Da steht er, von seiner selbst empfundenen Bedeutung so sehr ergriffen, dass ein Fotograf den Moment natürlich völlig zufällig mit seiner Kamera für das soziale Medium X eingefangen hat. Die Rede ist von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der sich genötigt fühlte, zur Abschiedszeremonie von Papst Franziskus nach Rom reisen zu müssen. Alaav Hashalom, Ruhe in Frieden für den Argentinier mit dem italienischen Nachnamen.
Vieles kann man ihm vorwerfen, jedoch nicht den fehlenden freien Willen, sehr zum Leidwesen des einen oder anderen Katholiken. Gefürchtet waren Franziskus’ Reden immer dann, wenn er vom offiziellen, mit Mitarbeitern abgesprochenen Teil spontan abwich, was häufig vorkam. Diese Spontaneität machte ihn menschlich, auch wenn sie nicht jedem passte. Doch genau diese Unberechenbarkeit fehlt in der Politik, wo alles bis zur letzten Silbe durchgeplant ist.
Söders Wirken ist hingegen wie die Qualitätssendung „Berlin Tag und Nacht“: bis ins Kleinste durchgeskriptet. Kein Bild, kein Wort, keine Geste und auch keine Mimik des Franken wird dem Zufall überlassen, was eigentlich keinen Sinn ergibt, denn ist das Leben nicht voll unerwarteter Wendungen, spontaner Ereignisse, die einen Funktionär zum Menschen machen? Eigentlich. Für den Mann aus dem Nürnberger Mögeldorf scheint Authentizität keine Option zu sein. Lieber inszeniert sich der Ministerpräsident mit einer Art gespielter Echtheit, die auf den ersten Blick noch verfangen mag. Auf den zweiten Blick jedoch fühlt sie sich wie eine feuchte, lauwarme Hand an, die im Kino ungefragt Ihren nackten Oberschenkel berührt. Kurz gesagt, es ist ziemlich unangenehm.
Mit dem Hashtag #Söderisst entblödet sich Selbiger auf X endgültig zum randlosen Clown einer boomeresken Konservativen, die sich nichts Sehnlicheres wünscht, als ihren Ministerpräsidenten einen Döner essen zu sehen.
Auch Söders Verhalten und der unerklärliche Zuspruch zu dieser infantilen Bilderschau sind ein Zeichen der deutschen Spätdekadenz. Der Krieg in der Ukraine geht weiter? Egal, #Söderisst drei im Weggla in der Königsstraße. Der Papst ist tot? Unwichtig, denn Markus Söder ist im Profil gut abgelichtet und bereit, seine unfassbare Bedeutung auch den Italienern zu schenken, als hätten diese nichts Besseres zu tun. Diese Selbstinszenierung ist nicht nur pietätlos, sondern auch ein Schlag ins Gesicht all jener, die in solchen Momenten echte Anteilnahme erwarten.
Politiker, die ihre Mittagspause inszenieren
Das Interessante an den selbstinszenierten Selbstgerechten ist, dass sie gar nicht merken, wie unglaublich peinlich sie sich geben. Sie selbst schenken sich Bedeutung und nicht dem eigentlichen Thema, was jedoch fast immer dazu führt, dass sie statt Bedeutung Unbehagen und Fremdscham erzeugen. Wer möchte bei der Trauerfeier um Papst Franziskus ein Bild vom Profil des bayerischen Ministerpräsidenten sehen? Niemand. Und doch steht er da, im Blitzlichtgewitter, als wäre er der Hauptakt dieser Tragödie. Es ist ein Verhalten, das nicht nur den Anlass entwertet, sondern auch das Amt, das er vertritt.
Manchmal jedoch geht die selbstgewählte Selbstinszenierung gehörig in die Hose. Der damalige Bundespräsident Christian Wulff war gut darin, BILD und Konsorten für schöne Bilder mit der schönen Frau zu verwenden. Doch als sich das sprichwörtliche sowie tatsächliche Blatt wendete, die gleichen Medien von Freunden zu Gegnern wurden, musste Wulff gehen. Wer mit Springer den Fahrstuhl nach oben nimmt, nimmt mit Springer, wenn es dann nicht mehr so läuft, den Fahrstuhl wieder nach unten. So erging es Christian Wulff.
Dabei liegt die Schlüssel-Lösung dieser Problematik gleich zu Beginn bereit: Einfach sein lassen. Wozu braucht eine Außenministerin eine eigene Visagistin? Weshalb ein Wirtschaftsminister einen eigenen Fotografen? Wozu muss ich wissen, was Söder gerade gegessen hat? Vor Jahren durfte ich bei einem Weinfest Zeuge sein, wie der ehemalige CSU-Politiker Michael Glos ein Steakbrötchen gegessen hat. Ich sag’s Ihnen, das hätte ich nicht gebraucht. Solche Momente sind weder inspirierend noch relevant – sie sind banal und lenken von den eigentlichen Aufgaben ab. Politiker sollten nicht ihre Mittagspause inszenieren, sondern Politik machen.
Die endliche Geduld der Bürger
Doch es geht noch weiter. Diese Art der Selbstinszenierung ist kein Einzelfall, sondern ein Symptom einer größeren Krankheit. Politiker wie Söder haben verlernt, was es heißt, Verantwortung zu tragen. Sie sehen ihre Ämter nicht als Dienst an der Gemeinschaft, sondern als Bühne für ihren persönlichen Ruhm. Während die Welt mit Krisen kämpft, beschäftigen sich unsere Volksvertreter mit Hashtags und Fototerminen. Es ist, als würden sie in einer Parallelwelt leben, in der die Probleme der Menschen nur Kulisse sind für ihre nächste große Show.
Am Ende bleibt die Frage: Wie lange wird die Öffentlichkeit dieses Schauspiel noch mitmachen? Die Geduld der Bürger ist nicht unendlich. Wenn Politiker weiterhin ihre Ämter als Bühne missbrauchen, wird das Vertrauen in die Demokratie weiter erodieren. Und das ist ein Preis, den wir uns nicht leisten können. Markus Söder und seine Mitstreiter täten gut daran, sich daran zu erinnern, dass sie Diener des Volkes sind – und keine Influencer.