hegel-Rezeption.

Derweil ist sie längst politisch aktiv, schon 1991 gehört sie dem Vorstand der PDS an, nervt Gregor Gysi & Co, denn sie agiert lautstark auf der „Kommunistischen Plattform“. 

Stalins Lob und Sahras Wandel?

Noch 1992 schwärmt Peter Hacks von seiner Elevin, weil sie Stalin und Ulbricht in dem Traktat „Marxismus und Opportunismus – Kämpfe in der sozialistischen Bewegung gestern und heute“ huldigt. Sie tut dies im schönsten Kaderwelsch und wird sich zumindest darin treu bleiben – bis nach etlichen innerparteilichen Scharmützeln 2021 ihr Buch „Die Selbstgerechten“ erscheint. Wut bricht aus, viele Genossinnen und Genossen fordern den Rauswurf.  

Klaus Rüdiger Mai:

„Der Erfolg der ‚Selbstgerechten‘ beruht darauf, dass eine sozialpolitische Linke im Grunde fast eine Kritik von rechts an identitätspolitischen Vorstellungen teilt. Sie hat Dinge angesprochen, die viele bewegen – „Cancel Culture“ beispielsweise –, hat identitätspolitische Linke als „Lifestyle-Linke“ bezeichnet. Ich glaube ja, dass das Rechts-Links-Paradigma überholt ist, eigentlich nur noch schadet. Die Frage ist doch: ‚Hat der Politiker oder die Politikerin noch einen Zusammenhang mit den Wählern, die er ansprechen will, hat er noch eine Beziehung zum Land, oder ist das eine abgehobene Kaste. Das ist, was sich verändert hat. 

Diese Abgehobenheit, diese Selbst-Abschottung konnte man zwischen 1929 und 1933 beobachten, als für immer mehr Menschen die Weimarer Republik zur „Honoratioren-Republik“ wurde. Übrigens eine Entwicklung, die von denen, die immer mit warnendem Zeigefinger auf die Entwicklung zwischen 1929 bis 1933 weisen, nicht bedacht, nicht einmal erwähnt wird. Diese Formulierung der Entfremdung zwischen Herrschenden und Beherrschten sind immer ein Zeichen dafür, dass die objektiven Widersprüche sich nicht mehr vermitteln lassen, nicht einmal mehr subjektiv.“

Mir scheint, Sahra-Rosa Lux-Wagenburg sucht Anschluss an den „kleinen Mann von der Straße“ – oder „die kleine Frau“. Um deren Ängste und Wünsche weiß sie immerhin, trotz der Jahrzehnte in Schutzräumen der Politbürokratie samt Medien. Es wundert nicht, wenn sie wegen ihrer Kritik an der Merkelschen Migrationspolitik sogleich als populistisch, gar anschlussfähig für die AfD verschrien wird. 

Frieden und Soziale Gerechtigkeit

Klaus-Rüdiger Mai zweifelt nicht, dass ihr Sendungsbewusstsein auch diese Hürde nimmt: 

„Ja, absolut – sonst würde sie das alles nicht durchstehen. Sie hat dieses Sendungsbewusstsein, sie ist auf einer Mission, die ist natürlich wie bei allen Marxisten – Linken, wenn sie sozialpolitische Linke sind – sozialpolitisch definiert.“

Insofern hat sie die in Existenzangst protestierenden Landwirte zumindest erwähnt, allerdings nur wegen der Dieselpreise, nicht weil sie europaweit auf die Straßen gehen gegen die Eurokratie.

„Gegen die Eurokratie, und – was ich vor allem interessant finde – auch nicht, dass sie gegen den ‚Green Deal‘ auf die Straße gehen. Und das ist ja genau der Punkt, um den es geht: Eine völlig verfehlte Wirtschafts- und eben auch Landwirtschaftspolitik, die zum Zwecke des Umbaus der Gesellschaft von der EU, aber auch von der deutschen Regierung betrieben wird. Die wird von ihr zwar kritisiert, aber nicht so weit, das es die treibende Ideologie dahinter, das treibende Verkaufsargument für den Umbau berührt – und das ist die Klimapolitik.“

Die „Kunst des Weglassens“. Statt Lösungen für brennende Probleme anzubieten, verheißt sie altbewährte Paradiesäpfel: soziale Gerechtigkeit und Frieden – wie in der DDR.

„Der Friedensstaat, das ist die DDR unter Walter Ulbricht, da gab es ja auch die schöne Vorstellung von der sozialistischen Menschengemeinschaft, die man schaffen wollte in den 60er Jahren …“

„Mit dem Herzen dabei“ – so hieß eine Sendung des DDR-Fernsehens am Samstag. Der Moderator – damals hieß er noch Conférencier – überraschte bei der Show verdiente Werktätige etwa mit einer in ihrer Abwesenheit renovierten Wohnung oder einer Fahrt in motorisiertem Bett durch die Karl-Marx-Allee in den Friedrichstadt-Palast. Es gab rührende Momente der Wiederbegegnung, Prominente traten auf … Wenn ich mich recht erinnere, forderte die „Blonde Träne“ – so der Spitzname des mehrfach zum „Fernsehliebling des Jahres“ gekürten Hans-Georg Ponesky – die Zuschauer auf, sogleich oder auch nach der Sendung bei ihren Nachbarn zu klingeln, um sich mit ihnen zu versöhnen. Betrinken ging auch in Ordnung, stattdessen das Westprogramm einzuschalten nicht. Es war Klassenkampf. 

Wirtschaft, Horatio, Wirtschaft

Nein, zurück Richtung DDR will sie nicht, die Parteichefin von „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Das hat sie öffentlich erklärt, und das war nötig vor allem, um in den östlichen Bundesländern Stimmen zu gewinnen, am besten von AfD-Wählern. 

Klaus-Rüdiger Mai:

„Es hängt viel davon ab, ob es Sahra Wagenknecht gelingt, auch im Osten Landesverbände zu gründen, ob es ihr gelingt, nicht nur in den Umfragen da zu sein, sondern auch vor Ort und mit Kandidaten. BSW hat eine Schwäche – das muss nicht so bleiben – es ist eine fast reine Westpartei mit einer Ostfrau an der Spitze. Du hast – außer Sarah Wagenknecht – nicht einen Ostdeutschen im Vorstand der Partei.“

Vielleicht ganz gut, denn nur bei jüngeren „Ossis“ regen sich keine Erinnerungen beim Blick auf die Wirtschaftspolitik im Parteiprogramm, bei West-Linken wohl noch weniger.

„Das Wirtschaftsprogramm ist eine veredelte Fassung des ‚Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung“ – kurz NÖSPL. Sie hübscht das Ganze jetzt ein bisschen auf und sagt: 

‚Es gibt Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft, und wenn ich dann beides zusammen nehme, habe ich einen kreativen Sozialismus.‘ 

Und das ist letztlich auch die Grundidee von NÖSPL gewesen, nur dass sie nicht funktioniert hat.“

Ob Sahra Wagenknecht hofft, Wladimir Wladimirowitsch Putin neben dem Frieden in der Ukraine auch die Zustimmung zu ihrem NÖSPL abzuverhandeln? Moskau mit jeder Menge Rohstoffen und Energie als starker Partner im „kreativen Sozialismus“? Ich weiß es nicht. 

1964 hatte Leonid Breshnew den Reformer Nikita Chruschtschow als Chef der KPdSU entmachtet. Am 3. Oktober 1965 nahm wegen heftiger Kontroversen zwischen ihm und Ulbricht, dessen Pläne er ablehnte, der damalige Chef der Staatlichen Plankommission, Erich Apel, seinen Revolver zur Hand und schoss sich eine Kugel in den Kopf. Der Sturz Ulbrichts durch Honecker mit Moskauer Rückendeckung wegen der Wirtschaftspolitik folgte 1971. Für Peter Hacks war’s ein Schritt Richtung Konterrevolution.

Der Mensch – vergesellschaftet

Der Kommunismus wollte den privaten Besitz an Produktionsmitteln abschaffen – als Akt der Befreiung des Menschen von der Ausbeutung durch andere. Wo etwa Grund und Boden derart „vergesellschaftet“ wurden, geschah es mit Gewalt – Millionen Bauern wurden in Stalins Sowjetunion und in Maos China erschlagen oder verhungerten einfach. In der DDR waren die Opferzahlen nicht so dramatisch, Bauern und Unternehmer retteten sich gen Westen, nach dem Bau der Mauer unter Lebensgefahr. Im Geschichtsunterricht waren das Kollateralschäden auf dem Weg ins sozialistische Paradies – so wie für Peter Hacks und Sahra Wagenknecht. 

Klaus Rüdiger Mai beschreibt nicht nur das, sondern auch das in jener Zeit gewachsene Verhältnis der Elevin zur Literatur. Es ist fast rein politisch. Hacks haderte:

Dabei will sie immer ins Fernsehen. Sie hat nun mal eine Neigung zum PDS-Politiker … Mit der Rolle einer Theoretikerin und einer Politikerin kommt sie im Grunde genommen nicht klar. Leider zu oft siegt die Politikerin.“

Die Medien haben „unsere Rosa“ groß gemacht. So groß, dass manche ihr die Führung in einen geläuterten Sozialismus zutrauen. 

Klaus Rüdiger Mai zweifelt:

„Die Grundfrage lautet für mich: Glaube ich daran, dass sich eine perfekte Gesellschaft herstellen lässt, in der es absolut gerecht zugeht, geradezu eine Gesellschaft vom Reißbrett, dann brauche ich natürlich Menschen, die in dieser Gesellschaft funktionieren, das muss dann mit Erziehung stattfinden. Oder gehe ich eher davon aus, dass wir endliche, fehlbare Menschen sind, und dass wir eigentlich nur versuchen können, für uns und und die Welt das Beste hinzubekommen. Frau Wagenknecht gehört zu denen, die glauben, es lässt sich auf Erden ein Paradies errichten – ein Kommunismus oder wie immer wir es nennen wollen.“

Erziehungsversuche am Menschen sind seit der Ära Merkel, mehr noch im ampelgeregelten Deutschland alltäglich geworden. Wollen Sahra Wagenknecht und ihr Bündnis das ändern? Ihre Aussagen zur Bildung, zu Medien und Meinungsfreiheit bleiben unkonkret. Vielleicht geht es – wie in Xi Jinpings China – längst nicht mehr darum, Produktionsmittel zu „vergesellschaften“, sondern stattdessen den Menschen? Digital betreut, egal wann, wo, wie, mit wem er unterwegs ist – er hat Erzieher:_*Innen immer bei sich.

Der Sender Jerewan, gefragt ob im Sozialismus tatsächlich, wie immer verkündet, der Mensch im Mittelpunkt stünde, antwortete: „Selbstverständlich. Wie sollte man ihn sonst von allen Seiten bearbeiten?“

Die Medien tun ihren Job. Werden sie ihn auch im Fall des BSW und seiner Leitfigur so tun wie fast immer – also im Wechsel von „Hosianna!“ und „Kreuzige“? 

Was sagt der Autor der „Kommunistin?“

„Also wenn sie – und ihr BSW – morgen nicht mehr die Aufmerksamkeit der Medien hat, dann ist es vorbei.“

Das Buch „Die Kommunistin” von Klaus-Rüdiger Mai ist erhältlich im Kaufladen des Sandwirts.

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