Galileo Galilei

Wenn von Äußerungen des „Widerstands“ in der europäischen Geschichte gesprochen wird, taucht unweigerlich früher oder später der Name Galileo Galilei auf, mitsamt vagen Reminiszenzen an eine „Verfolgung“, die er seitens der Kirche erlitten haben soll, weil er in „revolutionärer“ Weise die „Wahrheit“ verteidigt habe, die Erde drehe sich um die Sonne, anstatt die gegensätzliche Bewegung anzunehmen. Und natürlich taucht früher oder später der berühmte angebliche letzte Satz Galileis auf: „Und sie bewegt sich doch“ – archetypisches Beispiel für den Heroismus einer Wissenschaft, für die unbedingte Wahrheitssuche das einzige Ideal ist – beginnend mit dem Heliozentrismus und irgendwann einmal bei der Covid-Pandemie, der Impfkampagne und dem Klimawandel (ver)endend.

Nun ist an dieser Legende um Galilei so ziemlich alles falsch, wie übrigens seit vielen Jahrhunderten allgemein bekannt ist; und es ist in sich bereits durchaus relevant, den verschiedenen Etappen dieser Legendenbildung nachzugehen, um nicht nur zu einem unverfälschten Bild unseres heutigen „Widerständlers“ zu gelangen, sondern eben auch der Gründe und vor allem Funktionen seiner Idealisierung, die gerade heute ihre ganze Wirkmächtigkeit zeigt – Stichwort: „trust the science!“ 

Zwischen Wissenschaft und Selbstdarstellung

Es würde zu weit führen, hier die ganze komplexe Lebensgeschichte Galileis nachzuvollziehen; nur so viel soll gesagt werden, daß Galilei zwar zweifellos Gewaltiges für die Entwicklung verschiedenster mathematischer, physikalischer und astronomischer Theorien geleistet hat, und auch, was die genauere Ausdefinierung der wissenschaftlichen Methode betrifft, bahnbrechende Prinzipien aufgestellt hat. Er war aber auch in vielem ein Mensch seiner Zeit und muß als solcher betrachtet werden.

Da wäre zum einen die Fehlerhaftigkeit vieler seiner Theorien, allen voran seine Weigerung der Annahme der etwa von Kepler aufgestellten Theorie der Ellipsenform der Planetenumlaufbahnen, seine eigene irrige Theorie zur Umlaufbahn der Venus, seine Behauptung, die Gezeiten entstünden aus der Dynamik der Erdrotation, usw. 

Zum anderen war ein Gutteil der angeblich „kirchlichen“ Kritik an Galilei nicht etwa einem dichotomischen Gegensatz zwischen „aufgeklärter Wissenschaftlichkeit“ und „katholischem Obskurantismus“ geschuldet, sondern der Tatsache, daß Galilei durch das Verschweigen von Konkurrenzmodellen (allen voran Tycho Brahe), durch unfaire Strohmann-Argumente und durch einen exzessiven Hang zu Polemik und Rechthaberei sich selbst dort, wo er recht hatte, viele Feinde gemacht hatte, sowohl bei den Kollegen als auch in der Kirche – was meist auf dasselbe hinauslief. 

Denn gerade dies ist ein weiterer Punkt, den es zu berücksichtigen gibt: Die wissenschaftliche Forschung des frühen 17. Jhs. war weiterhin zu einem guten Teil in den Händen der Kirche selbst, deren Elite alles andere als wissenschaftsfeindlich war, sondern größtenteils aus Intellektuellen bestand, die an der Spitze der damaligen Forschung standen; die letzten Ausläufer der Renaissancekirche, als Kunst, Wissenschaft und Theologie in den Händen des humanistischen „gentiluomo“ lagen und einander eben (noch) nicht völlig zu widersprechen schienen. 

Für die meisten Kirchenmänner und Forscher dieser Zeit waren es daher auch nicht Galileis (oft irrige) Theorien, die im Zentrum der Debatte standen, sondern die Art und Weise, in der diese als unbedingte Wahrheit vorgetragen wurden, anstatt sie als bloße Hypothesen zu kennzeichnen oder andere Forschungsmeinungen adäquat zu Worte kommen zu lassen. Denn Galileis Argumente zur Stützung des kopernikanischen Weltbilds waren, wissenschaftstheoretisch betrachtet, keinesfalls zwingend, allem voran in Bezug auf das Problem der Parallaxe (also des paradoxen, da mit damaligen Meßgeräten gleichbleibend scheinenden Abstands zweier Sterne trotz postulierter Erdbewegung um die Sonne): Streng genommen wurde das heliozentrische Weltbild erst 1728 durch James Bradleys Entdeckung der „Aberration“ auch empirisch gestützt und erst 1838 abschließend nachgewiesen – bis dahin hätte es rein theoretisch auch anders sein können.

Um was ging es beim Prozeß?

So war der eigentliche Anlaß für den Galilei-Prozeß wahrscheinlich nicht etwa seine Unterstützung des kopernikanischen Modells, das ohnehin keineswegs eine Revolution darstellte, da die Grundlagen eines heliozentrischen Weltbilds bereits bei Aristarchos von Samos im 3. Jh. v. Chr. gelegt worden und im 16. und 17. Jh. bereits weite Verbreitung gefunden hatten, sondern vielmehr Galileis provokative Aussage, auch philosophische Aussagen könnten alleine „in der Sprache der Mathematik“ getroffen werden; eine Aussage, die sich pikanterweise in der Schrift „Saggiatore“ befand, welche 1623 seinem bisherigen Gönner und neuem Papst Urban VIII. gewidmet worden war (und dabei fälschlicherweise nachzuweisen versuchte, daß Kometen bloße optische Erscheinungen seien, da Galilei ansonsten die Existenz elliptischer Umlaufbahnen hätte annehmen müssen): „Die Philosophie steht in diesem großen Buch geschrieben, dem Universum, das unserem Blick ständig offen liegt. Aber das Buch ist nicht zu verstehen, wenn man nicht zuvor die Sprache erlernt und sich mit den Buchstaben vertraut gemacht hat, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und deren Buchstaben sind Kreise, Dreiecke und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Wort davon zu verstehen; ohne diese irrt man in einem dunklen Labyrinth herum.

Urban VIII. war selbst zwar ein hochinteressierter Wissenschaftler, behielt sich aber vor, neben den mathematisch formulierbaren Naturgesetzen jederzeit Gott die Möglichkeit zum unmittelbaren Eingriff in die Weltdinge zuzugestehen und nötigenfalls sogar Phänomene zu produzieren, die rein mathematisch nicht verständlich seien; zudem widersprach der unterschwellige Atomismus der Aussage Galileis den Grundlagen der Eucharistietheorie und vielen anderen Grunddogmen nicht nur des Christentums, sondern eines jeden transzendent verankerten Denkens. Erste diesbezügliche anonyme Anzeigen gegen Galilei ließ die Kirche zwar gnädig versanden; es steht aber zu vermuten, daß der Hauptprozeß 1633 letztlich um eben jene, eher ontologischen als astronomischen Fragen kreiste und nur auf Fürsprache der päpstlichen Kommission auf das eher sekundäre Problem des kopernikanischen Weltbilds umgeleitet worden war, aus dem keine rechtlich ähnlich drastischen Strafen abgeleitet werden konnten wie aus dem Vorwurf des Atomismus, also Materialismus.

Anlaß für den Prozeß war Galileis 1632 erschienener polemischer „Dialogo di Galileo Galilei sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tolemaico e Copernicano”, in der Galilei nicht nur wieder einmal das Weltbild Tycho Brahes überging, obwohl dieses (nach damaligem Wissensstand) viele Probleme ebenso, wenn nicht sogar besser löste als das kopernikanische, sondern auch die abschließende Verteidigung des kirchlichen Weltbilds einem Dialogpartner mit dem bezeichnenden Namen „Simplicio“ in den Mund legte. Urban VIII. hatte Galilei zwar trotz allem persönlich grünes Licht für die Veröffentlichung gebeten, ihm aber empfohlen, das kopernikanische Weltbild eben nicht als „Wahrheit“, sondern als „Theorie“ zu kennzeichnen, und auch seinen eigenen Einwand bezüglich der göttlichen Allmächtigkeit nicht zu vergessen; beides ignorierte Galilei aber arrogant und schickte das Buch triumphierend sogar seinen persönlichen Feinden bei der Inquisition.

Ein Widerständler?

Der Prozeß verlief dank päpstlicher Protektion kurz und schmerzlos: Galilei distanzierte sich sofort von allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen, indem er beschwor, „stets geglaubt zu haben, gegenwärtig zu glauben und in Zukunft mit Gottes Hilfe glauben zu wollen alles das, was die katholische und apostolische Kirche für wahr hält, predigt und lehrt“, und wurde gnädig mit einem großzügig interpretierten Hausarrest zunächst in den Residenzen seiner Förderer, dann sogar in der eigenen Villa belegt, währenddessen er weiterhin korrespondieren, forschen und empfangen durfte; nur das Lehren wurde ihm verboten, während das Publizieren, obwohl nicht explizit untersagt, sich aus diplomatischen Gründen als schwierig herausstellte. 

Das berühmte „Eppur si muove“ („Und sie bewegt sich doch“) des schon 1633 schwer kranken, 1642 verstorbenen Wissenschaftlers ist wohl apokryph, aber bereits seit 1643 belegt und diente offensichtlich den üblichen antikirchlichen Bestrebungen nicht nur protestantischer, sondern eben auch „aufgeklärter“ Kreise, wie ohnehin die gesamte Gestalt Galileis in unzähligen populären Anekdoten, Verweisen und Publikationen zum Sinnbild des Kampfs der „Wissenschaft“ gegen die „Religion“ gemacht worden ist – am bekanntesten wohl bei Brecht, der Galilei den absurden Ausspruch in den Mund legt: „Die Winkelsumme im Dreieck kann nicht nach den Bedürfnissen der Kurie abgeändert werden.“

Was ist also von Galilei als „Widerständler“ zu halten? Es wäre ungerecht, die manchmal ebenso willkürlichen wie von Favoritismus geleiteten Beschränkungen der Meinungsfreiheit zu leugnen, die in jenen Zeiten vorkamen, die noch unter der weitgehenden kirchlichen Oberhoheit über das abendländische Geistesleben standen; und es wäre ebenso ungerecht, den Mut Galileis in Abrede zu stellen, die von ihm manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht für „wahr“ erachteten Theorien immer wieder heftig zu verteidigen, anstatt den Weg des leichteren Widerstands zu gehen und sich der orthodoxen Lehrmeinung unterzuordnen. Diese Bewunderung für seinen Mut muß auch gelten, obwohl in Galileis Diskurs- wie Publikationsstrategie Idealismus, Narzißmus und bewußtes Verschweigen eine komplexe Beziehung miteinander eingingen und kaum getrennt werden können, denn völlig „reine“ Motive sind in dieser Welt wohl leider kaum zu finden. 

Zwei „Aber”

Doch gerade diese Einsicht leitet zu einem doppelten „Aber“ weiter, dessen Tragweite wohl nur wir Heutigen richtig verstehen können, da in den letzten Jahren, ja eigentlich Jahrzehnten viel von dem in sich zusammengebrochen ist, was als Grundvertrauen in die „Wissenschaft“ lange Zeit Kennzeichen unserer abendländischen Zivilisation war.

Da erste „Aber“ richtet sich gegen Galileis Unwillen oder Unvermögen, seine eigenen Theorien als das zu kennzeichnen, was sie waren (und immer noch sind): bloße Theorien. Sein stures Beharren auf der „Wahrheit“ der eigenen Einsichten und sein Unwillen, in seinen Publikationen den Empfehlungen der Kirche zu folgen, seine Hypothesen als Gedankenexperimente vorzutragen, nicht aber als absolute Gewißheiten, zeigt bereits die hochproblematische Seite einer Wissenschaft, die eben jenen Absolutheitsanspruch für sich erhebt, den sie einer angeblich „dogmatischen“ oder „obskurantistischen“ Kirche vorwirft. 

Denn wissenschaftstheoretisch irrte Galilei, indem er bis zum Ende seines Lebens an einer rein zirkulären Umlaufbahn der Planeten festhielt und das elliptische Modell bekämpfte; sein „Heroismus“ war also, historisch betrachtet, ebenso irrig oder doch eben nur graduell „fortschrittlicher“ als die damals weitgehend auf Tycho Brahe gestützte Position der Kirche – und selbst heute täten wir gut daran, diese Relativität naturwissenschaftlicher Theorien nicht zu vergessen, wie sie durch die Quantenphysik aufs schönste demonstriert worden sind, die in vielfacher Weise Axiome angeblich „vormoderner“ Weltsicht rehabilitiert hat. 

Daß die Selbstüberhebung der Wissenschaft letzten Endes ebenso problematisch sein kann, ja sein muß, wie diejenige religiöser Autoritäten, wenn sie aus Texten mit wesentlich transzendenter, philosophischer und moralischer Zielsetzung naturwissenschaftliche Detailaussagen destilliert, haben wir in den letzten Jahren zuhauf gesehen, als es darum ging, Aussagen zur Covid-Pandemie, zur mRNA-Impfung, zur Gender-Theorie oder zur anstehenden Klimaapokalpyse als unumstößliche wissenschaftliche Wahrheit zu präsentieren – ganz zu schweigen von der angeblichen „wissenschaftlichen“ Wahrheit der Rassentheorie im Westen oder des Marxismus im Osten vor gar nicht so langer Zeit.

Dies leitet aber schon zum zweiten „Aber“ weiter, nämlich dem Unvermögen, aus einem rein mechanistischen oder gar atomistischen Weltbild, wie Galilei es wohl letzten Endes vertrat, letztbegründete Konsequenzen zu ziehen. Die Hybris Galileis, auch philosophische Aussagen aus einem mathematischen Weltbild abzuleiten, kann langfristig nur zu deskriptiven, nicht aber bindend normativen Aussagen führen, denn auf die menschliche Sphäre angewandt, muß Moral oder Ontologie dann zu Zoologie, Darwinismus und Behaviourismus degenerieren. 

Wer die Absolutheit der Transzendenz negiert und somit auch unseren eigenen Anteil an einem jenseitigen, ewigen und unendlichen Prinzip, kann zwar durchaus ein anständiger Mensch sein; sein empirisch auf das „Allgemeinwohl“ oder den „Eigennutz“ und nicht das Prinzip der Gotteserkenntnis im Nächsten gegründetes Pflichtgefühl ist aber letzten Endes optional, nicht absolut. Nichts anderes als die Einsicht, daß Gott letzten Endes eben auch über seine eigenen Naturgesetze erhaben ist, da er sich in seiner Absolutheit an nichts binden läßt und lassen kann, wollte Urban VIII. respektiert sehen, und aus dieser Perspektive war die (überaus schonende) Bestrafung Galileis nicht nur theologisch und philosophisch, sondern auch pragmatisch gerechtfertigt: Die Kirche wußte genau, welchem Denken und welchen ultimativen Konsequenzen Menschen wie Galilei das Tor öffneten – Konsequenzen, deren Ausgang wir heute tagtäglich in unserem orientierungslosen, zynischen, relativistischen, nihilistischen und niedergehenden Abendland beobachten können …

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