Eine neue Ethik

Es war der in Spanien tätige Ökonom Philipp Bagus, der mich in einer Folge des „Mises al Dante“-Podcasts darauf aufmerksam machte, dass der argentinische Präsident Javier Milei nicht nur ökonomisch aufklärt, sondern den Menschen auch sagt, dass der Etatismus oder Antiliberalismus zutiefst unethisch und ungerecht sei. Und in einer Folge des YouTube-Kanals „Der Ökonomische IQ“ erklärte der in Brasilien tätige Ökonom Antony P. Mueller, dass wir dank der Praxeologie (Handlungslogik) nun nicht nur über eine ‚rationale‘ Ökonomik verfügten, sondern auch über eine ‚rationale Ethik‘ und eine ‚rationale Psychologie‘.

Im Folgenden werde ich statt ‚rational‘ den Begriff ‚apriorisch‘ verwenden, da mir bereits kürzlich bei einer Panel-Diskussion jemand begegnete, der zum Adjektiv ‚rational‘ sofort die Assoziation zur ‚Rational Choice Theory‘ hatte – und diese geht von anderen Annahmen aus als die Praxeologie. 

Handlungslogisch betrachtet ist es vielmehr irrational als rational, wenn Ökonomen im Allgemeinen oder Spieltheoretiker im Besonderen meinen, dass beispielsweise eine höhere Anzahl an Geldeinheiten oder eine geringere an Jahren im Gefängnis erstrebenswerter sein müssten, denn das letzte Ziel des Handelns ist stets die Zunahme der Zufriedenheit des handelnden Subjektes. Und was die Zufriedenheit des Subjektes erhöht, hängt in letzter Hinsicht von dessen individuellen Einstellungen und Überzeugungen ab – und diese müssen keinesfalls identisch sein mit denjenigen, welche die Spieltheoretiker als ‚rational‘ bezeichnen.

Nachdem Ludwig von Mises (1881 – 1971) große Verdienste vor allem die Entwicklung der Praxeologie und ihre detaillierte Ausarbeitung für eine apriorische Ökonomik sind – wobei er durchaus auch sozialphilosophische und psychologische Aspekte beleuchtete –, ist es das große Verdienst seines Schülers Murray N. Rothbard (1926 – 1995), dass er mit dem Nicht-Aggressions-Prinzip eine apriorische Ethik entwickelte. Und auch in der Tradition der Österreichischen Schule stehende Ökonomen wie Hans-Hermann Hoppe, Thorsten Polleit, J. Guido Hülsmann, Philipp Bagus, und Antony P. Mueller und der Philosoph Rolf W. Puster argumentieren in diesem Sinne ‚ethisch-praxeologisch‘.

Freundliches Handeln

Man kann Handeln a priori in feindliches, freundliches oder zumindest friedliches Handeln kategorisieren. Bei freundlichem Handeln findet eine zwischenmenschliche Interaktion statt, die etwa mit einem schadlos ablehnbaren Angebot oder einer Bitte – auch konkludent – beginnen kann. Wollen alle Beteiligten den zwischenmenschlichen Austausch – egal ob es sich um einen Brötchenkauf handelt, einen gemeinsamen Kinobesuch oder den Austausch von Zärtlichkeiten –, dann ist das Ergebnis im Hinblick auf den Besitz, einschließlich den Besitz am eigenen Körper, stets eine Win-win-Situation. Es wird im Hinblick auf das Pareto-Kriterium Besitz ein neues Pareto-Optimum erreicht, das heißt, alle Beteiligten werden nach ihren eigenen Vorstellungen zufriedener, ohne dass dies zu Lasten oder auf Kosten des Besitzes eines Beteiligten geht.

Feindliches Handeln

Eine zwischenmenschliche Handlung hingegen, die mit den Mitteln Drohung, Zwang oder Täuschung gegen einen friedlichen Menschen begonnen wird, um diesen zu einer Handlung oder Unterlassung zu bringen und diesen dadurch an seinem Besitz an Sachen oder am eigenen Körper zu schädigen, ist stets eine feindliche Handlung. Beispiele hierfür sind etwa räuberische Erpressung (vis compulsiva), Nötigung oder Betrug.

Ebenso ist eine feindliche Handlung eine in dem Sinne ‚egoistische‘ Handlung, dass tatsächliche Gewalt gegen einen Betroffenen angewendet wird, ohne dass dieser zu einer Handlung veranlasst werden soll, oder dass ihm etwas weggenommen wird. Beispiele hierfür sind etwa der gewaltsame Raub unter Ausschaltung des Widerstands (vis absoluta) des anderen, Totschlag oder Diebstahl. 

Diesen feindlichen Handlungen ist gemeinsam, dass der Aggressor etwas auf Kosten und zu Lasten des Betroffenen erhält – zumindest die Zunahme der eigenen Zufriedenheit des Aggressors. 

Feindliches Handeln ist ‚Pareto-unvergleichbar‘, das heißt der Aggressor gewinnt auf Kosten und zu Lasten des Betroffenen, und da Wert subjektiv ist, kann der Verlust des einen nicht mit dem Gewinn des anderen nach einem objektiven Maßstab verglichen werden. Ein anderes Wort hierfür ist das der ‚Pareto-Verschlechterung‘, da es sich stets um sogenannte Win-lose-Situationen handelt.

Friedliches Handeln

Das, was Ludwig von Mises in „Human Action“ als autistisches Handeln bezeichnete, ist nicht-zwischenmenschliches Handeln, bei dem zumindest keiner zu Schaden kommt, etwa wenn Sie sich einen Pullover stricken, den Sie selbst tragen möchten. Es ist kein ‚freundliches Handeln‘, weil hierzu stets mindestens zwei gehören (Austausch mit Win-win-Situation). 

Übersicht: apriorische Ethik (aus: „Der Kompass zum lebendigen Leben“)

Kollektive handeln nicht

Der Handelnde ist immer der Einzelne, wobei Menschen natürlich auch in Gruppen handeln können, miteinander oder gegeneinander. Ein ‚handelndes Kollektiv‘ hingegen ist ein geistiges Konstrukt, das es so in der Realität des menschlichen Handelns nicht gibt. Haben alle in der Gruppe denselben Willen in Bezug auf ein bestimmtes Ziel, dann macht es freilich Sinn, zu sagen, die Gruppe wollte dies und das. 

Anders ist das aber schon, wenn nur ein Einzelner einen abweichenden Willen hat: Wenn vier einen Fünften misshandeln, ist es unsinnig, zu behaupten, ‚das Kollektiv‘ habe die Misshandlung zu 80 Prozent gewollt. Der Betroffene wollte gerade nicht misshandelt werden, sondern die vier Aggressoren wollten es. Damit eine Mehrheitsentscheidung jedem Beteiligten zugerechnet werde kann, ist es praxeologisch erforderlich, dass alle Beteiligten – jeder Einzelne – dem Mittel ‚Mehrheitsentscheidung‘ zur Regelung eines gewissen Gegenstandes freiwillig – das heißt: ohne Zwang – zugestimmt haben.

In seinem Buch „Demokratie. Der Gott, der keiner ist“ hat Hans-Hermann Hoppe detailliert ausgearbeitet, zu welchen unethischen Folgen es führt, wenn man unter Demokratie nur den Aspekt ‚Mehrheitsprinzip‘ versteht und nicht auch und vor allem ‚Selbstbestimmung‘.

Auch dass das Gemeinwohl über dem Einzelwohl stünde, ist falsch. Das Gemeinwohl, so Ludwig von Mises, besteht ja nur aus den Einzelwohlen vieler.

Ebenso ist die Annahme des Utilitarismus falsch, wonach das Wohl vieler das Wohl weniger ‚überwiegen‘ könnte oder ein größeres Wohl ein kleineres. Denn ‚Wohl‘ ist immer subjektiv und kann nicht gegeneinander abgewogen werden, schon alleine deswegen nicht, weil es keinen objektiven Standard hierfür gibt, keinen ‚Ur-Nutzen‘, mit dem verglichen werden könnte.

Apriorische Ethik

Eine feindliche Handlung ist also in dem Sinne a priori unethisch, weil die Aggressoren auf Kosten und zu Lasten der Betroffenen etwas mit den Mitteln Zwang, Täuschung oder tatsächliche Gewalt (einschließlich Wegnahme) erlangen und die Betroffenen damit an ihrem Besitz schädigen, einschließlich dem Besitz an deren eigenen Körpern.

Historisch gesehen hat nicht nur bereits Anselm von Feuerbach (1775 – 1833) bei der Katalogisierung des Strafrechts diese apriorische Ethik ‚durchscheinen‘ lassen, sondern wir kennen sie auch schon von den ‚Zehn Geboten‘: Diebstahl, Totschlag, Erpressung und Raub, Betrug, Körperverletzung und so weiter werden als unethische Handlungen kategorisiert. 

Daran ändert es nun auch nichts – wie insbesondere Hans-Hermann Hoppe nachgewiesen hat –, wenn man versucht, feindliche Handlungen damit zu ‚legitimieren‘, dass der Betroffene beispielsweise einer Zwangsabgabe an ein ‚Kollektiv‘ doch ‚vernünftigerweise zustimmen müsste‘. Rolf W. Puster legte bereits schlüssig dar: Man kann erzwungene Herrschaft über friedliche Menschen eben nicht durch ‚Philosophieren im luftleeren Raum‘ legitimieren.

Apriorische Ethik müsste auch gewollt werden

Aus der Praxeologie als Wissenschaft folgt natürlich nicht, was nun ‚gesollt‘ wird. Spätestens seit David Humes (1711 – 1776) Abhandlungen über den ‚Is-Ought-Gap‘ ist bekannt, dass aus dem, was ist, nicht folgt, was sein soll. 

Ludwig von Mises sagte, es gebe keine ‚normative Wissenschaft‘, keine Wissenschaft von etwas, das ‚sein sollte‘. Wissenschaft kann immer nur sagen, was ist. Deshalb erfordert die apriorische Ethik, um wirksam zu werden, dass es Handelnde gibt, die sie wollen. 

Viele wollen sich nicht friedlich oder freundlich gegenüber ihren Mitmenschen verhalten. Psychopathen ist es egal, wie es ihren Mitmenschen damit geht, wenn sie diese unterdrücken oder ausbeuten. Soziopathen sind zwar prinzipiell zur Empathie fähig, aber sie denken sich ‚Narrative‘ aus, um ihre Aggressionen für sich und / oder andere ‚legitim‘ erscheinen zu lassen. ‚Gestockholmten‘, die mit ihren Peinigern sympathisieren, ist es gerade recht, dass sie – objektiv gesehen – von anderen gegängelt werden. All diese Menschen wollen sich nicht ethisch im hier verstandenen Sinne verhalten, also freundlich oder friedlich gegenüber ihren Mitmenschen handeln. 

Aber für alle anderen ist die apriorische Ethik, die auf Ludwig von Mises und Murray N. Rothbard zurückgeht, ein ethischer Leitfaden – und sie liefert Argumente gegen pseudo-ethische Narrative der Aggressoren.

Antiliberale Demokratie

Antiliberale Demokratie, also wenn eine Mehrheit die Selbstbestimmung des Einzelnen im Hinblick auf seinen Besitz, inklusive den Besitz am eigenen Körper, im vorbeschriebenen Sinne in a priori feindlicher Art und Weise missachtet, ist also stets unethisch. Und ich stimme mit Philipp Bagus und Javier Milei darin überein, dass es wichtig ist, im öffentlichen Diskurs nicht nur darauf aufmerksam zu machen, dass antiliberale Politik ökonomisch schädlich für die Masse der Menschen ist, sondern vor allem auch darauf, dass antiliberale Politik unethisch ist. 

Linke wie rechte antiliberale Politiker nutzen ihre Mitmenschen nicht nur ökonomisch aus, sie unterdrücken sie auch sozial. Und es ist wichtig, dass im öffentlichen Diskurs nicht ‚unter den Tisch fällt‘, dass beides zutiefst unethisch ist. Im Gegenteil: den Freiheitsfeinden, die dem Liberalismus mit ihrer Pseudo-Ethik implizit – und explizit – vorwerfen, dass dieser unethisch sei, kann entgegnet werden, dass in Wirklichkeit ihre Politiken der Zwangsabgaben und der willkürlichen Gebote und Verbote, die sich gegen friedliche Menschen richten, unethisch sind.

Ausblick: Apriorisches Recht und apriorische Psychologie

Antiliberale Politik im vorbeschriebenen Sinne ist aber nicht nur a priori unethisch, sondern auch ungerecht. Dies und wie die Menschen psychologisch verwirrt wurden, damit sie diese soziale Unterdrückung und ökonomische Ausbeutung ertragen, wie bereits Immanuel Kant (1724 – 1804) oder Murray N. Rothbard erkannten, will ich in meinen folgenden Kolumnen darlegen.

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