Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts: Hier.
Vor einigen Jahren habe ich den Begriff des „Milliardärssozialismus“ wieder in die öffentliche Debatte eingeführt – ein Konzept, das einst beiläufig von Oswald Spengler formuliert worden war, der prophezeit hatte, daß die extremen Endstufen von Sozialismus und Liberalismus sich früher oder später einander angleichen würden. Der Sozialismus würde eine kleine politische Kaste hervorbringen, die ihren Staat ebenso autoritär und exklusiv regieren würde wie frühere Aristokratien, wenn auch formal unter Berufung auf die Diktatur des Proletariats und nicht mehr das Geburtsrecht oder das Gottesgnadentum.
Der Liberalismus hingegen würde den reichsten Männern der Gesellschaft ein De-facto-Monopol verschaffen, das die klassischen Regeln des kapitalistischen Wettbewerbs außer Kraft setzen und somit ebenfalls ein überaus polarisiertes Modell hervorbringen würde. In beiden Fällen sei das Ergebnis letztlich dasselbe: Eine winzige Oligarchie regiert immer ärmere und machtlosere Massen und nutzt alle politischen, medialen und wirtschaftlichen Hebel, um ihre Herrschaft zu sichern.
Ich hatte mehrfach versucht, dieses Modell auf unsere heutige historische Realität anzuwenden, indem ich aufzeigte, daß der scheinbare innere Widerspruch einer kleinen Elite aus Oligarchen und Milliardären, die zur eigenen Machtfestigung eine letztlich eher linke ideologische Rhetorik benutzt, nur oberflächlicher Art ist. Denn je mehr die Regeln der liberalen Wirtschaft durch Quasi-Monopole in zentralen Bereichen wie Big Data, Big Pharma, Big Finance oder Big Business sowie durch den Aufbau eines immer exklusiveren politisch-militärisch-wirtschaftlichen Komplexes außer Kraft gesetzt sind, wird die Übernahme einer linken Rhetorik zu einer notwendigen Ablenkungsstrategie von der tatsächlichen Lage: Milliardäre stilisieren sich zu Vorkämpfern gegen soziale Ungleichheit, Klimawandel, Rassismus oder Patriarchat, nicht um Gewissensgründe zu beruhigen, sondern um ihre Macht zu erweitern und zu zementieren.
Jedes Mal, wenn ein junger Mensch bei Amazon ein „Che-Guevara“-T-Shirt kauft, um gegen den Kapitalismus zu protestieren; jedes Mal, wenn ein Umweltschützer bei McDonald’s einen veganen Burger ißt, um die Tierwelt zu schützen; jedes Mal, wenn es einem Menschenrechtsaktivisten gelingt, einen Migranten nach Europa zu bringen und somit (unfreiwillig) die Löhne zu drücken und das Sozialsystem zu belasten; jedes Mal, wenn eine NGO neue Vorschriften für die Isolierung privater Häuser durchsetzt und die bankrotten Eigentümer zwingt, ihren Besitz an große Immobilienfirmen zu verkaufen – jedes Mal wird das „System“ ein Stück stärker. Eine Gesellschaft, die angeblich der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit verpflichtet ist, erweist sich de facto als erbarmungslose Ausbeutungsmaschinerie, in der die Starken die Schwachen unterdrücken, während der politische Bereich dabei auf ein bloßes Marionettentheater reduziert wird, das faktisch von einer monotonen Einheitsmeinung dominiert wird.
Am Beginn der imperialen Phase
Dieser Prozeß ist jedoch keineswegs neu, und „konservative“ wie „progressive“ Denker haben ihn seit Jahren, ja Jahrzehnten beschrieben. Interessant wird es allerdings, wenn wir einen Schritt zurücktreten und das Ganze universalhistorisch betrachten. Denn der „Milliardärssozialismus“ ist weder ein einmaliges Phänomen, noch auf die abendländische Zivilisation oder die Postmoderne beschränkt. Vielmehr ist er eine recht typische Entwicklungsphase in der Geschichte einer jeden Zivilisation.
Wie ich vor zwölf Jahren in meinem Buch „Auf dem Weg ins Imperium“ gezeigt habe, finden sich parallele Strukturen zuhauf in der späten römischen Republik im 1. Jh. v.Chr., und analog darf man auch auf den wirtschaftlichen Einfluß der Amun-Priesterschaft im Ägypten des Neuen Reichs, auf die Macht reicher Bankiers im China der „Kämpfenden Staaten“ oder auf die oligarchische Elite Indiens in der Zeit vor den Guptas verweisen: Trotz der jeweiligen kulturellen Besonderheiten folgt die Geschichte immer wieder erstaunlich vorhersehbaren Mustern.
Ein Blick in die Vergangenheit hilft uns daher auch, die Zukunft besser zu verstehen – und das ist der eigentliche springende Punkt. Denn die Geschichte zeigt, daß der Milliardärssozialismus nur in seiner Entstehungs- und Konsolidierungsphase relativ stabil ist, denn solange alle Akteure ein gemeinsames Ziel verfolgen – etwa die vollständige Ausschaltung der Mittelklasse und der kleinen sowie mittleren Unternehmen – arbeiten sie zusammen. Doch sobald die „Beute“, sprich die Kontrolle über die jeweilige Zivilisation, verteilt ist, beginnt eine neue Phase: der Cäsarismus, in dem es um die Gewalt über das Ganze geht. Und ich glaube, Elon Musk ist der erste vollständige Vertreter dieser neuen Ära.
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung hat der Cäsarismus eigentlich nichts mit der Herrschaft über ein autoritäres Imperium zu tun; vielmehr markiert er den Moment, in dem eine kleine Gruppe rivalisierender politischen Akteure beginnt, alle Ressourcen einer Gesellschaft für den Kampf um die totale Macht einzusetzen. Erst wenn einer der Akteure in diesem Kampf siegreich ist, verwandelt sich die cäsaristische Phase in eine wirklich imperiale.
Bislang haben Persönlichkeiten wie Gates, Soros, Bezos, Zuckerberg, Arnault oder Musk weitgehend im Team agiert; ob bewußt oder unbewußt, tut morphologisch nichts zur Sache. Doch wie ich vor Jahren vorausgesagt habe, wird einer von ihnen früher oder später erkennen, daß das Spiel hiermit noch lange nicht beendet ist. Die Transformation der abendländischen Zivilisation in eine Oligarchie ist daher nur das Vorspiel zu einem alles entscheidenden Kampf – und derjenige, der sich als Erster von der allgemeinen linksliberalen, politisch korrekten Einheitsmeinung absetzt und sich vielmehr als Vorkämpfer der „Alternative“ positioniert, wird ein enormes Alleinstellungsmerkmal erringen. Elon Musk hat das offenbar vor einigen Monaten begriffen – und die Geschwindigkeit, mit der wir seitdem eine Verschmelzung von Wirtschaft, Politik, Technologie und Medien erleben, ist atemberaubend, obwohl wir erst am Anfang stehen.
Musk und Trump: alles in den Händen
Heute befinden sich daher die weltweit größte Medienplattform, die Automobilindustrie der Zukunft, die Mittel zur Eroberung des Weltraums, die Satellitenkontrolle über die Erde und die Technologie zur Verbindung des menschlichen Gehirns mit Computern in einer Hand – und diese Hand arbeitet im Verbund mit einer anderen, welche die militärische und finanzielle Macht der Vereinigten Staaten, das enorme Gewicht des Dollars, das größte nukleare Arsenal und die Begeisterung der breiten Massen kontrolliert – zumindest vorübergehend. Und betrachtet man die ehrgeizigen Pläne dieses Duos, den Mars zu erobern, ein neues kontinentales Imperium durch die Annexion Kanadas, Panamas und Grönlands zu schaffen und massiv in die europäische Politik einzugreifen, wird deutlich, daß „America First“ längst kein Synonym mehr für Isolationismus ist, sondern für eine neue imperiale Großraumordnung, wie wir sie seit Jahrzehnten im Westen nicht mehr gesehen haben.
Elon Musk festigt derzeit die Macht von Giorgia Meloni und Viktor Orbán; er versucht, den englischen Populismus brutal umzugestalten, indem er Trumps alten Alliierten Nigel Farage diskreditiert; und er greift massiv in den deutschen Wahlkampf ein, indem er Olaf Scholz öffentlich bloßstellt und die AfD bevorzugt. Noch nie in den letzten Jahren hat sich die amerikanische Macht so stark in die europäische Politik eingemischt wie jetzt. Doch der Umstand, daß diese Strategie vorläufig die europäischen Konservativen zu stärken scheint, sollte nicht unbedingt Anlaß zur Freude sein.
Es wäre nämlich naiv, sich Illusionen zu machen: Im Kampf zwischen den modernen „Cäsaren“ bleibt den Bürgern letztlich nur die Wahl ihres Herrschers, in Europa noch mehr als in den USA. Denn das Ergebnis dieses Kampfes wird sich kaum wirklich voneinander unterscheiden: Ob die USA von einem Obama oder einem Musk dominiert werden, Europa hat machtpolitisch keine Chance, seine Identität und seinen ohnehin schon bedrohten Status in der neuen multipolaren Welt zu bewahren, solange es wie bisher gespalten bleibt.
Bereits in meinem Buch „Auf dem Weg ins Imperium“ hatte ich dargelegt, daß es letztlich kaum einen wirklichen Unterschied machen wird, ob die linksliberale herrschende Elite sich ein wenig nach rechts bewegt, um die Bürger zu beschwichtigen und eine neue plebiszitäre Herrschaftsbasis zu schaffen, oder ob ein zukünftiger „Cäsar“ seine populistische Agenda mäßigt, um die Zusammenarbeit mit den etablierten Eliten sicherzustellen und einen „Cäsarenmord“ zu vermeiden. Es wird in Zukunft weniger um echte ideologische Fragen gehen denn vielmehr darum, weitgehend apolitischen Personengruppen eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz zu sichern. Das bedeutet nicht, daß dieser Prozeß nicht überaus schmerzhaft sein und vielfache moralische Probleme aufwerfen wird; trotzdem wird das Resultat, morphologisch gesprochen, weitgehend identisch sein.
Europas Chance
Mehr denn je dürfen wir uns daher auch keine falschen Hoffnungen über unsere Zukunft machen: Die Machtkonzentration ist nicht nur in den USA schon so groß, daß eine Rückkehr zur guten alten partizipativen und parlamentarischen Demokratie – falls es sie je wirklich jenseits oligarchischer Einflußnahmen gegeben hat – strukturell unmöglich ist, ebenso wie eine Wiederherstellung der Mittelklasse als tragender Säule unserer Gesellschaft. Ob wir wollen oder nicht, früher oder später werden Medien, Kultur, Politik, Wirtschaft und Finanzen ein einziges großes System bilden, das der Machterweiterung eines Einzelnen oder zumindest einer kleinen Elite dient. Pessimismus? Ich würde es Realismus nennen.
Doch ich bin überzeugt, daß Europa theoretisch immer noch eine – wenngleich geringe – Chance hat, zumindest seine außenpolitische Würde wiederzugewinnen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn es die kleinlichen Streitigkeiten zwischen weitgehend machtlosen Nationalstaaten überwindet und sich zusammenschließt, um seine Position in der Welt zu verteidigen.
Sicherlich wird es der Europäischen Union in ihrer jetzigen Form nicht gelingen, dieses Kunststück zu vollbringen, denn statt uns nach außen zu verteidigen und zu vertreten, schikaniert sie lieber nach Innen hin ihre Bürger; und anstatt sich stolz mit der kulturellen und geistigen Größe unserer Zivilisation zu solidarisieren, verfolgt sie die leere Chimäre des Globalismus, Multikulturalismus und Universalismus.
Ich fürchte, daß ein echtes Erwachen der europäischen Linken angesichts dieser Herausforderungen niemals oder zumindest viel zu spät eintreten wird. Paradoxerweise scheinen daher die europäischen Konservativen besser positioniert zu sein, um eine Haltung zu entwickeln, die ich in meinem neuen Buch „Défendre l’Europe civilisationnelle“ als „Hesperialismus“ bezeichnet habe – ein echter abendländischer Patriotismus, der den nationalen Patriotismus nicht ersetzt, sondern um seine zivilisatorische Dimension ergänzt.
Entscheidend ist jedenfalls, daß wir uns nicht spalten und gegeneinander ausspielen lassen; weder durch die amerikanischen Verlockungen noch durch die russischen Sirenen oder die chinesischen Versprechen. Wie Carlo Alberto einst über das Risorgimento Italiens sagte: „L’Italia farà da sé“ – Italien muß sich selbst vereinen. Dasselbe sollten wir für Europa tun – bevor es zu spät ist.
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