Protokolle der Aufklärung #25
Seit einigen Wochen steht das Thema „Bürokratieabbau beim Staat“ ganz oben auf der Agenda – wieder einmal. Die Presse macht es zum Gegenstand heißblütiger Kommentare – wieder einmal. Es gäbe Unmengen von Bestimmungen und Formularen. Viel zu viele Amtsschimmel stünden im Stall. Die Welt am Sonntag moniert, schon die Beschaffung neuer Socken für die Bundeswehr werde zur Herkulesaufgabe.
Die Verbandslobby hat seit Jahren nicht aufgehört, über diesen Missstand zu klagen. Neuerdings findet sie sogar jemanden an ihrer Seite, von dem man es zuletzt erwartet hätte: unseren grünen Wirtschaftsminister.
Auch der Kanzler kommt gelegentlich auf das Problem zu sprechen. Dabei erwähnt er leider nicht (er vergisst es vielleicht – kann bei einem vielbeschäftigten Mann schon mal vorkommen), dass er die 400 Quadratmeter zusätzliche Bürofläche, die er am Kanzleramt gerade im Bau hat, im Leerstand belassen will. Das hätte uns nämlich einigermaßen beruhigt.
Das unaufhörliche Wachstum
Es ist offensichtlich: Die Bürokratie wächst. Sie wächst selbst dann noch, wenn man sich bemüht, sie zu beschneiden. So hatten vor etwa zehn Jahren einige deutsche Politfunktionäre die hehre Absicht, den Apparat zu verkleinern. Die Folge: eine zusätzliche Bürokratie, nämlich die für Bürokratieabbau mit 126 gut bezahlten Beamten und aufwendig ausgestatteten Büros.
Weitere Beispiele zeigen: Der Apparat ist unfähig, dem Selbstlauf seiner ausufernden Bürokratie Einhalt zu gebieten. Die Wochenschriften SPIEGEL und FOCUS berichten laufend, wie sich trotz aller Verschlankungsabsichten das Staatspersonal ständig erhöht. Die Zahl der Planstellen bei der Bundesregierung wächst zusehends. „Dienten 2013 noch etwa 15.000 Beamte in den Bundesministerien inklusive Kanzleramt, sind es jetzt mehr als 22.000, ein Plus von fast 50 Prozent … Im Kanzleramt stieg die Zahl der Planstellen für Beamte um 271 Prozent“ (SPIEGEL 43/2024).
Unter Bezugnahme auf ein Vorhaben unserer Familienministerin offenbart das Blatt, „wie sie das Bürokratieproblem lösen würde: durch noch mehr Bürokratie. Sie möchte eine neue Behörde mit 5.000 Stellen gründen, mit dem schönen Namen ‚Familiencenter‘. Die bestehenden Behörden würden dabei nicht abgeschafft“. Die 5.000 neuen Stellen dürften wohl, im Vergleich mit Stellen in der Privatwirtschaft, nicht gerade knapp dotiert sein. Denn gern besetzt man sie mit Studierten.
Der Apparat wächst von Jahr zu Jahr – und mit ihm der Papierkram, mit dem die Bürger infolge gültiger Gesetze belastet sind. Ein Berg von Vorschriften verlangt z.B., dass jemand, der in Deutschland einen Windpark bauen will, ca. 18.000 Blatt Formulare für eine Genehmigung abliefern muss. Das sind 36 handelsübliche Packen Druckerpapier!
Bürokratie und Gesetzgebung
Der Bürgermeister einer mittleren Stadt wurde einmal provokativ gefragt, warum im Regionalblatt die Personalsuchanzeigen seiner Verwaltung mehr Raum einnehmen als alle Suchanzeigen der ansässigen Gewerbebetriebe zusammengenommen. Wolle er durch solchen Aufwand – etwa im Eigeninteresse – seinen ohnehin schon riesigen Personalapparat weiter aufpumpen? Die aufschlussreiche Antwort kam in Form der Gegenfrage: Wer soll denn bei uns die ganze Mehrarbeit machen, die durch ständig neue Gesetze und Vorschriften auf uns einprasselt?
Diese Antwort – ob ehrlich gemeint oder nicht bringt es auf den Punkt: Die Bürokratismus-Schelte greift zu kurz. Man schlägt den Sack und nicht den Esel. Bürokratie keimt nicht in der Verwaltung, sondern im Parlament. Die Parlamente sind das Problem!
Wegen der ungehemmten Gesetzesproduktion ist eine gigantische Anzahl sogenannter „öffentlicher Mitarbeiter“ notwendig und muss ständig neu rekrutiert werden. Die Vielzahl der Gesetze vergrößert zwangsläufig die Verwaltungsbürokratie. Denn Gesetze müssen ja exekutiv durchgepaukt werden. In allen Behörden wuchert inzwischen ein monströs aufgeblähter Personalapparat. „Goliath der Bürokratie“ nennt der SPIEGEL dieses Gebilde.
Schon vor dem Aufbau der Behörde für Bürokratieabbau (s. o.) hätte man wissen können: Gesetzeswust erzeugt notwendig Bürokratiewust. Beide hängen eng aneinander. Der Eine ist die Folge des Anderen. Wer soll die anwachsende Fülle der Gesetze in der Gesellschaft denn durchsetzen, wenn nicht eine ständig wachsende Anzahl von Bürokraten?
Eine Wahrheit, die man in den oberen Etagen nicht gern hört: Will man den überbordenden Bürokratismus bändigen, muss man als erstes den Gesetzgebungsrausch brechen.
Der Fleiß der Parlamentarier
Trotz aller Befürchtungen in Bezug auf die Eignung der Parlamentarier für ihr Geschäft (s. meinen Sandwirt-Beitrag „Karriere im System“), in der Produktion von Gesetzen und Vorschriften sind sie fleißig. Sie üben ihre Macht schon irgendwie aus. Das ist eine Macht, die verwirrende Aktivitäten in Gang setzten kann. Friedrich von Hayek sprach von der Legislative einmal als von einer Dampfwalze, die von einem Betrunkenen gesteuert wird.
Mit Hilfe von Kommissionen, Gremien, Netzwerken und „Experten“ überschütten die Parlamente die Bevölkerung Jahr für Jahr mit einer Fülle von Gesetzen, Normen und Verordnungen. Die Zahl aller Regulative übersteigt in Deutschland inzwischen die Millionengrenze. Sogar in Ländern wie der Schweiz beobachten wir diesen Trend. Dort haben sich Gesetze und Vorschriften innerhalb von drei Jahrzehnten zahlenmäßig um das Vierfache erhöht.
Parteien und Gesellschaft
Der kritische Beobachter erkennt: Die Obrigkeit, das sind heute die Parteileute an der Spitze, hat den Überblick über ihr Tun völlig verloren. Deshalb weiß sie auch nicht, in welchem Maße sie dazu beiträgt, ihre Untergebenen und deren soziale und naturale Umwelt zu ruinieren. Die Unfähigkeit der politischen Klasse, ihr Ideal („Glück für alle“) gesetzgeberisch in die Tat umzusetzen, wird immer sichtbarer. Friedrich von Hayek ist zuzustimmen, wenn er sagt „Gesetzgebung durch Parteien führt zum Verfall der … Gesellschaft“.
„Sind unsere parlamentarischen Parteien überhaupt noch willens, lernfähig, handlungsbereit, kompetent und beweglich genug, geeignete Antworten zur Lösung existentieller Probleme der Menschen zu finden?“, fragt der Systemkritiker Hermann Scheer. „Ist die überkommene Parteipolitik an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen? … Bedarf es neuerer und andersartiger politischer Organisationsformen? … Ist die … Parteipolitik auf einem Weg, der unweigerlich an ihr Ende führt?“ – Ich denke, man kann diese schon 1979 gestellten Fragen mit Ja beantworten.
Gesetzgeberisch kommt viel Gutgemeintes auf den Weg. Doch eines wissen wir inzwischen: Das Gutgemeinte ist nicht immer das Gute. In diesem Zusammenhang sei an das Bonmot Pierre du Ponts erinnert, das er 1790 vor der französischen Nationalversammlung zum Besten gab: Schlechte Logiker haben unfreiwillig mehr Verbrechen begangen als schlechte Menschen vorsätzlich.