Deutschland leidet an einer strukturellen Schieflage. Während sich der Bund und die Länder immer weiter in Aufgaben einmischen, die fernab ihres direkten Wirkungskreises liegen, schnüren klamme Kommunen Jahr für Jahr Sparkonzepte. Freibäder schließen, Kulturangebote schrumpfen, Schulen verfallen – und das, obwohl die Bürger ihre Steuern brav entrichten.
Der Grund: Die Finanzverfassung unseres Landes konzentriert die Einnahme- und Entscheidungsmacht zunehmend in der Ferne. Immer mehr Aufgaben werden „von oben“ geregelt, während „unten“ das Geld fehlt, um echte Lebensqualität zu gestalten. Das Resultat: Bürgerverdrossenheit, Bürokratiewachstum und schwindende politische Partizipation.
Die Idee
Das Konzept der kommunalen Finanzhoheit verfolgt einen originär subsidiären Ansatz: Die Kommunen sollen alle relevanten Steuern – von der Einkommensteuer bis zur Umsatzsteuer – selbst erheben. Nur ein kleiner Anteil (etwa 5 Prozent) wird an die Länder weitergereicht, ein weiterer an den Bund. Der Löwenanteil verbleibt dort, wo das Leben stattfindet: in der Kommune.
Dieses Modell ist nicht nur eine fiskalische Neuordnung. Es ist ein Bekenntnis zur Eigenverantwortung, zur Bürgernähe und zur echten Demokratie. Denn wer vor Ort lebt, weiß am besten, wofür das Geld gebraucht wird – und kann sich auch direkt einbringen, wenn es um seine Verwendung geht.
Wirkungen eines dezentralen Systems
Ein solches Modell hat tiefgreifende Auswirkungen auf viele Bereiche unseres Lebens:
Demokratie: Kommunale Finanzhoheit stärkt die Beteiligung der Bürger. Entscheidungen werden wieder dort getroffen, wo ihre Folgen spürbar sind. Politik wird greifbarer, transparenter – und damit auch ehrlicher.
Wirtschaft: Der Steuerwettbewerb zwischen Kommunen erzeugt Innovationsdruck. Wer als Kommune unattraktive Bedingungen bietet, verliert Steuerzahler und damit Gestaltungskraft. Wer klug wirtschaftet und unternehmerfreundlich agiert, zieht Talente und Unternehmen an.
Sozialpolitik: Soziale Hilfe kann zielgenauer und passgenauer organisiert werden. Subsidiarität bedeutet eben nicht Abschottung, sondern freiwillige Solidarität, orientiert am realen Bedarf – nicht an ideologischen Großentwürfen.
Staatsstruktur: Das Staatsgefüge wird dezentraler, föderaler, bottom-up statt top-down. Die Aufgabe des Bundes liegt künftig eher im Ordnungsrahmen als in der Detailsteuerung.
Der Weg dorthin
Eine Änderung des Grundgesetzes scheint derzeit unwahrscheinlich. Weder der Bund noch die Länder haben ein Interesse daran, Macht und Geld freiwillig abzugeben. Doch das Konzept der kommunalen Finanzhoheit kann als politischer Bottom-up-Prozess wachsen – mit drei Etappen:
Kommunale Forderungen: Klamme Kommunen könnten auf Landesebene fordern, eigene Finanzämter zu betreiben oder zumindest Anteile an der Einkommensteuer direkt zu vereinnahmen. Auch eine stärkere Beteiligung an der Umsatzsteuer wäre denkbar. Dies bedarf nur einfacher Gesetzesänderungen auf Landes- oder Bundesebene, keine Grundgesetzänderung.
Landespolitischer Druck: Parteien auf Landesebene können das Thema aufgreifen und zu einem Kernelement eines Landtagswahlkampfes machen. So entsteht ein systemischer Druck von unten nach oben.
Verfassungsänderung: Wenn genug kommunale und landespolitische Kräfte das Thema tragen, kann langfristig ein neues Verständnis von Föderalismus im Grundgesetz verankert werden.
Zwischen Anarchie und Reform
Natürlich wird mancher radikale Libertäre einwenden: „Steuern sind Raub!“ Und ja – auch für den Autor ist diese Einsicht grundlegend. Wir Libertären streben nicht nach der Macht im Staat. Wir wollen sie den Menschen zurückgeben. Doch wir erkennen auch: In einem Land wie Deutschland wächst keine Revolution aus einem zentralistischen Nährboden.
Dieser Vorschlag ist die Saat einer Graswurzelbewegung. Wo Javier Milei in Argentinien mit der fiskalischen Kettensäge voranschreitet, setzen wir auf einen friedlichen Rückbau durch funktionalen Wettbewerb. Kleinere Finanzämter erfordern einfacheres Steuerrecht. Ärmeren Kommunen wird es ein Anliegen sein, attraktiver für Bewohner und Unternehmen zu werden. Daraus entsteht ganz natürlicher, friedlicher Reformdruck.
Ein weiterer Vorteil: Kommunalpolitik funktioniert oft ideologiefreier. Bürger sind dort näher dran, Debatten sind pragmatischer. Die überfrachtete Bundesebene dagegen ist erstarrt im Dauerstreit der parteipolitischen Narrative.
„Müssen wir das wirklich regeln?“
Was wir brauchen, sind mehr Menschen in den kommunalen Parlamenten, die die zentralen Fragen unserer Zeit nicht mit Kontrolle, sondern mit Vertrauen beantworten. Die sich trauen zu fragen: „Müssen wir das tatsächlich für alle verpflichtend regeln? Oder sollte nicht besser jeder Einzelne über diese Frage selbst entscheiden dürfen?“
Das ist der Geist der Freiheit – und er beginnt nicht in Berlin, sondern in Rathäusern, in Gemeinderäten, bei Nachbarschaftsfesten.
4 Kommentare. Leave new
Das „Konzept der kommunalen Finanzhoheit“ von Dirk Hesse ist befremdlich, da sie aus der Feder eines angeblich Libertären stammt.
Aus libertärer Sicht muss klar gesagt werden, dass die „strukturelle Schieflage“ Deutschlands nicht deshalb entstanden ist, weil zentrale Steuerpolitik einfach nur ineffizienter als dezentrale Steuerpolitik wäre, sondern gerade WEIL die Steuer- und Abgabenlast und die Bürokratie in Deutschland ein solches Niveau erreicht haben, dass man nicht mehr vom Vorliegen einer Marktwirtschaft, sondern von einer sozialistischen Planwirtschaft in Deutschland sprechen muss.
Dirk Hesse will zentrale Misswirtschaft durch dezentrale Misswirtschaft austauschen. Das haben aber bereits Generationen von Sozialisten in aller Welt ausprobiert und sind gescheitert. Einzig die deutliche Reduzierung der Zwangsumverteilung würde zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führen. Alles andere ist nur Symptombehandlung.
Den von Hesse erwünschten kommunalen „Steuerwettbewerb“ kann es nicht geben, da funktionierender Wettbewerb immer Privateigentum voraussetzt. Auch bei einer kommunalen Zwangsumverteilung würden wir „lokal“ von Politikern belogen, betrogen, ausgebeutet und versklavt werden.
Lieber Herr Hesse! Der Satz STEUERN SIND RAUB, ist nicht „libertärer Radikalismus“, sondern es ist einfach die Wahrheit!
Sehr gut der Beitrag zur kommunalen Finanzhoheit. Ich meine allerdings um 1994 in einem Buch Helmut Schmidts von einem großen Fehler in der Steuergesetzgebung Anfang der 70er? Jahre gelesen zu haben als die Steuern von den Kommunen zu Land und Bund in ihren Anteilen verschoben wurden. Ein schwerer Fehler sei das gewesen, aber man habe wohl bislang nicht die Kraft und den Willen gehabt dies zu ändern. ABER vielleicht klappt es nun mittels Graswurzelbewehung in kleinen Schritten, Hauptsache das Anliegen gerät überhaupt in Bewegung. Das Ende der DDR war selbst Tage zuvor nicht absehbar gewesen, sogar der eigene Geheimdienst war kalt erwischt worden.
Wenn man sich erinnert an das Deutschland vor hundert Jahren als wir wirtschaftlich an die Weltspitze strebten, vielleicht lässt sich manches auf heute übertragen. Universitäten suchten sich ihre Studenten selbst aus.
Frohen Sonntag und kommen Sie gut in die nächste Woche.
Dirk Hesse beschreibt einen wichtigen Schritt in Richtung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung: mehr Eigenverantwortung, mehr Bürgernähe, weniger Zentralismus. Kommunale Steuerhoheit bedeutet die Rückverlagerung politischer Entscheidungskompetenz an die Basis – dorthin, wo Leben, Wirtschaft und Zusammenhalt konkret erfahrbar sind.
Zustimmung – unter der Bedingung echter Leistungsgerechtigkeit:
Die Grundidee weist in die richtige Richtung: Steuern dürfen weder Selbstzweck noch Umverteilungsinstrument eines entkoppelten Machtapparats sein. Legitim sind sie nur dann, wenn ihnen konkret erfahrbare, freiwillig nachgefragte Leistungen gegenüberstehen – wie in einem zivilrechtlichen Vertrag. Was derzeit praktiziert wird, ist ein Zwangsabzug ohne individuelle Gegenleistung. Das hat mit Vertragsfreiheit nichts zu tun.
Einwände – gegen die Beibehaltung aller Steuerarten:
Problematisch bleibt, dass im Konzept Hesses auch Steuerarten erhalten bleiben sollen, die das Eigentum der Bürger unmittelbar verletzen – etwa Einkommen-, Unternehmens- oder Erbschaftssteuern. Solche Eingriffe sind auch auf kommunaler Ebene mit einem freiheitlichen Rechtsverständnis nicht vereinbar. Als Übergangslösung kann höchstens eine pauschale Konsum- oder Mehrwertsteuer mit klarer Zweckbindung und freiwilliger Inanspruchnahme gerechtfertigt werden.
Warum der Ansatz der PdV dennoch tragfähig ist:
• Steuergerechtigkeit durch Nähe: Wer zahlt, soll auch mitbestimmen können – nur so entsteht Verantwortung.
• Wettbewerb durch Vielfalt: Unterschiedliche kommunale Steuer- und Ausgabenmodelle fördern Innovation statt Gleichmacherei.
• Bürgernähe statt Staatsferne: Je näher der Bürger an der Entscheidung, desto größer sein Interesse an Transparenz und Effizienz.
• Freiwilligkeit statt Zwang: Wertgeschätzte Leistungen brauchen keine Zwangsfinanzierung – sie finanzieren sich durch Zustimmung.
• Freiheit als Leitidee: Nicht das Kollektiv, sondern der mündige Einzelne ist Träger jeder legitimen Ordnung.
Fazit: Dirk Hesses Beitrag ist kein radikaler Entwurf, sondern ein interessanter und ernstzunehmender Debattenimpuls. Er verweist auf die wachsenden Widersprüche eines zentralistischen Steuerstaats, der zunehmend an Legitimität verliert. Der Weg über kommunale Finanzhoheit ist ein realistischer Einstieg in die Rückführung staatlicher Macht – von oben nach unten, vom Zwang zur Verantwortung.
Was heute als utopisch gilt, kann morgen als einzige rationale Option erscheinen – wenn genug Menschen erkennen, dass Freiheit kein Risiko, sondern die Voraussetzung für Gemeinsinn, Leistung und Gerechtigkeit ist.
Herr Schnebel knockt Herr Steinhebel quasi aus. Schön, dass man noch Schreiben kann in diesem Land.
Kurzum. Toller Ansatz Herr Hesse, denn im „Made in Germany Land“, nur noch Duckmäuschen sich zu Wort melden. Der Art. 106 GG ist sowieso eine Katastrophe. Umverteilung: Bürokratiezuwachs und schwindende Motivation des Steuertragenden. Die Bürokraten leisten Ihren Beitrag nicht zum BIP, haben echt keine Ahnung wovon die reden. Es muss Transparenz in einer Bilanz (hier Haushalt) geben und Jeder muss darauf zurückgreifen können. Finanzielle Neuordnung…einfach Top. Schauen Sie mal: „noch nie sah ich ein Lebewesen, der den Ast absägt auf dem Er drauf sitzt“. Und wenn Beamtengehälter nicht mehr geleistet werden können, dann ist es um uns geschehen. Ist aber der Weg…einfach Haushalt vorlegen! Wer hat hier schon mal bei Behörden gearbeitet? Katastrophe. Und warum? Keine Verantwortung über das Budget, keine Motivation. Alles wird ausgesessen.