Kein Stromproblem? Aber ein Strompreisproblem!

Bei der Vorstellung seiner Industriestrategie am 24.10.2023 hatte sich der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck sorgenvoll geäußert: „Wir verlieren die Industrie und damit nicht nur Arbeitgeber und Branchen, sondern maßgeblichen Teil des Wohlstands, mit den entsprechenden politischen, gesellschaftlichen, demokratischen Konsequenzen.”

Der Grund für Habecks Sorge: die Strompreise. In einem zeitgleich von seinem Ministerium herausgegebenen Strategiepapier ließ er dazu ausführen: „Für zahlreiche Betriebe der energieintensiven Industrie sind diese Preise existenzbedrohend, es droht eine Erosion der deutschen Grundstoffindustrie und damit der Wegfall integrierter Wertschöpfungsketten.“ 

Am 9.11. schien es dann aber endlich wieder gute Nachrichten zu geben. Nach einer Sitzung des Bundeskabinetts berichteten die Medien, Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesfinanzminister Christian Lindner und Habeck hätten sich darauf geeinigt, die Stromsteuer in Deutschland zu senken.

Der Bundeskanzler wurde in tagesschau.de zitiert, es handle sich dabei um eine sehr gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland: „Wir senken die Stromsteuer radikal, stabilisieren die Netzentgelte und setzen die Strompreiskompensation fort, damit die Unternehmen mit den aktuellen Strompreisen besser zurechtkommen können.” Unternehmen hätten jetzt auf absehbare Zeit Planungssicherheit.

Haben sich also die Sorgen von Robert Habeck nun in Luft aufgelöst? Keineswegs. Die Industrie, der Wirtschaftsminister und wir alle müssen uns weiterhin Sorgen machen. Grund genug, sich Habecks Positionen, den Kabinettsbeschluss, die wahren Gründe für die Preisentwicklung und die alternativen Möglichkeiten für Preissenkungen einmal genauer anzusehen. 

„Wir haben kein Stromproblem”

Wobei Habeck sich sowieso erst in letzter Zeit Sorgen zu machen begonnen hatte. Erinnern Sie sich noch an seinen unbekümmerten Ausspruch inmitten der größten Energiekrise Deutschlands im Juli 2022? „Wir haben ein Gasproblem-, kein Stromproblem. Und da hilft uns Atomkraft gar nichts.“

Ein Jahr später kam dann erst die überraschende Kehrtwende. In der bereits zitierten Strategiepublikation wurde auf einmal beklagt: „Während die Strompreise für stromintensive Unternehmen beispielsweise der Chemie-, Stahl- und metallverarbeitenden Industrie vor dem Ukrainekrieg wettbewerbsfähig waren, zahlen diese Unternehmen oft inzwischen einen vielfach höheren Strompreis als Wettbewerber etwa in Frankreich, den USA oder China.”

Illustriert wurde das Ganze in der Publikation mit einer in der Tat beunruhigenden Grafik, die den Rückgang der Produktion der energieintensiven gegenüber der nicht energieintensiven Industrie seit Anfang 2021 zeigt:

Wir haben ein Strompreisproblem

Entgegen der zitierten Aussage Habecks von 2022 haben wir also offensichtlich doch ein Stromproblem, genauer gesagt: ein Strompreisproblem. Wenn aber ein Minister eingestehen muss, dass das Ergebnis seiner Politik zum dramatischen Verlust an Wohlstand führt – wäre dann nicht eigentlich ein Rücktritt angebracht gewesen? Doch Robert Habeck lieferte eine andere Begründung: Der Ukrainekrieg sei schuld an den anhaltend höheren Energiepreisen.

Für die Gaspreise mag das zutreffen, für die Stromknappheit jedoch ist allein die Bundesregierung mit ihrer Energiepolitik verantwortlich. Das Strompreisproblem ist durch Verteuerung und Verknappung des Stromangebots auf Grund grüner Politik erzeugt worden. Und dabei gibt es zwei politisch erzeugte Ursachen: zum einen die Stilllegung der letzten Kernkraftwerke und zum anderen die massive Verteuerung der CO2-Zertifikate bei Kohle- und Gaskraftwerken.

Die Stilllegung der letzten sechs Kernkraftwerke durch die Ampelkoalition hat die preiswertesten Stromerzeugungskapazitäten aus dem Verkehr gezogen – den Kernenergiestrom, in dessen Preis von 2,5 Ct/kwh die Kosten der Endlagerung und des Rückbaus sogar schon einbezogen waren! Da Kernkraftwerke immer den preiswertesten Strom erzeugten, müssen nun teurere Gas- und  Steinkohlekraftwerke einspringen. Da das teuerste Kraftwerk den Preis bestimmt, erhöht sich der Strompreis dramatisch (mehr dazu in meinem Buch „Die große Energiekrise“).

Die Stilllegung der Kernkraftwerke hat also nicht nur die CO2-Emissionen in Deutschland um 5–10 Prozent erhöht – während Habecks Heizungsgesetz bis 2030 kumuliert lediglich 1,4 Prozent CO2-Minderung bringt – sondern sie hat auch den Strompreis in Deutschland deutlich nach oben geschoben!

Der CO2-Preis verdoppelt die Strompreise

Ein weitere, durch grüne Politik erzeugte Ursache der Strompreisexplosion ist die Verteuerung der CO2-Preise durch das europäische Zertifikate-Handelssystem. Im Jahr 2021 trat die vierte Handelsperiode für CO2-Zertifikate in Kraft, wonach die Anzahl der Berechtigungszertifikate für CO2-Emissionen um jährlich 2,2 Prozent verknappt wird. 

Das sind Jahr für Jahr 48 Millionen t CO2-Zertifikate weniger, was dazu führte, dass sich 2021 die CO2-Preise massiv erhöhten. In den Vorjahren kostete die Emission einer Tonne CO2 noch 20 Euro, doch 2021 sprang der Preis auf 80–100 Euro, also um das Vier- bis Fünffache.

Diese CO2-Preiserhöhung hat in Deutschland, das etwas mehr als die Hälfte der Stromerzeugung aus Braunkohle, Steinkohle und Gas deckt, besonders starke Auswirkungen. Es führt zu einer Verdoppelung der Strompreise in Deutschland, das bereits die höchsten Strompreise der Welt aufwies und einen hohen Anteil an energieintensiver Industrie hat.  

(Quelle: ariva.de)

Doch diese Tatsache hinderte weder die Bundesregierung noch die EU-Parlamentarier der Ampelparteien (aber auch der CDU!) daran, die Verschärfung des Emissionshandels in Europa durchzuwinken.

Strompreisbrücke ins Nichts

Um die Auswirkungen der Strompreise auf die Industrie abzumildern, war Habeck zwischenzeitlich auf den Gedanken verfallen, der Steuerzahler solle durch eine Strompreissubvention, den sogenannten Industriestrompreis, das Schlimmste verhindern. So wollte er für etwa 2500 energieintensive Unternehmen den Strompreis von heute 10–12 Ct/kwh auf 6 Ct/kwh heruntersubventionieren. 

Diese Unternehmen verbrauchen etwa 120 Terawattstunden Strom, etwa 22 Prozent des deutschen Stromverbrauchs. Um die Kosten ein wenig einzugrenzen, sollten nur 80 Prozent des Verbrauchs bezuschusst werden. Trotzdem wäre man damit auf eine gewaltige Summe von 6 Milliarden Euro pro Jahr gekommen. Um dieses fatale Ergebnis der eigenen Politik ein wenig zu kaschieren, sprach Habeck von der „Strompreisbrücke“, die lediglich bis 2030 zu zahlen sei, nach seiner Rechnung etwa 25–30 Milliarden Euro. 

Denn – so die Vision im Strategiepapier – ab 2030 wären ja ausreichend preiswerte erneuerbare Stromerzeugungen installiert worden: „In Zukunft wird die Industrie durch Erneuerbaren Strom, Wasserstoff und klimaneutrale Kohlenwasserstoffe versorgt werden. Erneuerbare Energien sind nicht nur die richtige Antwort auf die Klimakrise, sie stärken auch nachhaltig Preisstabilität und Versorgungssicherheit für die Industrie.“

Strompreiskompensation und Spitzenausgleich 

Doch Habecks Idee vom Industriestrompreis wurde zwar von seiner eigenen Partei, Teilen der SPD und den Bundesländern, dem BDI und der IG Metall begeistert geteilt, die FDP und nicht zuletzt der Bundeskanzler aber lehnten ihn ab. Und so entschied sich das Bundeskabinett am 9.11. nicht für den Industriestrompreis, sondern dafür, die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Ct/kwh zu senken (derzeit rund 2 Ct/kwh). 

Steuervergünstigungen statt Industriestrompreis: Das ist zunächst einmal eine Ohrfeige für den Wirtschaftsminister, über dessen Strompreisbrücke nun nicht geschritten wird. Aber abgesehen davon muss man die Frage stellen, was die Regierung mit diesem Beschluss wirklich für die vom Strompreis so sehr belastete energieintensive Industrie tut. 

Leider nicht viel, denn denen wurden auch bisher schon auf Antrag Beihilfen zum Ausgleich der auf den Strompreis übergewälzten Kosten der Treibhausgasemissionen gewährt (Strompreiskompensation). Und über den sogenannten Spitzenausgleich wurden auch jetzt schon jährlich rund 9000 Unternehmen des produzierenden Gewerbes um bis zu 90 Prozent von der Energie- und der Stromsteuer entlastet. Diese Regelung sollte zum Jahresende auslaufen und läuft nun weiter. 

Denkfehler in der Energiepolitik

Insofern ist die Situation der energieintensiven Industrie nicht schlechter geworden, aber auch nicht wirklich besser, der Strompreis ist und bleibt für sie immer noch viel zu hoch, um wettbewerbsfähig produzieren zu können. Lediglich die mittelständischen Unternehmen – da hat sich die FDP durchgesetzt – profitieren jetzt auch von steuerlichen Vergünstigungen, die bisher für sie nicht galten. Angesichts der oben zitierten, von Habeck wirkungsvoll inszenierten Äußerungen, welche Sorgen er sich um die großen Energieverbraucher mache, ist das aber schlicht und einfach eine Nullnummer und löst das Stromproblem nicht! 

Zugegeben, den energieintensiven Unternehmen hätte der Industriestrompreis zumindest kurzfristig mehr gebracht als das, was jetzt beschlossen wurde. Aber wenn es keine Perspektive gibt, dass sich der Strompreis mal wieder auf die eigentlich notwendigen 6 Ct/kwh senkt, hätte sich das zur Dauersubvention entwickelt, und das ist keine sinnvolle Politik mehr. 

Hier liegt der eigentliche Denkfehler in der Energiepolitik der Bundesregierung. Sie glaubt, eine Stromversorgung oder gar eine Energieversorgung Deutschlands allein durch Solarstrom und Windenergie wettbewerbsfähig sicherstellen zu können. Kein anderes Land der Welt versucht das. 

In einem Beitrag hier im Sandwirt habe ich vor Kurzem darauf hingewiesen, dass Windenergieanlagen riesige Kostenschübe durch Material- und Kapitalkosten zu gewärtigen haben. Will man dann noch die fluktuierenden Erneuerbaren zu einem bedarfsgerechten, verlässlichen Stromangebot formen, werden 14–16 Ct/kwh erreicht werden. Solche Preise werden dann das Ende energieintensiver industrieller Produktion in Deutschland bedeuten. Und angesichts dieser Perspektive die Stromsteuer um 0,05 €ct/kwh zu senken, ist noch nicht einmal der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.

CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken und Fracking

Was müsste eine Bundesregierung tun, der es wirklich um die Sicherung des Industriestandortes Deutschland geht, anstatt den Industriestrom direkt oder über Steuererleichterungen zu subventionieren? 

In jedem Fall wäre es sinnvoller, in die CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken zu finanzieren, was die Ampel-Koalition bisher – im Gegensatz zu Anwendungen bei ausgewählten Industrien – nicht erlauben will. Die Anwendung bei Kohlekraftwerken aber würde auf Dauer das Stromangebot absichern und die Stromkosten senken, da die Abscheidung von CO2 deutlich preiswerter ist (50–70 €/t CO2) als die Zahlung einer Strafgebühr für Zertifikate in Höhe von 80–100 €/t CO2. 

Damit könnte man sich auch den extrem teuren Weg eines Backups durch Wasserstoffkraftwerke sparen, da deren Regelungsfunktion von den „grünen” Kohlekraftwerken übernommen werden könnte.

Zudem würde die Abschaffung des Fracking-Verbotsgesetzes die Möglichkeit eröffnen, preiswertes und wettbewerbsfähiges Erdgas in Deutschland für die nächsten 20–30 Jahre zu erschließen. Der Förderungsbeginn wäre innerhalb einer Jahresfrist möglich.

Schließlich müsste die Bundesregierung das Forschungsverbot für neue, störfallfreie Kernkrafttechnologien der 4. Generation abschaffen, bei denen keine langlebigen Abfälle entstehen. 

Das hilft uns zwar nicht sofort, wird uns aber langfristig aus der Sackgasse führen. Denn es verdichten sich die Hinweise, dass diese Technologien Strom für 2 Ct/kwh erzeugen können. Wer langfristig industrielle Produktionen in Deutschland aufrechterhalten will, muss die Weichen hierfür rechtzeitig stellen.

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1 Kommentar. Leave new

  • Na dann also weg mit der idiotischerweisen künstlichen Verteuerung über diese beschissenen CO2-Zertifikaten, die NUR eine Geldabschöpfmaschine für die Regierung ist!

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