Powerhouse – ohne Power

„Bis 2045“, verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz im April diesen Jahres, „wollen wir klimaneutral wirtschaften (…) Windenergie auf See birgt dafür ein großes Potenzial. Und mit der Nordsee haben wir ein Energie-Powerhouse quasi vor der Haustür.“

Zu dieser vollmundigen Ankündigung schien die Meldung gut zu passen, die dann drei Monate später vermeldet wurde: Im Juli sicherten sich BP und Total bei der letzten Ausschreibung der Bundesnetzagentur Flächen in Nord- und Ostsee, um 7000 MW Windkraftanlagen auf hoher See bauen zu können. Das wurde als Durchbruch der Wettbewerbsfähigkeit der Offshore-Windindustrie gefeiert. 

„Dass die Multis nun bereit sind, so viel für den grünen Showcase Nordsee zu zahlen“, schrieb die Wirtschaftswoche, „ist positiv. Die Attraktivität des Offshore-Geschäfts in der deutschen See ist damit belegt und aufgewertet. (…) Es ist gut möglich, dass das Engagement der Riesen zu mehr Tempo führt. Sie haben die globale Vernetzung, das Kapital, die Abnehmer, im Übrigen auch die Offshore-Erfahrung in der nicht immer einfachen Nordsee, um Geschwindigkeit reinbringen, Termine halten zu können. Vielleicht können sie die Lieferkette auch ganzheitlicher angehen.“

Und das Handelsblatt zitierte Branchenexperten mit Einschätzungen, wonach das Ausschreibungsergebnis „zeige, dass Windstrom sehr gefragt sei. (…) Die erfolgreichen Bieter zeigten mit ihren Geboten ihr starkes Engagement für den weiteren Ausbau der Offshore-Windenergie in Deutschland.“

Besonders hervorgehoben wurde in der Berichterstattung, dass die beiden Konzerne sogar auf eine feste Einspeisevergütung verzichteten und einverstanden waren, 12,6 Milliarden Euro Pachtgebühr zu bezahlen. 

Düstere Perspektive

Doch Vorsicht: Für die Stromkunden ist das keine gute Nachricht. Die Zahlungen von 12,6 Milliarden Euro werden natürlich an die deutschen Stromkunden weitergereicht. Das macht alleine eine Strompreiserhöhung um 2,5 Euro-Cent/kwh aus. Zudem wissen wir aus Kalkulationen der Branche, dass Offshore-Strom nicht unter 10 Euro-Cent/kwh zu erzeugen ist. Denn die Kapital- und Materialkosten haben sich in den letzten vier Jahren um mehr als 50 Prozent erhöht. Das bedeutet: BP und Total bauen die Windkraftanlagen, wenn der Börsenstrompreis bei etwa 12,5 Euro-Cent/kwh liegen wird. 

Hören wir aber nicht fast täglich, dass die Strompreise, die vor der Energiekrise bei 4 bis 5 Euro-Cent/kwh lagen, mit dem Ausbau der Windenergie gegenüber dem heutigen verdoppelten bis verdreifachten Niveau wieder sinken sollen ? Wird nicht ständig davon gesponnen, dass die Industriestrompreise auf 5 bis 6 Euro-Cent/kwh herunter subventioniert werden sollen, um durch diesen Brückenstrompreis für wenige Jahre die Deindustrialisierung zu stoppen?

In Wirklichkeit ist die Perspektive düster: Diese Brücke führt ins Nirgendwo, denn Windenergie wird nicht billiger, sondern teurer. Und auf Dauer 12,5 Euro-Cent/kwh teuren Offshore-Windstrom herunterzusubventionieren, kann sich keine Gesellschaft leisten.

Für BP und Total allerdings ist es eine sichere Wette auf eine teurere Stromzukunft. Und wenn in Deutschland die Strompreise nicht steigen sollten, ist der Verlust für beide verschmerzbar. Denn BP und Total haben schließlich nur zehn Prozent des Pachtpreises einzahlen müssen.

USA und Großbritannien

Und wie sieht es mit Offshore-Wind anderswo aus? In den USA und Großbritannien werden zahlreiche geplante Offshore-Windprojekte zur Zeit nicht weiterverfolgt. 

Die Projekte vor der Küste des Staates New York wollen eine höhere Einspeisevergütung, um die gestiegenen Kosten für Komponenten und Kapital auszugleichen. Oersted und Eversource wollen eine 27-prozentige Mehrvergütung (880 MW Sunrise Wind-Projekt), Equinor und BP wollen einen Aufschlag von 35 bis 66 Prozent für ihr 2100 MW-Projekt Empire Wind. Gefordert werden 14 Dollar-Cent/kwh im ersten Fall, im zweiten Fall reichen die Forderungen von 16 bis 18 Dollar-Cent/kwh. 

In Großbritannien sind bei der letzten Ausschreibung überhaupt keine Gebote mehr gemacht worden. In beiden Ländern werden Offshore-Windparks aus wirtschaftlichen Gründen infrage gestellt.

Walsterben durch Windindustrie?

In den USA gibt es nunmehr zudem eine intensive Diskussion über das Walsterben vor der Küste New Yorks. Seit 2017 sind 95 tote Wale an der Küste aufgefunden worden. 

Während die US-Behörden bislang einen Zusammenhang mit dem Ausbau der Offshore-Windturbinen vor dieser Küste verneinen, kommt der Naturschutzexperte Michael Shellenberger mit Verweis auf den Dokumentarfilm Thrown To The Wind“ von Regisseur und Produzent Jonah Markowitz zu einem bedrückenden Verdacht: Die hohen Unterwasserschall-Vibrationen, die von den Turbinen kilometerweit ausgesendet werden, sowie die Zunahme des Service-Schiffsverkehrs zu den Turbinen stehen im Verdacht, die Walpopulation vor der Küste zu vernichten.

Shellenberger schreibt: „Doch nun beweist (…) ‚Thrown To The Wind‘, dass die US-Regierungsvertreter gelogen haben. Der vollständige Film (…) dokumentiert überraschend laute, hochdezibelstarke Sonargeräusche, die von Schiffen der Windindustrie ausgesendet werden, wenn sie mit modernsten Hydrophonen gemessen werden. Und er zeigt, dass der zunehmende Bootsverkehr der Windindustrie direkt mit dem Tod von Walen korreliert. (…) ‚Thrown To The Wind‘ zeigt, dass die US-Regierungsbehörden und die Wissenschaftler, die für sie arbeiten, entweder nicht die grundlegenden Kartierungen und akustischen Untersuchungen durchgeführt haben (…) oder dass sie herausgefunden haben, was wir gefunden haben, und es vertuschen.“

Ich würde mir sehr, sehr wünschen, dass Michael Shellenberger diesmal nicht Recht hat.

Grüne Mathematik

Doch auch die Windenergie an Land wird teurer. Auch hier schlagen Kapital- und Materialkosten preissteigernd zu Buche. Daher musste  Wirtschaftsminister Robert Habeck im letzten Dezember die Einspeisevergütung für Windenergie um 25 Prozent anheben lassen. Nunmehr sind 7,35 Euro-Cent/kwh 20 Jahre lang zu vergüten (siehe dazu auch meine Sandwirt-Beiträge vom 30.01.2023 und vom 14.02.2023).

Das gilt allerdings nur für einen normalen Windstandort in Norddeutschland mit etwa 6,5 m/s durchschnittlichem Wind. In Süddeutschland – namentlich in Bayern, wo es wenig Wind gibt – werden bei der Hälfte der Windgeschwindigkeit etwa 11 Euro-Cent/kwh gezahlt. 

Dies ist eine volkswirtschaftliche Verschleuderung von Geld nach dem Motto: Wo weniger Wind ist, wird mehr gezahlt. Das ist grüne Effizienz und grüne Mathematik. Das kann man nur ideologisch verstehen: Weil man auch den windschwachen und ungeeigneten Süden mit Windkraftwerken beglücken will, zahlt man dort bis zu 50 Prozent mehr für die Kilowattstunde aus Wind. 

Somit ist jedes Windkraftwerk im Süden ein weiterer Sargnagel für die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie, denn mit 11 Euro-Cent/kwh ist in Deutschland weder die Grundstoffindustrie noch die Düngemittelindustrie noch die chemische Industrie wettbewerbsfähig. 

Ganz Verwegene träumen, auch diesem teuren süddeutschen Windstrom dann auch noch teuersten Wasserstoff zu machen. Denn die Windkraftanlagen in Süddeutschland stehen mehr, als sie drehen. Sie haben dort lediglich 1600 Volllast-Stunden von 8760 Stunden des Jahres – also weniger als 20 Prozent. Und wenn sie sich nicht drehen? Dann füllt man die Lücke mit Strom aus teuerstem Wasserstoff – zumindest wenn es nach Olaf Scholz und seinem Traumkabinett geht.

Deindustrialisierung am Ziel

Um diesen Verteuerungseffekt durch Windkraft im Süden ein wenig zu kompensieren, baut man die Anlagen höher, bis zu 250 m hoch. Der ökologische Eingriff mit tödlichen Folgen für Greifvögel, Fledermäuse und wandernde Insekten (siehe dazu meinen Sandwirt-Beitrag vom 30.05.2023) wird entsprechend gewaltig.

Am Ende kommt man auch für den Windstrom an Land zu Kosten von 16 Euro-Cent/kwh, wenn man die notwendigen Kosten für den Netzausbau, die Kompensationskosten (Redispatch) und die Wasserstoffkraftwerke hinzuaddiert:  

Kompensationskosten für Schutz vor Überlastung: 4 Mrd Euro p.a. (1 Euro-Cent/kwh)

Netzausbau Hochspannung: 200 Mrd. Euro auf 20 Jahre (2 Euro-Cent/kwh)

Niederspannungsnetz: 5 Mrd. p.a. (1 Euro-Cent/kwh)

Wasserstoffkraftwerke (Acatech schätzt 120 TWh): 27 Mrd. p.a. (4,5 Euro-Cent/kwh)

Gesamtkosten: 7,5 Euro-Cent/kwh Einspeisevergütung plus 1 Euro-Cent/kwh Redispatch plus 2 Euro-Cent/kwh Netzausbau Hochspannung plus 1 Euro-Cent/kwh Netzausbau Niederspannung plus 4,5 Euro-Cent/kwh Wasserstoff. Gesamt: 16 Euro-Cent/kwh.

Damit kommt die Deindustrialisierung an ihr Ziel: Industrie ist bei einem solchen Stromerzeugungspreis nicht mehr wettbewerbsfähig.

Damit wir uns nicht missverstehen: Windenergie an starken Windstandorten leistet einen begrenzten Beitrag in einem zukünftigen Energiesystem. Doch energetisch wirklich Sinn machen Windkraftanlagen nur im Verbund mit anderen regelbaren Stromerzeugungen. 

Und man darf nicht vergessen, dass auch Offshore-Windkraftanlagen keinen Beitrag zur Systemstabilität des Stromsystem leisten. Wind und Sonne liefern eben keine gesicherte Leistung. Bei konventionellen Kraftwerken beträgt sie mehr als 85 Prozent, bei Windkraft- und Solaranlagen liegt sie nahe Null: 

Kein Industrieland wird es auf absehbare Zeit schaffen, 100 Prozent einer wettbewerbsfähigen Energieversorgung durch Solar und Wind zu gewährleisten. Olaf Scholz‘ „Powerhouse“-Fantasien haben auf See und an Land mit der Realität nur wenig zu tun. 

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