Wirtschaft, Horatio, Wirtschaft!
Der Ruf der Friedlichen Revolution 1989 lautete: „Wir sind das Volk!“ Zu den populären Forderungen gehörten „Stasi in die Produktion!“ und „Die Mauer muss weg!“.
Als die Politbürokraten am 13. August 1961 die Mauer bauten, die sie als gute Demokraten „Antifaschistischen Schutzwall“ nannten, denn er sollte die Demokratie in der DDR schützen, das Volk der DDR vor den Revanchisten, den Imperialisten, den Boykotthetzern, den Reaktionären aus dem Westen, sicherten sie ihre Macht. Doch nicht für ewig, denn der Bau der Mauer war das sicherste Zeichen dafür, dass sie politisch am Ende waren und nur durch Unrecht und Gewalt sich an der Macht zu halten vermochten. Denn die Mauer sollte in Wahrheit nur verhindern, dass die Leute gehen, sie war nach innen gerichtet.
Walter Ulbricht ist noch im Staat DDR gestorben, Erich Honecker schon nicht mehr. Wer Mauern, ob Antifaschistische Schutzwälle oder Brandmauern, hochzieht, dem geht es nicht um Demokratie, auch zeigt er wenig Neigung für demokratische Verfahren, nein, er erhebt sich über den Souverän, den er meint, zu belehren und schurigeln zu müssen. Besonders absurd wird das, wenn Ungelernte, Studienabbrecher, die nie in einem Beruf gearbeitet haben, meinen, über Leute hinweg urteilen, ihnen glauben, die Welt erklären zu müssen, die gestandenen Facharbeitern, Handwerksmeistern, Wissenschaftlern, Ärzten, den vielen Bürgern, die in ihren Berufen klug und umsichtig und fleißig arbeiten, durch die das Brot auf den Tisch kommt, das Haus gebaut, das Leben gerettet wird, vorzuschreiben, wie sie zu leben, zu arbeiten, zu lieben, zu essen, zu trinken, zu träumen, zu fahren und zu reden haben.
Es ist eine unbegreifliche Arroganz, dass Politiker, die teils nichts anderes in ihrem Leben gesehen haben als die verwinkelten Flure der Intrigen, die man Politik nennt, sich anmaßen, die Bürger zu belehren, denen „da draußen“ etwas zu erklären, weil die es noch nicht so richtig verstanden haben.
Gegen den Wettstreit der Ideen
Der Respekt vor den Bürgern scheint in der politischen Blase vollständig verloren gegangen zu sein. Tilo Jung, der laut Wikipedia das Studium der Betriebswirtschaftslehre und der Rechtswissenschaften nicht abgeschlossen hat und auch sonst über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, nennt sich Journalist und als solcher doziert er, dass Journalisten die Bürger nicht mehr darüber zu informieren haben, was die Bürger wissen wollen, sondern sie haben die Bürger darüber zu informieren, was die Bürger wissen s o l l e n. Das ist übrigens die kürzeste Definition für Journalismus in totalitären Regimen: Jeder darf nur über das Wissen verfügen, das er für seine Arbeit und seine Stellung benötigt.
Im Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Und Artikel 21 besagt: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei.“ – Wie viele Seminare wird man wohl benötigen, um es nicht wenigen Politikern begreiflich zu machen, dass die Staatsgewalt nicht von den Politikern ausgeht, sondern vom Volk als Gesamtheit der Bürger der Bundesrepublik, der Gesamtheit der Deutschen, d.h. der Bürger, die deutsche Staatsbürger sind, dass sie den Souverän des Staates bilden und dass das Grundgesetz ihr Recht ist, ihr Abwehrrecht gegen den Übermut und die Übergriffigkeit von Staatsorganen und von Regierungen?
Auch bestimmen die Parteien nicht die politische Willensbildung des Volkes, alles andere hieße Diktatur, sondern sie wirken daran mit, im Übrigens auch nicht eine Partei, auch nicht Parteien hinter einer Brandmauer, sondern alle, denn im Grundgesetz findet sich nirgendwo der Begriff Brandmauer.
Die Artikel, in denen es heißt: „Alle Staatsgewalt geht von den Parteien hinter der Brandmauer aus. Die Parteien innerhalb der Brandmauer bestimmen die politische Willensbildung des Volkes“ finden sich aus gutem Grund im Grundgesetz nicht.
Daraus folgt, dass die Brandmauer, hinter der sich definitiv die Grünen, die SPD, die sich auflösende Linke, die FDP, die CDU und CSU befinden, zutiefst undemokratisch ist, gegen den Geist des Grundgesetzes verstößt. Die Brandmauer ist die Verhinderung von Konkurrenz in der Politik. Doch die Demokratie lebt von der politischen Konkurrenz, von dem Wettstreit der Ideen und der Lösungsangebote.
Die Wehrbeauftragten der Demokratie
Zur Zeit Martin Luthers galt als allergrößtes Verbrechen die Ketzerei. Martin Luther, ein tief gläubiger Mensch, schrieb dazu: „Denn Ketzerei kann man nimmer mit Gewalt wehren. Es gehört ein anderer Griff dazu, und es ist hier ein anderer Streit und Handel als mit dem Schwert. Gottes Wort soll hier streiten; wenn’s das nicht ausrichtet, so wird’s wohl von weltlicher Gewalt unausgerichtet bleiben, wenn sie auch gleich die Welt mit Blut füllte. Ketzerei ist ein geistlich Ding, das kann man mit keinem Eisen zerhauen, mit keinem Feuer verbrennen, mit keinem Wasser ertränken.“
Diese klaren Sätze Luthers widerlegen die totalitäre Verführung, die hinter der verderblichen Phrase von der wehrhaften Demokratie steht. Die Wehrhaftigkeit der Demokratie erweist sich im offenen Meinungsstreit, im Wettstreit der Ideen, in der Konkurrenz, in dem, was man das Tagesgeschäft der Demokratie nennt, im Funktionieren ihrer Institutionen zur Freiheit hin, die Wehrhaftigkeit der Demokratie besteht in ihrer Funktionstüchtigkeit.
Über die pädagogische Penetranz dieser selbsternannten Politzensoren, Cancel-Culture-Schaffenden, Empörungs- und Denunziationsbeauftragten schrieb Luther: „Es wäre jedenfalls viel leichter, wenn ihre Untertanen schon irreten, dass sie sie schlechthin irren ließen, als dass sie sie zur Lüge und anders zu sagen nötigen, als sie es im Herzen haben. Es ist auch nicht recht, dass man Bösem mit Ärgerem wehren will.“
Denn dieses Wehren führt zum Ärgeren. Es sind die selbsternannten Verteidiger, die Wehrbeauftragten der Demokratie, die die Demokratie zerstören. Reißt die Türen und Fenster auf, lasst frische Luft herein, gute starke, sauerstoffhaltige Luft, legt die Mauer nieder. Wagt die inhaltliche, an Argumenten gebundene Auseinandersetzung!
Reinen Tisch
Die hehren Argumente für die Brandmauer sind bei Lichte betrachtet Sophismen des Machterhalts. Die Linken und die SPD sind er- oder vergrünt, haben zunehmend ihre Wähler aufgegeben und konkurrieren mit den Grünen um die gleiche Wählerschicht. Die illusionäre Politik der Ampel führt zur Zerstörung der inneren Sicherheit, der Infrastruktur, der Bildung, der Sozialsysteme und der Wirtschaft. Man gewinnt den Eindruck, als ob sie eher von der Demokratie als von ihrer Politik ließen. Doch auf diese Weise wird die Brandmauer zur Trutzburg. Viele passen da nicht hinein und immer weniger als hineinpassen, wollen da hinein. Die Europa-Wahl hat es gezeigt.
Die Grünen, die Roten und die ihnen nur allzu sehr zu Willen seienden Gelben haben krachend die Europa-Wahl verloren, aber auch die Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg und in Sachsen-Anhalt. Trotz Medien und Brandmauer hat die AfD und auch das BSW in Ostdeutschland große Erfolge errungen, im Westen liegt zwar die Union vorn, doch schaut man etwas genauer hin, kann die AfD auch im Westen Zuwächse verzeichnen – und dass trotz selbstverschuldeter Skandale, die dann auch von vielen Medien ausgenutzt worden sind, trotz eines schlechten Krisenmanagements der AfD.
Die Bürger wollen nicht hinter die Mauer geführt werden, wollen nicht auf die Karikaturen glotzen müssen auf den Wänden innerhalb der Brandmauer, sie wollen ins Freie schauen. Ins Freie schauen, bedeutet, im Einklang mit den eigenen, den gemachten Erfahrungen zu leben, im Zustand der Realität, in der Wirklichkeit. Denn wirklich ist, was ist und nicht das, was sein soll.
Man hat immer geglaubt, dass die Union die Angst vor grüner Medienmacht hinter der Brandmauer hält. Vielleicht ist das aber auch nur ein Teil der Wahrheit. Die Brandmauer wird ja weit stärker mit Blick auf die Wähler, als auf die Parteien gehalten. Indem man sagt, dass man mit der Partei oder den Parteien hinter der Brandmauer nicht zusammenarbeiten wird, macht man dem Wähler klar, dass diese Parteien, wenn sie nicht die Mehrheit erringen, keine Machtoption besitzen und demzufolge man seine Stimme entwerten würde, wenn man diese Parteien wählt. Davon profitiert die Union als kleineres Übel noch. Für die Union aber bedeutet die Brandmauer noch einiges mehr, sie schützt sie davor, sich mit der AfD auseinanderzusetzen, mit ihr in den Wettstreit zu treten, sich mit ihr, wenn es der Wähler so will, in der Zusammenarbeit messen zu müssen. Solange die Brandmauer besteht, spekuliert die Union, läuft das ewige gleiche, bequeme Spiel mit den Roten und mit den Grünen: mit einen von beiden oder mit beiden muss man ja koalieren.
Vor allem schützt es die Union, sich endlich mit sich selbst auseinanderzusetzen, reinen Tisch zu machen, die Merkel-Zeit aufzuarbeiten, zu der Grenzöffnung, Übermigration und Pandemieautoritarismus gehören. Sie müsste ihren Irrweg nach grün, ihren Grünrutsch beenden. Sie müsste wieder eine Mitte-Rechts-Partei werden und sich von ihren Blockparteiallüren verabschieden.
Es bröckelt
Die Kommunalwahlen in den drei Bundesländern, in denen die AfD zur stärksten Kraft geworden ist, zwingt bereits auf kommunalpolitischer Ebene zur Zusammenarbeit, denn der Bau eines Schwimmbads ist weder blau, noch rot, noch schwarz, noch grün, er ist der Bau eines Schwimmbades. Das sehen auch CDU-Leute im Osten so, auch wenn es der westdeutschen Führung nicht passt.
Die Landtagswahlen werden nach heutigem Stand die AfD, die CDU und das BSW dominieren. SPD und Grüne spielen in den ostdeutschen Bundesländern keine Rolle mehr. Treten die Ergebnisse in einer freien geheimen und demokratischen Wahl so ein, wie sie bis jetzt erwartbar sind, wird spätestens dann die Brandmauer fallen.
Friedrich Merz müht sich mit der Reparatur des Putzes, mit der AfD will er ganz und gar nicht, mit dem BSW gar nicht zusammenarbeiten. Der Vorsitzende der CDU bringt dann in seiner Orientierungslosigkeit noch die Meisterleistung fertig, wie jemand auf X spottete, die erste Transextreme Deutschlands zu erschaffen, denn: „Wir arbeiten mit solchen rechtsextremen und linksextremen Parteien nicht zusammen.” – Sahra Wagenknecht sei für ihn sowohl links- als auch rechtsextrem.
Nach der INSA-Wahlumfrage vom 19.03.2024 kämen AfD und BSW in Sachsen auf 45 Prozent, in Thüringen auf 46 Prozent. Was, wenn es rechnerisch für BSW und AfD reicht?
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat sich dafür ausgesprochen, dass auf kommunaler Ebene alle mit allen sprechen, denn nicht jeder in der AfD sei ein Rechtsextremist und auch nicht jeder AfD-Wähler. Kretschmer schloss eine Zusammenarbeit mit dem BSW auf Landesebene nicht aus und Hendrik Wüst, der einen Gründrall besitzt und gern Kanzlerkandidat werden will, äußert sich zurückhaltend. Und Armin Laschet, man erinnert sich mühselig, versucht zu erklären, dass es der Friedrich Merz eigentlich nicht so gemeint habe.
So versucht eben der eine oder andere ein kleines, möglichst unauffälliges Loch in die Brandmauer zu schlagen. Und ganz gleich, was geschieht: Wenn es mit rechten Dingen geschieht, haben die Grünen ihre beste Zeit hinter sich.
Die Brandmauer muss weg. Aus der Blockade demokratischer Prozesse erwächst nur Schlimmeres, denn die Brandmauer löst nicht nur kein Problem, sie verhindert sogar die Lösung von Problemen, sie ist Teil der Probleme, nicht aber der Lösung. Vielleicht besteht auch darin eine Lehre, die die Wähler den Politikern erteilt haben: Wir wollen nicht bevormundet werden. Ihr arbeitet für uns, nicht wir für euch.