Anfang Dezember veröffentlichte ein US-Beratungsunternehmen eine Analyse, nach der noch neun deutsche Kernkraftwerke in den Leistungsbetrieb zurückgeholt werden könnten. Allein auf den politischen Willen komme es an, aber weder spielten technische, rechtliche oder finanzielle Aspekte eine besondere Rolle.
Die Analyse hat das Potenzial, die Debatte um die Kernkraft in Deutschland neu zu beleben. Sowohl Union als auch FDP laufen sich darin warm, der Option Kernenergie mehr Raum einzuräumen, sind sich darin aber noch nicht sicher genug. Vielleicht sollten deren Spitzenpolitiker diesen Artikel lesen, denn nichts ist so dringend wie ein grundlegendes Überdenken der Energiepolitik.
Doch zunächst zur Analyse aus den USA: Die Autoren der auf Kerntechnik spezialisierten Unternehmensberatung Radiant Energy hatten Ökonomen und auf Atomrecht spezialisierte Juristen, aber vor allem Ingenieure und Techniker in den Kernkraftwerken befragt, um zusammenzutragen, welches Kernkraftwerk noch welche brauchbaren Komponenten enthält, abgeschätzt, ob eine Reparatur noch möglich ist, und den Aufwand an Zeit, Geld und Genehmigungen erfragt.
Das Ergebnis: Abhängig von dem politischen Willen könnten die Kernkraftwerke Brokdorf, Emsland und Grohnde bereits innerhalb von 12 bzw. 36 bis 48 Monaten nach einem politischen Beschluss wieder Strom erzeugen. Dies würde die Energiewende und die Versorgungssicherheit kurzfristig stärken. Anlagen in Gundremmingen B und C, Isar 2, Krümmel, Neckarwestheim 2 und Philippsburg 2 könnten innerhalb von sechs bis acht Jahren wieder ertüchtigt werden. Bei fünf weiteren Kernkraftwerken käme die Instandsetzung einem Neubauprojekt gleich, wo nur wenige Infrastrukturelemente wie Netzanschlüsse vom alten Kraftwerksstandort übernommen werden könnten.
Zurück auf den ökonomischen Pfad
Die Autoren schätzten die Kosten für die Wiederinbetriebnahme von Brokdorf und Emsland auf jeweils unter einer Milliarde Euro ein; bei den übrigen Kernkraftwerken könnten Kosten von je drei Milliarden Euro anfallen (Neubau: ab sieben Milliarden).
Die Autoren gehen davon aus, dass die laufenden Betriebskosten nach den einmaligen Investitionen für den Neustart zwischen 22 und 30 Euro je Megawattstunde (MWh) liegen würden. Schon bei einem konservativ gedachten Abnahmepreis von 60 Euro pro MWh wäre der Neustart der genannten neun Kernkraftwerksblöcke wirtschaftlich sinnvoll. Bei einem Abnahmepreis von 100 Euro pro MWh, wie Microsoft für Strom aus dem US-Kraftwerk Three Mile Island ihn zahlen wird, könnten die deutschen Reaktoren zusammen rund zehn Mrd. Euro an jährlichen Einnahmen generieren.
Der volkswirtschaftliche Nutzen wäre aber weitaus größer als die Steuerzahlungen der Betreiber. Der Börsenpreis für Strom könnte mit der zusätzlichen Leistung aus den Kernkraftwerken um mehr als ein Drittel absinken – für alle Kunden, weil in mehr und mehr Stunden des Jahres die teuersten Gaskraftwerke aus dem Netz gedrängt würden, wie eine Analyse aus dem Jahr 2022 nahelegt.
Diese Entlastung für die deutsche Wirtschaft ist dringend nötig. Exorbitant hohe Energiekosten haben neben anderen Faktoren die deutschen Unternehmen auf eine schiefe Ebene geführt, auf der sie schneller und schneller abrutschen. Viele Unternehmer denken darüber nach, ihre Produktion einzustellen oder ins Ausland zu verlagern. Massenentlassungen häufen sich, die OECD attestiert uns, Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum zu bleiben, wie die selbst die Tagesschau zugeben musste.
Die Frage ist also, ob und wie die deutsche Wirtschaft noch zu retten ist. Allerdings bleiben große Sorgen, ob das politische Berlin bis zur Bundestagswahl die Größe der Herausforderung begreift, die Energiepolitik so weit umzugestalten, dass die deutsche Wirtschaft wieder überlebensfähig wird.
Dies haben in den letzten Wochen, dies sei am Rande bemerkt, mehrere Expertengruppen zum Anlass genommen, die Politik auf den rechten Pfad zurückzubringen. Mit einem Offenen Brief hat sich ein Netzwerk von Energieexperten an die Spitzen der Union gewandt. Zusätzlich hat diese Woche ein anderer, stärker ingenieurswissenschaftlich orientierter Expertenkreis aus der Initiative Zukunft Wirtschaft heraus einen Forderungskatalog an Jens Spahn übergeben. Zuletzt hat der schwedische Kernkraftexperte Staffan Revemann einen Gastbeitrag im Handelsblatt mit einem Appell zum Wiedereinstieg in die Kernkraft veröffentlichen können.
Abgleich mit der Realität
Jeder neue Lösungsansatz beginnt mit einem Blick auf die Ursachen: Mit der deutschen Energiewende wurde eine Politik der systematischen Verteuerung von Energie eingeleitet. Stromsteuer, „Ökosteuern“ aufs Benzin, CO2-Umlagen, EEG-Abgaben, zusätzlicher Netzausbau für die wetterabhängigen Energiequellen Sonne und Wind, stets waren die Politiker darin erfinderisch, Energieverbrauch zu verteuern. Insgesamt summieren sich solche von der Politik gewollten Kosten auf deutlich über 100 Milliarden Euro pro Jahr.
Dahinter steckt ein Prinzip: Der ökonomischen Legende nach würden hohe Energiekosten die Umstellung der Wirtschaft von fossilen, CO2-behafteten Energiequellen, auf emissionsärmere Energiequellen „irgendwie“ beflügeln. Dass dies eine bislang unbelegte Hypothese ist, zeigt sich daran, dass der Energiemix seit vielen Jahrzehnten recht konstant vier Fünftel fossile Energieträger enthält. Trotz oder gerade wegen der deutschen Energiewende. Lediglich wurde Atomstrom durch Strom aus wetterabhängigen Quellen ersetzt.
Jedoch lässt sich zeigen, dass ein Stromnetz mit Wetterabhängigkeit insgesamt umso teurer wird, je höher deren Marktanteil liegt. Grund sind die wachsenden sogenannten Integrationskosten. Jedes neue Windrad steigert also die Kosten für die Verbraucher insgesamt, selbst wenn der Windstrom geschenkt wäre.
Die Politik muss also ihre Energiestrategie grundsätzlich überdenken, auf Null zurückkehren und den Mut aufbringen, alles zu hinterfragen, was die deutsche Energiewendepolitik derzeit auszeichnet. Konkret müssen drei Dogmen angegangen werden.
Abkehr von den Dogmen
Erstens ist das Dogma der politisch gewollten Verteuerung der Energie zu überwinden. Wir benötigen ein radikales Design-to-Cost für Energie in Deutschland. Alle Methoden, Energie zu verbilligen, müssen genutzt werden. Staatliche Umlagen müssen gestrichen werden. Beim Ausbau von Solar- und Windenergie sollte die Maximierung derselben der Frage weichen, wie viel Sonne und Wind der deutsche Strommarkt verträgt. Das ist eine ökonomische Optimierungsaufgabe, die sich noch niemand gestellt hat.
Zweitens scheint als Dogma zu gelten, dass man Altes wie die Kohle- und Kernkraftwerke zerstören darf, bevor Neues, Funktionierendes – mithin eine Energieversorgung aus wetterabhängigen Quellen, flankiert durch Erdgaskraftwerke aufgebaut wird. Die Strategie der verbrannten Erde, die mit der Energiewendepolitik voranschreitet, muss beendet werden und die deutschen Kernkraftwerke wieder in den Leistungsbetrieb geholt werden.
Das dritte Dogma, dem die Politik folgt, ist subtiler. Das Pariser Klimaabkommen verpflichtet uns, die CO2-Emissionen bis zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts ins Gleichgewicht mit den natürlichen Senken zu bringen. Extremistische Politiker aus allen Parteien haben aus dieser „Netto-Null“ an CO2-Emissionen eine geradezu suizidale „Absolut-Null“ gemacht, und diese schon für 2045 zur Zielmarke erklärt. Da aber die natürlichen Senken bei höheren CO2-Konzentrationen effektiver werden, bildet sich selbst dann ein neues Gleichgewicht bei ca. 0,0475 Prozent CO2-Anteil heraus, das nach allen Analysen des IPCC weit ab von Katastrophenszenarien liegt.
Das bedeutet, dass das Pariser Klimaabkommen auch dann im Sinne der IPCC-Analysen eingehalten wird, wenn wir dafür sorgen, dass die CO2-Emissionen weltweit konstant bleiben. Dies zeichnet sich sogar schon ab. Niemandem ist also geholfen, wenn sich die deutsche Volkswirtschaft stranguliert, außer dass wir als abschreckendes Beispiel dienen können.
Wenn deutschen Unternehmern eine Bleibeperspektive geboten werden soll, dann müssen die Vertreter der bürgerlichen Parteien die Energiepolitik komplett neu aufsetzen. Tun sie es nicht, wird sich der Niedergang der deutschen Wirtschaft beschleunigen, bis 2029 droht dann eine Situation wie 1930.
Doch weil wir von Hölderlin wissen, dass überall dort, wo Gefahr wächst, das Rettende nah ist, wollen wir hoffen, dass unsere Politiker ein Einsehen haben. Retten wir die deutschen Kernkraftwerke!