„Wollen Sie etwa amerikanische Verhältnisse?” – So lautet der häufigste Reflex auf das Stichwort Waffen. Waffen sind nicht nur Jagdutensil, Schießgerät, Mordwerkzeug oder Sammlerstück, sondern auch ein hochemotionales Thema, das meisten jenseits von Sachargumenten diskutiert wird. Vielleicht haben Sie ja eine gefestigte Meinung, Sie wissen alles zum Thema (böse) Waffen und sind an keinen neuen Fakten interessiert, die vielleicht Ihr bisheriges Weltbild ändern? Alles gut. Glückwunsch, geschafft. Das ging dann schnell für Sie.
Falls Sie aber noch da sind und mehr über dieses für viele so heikle Thema erfahren wollen … freut mich! Hier werden Sie geholfen:
„Amerikanische“ Verhältnisse
Leider hat kaum ein Journalist von Waffen Ahnung, man schreibt trotzdem darüber. Haben Sie schon selbst mit Waffen geschossen oder besitzen eine? Es gibt ein breites Spektrum von Waffenbegeisterten, abfällig „Narren” genannt, bis hin zu Waffengegnern, die sogar Spielzeugpistolen für Kinder ablehnen. Jeder nach seinem Gusto und individueller Prägung.
Es ist merkwürdig: Warum ist für uns eigentlich ein Küchenmesser ein normaler Alltagsgegenstand, alle haben mehrere zu Hause, obwohl es bei uns die häufigste Mordwaffe ist? Also, ich sehe Messer als Gebrauchsgegenstände und Teil meines Haushalts an. Als Kind lernte ich den Umgang damit bei unserer jährlichen Hausschlachtung. Inklusive blutigem Finger, die Narbe habe ich heute noch.
Dass jemand als Kind oder Jugendlicher auf Schusswaffen geprägt wurde, ist selten geworden bei uns. In der Schweiz gibt es ab 14 Jungschützenkurse. Mit dem Sturmgewehr der Armee. Überleben die das?
In den USA dagegen werden Generationen von Kindern, Millionen, auf Schusswaffen als Teil des Haushaltes geprägt, mit denen man ähnlich vorsichtig umzugehen hat wie mit Messern oder einem Feuerzeug.
Leider sterben dort ca. 70 Kinder pro Jahr durch Waffenunfälle, fast immer sind es Waffen, die sich geladen und nicht verschlossen im Haushalt befinden. Welches Gesetz bräuchte man, damit so etwas nicht passiert? Ein „Gutes-Kinder-Aufpass-Gesetz“ oder ein „In-Elternköpfe-Verstand-Einbläu-Gesetz“? Aus der Schweiz hört man nichts von solchen Fällen, obwohl es dort keine allgemeine Tresorpflicht gibt.
Ach ja, was sollte man dagegen tun, dass in den USA jährlich ca. 30 Kinder von ihrem Babysitter ermordet werden?
Aber Waffen sind doch Todesursache Nr. 1 bei Kindern (und Jugendlichen) oder etwa nicht? Bei Kindern: nein, da sind es Verkehrsunfälle. Bei Jugendlichen: ja, da Gangs bereits ab 14 rekrutieren und sich gegenseitig bekämpfen. Mit illegalen Waffen.
In der Grafik unten sehen Sie die Todesrate pro 100.000 Einwohner in den USA für die jungen Lebensalter von 1 bis 19 Jahren. Blau die Todesfälle durch Schusswaffen.
2nd Amendment
Also, worüber sprechen wir hier überhaupt? Über die USA (nicht Amerika), denn schon Mexiko mit seinem strengem Waffengesetz (es gibt nur einen einzigen Waffenladen im Land, in einer Kaserne) passt mit hoher Mordrate nicht mehr ins Klischee. In den USA gilt das 2nd Amendment, der zweite Verfassungszusatz von 1791, also 15 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung einer unterdrückten Nation:
“A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed.” (darf nicht angetastet werden)
Wie etliche Gerichte bereits feststellten, gilt das 2nd Amendmend nicht nur für eine Miliz sondern für alle Waffen. Das 1st Amendmend (freedom of speech) gilt übrigens auch für Internet und Rundfunk, die es 1791 ebenfalls nicht gab.
Jeder Bundesstaat hat sein eigenes Waffengesetz und fast alle Countys ebenso. Es gibt ca. 26.000 verschiedene WaffG in „den USA“. Welches davon meint Ihr Gegenüber, der darüber spricht?
Manche versuchen den zweiten Verfassungszusatz bis zur Unkenntlichkeit zu verschärfen wie Kalifornien, New York, Chicago. Erstaunlicherweise erreichen sie meist das Gegenteil. In Chicago gibt es etwa ein Dutzend Mordfälle jedes Wochenende. Keine Schlagzeile bei uns, aber ein „Mass Shooting“ mit fünf Opfern sehr wohl. Ich bin skeptisch geworden ob solcher Berichterstattung.
In Aurora, Colorado, mit strengem WaffG, werden derzeit ganze Straßenzüge samt der Einwohner von venezolanischen Gangs übernommen und die Polizei tut: nichts. Außer beschwichtigen, dass man alles unter Kontrolle habe. Sollte man sich dort vielleicht wehren können? Dem gegenüber steht das berühmte Beispiel Kennesaw, Georgia, das 1982 seine Bürger verpflichtete, eine Schusswaffe zu besitzen. Bedürftigen wurde sie vom Sozialamt bezahlt. Die Einbruchsrate sank um 90 Prozent. Warum, wenn Waffen doch angeblich nur Schlechtes bringen?
Am Beispiel des Staates Missouri, in dem grob ähnliche Waffengesetze herrschen, sieht man eine enorme Diskrepanz bei der Mordrate zwischen den Countys, also den Landkreisen. Warum, wenn doch die Waffen überall gleich verfügbar sind?
Auch die sogenannte „Obama Studie“ brachte nicht das von der Regierung gewünschte Ergebnis. Sie ist daher wenig bekannt. In der Hälfte der Staaten darf man ohne weitere Genehmigung eine Waffe führen und dort müsste doch deswegen die Katastrophe stattfinden. Nein, im Gegenteil: Carry Laws Studie
Übrigens stehen in den USA fünf Prozent der Countys für ca. 68 Prozent der Morde. Und selbst in diesen sind meist nur wenige Blocks betroffen.
Waffennarren bringen den Tod?
„Weil die Amis so viele Waffen haben, gibt es so viele Schusswaffentote.“ Jein. In Japan gibt es kaum Schusswaffen, so dass es dort kaum Schusswaffentote gibt. Eigentlich logisch. Das hat dem Ex-Ministerpräsidenten Abe leider nicht geholfen, da sein Attentäter 2022 eine selbst gebastelte benutzte.
Südkorea hat aber ein genauso strenges Waffengesetz wie Japan, doch eine höhere Mordrate als die Schweiz, wo ca. 1 Mio. Ex-Armeewaffen in Privatbesitz sind. Seltsam oder?
Die Mordrate in Deutschland ist übrigens doppelt so hoch wie die der Schweiz. Trotz strengem Waffengesetz. Fazit: Es gibt noch nicht einmal eine Korrelation, geschweige denn eine Kausalität.
In Zahlen ausgedrückt für die USA: 46,683 Schusswaffentote sind gewaltig und jeder Tote, egal wodurch, ist einer zu viel. Darin stecken ca. 58 Prozent Selbstmorde (27,032) und 42 Prozent Mordfälle, also 19,651 (inkl. Totschlag).
Legale Waffen gibt es an die 400 Mio., ca. 45 Prozent der Haushalte (ca. 58 Mio.) sind bewaffnet, in der Schweiz ca. 30 Prozent. Warum hat die Schweiz nur einen Bruchteil der Probleme der USA mit etwa einem Dutzend Schusswaffenmorden pro Jahr?
Wenn man nun weiß, dass 75 Prozent der Morde mit illegalen Schusswaffen begangen werden, kommt man bei ca. 5.000 legalen, missbrauchten Waffen von 400 Mio. auf eine Deliktrelevanz von 0,00125 Prozent, also 12 Waffen von 1 Mio. Haben Sie sicher schon mal gelesen oder?
Wie hoch ist die Deliktrelevanz bei 12 Milliarden Schuss/Jahr?
Mich stört, dass niemand hierzulande (oder bei CNN & Co.) von den jährlich 2 Mio. durch Schusswaffen verhinderten Straftaten berichtet, davon etwa 160.000 aus Lebensgefahr. Meistens ohne Schussabgabe nur durch Drohung mit der Waffe. Also werden 100 Straftaten pro Schusswaffenmordopfer verhindert oder 400 Straftaten pro Mordopfer mit einer legalen Waffe. Ist angesichts solcher Zahlen eine Forderung nach strengen Waffengesetzen in den USA überhaupt ethisch gerechtfertigt? Möchte man lieber wehrlose Bürger, für die die Polizei im Augenblick der Not gar nicht vor Ort sein kann? Woher kommt eigentlich der Wunsch, dass ehrliche Bürger sich nicht wehren können sollen, während Kriminelle nach Belieben bewaffnet sind? Vielleicht liegt es ja am Benutzer des Werkzeugs, ob dieses Leid bringt oder vermeidet.
Wenn Orte mit vielen Waffen besonders gefährlich sein sollen, warum sind dann Waffenläden und Schießstände keine Kriminalitätsschwerpunkte? Warum suchen sich die (zu 50 Prozent psychisch gestörten) Täter von Mass Shootings zu 94 Prozent „No Gun Zones“ aus? Suchen die Opfer oder Gegner? Wäre letzteres der Fall, würden die doch einfach das nächste Polizeirevier oder eine Gang-Zone überfallen.
Tun sie aber nicht.
Waffenerwerb in den USA
Apropos psychisch gestörte Täter: Wie kommen die legal an Waffen in den USA? Naja, nicht ganz so einfach. Voraussetzung für den Waffenerwerb ab 18 (keine Jugendlichen) oder Faustfeuerwaffen ab 21 ist ein nationaler Background Check (NICS), der 2023 etwa 30 Mio. mal stattfand. Eine geklaute/geliehene Waffe beim Vater (wie beim Trump-Attentäter), versäumte Meldungen der Behörden über Geisteskrankheiten (Maine), Kauf von Privat, sind genutzte Möglichkeiten, das NICS zu umgehen. Vorbestrafte bekommen keine Waffe und daher sind besonders die Waffen der Gangs immer illegal.
„Aber dann doch wenigstens die „Assault Weapons“ verbieten! Die braucht doch wirklich niemand!“ – Ich hüte mich vor Menschen, die für mich entscheiden wollen, was ich brauche oder nicht, nur weil sie in etwas keinen Bedarf sehen. Braucht man ein Auto mit 23 PS (Trabi)? Hunde und Katzen („klimaschädlich“)? Blumen, Musik, zehn Messer (Mordwerkzeuge!) in der Küchenschublade?
In den USA werden mehr Menschen mit Händen und Füßen ermordet (665) als mit allen Büchsen (inkl. AR15) zusammen (441). Allein von diesem Gewehrtyp, das übrigens so, wie es in den USA im Umlauf ist, kein Sturmgewehr darstellt (klingt aber „böser“), gibt es dort etwa 20 Mio. Stück. Deliktrelevanz?
Könnte schwierig werden, die zu verbieten oder einzusammeln. Das 2nd Amendmend sei da vor!
Ob die Verbrecher ihre illegalen Waffen dann auch abgeben würden, ist ungewiss.
Warum USA und nicht Schweiz oder Tschechien?
Ist in den USA also alles in Butter? Bei weitem nicht. Tote sind Fakt und Irre mit Waffen genauso. Doch die Ursachen sind sehr komplex und selbst Forscher, die das schon seit Jahrzehnten untersuchen, streiten sich. Hier finden Sie zwei gute Quellen, um sich tiefer in die Materie einzulesen: https://crimeresearch.org/ und https://www.gunfacts.info/gun-policy-info/crime-and-guns/
In einem anderen Artikel werde ich der Frage nachgehen, wie es denn in Deutschland aussieht, woher unsere 20 bis 40 Mio. illegalen Schusswaffen kommen und warum unsere Nachbarn (Schweiz, Österreich, Tschechien und Polen) noch alle am Leben sind, obwohl ihr Waffenrecht liberaler ist als in Deutschland.
Das Thema Waffen bleibt ein heißes Eisen. Besonders nach einem verschossenen Magazin auf die Scheibe.
Macht übrigens Spaß.
Schon probiert?
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Naja unser Verteidigungsminister will das Deutschland wehrfähig wird. Was der Mann für Flausen im Kopf hat. Mit Wattebällchen werfen üben?